The Project Gutenberg EBook of Gotzen-Dammerung, by Friedrich Wilhelm Nietzsche Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Friedrich Nietzsche Goetzen-Daemmerung Inhaltsverzeichnis Vorwort Sprueche und Pfeile Das Problem des Sokrates Die "Vernunft" in der Philosophie Wie die "wahre Welt" endlich zur Fabel wurde Moral als Widernatur Die vier grossen Irrthuemer Die "Verbesserer" der Menschheit Was den Deutschen abgeht Streifzuege eines Unzeitgemaessen Was ich den Alten verdanke Der Hammer redet Goetzen-Daemmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt. Vorwort. Inmitten einer duestern und ueber die Maassen verantwortlichen Sache seine Heiterkeit aufrecht erhalten ist nichts Kleines von - Kunststueck: und doch, was waere noethiger als Heiterkeit? Kein Ding geraeth, an dem nicht der Uebermuth seinen Theil hat. Das Zuviel von Kraft erst ist der Beweis der Kraft. - Eine Umwerthung aller Werthe, dies Fragezeichen so schwarz, so ungeheuer, dass es Schatten auf Den wirft, der es setzt - ein solches Schicksal von Aufgabe zwingt jeden Augenblick, in die Sonne zu laufen, einen schweren, allzuschwer gewordnen Ernst von sich zu schuetteln. Jedes Mittel ist dazu recht, jeder "Fall" ein Gluecksfall. Vor Allem der Krieg. Der Krieg war immer die grosse Klugheit aller zu innerlich, zu tief gewordnen Geister; selbst in der Verwundung liegt noch Heilkraft. Ein Spruch, dessen Herkunft ich der gelehrten Neugierde vorenthalte, war seit langem mein Wahlspruch: increscunt animi, virescit volnere virtus. Eine andere Genesung, unter Umstaenden mir noch erwuenschter, ist Goetzen aushorchen... Es giebt mehr Goetzen als Realitaeten in der Welt: das ist mein "boeser Blick" fuer diese Welt, das ist auch mein "boeses Ohr"... Hier einmal mit dem Hammer Fragen stellen und, vielleicht, als Antwort jenen beruehmten hohlen Ton hoeren, der von geblaehten Eingeweiden redet - welches Entzuecken fuer Einen, der Ohren noch hinter den Ohren hat, - fuer mich alten Psychologen und Rattenfaenger, vor dem gerade Das, was still bleiben moechte, laut werden muss... Auch diese Schrift - der Titel verraeth es - ist vor Allem eine Erholung, ein Sonnenfleck, ein Seitensprung in den Muessiggang eines Psychologen. Vielleicht auch ein neuer Krieg? Und werden neue Goetzen ausgehorcht?... Diese kleine Schrift ist eine grosse Kriegserklaerung; und was das Aushorchen von Goetzen anbetrifft, so sind es dies Mal keine Zeitgoetzen, sondern ewige Goetzen, an die hier mit dem Hammer wie mit einer Stimmgabel geruehrt wird, - es giebt ueberhaupt keine aelteren, keine ueberzeugteren, keine aufgeblaseneren Goetzen... Auch keine hohleren... Das hindert nicht, dass sie die geglaubtesten sind; auch sagt man, zumal im vornehmsten Falle, durchaus nicht Goetze... Turin, am 30. September 1888, am Tage, da das Buch der Umwerthung aller Werthe zu Ende kam. FRIEDRICH NIETZSCHE. Sprueche und Pfeile. 1. Muessiggang ist aller Psychologie Anfang. Wie? waere Psychologie ein - Laster? 2. Auch der Muthigste von uns hat nur selten den Muth zu dem, was er eigentlich weiss... 3. Um allein zu leben, muss man ein Thier oder ein Gott sein - sagt Aristoteles. Fehlt der dritte Fall: man muss Beides sein - Philosoph... 4. "Alle Wahrheit ist einfach." - Ist das nicht zwiefach eine Luege? - 5. Ich will, ein fuer alle Mal, Vieles nicht wissen. - Die Weisheit zieht auch der Erkenntniss Grenzen. 6. Man erholt sich in seiner wilden Natur am besten von seiner Unnatur, von seiner Geistigkeit... 7. Wie? ist der Mensch nur ein Fehlgriff Gottes? Oder Gott nur ein Fehlgriff des Menschen? - 8. Aus der Kriegsschule des Lebens. - Was mich nicht umbringt, macht mich staerker. 9. Hilf dir selber: dann hilft dir noch Jedermann. Princip der Naechstenliebe. 10. Dass man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! dass man sie nicht hinterdrein im Stiche laesst! - Der Gewissensbiss ist unanstaendig. 11. Kann ein Esel tragisch sein? - Dass man unter einer Last zu Grunde geht, die man weder tragen, noch abwerfen kann?... Der Fall des Philosophen. 12. Hat man sein warum? des Lebens, so vertraegt man sich fast mit jedem wie? - Der Mensch strebt nicht nach Glueck; nur der Englaender thut das. 13. Der Mann hat das Weib geschaffen - woraus doch? Aus einer Rippe seines Gottes, - seines "Ideals"... 14. Was? du suchst? du moechtest dich verzehnfachen, verhundertfachen? du suchst Anhaenger? - Suche Nullen. 15. Posthume Menschen - ich zum Beispiel - werden schlechter verstanden als zeitgemaesse, aber besser gehoert. Strenger: wir werden nie verstanden - und daher unsre Autoritaet... 16. Unter Frauen. - "Die Wahrheit? Oh Sie kennen die Wahrheit nicht! Ist sie nicht ein Attentat auf alle unsre pudeurs?" - 17. Das ist ein Kuenstler, wie ich Kuenstler liebe, bescheiden in seinen Beduerfnissen: er will eigentlich nur Zweierlei, sein Brod und seine Kunst, - panem et Circen... 18. Wer seinen Willen nicht in die Dinge zu legen weiss, der legt wenigstens einen Sinn noch hinein: das heisst, er glaubt, dass ein Wille bereits darin sei (Princip des "Glaubens"). 19. Wie? ihr waehltet die Tugend und den gehobenen Busen und seht zugleich scheel nach den Vortheilen der Unbedenklichen? - Aber mit der Tugend verzichtet man auf "Vortheile"... (einem Antisemiten an die Hausthuer.) 20. Das vollkommene Weib begeht Litteratur, wie es eine kleine Suende begeht: zum Versuch, im Voruebergehn, sich umblickend, ob es Jemand bemerkt und dass es Jemand bemerkt... 21. Sich in lauter Lagen begeben, wo man keine Scheintugenden haben darf, wo man vielmehr, wie der Seiltaenzer auf seinem Seile, entweder stuerzt oder steht - oder davon kommt... 22. "Boese Menschen haben keine Lieder." - Wie kommt es, dass die Russen Lieder haben? 23. "Deutscher Geist": seit achtzehn Jahren eine contradictio in adjecto. 24. Damit, dass man nach den Anfaengen sucht, wird man Krebs. Der Historiker sieht rueckwaerts; endlich glaubt er auch rueckwaerts. 25. Zufriedenheit schuetzt selbst vor Erkaeltung. Hat je sich ein Weib, das sich gut bekleidet wusste, erkaeltet? - Ich setze den Fall, das es kaum bekleidet war. 26. Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit. 27. Man haelt das Weib fuer tief - warum? weil man nie bei ihm auf den Grund kommt. Das Weib ist noch nicht einmal flach. 28. Wenn das Weib maennliche Tugenden hat, so ist es zum Davonlaufen; und wenn es keine maennlichen Tugenden hat, so laeuft es selbst davon. 29. "Wie viel hatte ehemals das Gewissen zu beissen? welche guten Zaehne hatte es? - Und heute? woran fehlt es?" - Frage eines Zahnarztes. 30. Man begeht selten eine Uebereilung allein. In der ersten Uebereilung thut man immer zu viel. Eben darum begeht man gewoehnlich noch eine zweite - und nunmehr thut man zu wenig... 31. Der getretene Wurm kruemmt sich. So ist es klug. Er verringert damit die Wahrscheinlichkeit, von Neuem getreten zu werden. In der Sprache der Moral: Demuth. - 32. Es giebt einen Hass auf Luege und Verstellung aus einem reizbaren Ehrbegriff; es giebt einen ebensolchen Hass aus Feigheit, insofern die Luege, durch ein goettliches Gebot, verboten ist. Zu feige, um zu luegen... 33. Wie wenig gehoert zum Gluecke! Der Ton eines Dudelsacks. - Ohne Musik waere das Leben ein Irrthum. Der Deutsche denkt sich selbst Gott liedersingend. 34. On ne peut penser et ecrire qu'assis (G. Flaubert). - Damit habe ich dich, Nihilist! Das Sitzfleisch ist gerade die Suende wider den heiligen Geist. Nur die ergangenen Gedanken haben Werth. 35. Es giebt Faelle, wo wir wie Pferde sind, wir Psychologen, und in Unruhe gerathen: wir sehen unsren eignen Schatten vor uns auf und niederschwanken. Der Psychologe muss von sich absehn, um ueberhaupt zu sehn. 36. Ob wir Immoralisten der Tugend Schaden thun? - Eben so wenig, als die Anarchisten den Fuersten. Erst seitdem diese angeschossen werden, sitzen sie wieder fest auf ihrem Thron. Moral: man muss die Moral anschiessen. 37. Du laeufst voran? - Thust du das als Hirt? oder als Ausnahme? Ein dritter Fall waere der Entlaufene... Erste Gewissensfrage. 38. Bist du echt? oder nur ein Schauspieler? Ein Vertreter? oder das Vertretene selbst? - Zuletzt bist du gar bloss ein nachgemachter Schauspieler... Zweite Gewissensfrage. 39. Der Enttaeuschte spricht. - Ich suchte nach grossen Menschen, ich fand immer nur die Affen ihres Ideals. 40. Bist du Einer, der zusieht? oder der Hand anlegt? - oder der wegsieht, bei Seite geht?... Dritte Gewissensfrage. 41. Willst du mitgehn? oder vorangehn? oder fuer dich gehn?... Man muss wissen, was man will und dass man will. Vierte Gewissensfrage. 42. Das waren Stufen fuer mich ich bin ueber sie hinaufgestiegen, - dazu musste ich ueber sie hinweg. Aber sie meinten, ich wollte mich auf ihnen zur Ruhe setzen... 43. Was liegt daran, das ich Recht behalte! Ich habe zu viel Recht. - Und wer heute am besten lacht, lacht auch zuletzt. 44. Formel meines Gluecks: ein Ja, ein Nein, eine gerade Linie ein Ziel... Das Problem des Sokrates. 1. Ueber das Leben haben zu allen Zeiten die Weisesten gleich geurtheilt: es taugt nichts... Immer und ueberall hat man aus ihrem Munde denselben Klang gehoert, - einen Klang voll Zweifel, voll Schwermuth, voll Muedigkeit am Leben, voll Widerstand gegen das Leben. Selbst Sokrates sagte, als er starb: "leben - das heisst lange krank sein: ich bin dem Heilande Asklepios einen Hahn schuldig." Selbst Sokrates hatte es satt. - Was beweist das? Worauf weist das? - Ehemals haette man gesagt (- oh man hat es gesagt und laut genug und unsre Pessimisten voran!): "Hier muss jedenfalls Etwas wahr sein! Der consensus sapientium beweist die Wahrheit." - Werden wir heute noch so reden? Duerfen wir das? "Hier muss jedenfalls Etwas krank sein" - geben wir zur Antwort: diese Weisesten aller Zeiten, man sollte sie sich erst aus der Naehe ansehn! Waren sie vielleicht allesammt auf den Beinen nicht mehr fest? spaet? wackelig? decadents? Erschiene die Weisheit vielleicht auf Erden als Rabe, den ein kleiner Geruch von Aas begeistert?... 2. Mir selbst ist diese Unehrerbietigkeit, dass die grossen Weisen Niedergangs-Typen sind, zuerst gerade in einem Falle aufgegangen, wo ihr am staerksten das gelehrte und ungelehrte Vorurtheil entgegensteht: ich erkannte Sokrates und Plato als Verfalls-Symptome, als Werkzeuge der griechischen Aufloesung, als pseudogriechisch, als antigriechisch ("Geburt der Tragoedie" 1872), jener consensus sapientium - das begriff ich immer besser - beweist am wenigsten, dass sie Recht mit dem hatten, worueber sie uebereinstimmten: er beweist vielmehr, dass sie selbst, diese Weisesten, irgend worin physiologisch uebereinstimmten, um auf gleiche Weise negativ zum Leben zu stehn, - stehn zu muessen. Urtheile, Werthurtheile ueber das Leben, fuer oder wider, koennen zuletzt niemals wahr sein: sie haben nur Werth als Symptome, sie kommen nur als Symptome in Betracht, - an sich sind solche Urtheile Dummheiten. Man muss durchaus seine Finger darnach ausstrecken und den Versuch machen, diese erstaunliche finesse zu fassen, dass der Werth des Lebens nicht abgeschaetzt werden kann. Von einem Lebenden nicht, weil ein solcher Partei, ja sogar Streitobjekt ist und nicht Richter; von einem Todten nicht, aus einem andren Grunde. - Von Seiten eines Philosophen im Werth des Lebens ein Problem sehn bleibt dergestalt sogar ein Einwurf gegen ihn, ein Fragezeichen an seiner Weisheit, eine Unweisheit. - Wie? und alle diese grossen Weisen - sie waeren nicht nur decadents, sie waeren nicht einmal weise gewesen? - Aber ich komme auf das Problem des Sokrates zurueck. 3. Sokrates gehoerte, seiner Herkunft nach, zum niedersten Volk: Sokrates war Poebel. Man weiss, man sieht es selbst noch, wie haesslich er war. Aber Haesslichkeit, an sich ein Einwand, ist unter Griechen beinahe eine Widerlegung. War Sokrates ueberhaupt ein Grieche? Die Haesslichkeit ist haeufig genug der Ausdruck einer gekreuzten, durch Kreuzung gehemmten Entwicklung. Im andren Falle erscheint sie als niedergehende Entwicklung. Die Anthropologen unter den Criminalisten sagen uns, dass der typische Verbrecher haesslich ist: monstrum in fronte, monstrum in animo. Aber der Verbrecher ist ein decadent. War Sokrates ein typischer Verbrecher? - Zum Mindesten widerspraeche dem jenes beruehmte Physiognomen-Urtheil nicht, das den Freunden des Sokrates so anstoessig klang. Ein Auslaender, der sich auf Gesichter verstand, sagte, als er durch Athen kam, dem Sokrates in's Gesicht, er sei ein monstrum, - er berge alle schlimmen Laster und Begierden in sich. Und Sokrates antwortete bloss: "Sie kennen mich, mein Herr!" - 4. Auf decadence bei Sokrates deutet nicht nur die zugestandne Wuestheit und Anarchie in den Instinkten: eben dahin deutet auch die Superfoetation des Logischen und jene Rhachitiker-Bosheit, die ihn auszeichnet. Vergessen wir auch jene Gehoers-Hallucinationen nicht, die, als "Daemonion des Sokrates", in's Religioese interpretirt worden sind. Alles ist uebertrieben, buffo, Karikatur an ihm, Alles ist zugleich versteckt, hintergedanklich, unterirdisch. - Ich suche zu begreifen, aus welcher Idiosynkrasie jene sokratische Gleichsetzung von Vernunft = Tugend = Glueck stammt: jene bizarrste Gleichsetzung, die es giebt und die in Sonderheit alle Instinkte des aelteren Hellenen gegen sich hat. 5. Mit Sokrates schlaegt der griechische Geschmack zu Gunsten der Dialektik um: was geschieht da eigentlich? Vor Allem wird damit ein vornehmer Geschmack besiegt; der Poebel kommt mit der Dialektik obenauf. Vor Sokrates lehnte man in der guten Gesellschaft die dialektischen Manieren ab: sie galten als schlechte Manieren, sie stellten bloss. Man warnte die Jugend vor ihnen. Auch misstraute man allein solchen Praesentiren seiner Gruende. Honnette Dinge tragen, wie honnette Menschen, ihre Gruende nicht so in der Hand. Es ist unanstaendig, alle fuenf Finger zeigen. Was sich erst beweisen lassen muss, ist wenig werth. Ueberall, wo noch die Autoritaet zur guten Sitte gehoert, wo man nicht "begruendet", sondern befiehlt, ist der Dialektiker eine Art Hanswurst: man lacht ueber ihn, man nimmt ihn nicht ernst. - Sokrates war der Hanswurst, der sich ernst nehmen machte: was geschah da eigentlich? - 6. Man waehlt die Dialektik nur, wenn man kein andres Mittel hat. Man weiss, dass man Misstrauen mit ihr erregt, dass sie wenig ueberredet. Nichts ist leichter wegzuwischen als ein Dialektiker-Effekt: die Erfahrung jeder Versammlung, wo geredet wird, beweist das. Sie kann nur Nothwehr sein, in den Haenden Solcher, die keine andren Waffen mehr haben. Man muss sein Recht zu erzwingen haben: eher macht man keinen Gebrauch von ihr. Die Juden waren deshalb Dialektiker; Reinecke Fuchs war es: wie? und Sokrates war es auch? - 7. - Ist die Ironie des Sokrates ein Ausdruck von Revolte? von Poebel-Ressentiment? geniesst er als Unterdrueckter seine eigne Ferocitaet in den Messerstichen des Syllogismus? Raecht er sich an den Vornehmen, die er fascinirt? - Man hat, als Dialektiker, ein schonungsloses Werkzeug in der Hand; man kann mit ihm den Tyrannen machen; man stellt bloss, indem man siegt. Der Dialektiker ueberlaesst seinem Gegner den Nachweis, kein Idiot zu sein: er macht wuethend, er macht zugleich huelflos. Der Dialektiker depotenzirt den Intellekt seines Gegners. - Wie? ist Dialektik nur eine Form der Rache bei Sokrates? 8. Ich habe zu verstehn gegeben, womit Sokrates abstossen konnte: es bleibt um so mehr zu erklaeren, dass er fascinirte. - Dass er eine neue Art Agon entdeckte, dass er der erste Fechtmeister davon fuer die vornehmen Kreise Athen's war, ist das Eine. Er fascinirte, indem er an den agonalen Trieb der Hellenen ruehrte, - er brachte eine Variante in den Ringkampf zwischen jungen Maennern und Juenglingen. Sokrates war auch ein grosser Erotiker. 9. Aber Sokrates errieth noch mehr. Er sah hinter seine vornehmen Athener; er begriff, dass sein Fall, seine Idiosynkrasie von Fall bereits kein Ausnahmefall war. Die gleiche Art von Degenerescenz bereitete sich ueberall im Stillen vor: das alte Athen gieng zu Ende. - Und Sokrates verstand, dass alle Welt ihn noethig hatte, - sein Mittel, seine Kur, seinen Personal-Kunstgriff der Selbst-Erhaltung... Ueberall waren die Instinkte in Anarchie; ueberall war man fuenf Schritt weit vom Excess: das monstrum in animo war die allgemeine Gefahr. "Die Triebe wollen den Tyrannen machen; man muss einen Gegentyrannen erfinden, der staerker ist"... Als jener Physiognomiker dem Sokrates enthuellt hatte, wer er war, eine Hoehle aller schlimmen Begierden, liess der grosse Ironiker noch ein Wort verlauten, das den Schluessel zu ihm giebt. "Dies ist wahr, sagte er, aber ich wurde ueber alle Herr." Wie wurde Sokrates ueber sich Herr? - Sein Fall war im Grunde nur der extreme Fall, nur der in die Augen springendste von dem, was damals die allgemeine Noth zu werden anfieng: dass Niemand mehr ueber sich Herr war, dass die Instinkte sich gegen einander wendeten. Er fascinirte als dieser extreme Fall - seine furchteinfloessende Haesslichkeit sprach ihn fuer jedes Auge aus: er fascinirte, wie sich von selbst versteht, noch staerker als Antwort, als Loesung, als Anschein der Kur dieses Falls. - 10. Wenn man noethig hat, aus der Vernunft einen Tyrannen zu machen, wie Sokrates es that, so muss die Gefahr nicht klein sein, dass etwas Andres den Tyrannen macht. Die Vernuenftigkeit wurde damals errathen als Retterin, es stand weder Sokrates, noch seinen "Kranken" frei, vernuenftig zu sein, - es war de rigueur, es war ihr letztes Mittel. Der Fanatismus, mit dem sich das ganze griechische Nachdenken auf die Vernuenftigkeit wirft, verraeth eine Nothlage: man war in Gefahr, man hatte nur Eine Wahl: entweder zu Grunde zu gehn oder - absurd-vernuenftig zu sein... Der Moralismus der griechischen Philosophen von Plato ab ist pathologisch bedingt; ebenso ihre Schaetzung der Dialektik. Vernunft = Tugend = Glueck heisst bloss: man muss es dem Sokrates nachmachen und gegen die dunklen Begehrungen ein Tageslicht in Permanenz herstellen - das Tageslicht der Vernunft. Man muss klug, klar, hell um jeden Preis sein: jedes Nachgeben an die Instinkte, an's Unbewusste fuehrt hinab... 11. Ich habe zu verstehn gegeben, womit Sokrates fascinirte: er schien ein Arzt, ein Heiland zu sein. Ist es noethig, noch den Irrthum aufzuzeigen, der in seinem Glauben an die "Vernuenftigkeit um jeden Preis" lag? - Es ist ein Selbstbetrug seitens der Philosophen und Moralisten, damit schon aus der decadence herauszutreten, dass sie gegen dieselbe Krieg machen. Das Heraustreten steht ausserhalb ihrer Kraft: was sie als Mittel, als Rettung waehlen, ist selbst nur wieder ein Ausdruck der decadence - sie veraendern deren Ausdruck, sie schaffen sie selbst nicht weg. Sokrates war ein Missverstaendniss; die ganze Besserungs-Moral, auch die christliche, war ein Missverstaendniss... Das grellste Tageslicht, die Vernuenftigkeit um jeden Preis, das Leben hell, kalt, vorsichtig, bewusst, ohne Instinkt, im Widerstand gegen Instinkte war selbst nur eine Krankheit, eine andre Krankheit - und durchaus kein Rueckweg zur "Tugend", zur "Gesundheit", zum Glueck... Die Instinkte bekaempfen muessen - das ist die Formel fuer decadence: so lange das Leben aufsteigt, ist Glueck gleich Instinkt. - 12. - Hat er das selbst noch begriffen, dieser Kluegste aller Selbstueberlister? Sagte er sich das zuletzt, in der Weisheit seines Muthes zum Tode?... Sokrates wollte sterben: - nicht Athen, er gab sich den Giftbecher, er zwang Athen zum Giftbecher... Sokrates ist kein Arzt sprach er leise zu sich: "der Tod allein ist hier Arzt... Sokrates selbst war nur lange krank..." Die "Vernunft" in der Philosophie. 1. Sie fragen mich, was Alles Idiosynkrasie bei den Philosophen ist?... Zum Beispiel ihr Mangel an historischem Sinn, ihr Hass gegen die Vorstellung selbst des Werdens, ihr Aegypticismus. Sie glauben einer Sache eine Ehre anzuthun, wenn sie dieselbe enthistorisiren, sub specie aetemi, - wenn sie aus ihr eine Mumie machen. Alles, was Philosophen seit Jahrtausenden gehandhabt haben, waren Begriffs-Mumien; es kam nichts Wirkliches lebendig aus ihren Haenden. Sie toedten, sie stopfen aus, diese Herren Begriffs-Goetzendiener, wenn sie anbeten, - sie werden Allem lebensgefaehrlich, wenn sie anbeten. Der Tod, der Wandel, das Alter ebensogut als Zeugung und Wachsthum sind fuer sie Einwaende, - Widerlegungen sogar. Was ist, wird nicht; was wird ist nicht... Nun glauben sie Alle, mit Verzweiflung sogar, an's Seiende. Da sie aber dessen nicht habhaft werden, suchen sie nach Gruenden, weshalb man's ihnen vorenthaelt. "Es muss ein Schein, eine Betruegerei dabei sein, dass wir das Seiende nicht wahrnehmen: wo steckt der Betrueger?" - "Wir haben ihn, schreien sie glueckselig, die Sinnlichkeit ist's! Diese Sinne, die auch sonst so unmoralisch sind, sie betruegen uns ueber die wahre Welt. Moral: loskommen von dem Sinnentrug, vom Werden, von der Historie, von der Luege, - Historie ist nichts als Glaube an die Sinne, Glaube an die Luege. Moral: Neinsagen zu Allem, was den Sinnen Glauben schenkt, zum ganzen Rest der Menschheit: das ist Alles `Volk`. Philosoph sein, Mumie sein, den Monotono-Theismus durch eine Todtengraeber-Mimik darstellen! - Und weg vor Allem mit dem Leibe, dieser erbarmungswuerdigen idee fixe der Sinne! behaftet mit allen Fehlern der Logik, die es giebt, widerlegt, unmoeglich sogar, ob er schon frech genug ist, sich als wirklich zu gebaerden!"... 2. Ich nehme, mit hoher Ehrerbietung, den Namen Heraklit's bei Seite. Wenn das andre Philosophen-Volk das Zeugniss der Sinne verwarf, weil dieselben Vielheit und Veraenderung zeigten, verwarf er deren Zeugniss, weil sie die Dinge zeigten, als ob sie Dauer und Einheit haetten. Auch Heraklit that den Sinnen Unrecht. Dieselben luegen weder in der Art, wie die Eleaten es glauben, noch wie er es glaubte, - sie luegen ueberhaupt nicht. Was wir aus ihrem Zeugniss machen, das legt erst die Luege hinein, zum Beispiel die Luege der Einheit, die Luege der Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer... Die "Vernunft" ist die Ursache, dass wir das Zeugniss der Sinne faelschen. Sofern die Sinne das Werden, das Vergehn, den Wechsel zeigen, luegen sie nicht... Aber damit wird Heraklit ewig Recht behalten, dass das Sein eine leere Fiktion ist. Die "scheinbare" Welt ist die einzige: die wahre Welt ist nur hinzugelogen... 3. - Und was fuer feine Werkzeuge der Beobachtung haben wir an unsren Sinnen! Diese Nase zum Beispiel, von der noch kein Philosoph mit Verehrung und Dankbarkeit gesprochen hat, ist sogar einstweilen das delikateste Instrument, das uns zu Gebote steht: es vermag noch Minimaldifferenzen der Bewegung zu constatiren, die selbst das Spektroskop nicht constatirt. Wir besitzen heute genau so weit Wissenschaft, als wir uns entschlossen haben, das Zeugniss der Sinne anzunehmen, - als wir sie noch schaerfen, bewaffnen, zu Ende denken lernten. Der Rest ist Missgeburt und Noch-nicht-Wissenschaft: will sagen Metaphysik, Theologie, Psychologie, Erkenntnisstheorie. Oder Formal-Wissenschaft, Zeichenlehre: wie die Logik und jene angewandte Logik, die Mathematik. In ihnen kommt die Wirklichkeit gar nicht vor, nicht einmal als Problem; ebensowenig als die Frage, welchen Werth ueberhaupt eine solche Zeichen-Convention, wie die Logik ist, hat. - 4. Die andre Idiosynkrasie der Philosophen ist nicht weniger gefaehrlich: sie besteht darin, das Letzte und das Erste zu verwechseln. Sie setzen Das, was am Ende kommt - leider! denn es sollte gar nicht kommen! - die "hoechsten Begriffe", das heisst die allgemeinsten, die leersten Begriffe, den letzten Rauch der verdunstenden Realitaet an den Anfang als Anfang. Es ist dies wieder nur der Ausdruck ihrer Art zu verehren: das Hoehere darf nicht aus dem Niederen wachsen, darf ueberhaupt nicht gewachsen sein... Moral: Alles, was ersten Ranges ist, muss causa sui sein. Die Herkunft aus etwas Anderem gilt als Einwand, als Werth-Anzweifelung. Alle obersten Werthe sind ersten Ranges, alle hoechsten Begriffe, das Seiende, das Unbedingte, das Gute, das Wahre, das Vollkommne - das Alles kann nicht geworden sein, muss folglich causa sui sein. Das Alles aber kann auch nicht einander ungleich, kann nicht mit sich im Widerspruch sein... Damit haben sie ihren stupenden Begriff "Gott"... Das Letzte, Duennste, Leerste wird als Erstes gesetzt, als Ursache an sich, als ens realissimum... Dass die Menschheit die Gehirnleiden kranker Spinneweber hat ernst nehmen muessen! - Und sie hat theuer dafuer gezahlt!... 5. - Stellen wir endlich dagegen, auf welche verschiedne Art wir (- ich sage hoeflicher Weise wir... ) das Problem des Irrthums und der Scheinbarkeit in's Auge fassen. Ehemals nahm man die Veraenderung, den Wechsel, das Werden ueberhaupt als Beweis fuer Scheinbarkeit, als Zeichen dafuer, dass Etwas da sein muesse, das uns irre fuehre. Heute umgekehrt sehen wir, genau so weit als das Vernunft-Vorurtheil uns zwingt, Einheit, Identitaet, Dauer, Substanz, Ursache, Dinglichkeit, Sein anzusetzen, uns gewissermaassen verstrickt in den Irrthum, necessitirt zum Irrthum; so sicher wir auf Grund einer strengen Nachrechnung bei uns darueber sind, dass hier der Irrthum ist. Es steht damit nicht anders als mit den Bewegungen des grossen Gestirns: bei ihnen hat der Irrthum unser Auge, hier hat er unsre Sprache zum bestaendigen Anwalt. Die Sprache gehoert ihrer Entstehung nach in die Zeit der rudimentaersten Form von Psychologie: wir kommen in ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen. Das sieht ueberall Thaeter und Thun: das glaubt an Willen als Ursache ueberhaupt; das glaubt an's "Ich", an's Ich als Sein, an's Ich als Substanz und projicirt den Glauben an die Ich-Substanz auf alle Dinge - es schafft erst damit den Begriff "Ding"... Das Sein wird ueberall als Ursache hineingedacht, untergeschoben; aus der Conception "Ich" folgt erst, als abgeleitet, der Begriff "Sein"... Am Anfang steht das grosse Verhaengniss von Irrthum, dass der Wille Etwas ist, das wirkt, - dass Wille ein Vermoegen ist... Heute wissen wir, dass er bloss ein Wort ist... Sehr viel spaeter, in einer tausendfach aufgeklaerteren Welt kam die Sicherheit, die subjektive Gewissheit in der Handhabung der Vemunft-Kategorien den Philosophen mit Ueberraschung zum Bewusstsein: sie schlossen, dass dieselben nicht aus der Empirie stammen koennten, - die ganze Empirie stehe ja zu ihnen in Widerspruch. Woher also stammen sie? - Und in Indien wie in Griechenland hat man den gleichen Fehlgriff gemacht: "wir muessen schon einmal in einer hoeheren Welt heimisch gewesen sein (- statt in einer sehr viel niederen: was die Wahrheit gewesen waere!), wir muessen goettlich gewesen sein, denn wir haben die Vernunft!"... In der That, Nichts hat bisher eine naivere Ueberredungskraft gehabt als der Irrthum vom Sein, wie er zum Beispiel von den Eleaten formulirt wurde: er hat ja jedes Wort fuer sich, jeden Satz fuer sich, den wir sprechen! - Auch die Gegner der Eleaten unterlagen noch der Verfuehrung ihres Seins-Begriffs: Demokrit unter Anderen, als er sein Atom erfand... Die "Vernunft" in der Sprache: oh was fuer eine alte betruegerische Weibsperson! Ich fuerchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben... 6. Man wird mir dankbar sein, wenn ich eine so wesentliche, so neue Einsicht in vier Thesen zusammendraenge: ich erleichtere damit das Verstehen, ich fordere damit den Widerspruch heraus. Erster Satz. Die Gruende, darauf hin "diese" Welt als scheinbar bezeichnet worden ist, begruenden vielmehr deren Realitaet, - eine andre Art Realitaet ist absolut unnachweisbar. Zweiter Satz. Die Kennzeichen, welche man dem "wahren Sein" der Dinge gegeben hat, sind die Kennzeichen des Nicht Seins, des Nichts, - man hat die "wahre Welt" aus dem Widerspruch zur wirklichen Welt aufgebaut: eine scheinbare Welt in der That, insofern sie bloss eine moralisch-optische Taeuschung ist. Dritter Satz. Von einer "andren" Welt als dieser zu fabeln hat gar keinen Sinn, vorausgesetzt, dass nicht ein Instinkt der Verleumdung, Verkleinerung, Verdaechtigung des Lebens in uns maechtig ist: im letzteren Falle raechen wir uns am Leben mit der Phantasmagorie eines "anderen", eines "besseren" Lebens. Vierter Satz. Die Welt scheiden in eine "wahre" und eine "scheinbare", sei es in der Art des Christenthums, sei es in der Art Kant's (eines hinterlistigen Christen zu guterletzt) ist nur eine Suggestion der decadence, - ein Symptom niedergehenden Lebens... Dass der Kuenstler den Schein hoeher schaetzt als die Realitaet, ist kein Einwand gegen diesen Satz. Denn "der Schein" bedeutet hier die Realitaet noch einmal, nur in einer Auswahl, Verstaerkung, Correctur... Der tragische Kuenstler ist kein Pessimist, - er sagt gerade Ja zu allem Fragwuerdigen und Furchtbaren selbst, er ist dionysisch... Wie die "wahre Welt" endlich zur Fabel wurde. Geschichte eines Irrthums. 1. Die wahre Welt erreichbar fuer den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften, - er lebt in ihr, er ist sie. (Aelteste Form der Idee, relativ klug, simpel, ueberzeugend. Umschreibung des Satzes "ich, Plato, bin die Wahrheit".) 2. Die wahre Welt, unerreichbar fuer jetzt, aber versprochen fuer den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften ("fuer den Suender, der Busse thut"). (Fortschritt der Idee: sie wird feiner, verfaenglicher, unfasslicher, - sie wird Weib, sie wird christlich... ) 3. Die wahre Welt, unerreichbar, unbeweisbar, unversprechbar, aber schon als gedacht ein Trost, eine Verpflichtung, ein Imperativ. (Die alte Sonne im Grunde, aber durch Nebel und Skepsis hindurch; die Idee sublim geworden, bleich, nordisch, koenigsbergisch.) 4. Die wahre Welt - unerreichbar? jedenfalls unerreicht. Und als unerreicht auch unbekannt. Folglich auch nicht troestend, erloesend, verpflichtend: wozu koennte uns etwas Unbekanntes verpflichten?... (Grauer Morgen. Erstes Gaehnen der Vernunft. Hahnenschrei des Positivismus.) 5. Die "wahre Welt" - eine Idee, die zu Nichts mehr nuetz ist, nicht einmal mehr verpflichtend, - eine unnuetz, eine ueberfluessig gewordene Idee, folglich eine widerlegte Idee: schaffen wir sie ab! (Heller Tag; Fruehstueck; Rueckkehr des bon sens und der Heiterkeit; Schamroethe Plato's; Teufelslaerm aller freien Geister.) 6. Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb uebrig? die scheinbare vielleicht?... Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft! (Mittag; Augenblick des kuerzesten Schattens; Ende des laengsten Irrthums; Hoehepunkt der Menschheit; INCIPIT ZARATHUSTRA.) Moral als Widernatur. 1. Alle Passionen haben eine Zeit, wo sie bloss verhaengnissvoll sind, wo sie mit der Schwere der Dummheit ihr Opfer hinunterziehen - und eine spaetere, sehr viel spaetere, wo sie sich mit dem Geist verheirathen, sich "vergeistigen". Ehemals machte man, wegen der Dummheit in der Passion, der Passion selbst den Krieg: man verschwor sich zu deren Vernichtung, - alle alten Moral-Unthiere sind einmuethig darueber "il faut tuer les passions." Die beruehmteste Formel dafuer steht im neuen Testament, in jener Bergpredigt, wo, anbei gesagt, die Dinge durchaus nicht aus der Hoehe betrachtet werden. Es wird daselbst zum Beispiel mit Nutzanwendung auf die Geschlechtlichkeit gesagt "wenn dich dein Auge aergert, so reisse es aus": zum Glueck handelt kein Christ nach dieser Vorschrift. Die Leidenschaften und Begierden vernichten, bloss um ihrer Dummheit und den unangenehmen Folgen ihrer Dummheit vorzubeugen, erscheint uns heute selbst bloss als eine akute Form der Dummheit. Wir bewundern die Zahnaerzte nicht mehr, welche die Zaehne ausreissen, damit sie nicht mehr weh thun... Mit einiger Billigkeit werde andrerseits zugestanden, dass auf dem Boden, aus dem das Christenthum gewachsen ist, der Begriff "Vergeistigung der Passion" gar nicht concipirt werden konnte. Die erste Kirche kaempfte ja, wie bekannt, gegen die "Intelligenten" zu Gunsten der "Armen des Geistes": wie duerfte man von ihr einen intelligenten Krieg gegen die Passion erwarten? - Die Kirche bekaempft die Leidenschaft mit Ausschneidung in jedem Sinne: ihre Praktik, ihre "Kur" ist der Castratismus. Sie fragt nie: "wie vergeistigt, verschoent, vergoettlicht man eine Begierde?" - sie hat zu allen Zeiten den Nachdruck der Disciplin auf die Ausrottung (der Sinnlichkeit, des Stolzes, der Herrschsucht, der Habsucht, der Rachsucht) gelegt. - Aber die Leidenschaften an der Wurzel angreifen heisst das Leben an der Wurzel angreifen: die Praxis der Kirche ist lebensfeindlich... 2. Dasselbe Mittel, Verschneidung, Ausrottung, wird instinktiv im Kampfe mit einer Begierde von Denen gewaehlt, welche zu willensschwach, zu degenerirt sind, um sich ein Maass in ihr auflegen zu koennen: von jenen Naturen, die la Trappe noethig haben, im Gleidiniss gesprochen (und ohne Gleichniss -), irgend eine endgueltige Feindschafts-Erklaerung, eine Kluft zwischen sich und einer Passion. Die radikalen Mittel sind nur den Degenerirten unentbehrlich; die Schwaeche des Willens, bestinunter geredet, die Unfaehigkeit, auf einen Reiz nicht zu reagiren, ist selbst bloss eine andre Form der Degenerescenz. Die radikale Feindschaft, die Todfeindschaft gegen die Sinnlichkeit bleibt ein nachdenkliches Symptom: man ist damit zu Vermuthungen ueber den Gesammt-Zustand eines dergestalt Excessiven berechtigt. - Jene Feindschaft, jener Hass kommt uebrigens erst auf seine Spitze, wenn solche Naturen selbst zur Radikal-Kur, zur Absage von ihrem "Teufel" nicht mehr Festigkeit genug haben. Man ueberschaue die ganze Geschichte der Priester und Philosophen, der Kuenstler hinzugenommen: das Giftigste gegen die Sinne ist nicht von den Impotenten gesagt, auch nicht von den Asketen, sondern von den unmoeglichen Asketen, von Solchen, die es noethig gehabt haetten, Asketen zu sein... 3. Die Vergeistigung der Sinnlichkeit heisst Liebe: sie ist ein grosser Triumph ueber das Christenthum. Ein andrer Triumph ist unsre Vergeistigung der Feindschaft. Sie besteht darin, dass man tief den Werth begreift, den es hat, Feinde zu haben: kurz, dass man umgekehrt thut und schliesst als man ehedem that und schloss. Die Kirche wollte zu allen Zeiten die Vernichtung ihrer Feinde: wir, wir Immoralisten und Antichristen, sehen unsern Vortheil darin, dass die Kirche besteht... Auch im Politischen ist die Feindschaft jetzt geistiger geworden, - viel klueger, viel nachdenklicher, viel schonender. Fast jede Partei begreift ihr Selbsterhaltungs-Interesse darin, dass die Gegenpartei nicht von Kraeften kommt; dasselbe gilt von der grossen Politik. Eine neue Schoepfung zumal, etwa das neue Reich, hat Feinde noethiger als Freunde: im Gegensatz erst fuehlt es sich nothwendig, im Gegensatz wird es erst nothwendig... Nicht anders verhalten wir uns gegen den "inneren Feind": auch da haben wir die Feindschaft vergeistigt, auch da haben wir ihren Werth begriffen. Man ist nur fruchtbar um den Preis, an Gegensaetzen reich zu sein; man bleibt nur jung unter der Voraussetzung, dass die Seele nicht sich streckt, nicht nach Frieden begehrt... Nichts ist uns fremder geworden als jene Wuenschbarkeit von Ehedem, die vom "Frieden der Seele", die christliche Wuenschbarkeit; Nichts macht uns weniger Neid als die Moral-Kuh und das fette Glueck des guten Gewissens. Man hat auf das grosse Leben verzichtet, wenn man auf den Krieg verzichtet... In vielen Faellen freilich ist der "Frieden der Seele" bloss ein Missverstaendniss, - etwas Anderes, das sich nur nicht ehrlicher zu benennen weiss. Ohne Umschweif und Vorurtheil ein paar Faelle. "Frieden der Seele" kann zum Beispiel die sanfte Ausstrahlung einer reichen Animalitaet in's Moralische (oder Religioese) sein. Oder der Anfang der Muedigkeit, der erste Schatten, den der Abend, jede Art Abend wirft. Oder ein Zeichen davon, dass die Luft feucht ist, dass Suedwinde herankommen. Oder die Dankbarkeit wider Wissen fuer eine glueckliche Verdauung ("Menschenliebe" mitunter genannt). Oder das Stille-werden des Genesenden, dem alle Dinge neu schmecken und der wartet... Oder der Zustand, der einer starken Befriedigung unsrer herrschenden Leidenschaft folgt, das Wohlgefuehl einer seltnen Sattheit. Oder die Altersschwaeche unsres Willens, unsrer Begehrungen, unsrer Laster. Oder die Faulheit, von der Eitelkeit ueberredet, sich moralisch aufzuputzen. Oder der Eintritt einer Gewissheit, selbst furchtbaren Gewissheit, nach einer langen Spannung und Marterung durch die Ungewissheit. Oder der Ausdruck der Reife und Meisterschaft mitten im Thun, Schaffen, Wirken, Wollen, das ruhige Athmen, die erreichte "Freiheit des Willens"... Goetzen-Daemmerung: wer weiss? vielleicht auch nur eine Art "Frieden der Seele"... 4. - Ich bringe ein Princip in Formel. Jeder Naturalismus in der Moral, das heisst jede gesunde Moral ist von einem Instinkte des Lebens beherrscht, - irgend ein Gebot des Lebens wird mit einem bestimmten Kanon von "Soll" und "Soll nicht" erfuellt, irgend eine Hemmung und Feindseligkeit auf dem Wege des Lebens wird damit bei Seite geschafft. Die widernatuerliche Moral, das heisst fast jede Moral, die bisher gelehrt, verehrt und gepredigt worden ist, wendet sich umgekehrt gerade gegen die Instinkte des Lebens, - sie ist eine bald heimliche, bald laute und freche Verurtheilung dieser Instinkte. Indem sie sagt "Gott sieht das Herz an", sagt sie Nein zu den untersten und obersten Begehrungen des Lebens und nimmt Gott als Feind des Lebens... Der Heilige, an dem Gott sein Wohlgefallen hat, ist der ideale Castrat... Das Leben ist zu Ende, wo das "Reich Gottes" anfaengt... 5. Gesetzt, dass man das Frevelhafte einer solchen Auflehnung gegen das Leben begriffen hat, wie sie in der christlichen Moral beinahe sakrosankt geworden ist, so hat man damit, zum Glueck, auch Etwas Andres begriffen: das Nutzlose, Scheinbare, Absurde, Luegnerische einer solchen Auflehnung. Eine Verurtheilung des Lebens von Seiten des Lebenden bleibt zuletzt doch nur das Symptom einer bestimmten Art von Leben: die Frage, ob mit Recht, ob mit Unrecht, ist gar nicht damit aufgeworfen. Man muesste eine Stellung ausserhalb des Lebens haben, und andrerseits es so gut kennen, wie Einer, wie Viele, wie Alle, die es gelebt haben, um das Problem vom Werth des Lebens ueberhaupt anruehren zu duerfen: Gruende genug, um zu begreifen, dass das Problem ein fuer uns unzugaengliches Problem ist. Wenn wir von Werthen reden, reden wir unter der Inspiration, unter der Optik des Lebens: das Leben selbst zwingt uns Werthe anzusetzen, das Leben selbst werthet durch uns, wenn wir Werthe ansetzen... Daraus folgt, dass auch jene Widernatur von Moral, welche Gott als Gegenbegriff und Verurtheilung des Lebens fasst, nur ein Werthurtheil des Lebens ist - welches Lebens? Welcher Art von Leben? - Aber ich gab schon die Antwort: des niedergehenden, des geschwaechten, des mueden, des verurtheilten Lebens. Moral, wie sie bisher verstanden worden ist - wie sie zuletzt noch von Schopenhauer formulirt wurde als "Verneinung des Willens zum Leben" - ist der decadence-Instinkt selbst, der aus sich einen Imperativ macht: sie sagt: "geh zu Grunde" sie ist das Urtheil Verurtheilter... 6. Erwaegen wir endlich noch, welche Naivetaet es ueberhaupt ist, zu sagen "so und so sollte der Mensch sein!" Die Wirklichkeit zeigt uns einen entzueckenden Reichthum der Typen, die Ueppigkeit eines verschwenderischen Formenspiels und -Wechsels: und irgend ein armseliger Eckensteher von Moralist sagt dazu: "nein! der Mensch sollte anders sein"?... Er weiss es sogar, wie er sein sollte, dieser Schlucker und Mucker, er malt sich an die Wand und sagt dazu "ecce homo!"... Aber selbst wenn der Moralist sich bloss an den Einzelnen wendet und zu ihm sagt: "so und so solltest du sein!" hoert er nicht auf, sich laecherlich zu machen. Der Einzelne ist ein Stueck fatum, von Vorne und von Hinten, ein Gesetz mehr, eine Nothwendigkeit mehr fuer Alles, was kommt und sein wird. Zu ihm sagen "aendere dich" heisst verlangen, dass Alles sich aendert, sogar rueckwaerts noch... Und wirklich, es gab consequente Moralisten, sie wollten den Menschen anders, naemlich tugendhaft, sie wollten ihn nach ihrem Bilde, naemlich als Mucker: dazu verneinten sie die Welt! Keine kleine Tollheit! Keine bescheidne Art der Unbescheidenheit!... Die Moral, insofern sie verurtheilt, an sich, nicht aus Hinsichten, Ruecksichten, Absichten des Lebens, ist ein spezifischer Irrthum, mit dem man kein Mitleiden haben soll, eine Degenerirten-Idiosynkrasie, die unsaeglich viel Schaden gestiftet hat!... Wir Anderen, wir Immoralisten, haben umgekehrt unser Herz weit gemacht fuer alle Art Verstehn, Begreifen, Gutheissen. Wir verneinen nicht leicht, wir suchen unsre Ehre darin, Bejahende zu sein. Immer mehr ist uns das Auge fuer jene Oekonomie aufgegangen, welche alles Das noch braucht und auszunuetzen weiss, was der heilige Aberwitz des Priesters, der kranken Vernunft im Priester verwirft, fuer jene Oekonomie im Gesetz des Lebens, die selbst aus der widerlichen species des Muckers, des Priesters, des Tugendhaften ihren Vortheil zieht, - welchen Vortheil? - Aber wir selbst, wir Immoralisten sind hier die Antwort... - Die vier grossen Irrthuemer. 1. Irrthum der Verwechslung von Ursache und Folge. - Es giebt keinen gefaehrlicheren Irrthum als die Folge mit der Ursache zu verwechseln: ich heisse ihn die eigentliche Verderbniss der Vernunft. Trotzdem gehoert dieser Irrthum zu den aeltesten und juengsten Gewohnheiten der Menschheit: er ist selbst unter uns geheiligt, er traegt den Namen "Religion", "Moral". Jeder Satz, den die Religion und die Moral formulirt, enthaelt ihn; Priester und Moral-Gesetzgeber sind die Urheber jener Verderbniss der Vernunft. - Ich nehme ein Beispiel: Jedermann kennt das Buch des beruehmten Cornaro, in dem er seine schmale Diaet als Recept zu einem langen und gluecklichen Leben - auch tugendhaften - anraeth. Wenige Buecher sind so viel gelesen worden, noch jetzt wird es in England jaehrlich in vielen Tausenden von Exemplaren gedruckt. Ich zweifle nicht daran, dass kaum ein Buch (die Bibel, wie billig, ausgenommen) so viel Unheil gestiftet, so viele Leben verkuerzt hat wie dies so wohlgemeinte Curiosum. Grund dafuer: die Verwechslung der Folge mit der Ursache. Der biedere Italiaener sah in seiner Diaet die Ursache seines langen Lebens: waehrend die Vorbedingung zum langen Leben, die ausserordentliche Langsamkeit des Stoffwechsels, der geringe Verbrauch, die Ursache seiner schmalen Diaet war. Es stand ihm nicht frei, wenig oder viel zu essen, seine Frugalitaet war nicht ein "freier Wille": er wurde krank, wenn er mehr ass. Wer aber kein Karpfen ist, thut nicht nur gut, sondern hat es noethig, ordentlich zu essen. Ein Gelehrter unsrer Tage, mit seinem rapiden Verbrauch an Nervenkraft, wuerde sich mit dem regime Cornaro's zu Grunde richten. Crede experto. - 2. Die allgemeinste Formel, die jeder Religion und Moral zu Grunde liegt, heisst: "Thue das und das, lass das und das - so wirst du gluecklich! Im andern Falle..." Jede Moral, jede Religion ist dieser Imperativ, - ich nenne ihn die grosse Erbsuende der Vernunft, die unsterbliche Unvernunft. In meinem Munde verwandelt sich jene Formel in ihre Umkehrung - erstes Beispiel meiner "Umwerthung aller Werthe": ein wohlgerathener Mensch, ein "Gluecklicher", muss gewisse Handlungen thun und scheut sich instinktiv vor anderen Handlungen, er traegt die Ordnung, die er physiologisch darstellt, in seine Beziehungen zu Menschen und Dingen hinein. In Formel: seine Tugend ist die Folge seines Gluecks... Langes Leben, eine reiche Nachkommenschaft ist nicht der Lohn der Tugend, die Tugend ist vielmehr selbst jene Verlangsamung des Stoffwechsels, die, unter Anderem, auch ein langes Leben, eine reiche Nachkommenschaft, kurz den Cornarismus im Gefolge hat. - Die Kirche und die Moral sagen: "ein Geschlecht, ein Volk wird durch Laster und Luxus zu Grunde gerichtet." Meine wiederhergestellte Vernunft sagt: wenn ein Volk zu Grunde geht, physiologisch degenerirt, so folgen daraus Laster und Luxus (das heisst das Beduerfniss nach immer staerkeren und haeufigeren Reizen, wie sie jede erschoepfte Natur kennt). Dieser junge Mann wird fruehzeitig blass und welk. Seine Freunde sagen: daran ist die und die Krankheit schuld. Ich sage: dass er krank wurde, dass er der Krankheit nicht widerstand, war bereits die Folge eines verarmten Lebens, einer hereditaeren Erschoepfung. Der Zeitungsleser sagt: diese Partei richtet sich mit einem solchen Fehler zu Grunde. Meine hoehere Politik sagt: eine Partei, die solche Fehler macht, ist am Ende - sie hat ihre Instinkt-Sicherheit nicht mehr. Jeder Fehler in jedem Sinne ist die Folge von Instinkt-Entartung, von Disgregation des Willens: man definirt beinahe damit das Schlechte. Alles Gute ist Instinkt - und, folglich, leicht, nothwendig, frei. Die Muehsal ist ein Einwand, der Gott ist typisch vom Helden unterschieden (in meiner Sprache: die leichten Fuesse das erste Attribut der Goettlichkeit). 3. Irrthum einer falschen Ursaechlichkeit. - Man hat zu allen Zeiten geglaubt, zu wissen, was eine Ursache ist: aber woher nahmen wir unser Wissen, genauer, unsern Glauben, hier zu wissen? Aus dem Bereich der beruehmten "inneren Thatsachen", von denen bisher keine sich als thatsaechlich erwiesen hat. Wir glaubten uns selbst im Akt des Willens ursaechlich; wir meinten da wenigstens die Ursaechlichkeit auf der That zu ertappen. Man zweifelte insgleichen nicht daran, dass alle antecedentia einer Handlung, ihre Ursachen, im Bewusstsein zu suchen seien und darin sich wiederfaenden, wenn man sie suche - als "Motive": man waere ja sonst zu ihr nicht frei, fuer sie nicht verantwortlich gewesen. Endlich, wer haette bestritten, dass ein Gedanke verursacht wird? dass das Ich den Gedanken verursacht?... Von diesen drei "inneren Thatsachen", mit denen sich die Ursaechlichkeit zu verbuergen schien, ist die erste und ueberzeugendste die vom Willen als Ursache; die Conception eines Bewusstseins ("Geistes") als Ursache und spaeter noch die des Ich (des "Subjekts") als Ursache sind bloss nachgeboren, nachdem vom Willen die Ursaechlichkeit als gegeben feststand, als Empirie... Inzwischen haben wir uns besser besonnen. Wir glauben heute kein Wort mehr von dem Allen. Die "innere Welt" ist voller Trugbilder und Irrlichter: der Wille ist eins von ihnen. Der Wille bewegt nichts mehr, erklaert folglich auch nichts mehr - er begleitet bloss Vorgaenge, er kann auch fehlen. Das sogenannte "Motiv": ein andrer Irrthum. Bloss ein Oberflaechenphaenomen des Bewusstseins, ein Nebenher der That, das eher noch die antecedentia einer That verdeckt, als dass es sie darstellt. Und gar das Ich! Das ist zur Fabel geworden, zur Fiktion, zum Wortspiel: das hat ganz und gar aufgehoert, zu denken, zu fuehlen und zu wollen!... Was folgt daraus? Es giebt gar keine geistigen Ursachen! Die ganze angebliche Empirie dafuer gieng zum Teufel! Das folgt daraus! - Und wir hatten einen artigen Missbrauch mit jener "Empirie" getrieben, wir hatten die Welt daraufhin geschaffen als eine Ursachen-Welt, als eine Willens-Welt, als eine Geister-Welt. Die aelteste und laengste Psychologie war hier am Werk, sie hat gar nichts Anderes gethan: alles Geschehen war ihr ein Thun, alles Thun Folge eines Willens, die Welt wurde ihr eine Vielheit von Thaetern, ein Thaeter (ein "Subjekt") schob sich allem Geschehen unter. Der Mensch hat seine drei "inneren Thatsachen", Das, woran er am festesten glaubte, den Willen, den Geist, das Ich, aus sich herausprojicirt, - er nahm erst den Begriff Sein aus dem Begriff Ich heraus, er hat die "Dinge" als seiend gesetzt nach seinem Bilde, nach seinem Begriff des Ichs als Ursache. Was Wunder, dass er spaeter in den Dingen immer nur wiederfand, was er in sie gesteckt hatte?- Das Ding selbst, nochmals gesagt, der Begriff Ding, ein Reflex bloss vom Glauben an's Ich als Ursache... Und selbst noch Ihr Atom, meine Herren Mechanisten und Physiker, wie viel Irrthum, wie viel rudimentaere Psychologie ist noch in Ihrem Atom rueckstaendig! - Gar nicht zu reden vom "Ding an sich", vom horrendum pudendum der Metaphysiker! Der Irrthum vom Geist als Ursache mit der Realitaet verwechselt! Und zum Maass der Realitaet gemacht! Und Gott genannt! - 4. Irrthum der imaginaeren Ursachen. - Vom Traume auszugehn: einer bestimmten Empfindung, zum Beispiel in Folge eines fernen Kanonenschusses, wird nachtraeglich eine Ursache untergeschoben (oft ein ganzer kleiner Roman, in dem gerade der Traeumende die Hauptperson ist). Die Empfindung dauert inzwischen fort, in einer Art von Resonanz: sie wartet gleichsam, bis der Ursachentrieb ihr erlaubt, in den Vordergrund zu treten, - nunmehr nicht mehr als Zufall, sondern als "Sinn". Der Kanonenschuss tritt in einer causalen Weise auf, in einer anscheinenden Umkehrung der Zeit. Das Spaetere, die Motivirung, wird zuerst erlebt, oft mit hundert Einzelnheiten, die wie im Blitz voruebergehn, der Schuss folgt... Was ist geschehen? Die Vorstellungen, welche ein gewisses Befinden erzeugte, wurden als Ursache desselben missverstanden. - Thatsaechlich machen wir es im Wachen ebenso. Unsre meisten Allgemeingefuehle - jede Art Hemmung, Druck, Spannung, Explosion im Spiel und Gegenspiel der Organe, wie in Sonderheit der Zustand des nervus sympathicus - erregen unsern Ursachentrieb: wir wollen einen Grund haben, uns so und so zu befinden, - uns schlecht zu befinden oder gut zu befinden. Es genuegt uns niemals, einfach bloss die Thatsache, dass wir uns so und so befinden, festzustellen: wir lassen diese Thatsache erst zu, - werden ihrer bewusst -, wenn wir ihr eine Art Motivirung gegeben haben. - Die Erinnerung, die in solchem Falle, ohne unser Wissen, in Thaetigkeit tritt, fuehrt fruehere Zustaende gleicher Art und die damit verwachsenen Causal-Interpretationen herauf, - nicht deren Ursaechlichkeit. Der Glaube freilich, dass die Vorstellungen, die begleitenden Bewusstseins-Vorgaenge die Ursachen gewesen seien, wird durch die Erinnerung auch mit heraufgebracht. So entsteht eine Gewoehnung an eine bestimmte Ursachen-Interpretation, die in Wahrheit eine Erforschung der Ursache hemmt und selbst ausschliesst. 5. Psychologische Erklaerung dazu. - Etwas Unbekanntes auf etwas Bekanntes zurueckfuehren, erleichtert, beruhigt, befriedigt, giebt ausserdem ein Gefuehl von Macht. Mit dem Unbekannten ist die Gefahr, die Unruhe, die Sorge gegeben, - der erste Instinkt geht dahin, diese peinlichen Zustaende wegzuschaffen. Erster Grundsatz: irgend eine Erklaerung ist besser als keine. Weil es sich im Grunde nur um ein Loswerdenwollen drueckender Vorstellungen handelt, nimmt man es nicht gerade streng mit den Mitteln, sie loszuwerden: die erste Vorstellung, mit der sich das Unbekannte als bekannt erklaert, thut so wohl, dass man sie "fuer wahr haelt". Beweis der Lust ("der Kraft") als Criterium der Wahrheit. - Der Ursachen-Trieb ist also bedingt und erregt durch das Furchtgefuehl. Das "Warum?" soll, wenn irgend moeglich, nicht sowohl die Ursache um ihrer selber willen geben, als vielmehr eine Art von Ursache - eine beruhigende, befreiende, erleichternde Ursache. Dass etwas schon Bekanntes, Erlebtes, in die Erinnerung Eingeschriebenes als Ursache angesetzt wird, ist die erste Folge dieses Beduerfnisses. Das Neue, das Unerlebte, das Fremde wird als Ursache ausgeschlossen. - Es wird also nicht nur eine Art von Erklaerungen als Ursache gesucht, sondern eine ausgesuchte und bevorzugte Art von Erklaerungen, die, bei denen am schnellsten, am haeufigsten das Gefuehl des Fremden, Neuen, Unerlebten weggeschafft worden ist, - die gewoehnlichsten Erklaerungen. - Folge: eine Art von Ursachen-Setzung ueberwiegt immer mehr, concentrirt sich zum System und tritt endlich dominirend hervor, das heisst andere Ursachen und Erklaerungen einfach ausschliessend. - Der Banquier denkt sofort an's "Geschaeft", der Christ an die "Suende", das Maedchen an seine Liebe. 6. Der ganze Bereich der Moral und Religion gehoert unter diesen Begriff der imaginaeren Ursachen. - "Erklaerung" der unangenehmen Allgemeingefuehle. Dieselben sind bedingt durch Wesen, die uns feind sind (boese Geister: beruehmtester Fall - Missverstaendniss der Hysterischen als Hexen). Dieselben sind bedingt durch Handlungen, die nicht zu billigen sind (das Gefuehl der "Suende", der "Suendhaftigkeit" einem physiologischen Missbehagen untergeschoben - man findet immer Gruende, mit sich unzufrieden zu sein). Dieselben sind bedingt als Strafen, als eine Abzahlung fuer Etwas, das wir nicht haetten thun, das wir nicht haetten sein sollen (in impudenter Form von Schopenhauer zu einem Satze verallgemeinert, in dem die Moral als Das erscheint, was sie ist, als eigentliche Giftmischerin und Verleumderin des Lebens: "jeder grosse Schmerz, sei er leiblich, sei er geistig, sagt aus, was wir verdienen; denn er koennte nicht an uns kommen, wenn wir ihn nicht verdienten." Welt als Wille und Vorstellung, 2, 666). Dieselben sind bedingt als Folgen unbedachter, schlimm auslaufender Handlungen (die Affekte, die Sinne als Ursache, als "schuld" angesetzt; physiologische Nothstaende mit Huelfe anderer Nothstaende als "verdient" ausgelegt). - "Erklaerung" der angenehmen Allgemeingefuehle. Dieselben sind bedingt durch Gottvertrauen. Dieselben sind bedingt durch das Bewusstsein guter Handlungen (das sogenannte "gute Gewissen", ein physiologischer Zustand, der mitunter einer gluecklichen Verdauung zum Verwechseln aehnlich sieht). Dieselben sind bedingt durch den gluecklichen Ausgang von Unternehmungen (- naiver Fehlschluss: der glueckliche Ausgang einer Unternehmung schafft einem Hypochonder oder: einem Pascal durchaus keine angenehmen Allgemeingefuehle). Dieselben sind bedingt durch Glaube, Liebe, Hoffnung - die christlichen Tugenden. - In Wahrheit sind alle diese vermeintlichen Erklaerungen Folgezustaende und gleichsam Uebersetzungen von Lust oder Unlust-Gefuehlen in einen falschen Dialekt: man ist im Zustande zu hoffen, weil das physiologische Grundgefuehl wieder stark und reich ist; man vertraut Gott, weil das Gefuehl der Fuelle und Staerke Einem Ruhe giebt. - Die Moral und Religion gehoert ganz und gar unter die Psychologie des Irrthums: in jedem einzelnen Falle wird Ursache und Wirkung verwechselt; oder die Wahrheit mit der Wirkung des als wahr Geglaubten verwechselt; oder ein Zustand des Bewusstseins mit der Ursaechlichkeit dieses Zustands verwechselt. 7. Irrthum vom freien Willen. - Wir haben heute kein Mitleid mehr mit dem Begriff "freier Wille": wir wissen nur zu gut, was er ist - das anruechigste Theologen-Kunststueck, das es giebt, zum Zweck, die Menschheit in ihrem Sinne "verantwortlich" zu machen, das heisst sie von sich abhaengig zu machen... Ich gebe hier nur die Psychologie alles Verantwortlichmachens. - ueberall, wo Verantwortlichkeiten gesucht werden, pflegt es der Instinkt des Strafen- und Richten-Wollens zu sein, der da sucht. Man hat das Werden seiner Unschuld entkleidet, wenn irgend ein So-und-so Sein auf Wille, auf Absichten, auf Akte der Verantwortlichkeit zurueckgefuehrt wird: die Lehre vom Willen ist wesentlich erfunden zum Zweck der Strafe, das heisst des Schuldig-finden-wollens. Die ganze alte Psychologie, die Willens-Psychiologie hat ihre Voraussetzung darin, dass deren Urheber, die Priester an der Spitze alter Gemeinwesen, sich ein Recht schaffen wollten, Strafen zu verhaengen - oder Gott dazu ein Recht schaffen wollten... Die Menschen wurden "frei" gedacht, um gerichtet, um gestraft werden zu koennen, - um schuldig werden zu koennen: folglich musste jede Handlung als gewollt, der Ursprung jeder Handlung im Bewusstsein liegend gedacht werden (- womit die grundsaetzlichste Falschmuenzerei in psychologicis zum Princip der Psychologie selbst gemacht war... ) Heute, wo wir in die umgekehrte Bewegung eingetreten sind, wo wir Immoralisten zumal mit aller Kraft den Schuldbegriff und den Strafbegriff aus der Welt wieder herauszunehmen und Psychologie, Geschichte, Natur, die gesellschaftlichen Institutionen und Sanktionen von ihnen zu reinigen suchen, giebt es in unsern Augen keine radikalere Gegnerschaft als die der Theologen, welche fortfahren, mit dem Begriff der "sittlichen Weltordnung" die Unschuld des Werdens durch "Strafe" und "Schuld" zu durchseuchen. Das Christenthum ist eine Metaphysik des Henkers... 8. Was kann allein unsre Lehre sein? - Dass Niemand dem Menschen seine Eigenschaften giebt, weder Gott, noch die Gesellschaft, noch seine Eltern und Vorfahren, noch er selbst (- der Unsinn der hier zuletzt abgelehnten Vorstellung ist als "intelligible Freiheit" von Kant, vielleicht auch schon von Plato gelehrt worden). Niemand ist dafuer verantwortlich, dass er ueberhaupt da ist, dass er so und so beschaffen ist, dass er unter diesen Umstaenden, in dieser Umgebung ist. Die Fatalitaet seines Wesens ist nicht herauszuloesen aus der Fatalitaet alles dessen, was war und was sein wird. Er ist nicht die Folge einer eignen Absicht, eines Willens, eines Zwecks, mit ihm wird nicht der Versuch gemacht, ein "Ideal von Mensch" oder ein "Ideal von Glueck" oder ein "Ideal von Moralitaet" zu erreichen, - es ist absurd, sein Wesen in irgend einen Zweck hin abwaelzen zu wollen. Wir haben den Begriff "Zweck" erfunden: in der Realitaet fehlt der Zweck... Man ist nothwendig, man ist ein Stueck Verhaengniss, man gehoert zum Ganzen, man ist im Ganzen, - es giebt Nichts, was unser Sein richten, messen, vergleichen, verurtheilen koennte, denn das hiesse das Ganze richten, messen, vergleichen, verurtheilen... Aber es giebt Nichts ausser dem Ganzen! - Dass Niemand mehr verantwortlich gemacht wird, dass die Art des Seins nicht auf eine causa prima zurueckgefuehrt werden darf, dass die Welt weder als Sensorium, noch als "Geist" eine Einheit ist, dies erst ist die grosse Befreiung, - damit erst ist die Unschuld des Werdens wieder hergestellt... Der Begriff "Gott" war bisher der groesste Einwand gegen das Dasein... Wir leugnen Gott, wir leugnen die Verantwortlichkeit in Gott: damit erst erloesen wir die Welt. - Die "Verbesserer" der Menschheit. 1. Man kennt meine Forderung an den Philosophen, sich jenseits von Gut und Boese zu stellen, - die Illusion des moralischen Urtheils unter sich zu haben. Diese Forderung folgt aus einer Einsicht, die von mir zum ersten Male formulirt worden ist: dass es gar keine moralischen Thatsachen giebt. Das moralische Urtheil hat Das mit dem religioesen gemein, dass es an Realitaeten glaubt, die keine sind. Moral ist nur eine Ausdeutung gewisser Phaenomene, bestimmter geredet, eine Missdeutung. Das moralische Urtheil gehoert, wie das religioese, einer Stufe der Unwissenheit zu, auf der selbst der Begriff des Realen, die Unterscheidung des Realen und Imaginaeren noch fehlt: so dass "Wahrheit" auf solcher Stufe lauter Dinge bezeichnet, die wir heute "Einbildungen" nennen. Das moralische Urtheil ist insofern nie woertlich zu nehmen: als solches enthaelt es immer nur Widersinn. Aber es bleibt als Semiotik unschaetzbar: es offenbart, fuer den Wissenden wenigstens, die werthvollsten Realitaeten von Culturen und Innerlichkeiten, die nicht genug wussten, um sich selbst zu "verstehn". Moral ist bloss Zeichenrede, bloss Symptomatologie: man muss bereits wissen, worum es sich handelt, um von ihr Nutzen zu ziehen. 2. Ein erstes Beispiel und ganz vorlaeufig. Zu allen Zeiten hat man die Menschen "verbessern" wollen: dies vor Allem hiess Moral. Aber unter dem gleichen Wort ist das Allerverschiedenste von Tendenz versteckt. Sowohl die Zaehmung der Bestie Mensch als die Zuechtung einer bestimmten Gattung Mensch ist "Besserung" genannt worden: erst diese zoologischen termini druecken Realitaeten aus - Realitaeten freilich, von denen der typische "Verbesserer", der Priester, Nichts weiss - Nichts wissen will... Die Zaehmung eines Thieres seine "Besserung" nennen ist in unsren Ohren beinahe ein Scherz. Wer weiss, was in Menagerien geschieht, zweifelt daran, dass die Bestie daselbst "verbessert" wird. Sie wird geschwaecht, sie wird weniger schaedlich gemacht, sie wird durch den depressiven Affekt der Furcht, durch Schmerz, durch Wunden, durch Hunger zur krankhaften Bestie. - Nicht anders steht es mit dem gezaehmten Menschen, den der Priester "verbessert" hat. Im fruehen Mittelalter, wo in der That die Kirche vor Allem eine Menagerie war, machte man allerwaerts auf die schoensten Exemplare der "blonden Bestie" Jagd, - man "verbesserte" zum Beispiel die vornehmen Germanen. Aber wie sah hinterdrein ein solcher "verbesserter", in's Kloster verfuehrter Germane aus? Wie eine Caricatur des Menschen, wie eine Missgeburt: er war zum "Suender" geworden, er stak im Kaefig, man hatte ihn zwischen lauter schreckliche Begriffe eingesperrt... Da lag er nun, krank, kuemmerlich, gegen sich selbst boeswillig; voller Hass gegen die Antriebe zum Leben, voller Verdacht gegen Alles, was noch stark und gluecklich war. Kurz, ein "Christ"... Physiologisch geredet: im Kampf mit der Bestie kann Krank machen das einzige Mittel sein, sie schwach zu machen. Das verstand die Kirche: sie verdarb den Menschen, sie schwaechte ihn, - aber sie nahm in Anspruch, ihn "verbessert" zu haben... 3. Nehmen wir den andern Fall der sogenannten Moral, den Fall der Zuechtung einer bestimmten Rasse und Art. Das grossartigste Beispiel dafuer giebt die indische Moral, als "Gesetz des Manu" zur Religion sanktionirt. Hier ist die Aufgabe gestellt, nicht weniger als vier Rassen auf einmal zu zuechten: eine priesterliche, eine kriegerische, eine haendler- und ackerbauerische, endlich eine Dienstboten-Rasse, die Sudras. Ersichtlich sind wir hier nicht mehr unter Thierbaendigern: eine hundert Mal mildere und vernuenftigere Art Mensch ist die Voraussetzung, um auch nur den Plan einer solchen Zuechtung zu concipiren. Man athmet auf, aus der christlichen Kranken- und Kerkerluft in diese gesuendere, hoehere, weitere Welt einzutreten. Wie armselig ist das "neue Testament" gegen Manu, wie schlecht riecht es! - Aber auch diese Organisation hatte noethig, furchtbar zu sein, - nicht dies Mal im Kampf mit der Bestie, sondern mit ihrem Gegensatz-Begriff, dem Nicht-Zucht-Menschen, dem Mischmasch-Menschen, dem Tschandala. Und wieder hatte sie kein andres Mittel, ihn ungefaehrlich, ihn schwach zu machen, als ihn krank zu machen, - es war der Kampf mit der "grossen Zahl". Vielleicht giebt es nichts unserm Gefuehle Widersprechenderes als diese Schutzmaassregeln der indischen Moral. Das dritte Edikt zum Beispiel (Avadana-Sastra 1), das "von den unreinen Gemuesen", ordnet an, dass die einzige Nahrung, die den Tschandala erlaubt ist, Knoblauch und Zwiebeln sein sollen, in Anbetracht, dass die heilige Schrift verbietet, ihnen Korn oder Fruechte, die Koerner tragen, oder Wasser oder Feuer zu geben. Dasselbe Edikt setzt fest, dass das Wasser, welches sie noethig haben, weder aus den Fluessen, noch aus den Quellen, noch aus den Teichen genommen werden duerfe, sondern nur aus den Zugaengen zu Suempfen und aus Loechern, welche durch die Fusstapfen der Thiere entstanden sind. Insgleichen wird ihnen verboten, ihre Waesche zu waschen und sich selbst zu waschen, da das Wasser, das ihnen aus Gnade zugestanden wird, nur benutzt werden darf, den Durst zu loeschen. Endlich ein Verbot an die Sudra-Frauen, den Tschandala-Frauen bei der Geburt beizustehen, insgleichen noch eins fuer die letzteren, einander dabei beizustehen... - Der Erfolg einer solchen Sanitaets-Polizei blieb nicht aus: moerderische Seuchen, scheussliche Geschlechtskrankheiten und darauf hin wieder "das Gesetz des Messers", die Beschneidung fuer die maennlichen, die Abtragung der kleinen Schamlippen fuer die weiblichen Kinder anordnend. - Manu selbst sagt: "die Tschandala sind die Frucht von Ehebruch, Incest und Verbrechen (- dies die nothwendige Consequenz des Begriffs Zuechtung). Sie sollen zu Kleidern nur die Lumpen von Leichnamen haben, zum Geschirr zerbrochne Toepfe, zum Schmuck altes Eisen, zum Gottesdienst nur die boesen Geister; sie sollen ohne Ruhe von einem Ort zum andern schweifen. Es ist ihnen verboten, von links nach rechts zu schreiben und sich der rechten Hand zum Schreiben zu bedienen: der Gebrauch der rechten Hand und des von Links nach Rechts ist bloss den Tugendhaften vorbehalten, den Leuten von Rasse." - 4. Diese Verfuegungen sind lehrreich genug: in ihnen haben wir einmal die arische Humanitaet, ganz rein, ganz urspruenglich, - wir lernen, dass der Begriff "reines Blut" der Gegensatz eines harmlosen Begriffs ist. Andrerseits wird klar, in welchem Volk sich der Hass, der Tschandala-Hass gegen diese "Humanitaet" verewigt hat, wo er Religion, wo er Genie geworden ist...Unter diesem Gesichtspunkte sind die Evangelien eine Urkunde ersten Ranges; noch mehr das Buch Henoch. - Das Christenthum, aus juedischer Wurzel und nur verstaendlich als Gewaechs dieses Bodens, stellt die Gegenbewegung gegen jede Moral der Zuechtung, der Rasse, des Privilegiums dar: - es ist die antiarische Religion par excellence: das Christenthum die Umwerthung aller arischen Werthe, der Sieg der Tschandala Werthe, das Evangelium den Armen, den Niedrigen gepredigt, der Gesammt-Aufstand alles Niedergetretenen, Elenden, Missrathenen, Schlechtweggekommenen gegen die "Rasse", - die unsterbliche Tschandala-Rache als Religion der Liebe... 5. Die Moral der Zuechtung und die Moral der Zaehmung sind in den Mitteln, sich durchzusetzen, vollkommen einander wuerdig: wir duerfen als obersten Satz hinstellen, dass, um Moral zu machen, man den unbedingten Willen zum Gegentheil haben muss. Dies ist das grosse, das unheimliche Problem, dem ich am laengsten nachgegangen bin: die Psychologie der "Verbesserer" der Menschheit. Eine kleine und im Grunde bescheidne Thatsache, die der sogenannten pia fraus, gab mir den ersten Zugang zu diesem Problem: die pia fraus, das Erbgut aller Philosophen und Priester, die die Menschheit "verbesserten". Weder Manu, noch Plato, noch Confucius, noch die juedischen und christlichen Lehrer haben je an ihrem Recht zur Luege gezweifelt. Sie haben an ganz andren Rechten nicht gezweifelt... In Formel ausgedrueckt duerfte man sagen: alle Mittel, wodurch bisher die Menschheit moralisch gemacht werden sollte, waren von Grund aus unmoralisch. - Was den Deutschen abgeht. 1. Unter Deutschen ist es heute nicht genug, Geist zu haben: man muss ihn noch sich nehmen, sich Geist herausnehmen... Vielleicht kenne ich die Deutschen, vielleicht darf ich selbst ihnen ein paar Wahrheiten sagen. Das neue Deutschland stellt ein grosses Quantum vererbter und angeschulter Tuechtigkeit dar, so dass es den aufgehaeuften Schatz von Kraft eine Zeit lang selbst verschwenderisch ausgeben darf. Es ist nicht eine hohe Cultur, die mit ihm Herr geworden, noch weniger ein delikater Geschmack, eine vornehme "Schoenheit" der Instinkte; aber maennlichere Tugenden, als sonst ein Land Europa's aufweisen kann. Viel guther Muth und Achtung vor sich selber, viel Sicherheit im Verkehr, in der Gegenseitigkeit der Pflichten, viel Arbeitsamkeit, viel Ausdauer - und eine angeerbte Maessigung, welche eher des Stachels als des Hemmschuhs bedarf. Ich fuege hinzu, dass hier noch gehorcht wird, ohne dass das Gehorchen demuethigt... Und Niemand verachtet seinen Gegner... Man sieht, es ist mein Wunsch, den Deutschen gerecht zu sein: ich moechte mir darin nicht untreu werden, - ich muss ihnen also auch meinen Einwand machen. Es zahlt sich theuer, zur Macht zu kommen: die Macht verdummt... Die Deutschen - man hiess sie einst das Volk der Denker: denken sie heute ueberhaupt noch? - Die Deutschen langweilen sich jetzt am Geiste, die Deutschen misstrauen jetzt dem Geiste, die Politik verschlingt allen Ernst fuer wirklich geistige Dinge - "Deutschland, Deutschland ueber Alles", ich fuerchte, das war das Ende der deutschen Philosophie... "Giebt es deutsche Philosophen? giebt es deutsche Dichter? giebt es gute deutsche Buecher?" fragt man mich im Ausland. Ich erroethe, aber mit der Tapferkeit, die mir auch in verzweifelten Faellen zu eigen ist, antworte ich: "Ja, Bismarck!" - Duerfte ich auch nur eingestehn, welche Buecher man heute liest?... Vermaledeiter Instinkt der Mittelmaessigkeit! - 2. - Was der deutsche Geist sein koennte, wer haette nicht schon darueber seine schwermuethigen Gedanken gehabt! Aber dies Volk hat sich willkuerlich verdummt, seit einem Jahrtausend beinahe: nirgendswo sind die zwei grossen europaeischen Narcotica, Alkohol und Christenthum, lasterhafter gemissbraucht worden. Neuerdings kam sogar noch ein drittes hinzu, mit dem allein schon aller feinen und kuehnen Beweglichkeit des Geistes der Garaus gemacht werden kann, die Musik, unsre verstopfte verstopfende deutsche Musik. - Wie viel verdriessliche Schwere, Lahmheit, Feuchtigkeit, Schlafrock, wie viel Bier ist in der deutschen Intelligenz! Wie ist es eigentlich moeglich, dass junge Maenner, die den geistigsten Zielen ihr Dasein weihn, nicht den ersten Instinkt der Geistigkeit, den Selbsterhaltungs-Instinkt des Geistes in sich fuehlen - und Bier trinken?... Der Alkoholismus der gelehrten Jugend ist vielleicht noch kein Fragezeichen in Absicht ihrer Gelehrsamkeit - man kann ohne Geist sogar ein grosser Gelehrter sein -, aber in jedem andren Betracht bleibt er ein Problem. - Wo faende man sie nicht, die sanfte Entartung, die das Bier im Geiste hervorbringt! Ich habe einmal in einem beinahe beruehmt gewordnen Fall den Finger auf eine solche Entartung gelegt - die Entartung unsres ersten deutschen Freigeistes, des klugen David Strauss, zum Verfasser eines Bierbank-Evangeliums und "neuen Glaubens"... Nicht umsonst hatte er der "holden Braunen" sein Geloebniss in Versen gemacht - Treue bis zum Tod... 3. - Ich sprach vom deutschen Geiste: dass er groeber wird, dass er sich verflacht. Ist das genug? - Im Grunde ist es etwas ganz Anderes, das mich erschreckt: wie es immer mehr mit dem deutschen Ernste, der deutschen Tiefe, der deutschen Leidenschaft in geistigen Dingen abwaerts geht. Das Pathos hat sich veraendert, nicht bloss die Intellektualitaet. - Ich beruehre hier und da deutsche Universitaeten: was fuer eine Luft herrscht unter deren Gelehrten, welche oede, welche genuegsam und lau gewordne Geistigkeit! Es waere ein tiefes Missverstaendniss, wenn man mir hier die deutsche Wissenschaft einwenden wollte - und ausserdem ein Beweis dafuer, dass man nicht ein Wort von mir gelesen hat. Ich bin seit siebzehn Jahren nicht muede geworden, den entgeistigenden Einfluss unsres jetzigen Wissenschafts-Betriebs an's Licht zu stellen. Das harte Helotenthum, zu dem der ungeheure Umfang der Wissenschaften heute jeden Einzelnen verurtheilt, ist ein Hauptgrund dafuer, dass voller, reicher, tiefer angelegte Naturen keine ihnen gemaesse Erziehung und Erzieher mehr vorfinden. Unsre Cultur leidet an Nichts mehr, als an dem Ueberfluss anmaasslicher Eckensteher und Bruchstueck-Humanitaeten; unsre Universitaeten sind, wider Willen, die eigentlichen Treibhaeuser fuer diese Art Instinkt-Verkuemmerung des Geistes. Und ganz Europa hat bereits einen Begriff davon - die grosse Politik taeuscht Niemanden... Deutschland gilt immer mehr als Europa's Flachland. - Ich suche noch nach einem Deutschen, mit dem ich auf meine Weise ernst sein koennte, - um wie viel mehr nach einem, mit dem ich heiter sein duerfte! Goetzen-Daemmerung: ah wer begriffe es heute, von was fuer einem Ernste sich hier ein Einsiedler erholt! - Die Heiterkeit ist an uns das Unverstaendlichste... 4. Man mache einen Ueberschlag: es liegt nicht nur auf der Hand, dass die deutsche Cultur niedergeht, es fehlt auch nicht am zureichenden Grund dafuer. Niemand kann zuletzt mehr ausgeben als er hat - das gilt von Einzelnen, das gilt von Voelkern. Giebt man sich fuer Macht, fuer grosse Politik, fuer Wirthschaft, Weltverkehr, Parlamentarismus, Militaer-Interessen aus, - giebt man das Quantum Verstand, Ernst, Wille, Selbstueberwindung, das man ist, nach dieser Seite weg, so fehlt es auf der andern Seite. Die Cultur und der Staat - man betruege sich hierueber nicht - sind Antagonisten: "Cultur-Staat" ist bloss eine moderne Idee. Das Eine lebt vom Andern, das Eine gedeiht auf Unkosten des Anderen. Alle grossen Zeiten der Cultur sind politische Niedergangs-Zeiten: was gross ist im Sinn der Cultur war unpolitisch, selbst antipolitisch. - Goethen gieng das Herz auf bei dem Phaenomen Napoleon, - es gieng ihm zu beiden "Freiheits-Kriegen"... In demselben Augenblick, wo Deutschland als Grossmacht heraufkommt, gewinnt Frankreich als Culturmacht eine veraenderte Wichtigkeit. Schon heute ist viel neuer Ernst, viel neue Leidenschaft des Geistes nach Paris uebergesiedelt; die Frage des Pessimismus zum Beispiel, die Frage Wagner, fast alle psychologischen und artistischen Fragen werden dort unvergleichlich feiner und gruendlicher erwogen als in Deutschland, - die Deutschen sind selbst unfaehig zu dieser Art Ernst. - In der Geschichte der europaeischen Cultur bedeutet die Heraufkunft des "Reichs" vor allem Eins: eine Verlegung des Schwergewichts. Man weiss es ueberall bereits: in der Hauptsache - und das bleibt die Cultur - kommen die Deutschen nicht mehr in Betracht. Man fragt: habt ihr auch nur Einen fuer Europa mitzaehlenden Geist aufzuweisen? wie euer Goethe, euer Hegel, euer Heinrich Heine, euer Schopenhauer mitzaehlte? - Dass es nicht einen einzigen deutschen Philosophen mehr giebt, darueber ist des Erstaunens kein Ende. - 5. Dem ganzen hoeheren Erziehungswesen in Deutschland ist die Hauptsache abhanden gekommen: Zweck sowohl als Mittel zum Zweck. Dass Erziehung, Bildung selbst Zweck ist - und nicht das "Reich" -, dass es zu diesem Zweck der Erzieherbedarf - und nicht der Gymnasiallehrer und Universitaets-Gelehrten - man vergass das... Erzieher thun noth, die selbst erzogen sind, ueberlegene, vornehme Geister, in jedem Augenblick bewiesen, durch Wort und Schweigen bewiesen, reife, suess gewordene Culturen, - nicht die gelehrten Ruepel, welche Gymnasium und Universitaet der Jugend heute als "hoehere Ammen" entgegenbringt. Die Erzieherfehlen, die Ausnahmen der Ausnahmen abgerechnet, die erste Vorbedingung der Erziehung: daher der Niedergang der deutschen Cultur. - Eine jener allerseltensten Ausnahmen ist mein verehrungswuerdiger Freund Jakob Burckhardt in Basel: ihm zuerst verdankt Basel seinen Vorrang von Humanitaet. - Was die "hoeheren Schulen" Deutschlands thatsaechlich erreichen, das ist eine brutale Abrichtung, um, mit moeglichst geringem Zeitverlust, eine Unzahl junger Maenner fuer den Staatsdienst nutzbar, ausnutzbar zu machen. "Hoehere Erziehung" und Unzahl - das widerspricht sich von vornherein. Jede hoehere Erziehung gehoert nur der Ausnahme: man muss privilegirt sein, um ein Recht auf ein so hohes Privilegium zu haben. Alle grossen, alle schoenen Dinge koennen nie Gemeingut sein: pulchrum est paucorum hominum. - Was bedingt den Niedergang der deutschen Cultur? Dass "hoehere Erziehung" kein Vorrecht mehr ist - der Demokratismus der "allgemeinen", der gemein gewordnen "Bildung"... Nicht zu vergessen, dass militaerische Privilegien den Zu-Viel-Besuch der hoeheren Schulen, das heisst ihren Untergang, foermlich erzwingen. - Es steht Niemandem mehr frei, im jetzigen Deutschland seinen Kindern eine vornehme Erziehung zu geben: unsre "hoeheren" Schulen sind allesammt auf die zweideutigste Mittelmaessigkeit eingerichtet, mit Lehrern, mit Lehrplaenen, mit Lehrzielen. Und ueberall herrscht eine unanstaendige Hast, wie als ob Etwas versaeumt waere, wenn der junge Mann Mit 23 Jahren noch nicht "fertig" ist, noch nicht Antwort weiss auf die "Hauptfrage": welchen Beruf? - Eine hoehere Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht "Berufe", genau deshalb, weil sie sich berufen weiss... Sie hat Zeit, sie nimmt sich Zeit, sie denkt gar nicht daran, "fertig" zu werden, - mit dreissig Jahren ist man, im Sinne hoher Cultur, ein Anfaenger, ein Kind. - Unsre ueberfuellten Gymnasien, unsre ueberhaeuften, stupid gemachten Gymnasiallehrer sind ein Skandal: um diese Zustaende in Schutz zu nehmen, wie es juengst die Professoren von Heidelberg gethan haben, dazu hat man vielleicht Ursachen, - Gruende dafuer giebt es nicht. 6. - Ich stelle, um nicht aus meiner Art zu fallen, die ja-sagend ist und mit Widerspruch und Kritik nur mittelbar, nur unfreiwillig zu thun hat, sofort die drei Aufgaben hin, derentwegen man Erzieher braucht. Man hat sehen zu lernen, man hat denken zu lernen, man hat sprechen und schreiben zu lernen: das Ziel in allen Dreien ist eine vornehme Cultur. - Sehen lernen - dem Auge die Ruhe, die Geduld, das An-sich-herankommen-lassen angewoehnen; das Urtheil hinausschieben, den Einzelfall von allen Seiten umgehn und umfassen lernen. Das ist die erste Vorschulung zur Geistigkeit: auf einen Reiz nicht sofort reagiren, sondern die hemmenden, die abschliessenden Instinkte in die Hand bekommen. Sehen lernen, so wie ich es verstehe, ist beinahe Das, was die unphilosophische Sprechweise den starken Willen nennt: das Wesentliche daran ist gerade, nicht "wollen", die Entscheidung aussetzen koennen. Alle Ungeistigkeit, alle Gemeinheit beruht auf dem Unvermoegen, einem Reize Widerstand zu leisten - man muss reagiren, man folgt jedem Impulse. In vielen Faellen ist ein solches Muessen bereits Krankhaftigkeit, Niedergang, Symptom der Erschoepfung, - fast Alles, was die unphilosophische Rohheit mit dem Namen "Laster" bezeichnet, ist bloss jenes physiologische Unvermoegen, nicht zu reagiren. - Eine Nutzanwendung vom Sehen-gelernt-haben: man wird als Lernender ueberhaupt langsam, misstrauisch, widerstrebend geworden sein. Man wird Fremdes, Neues jeder Art zunaechst mit feindseliger Ruhe herankommen lassen, - man wird seine Hand davor zurueckziehn. Das Offenstehn mit allen Thueren, das unterthaenige Auf-dem-Bauch-Liegen vor jeder kleinen Thatsache, das allzeit sprungbereite Sich-hinein-Setzen, Sich-hinein-Stuerzen in Andere und Anderes, kurz die beruehmte moderne "Objektivitaet" ist schlechter Geschmack, ist unvornehm par excellence. - 7. Denken lernen: man hat auf unsren Schulen keinen Begriff mehr davon. Selbst auf den Universitaeten, sogar unter den eigentlichen Gelehrten der Philosophie beginnt Logik als Theorie, als Praktik, als Handwerk, auszusterben. Man lese deutsche Buecher: nicht mehr die entfernteste Erinnerung daran, dass es zum Denken einer Technik, eines Lehrplans, eines Willens zur Meisterschaft bedarf, - dass Denken gelernt sein will, wie Tanzen gelernt sein will, als eine Art Tanzen... Wer kennt unter Deutschen jenen feinen Schauder aus Erfahrung noch, den die leichten Fuesse im Geistigen in alle Muskeln ueberstroemen! - Die steife Toelpelei der geistigen Gebaerde, die plumpe Hand beim Fassen - das ist in dem Grade deutsch, dass man es im Auslande mit dem deutschen Wesen ueberhaupt verwechselt. Der Deutsche hat keine Finger fuer nuances... Dass die Deutschen ihre Philosophen auch nur ausgehalten haben, vor Allen jenen verwachsensten Begriffs-Krueppel, den es je gegeben hat, den grossen Kant, giebt keinen kleinen Begriff von der deutschen Anmuth. - Man kann naemlich das Tanzen in jeder Form nicht von der vornehmen Erziehung abrechnen, Tanzen koennen mit den Fuessen, mit den Begriffen, mit den Worten; habe ich noch zu sagen, dass man es auch mit der Feder koennen muss, - dass man schreiben lernen muss? - Aber an dieser Stelle wuerde ich deutschen Lesern vollkommen zum Raethsel werden... Streifzuege eines Unzeitgemaessen. 1. Meine Unmoeglichen. - Seneca: oder der Toreador der Tugend. - Rousseau: oder die Rueckkehr zur Natur in impuris naturalibus. - Schiller: oder der Moral-Trompeter von Saeckingen. - Dante: oder die Hyaene, die in Graebern dichtet. - Kant: oder cant als intelligibler Charakter. -Victor Hugo: oder der Pharus am Meere des Unsinns. - Liszt: oder die Schule der Gelaeufigkeit - nach Weibern. - George Sand: oder lactea ubertas, auf deutsch: die Milchkuh mit "schoenem Stil". - Michelet: oder die Begeisterung, die den Rock auszieht...Carlyle: oder Pessimismus als zurueckgetretenes Mittagessen. - John Stuart Mill: oder die beleidigende Klarheit. - Les freres de Goncourt: oder die beiden Ajaxe im Kampf mit Homer. Musik von Offenbach. - Zola: oder die Freude zu stinken. - 2. Renan. - Theologie, oder die Verderbniss der Vernunft durch die "Erbsuende" (das Christenthum). Zeugniss Renan, der, sobald er einmal ein Ja oder Nein allgemeinerer Art risquirt, mit peinlicher Regelmaessigkeit daneben greift. Er moechte zum Beispiel la science und la noblesse in Eins verknuepfen: aber la science gehoert zur Demokratie, das greift sich doch mit Haenden. Er wuenscht, mit keinem kleinen Ehrgeize, einen Aristokratismus des Geistes darzustellen: aber zugleich liegt er vor dessen Gegenlehre, dem evangile des humbles auf den Knien und nicht nur auf den Knien... Was hilft alle Freigeisterei, Modernitaet, Spoetterei und Wendehals-Geschmeidigkeit, wenn man mit seinen Eingeweiden Christ, Katholik und sogar Priester geblieben ist! Renan hat seine Erfindsamkeit, ganz wie ein Jesuit und Beichtvater, in der Verfuehrung; seiner Geistigkeit fehlt das breite Pfaffen-Geschmunzel nicht, - er wird, wie alle Priester, gefaehrlich erst, wenn er liebt. Niemand kommt ihm darin gleich, auf eine lebensgefaehrliche Weise anzubeten... Dieser Geist Renan's, ein Geist, der entnervt, ist ein Verhaengniss mehr fuer das arme, kranke, willenskranke Frankreich. - 3. Sainte-Beuve. - Nichts von Mann; voll eines kleinen Ingrimms gegen alle Mannsgeister. Schweift umher, fein, neugierig, gelangweilt, aushorcherisch, - eine Weibsperson im Grunde, mit einer Weibs-Rachsucht und Weibs-Sinnlichkeit. Als Psycholog ein Genie der medisance; unerschoepflich reich an Mitteln dazu; Niemand versteht besser, mit einem Lob Gift zu mischen. Plebejisch in den untersten Instinkten und mit dem ressentiment Rousseau's verwandt: folglich Romantiker - denn unter allem romantisme grunzt und giert der Instinkt Rousseau's nach Rache. Revolutionaer, aber durch die Furcht leidlich noch im Zaum gehalten. Ohne Freiheit vor Allem, was Staerke hat (oeffentliche Meinung, Akademie, Hof, selbst Port Royal). Erbittert gegen alles Grosse an Mensch und Ding, gegen Alles, was an sich glaubt. Dichter und Halbweib genug, um das Grosse noch als Macht zu fuehlen; gekruemmt bestaendig, wie jener beruehmte Wurm, weil er sich bestaendig getreten fuehlt. Als Kritiker ohne Maassstab, Halt und Rueckgrat, mit der Zunge des kosmopolitischen libertin fuer Vielerlei, aber ohne den Muth selbst zum Eingestaendniss der libertinage. Als Historiker ohne Philosophie, ohne die Macht des philosophischen Blicks, - deshalb die Aufgabe des Richtens in allen Hauptsachen ablehnend, die "Objektivitaet" als Maske vorhaltend. Anders verhaelt er sich zu allen Dingen, wo ein feiner, vernutzter Geschmack die hoechste Instanz ist: da hat er wirklich den Muth zu sich, die Lust an sich, - da ist er Meister. - Nach einigen Seiten eine Vorform Baudelaire's. - 4. Die imitatio Christi gehoert zu den Buechern, die ich nicht ohne einen physiologischen Widerstand in den Haenden halte: sie haucht einen parfum des Ewig-Weiblichen aus, zu dem man bereits Franzose sein muss - oder Wagnerianer... Dieser Heilige hat eine Art von der Liebe zu reden, dass sogar die Pariserinnen neugierig werden. - Man sagt mir, dass jener kluegste Jesuit, A. Comte, der seine Franzosen auf dem Umweg der Wissenschaft nach Rom fuehren wollte, sich an diesem Buche inspirirt habe. Ich glaube es: "die Religion des Herzens"... 5. G. Eliot. - Sie sind den christlichen Gott los und glauben nun um, so mehr die christliche Moral festhalten zu muessen: das ist eine englische Folgerichtigkeit, wir wollen sie den Moral Weiblein a la Eliot nicht veruebeln. In England muss man sich fuer jede kleine Emancipation von der Theologie in furchteinfloessender Weise als Moral-Fanatiker wieder zu Ehren bringen. Das ist dort die Busse, die man zahlt. - Fuer uns Andre steht es anders. Wenn man den christlichen Glauben aufgiebt, zieht man sich damit das Recht zur christlichen Moral unter den Fuessen weg. Diese versteht sich schlechterdings nicht von selbst: man muss diesen Punkt, den englischen Flachkoepfen zum Trotz, immer wieder an's Licht stellen. Das Christenthum ist ein System, eine zusammengedachte und ganze Ansicht der Dinge. Bricht man aus ihm einen Hauptbegriff, den Glauben an Gott, heraus, so zerbricht man damit auch das Ganze: man hat nichts Nothwendiges mehr zwischen den Fingern. Das Christenthum setzt voraus, dass der Mensch nicht wisse, nicht wissen koenne, was fuer ihn gut, was boese ist: er glaubt an Gott, der allein es weiss. Die christliche Moral ist ein Befehl; ihr Ursprung ist transscendent; sie ist jenseits aller Kritik, alles Rechts auf Kritik; sie hat nur Wahrheit, falls Gott die Wahrheit ist, - sie steht und faellt mit dem Glauben an Gott. - Wenn thatsaechlich die Englaender glauben, sie wuessten von sich aus, "intuitiv", was gut und boese ist, wenn sie folglich vermeinen, das Christenthum als Garantie der Moral nicht mehr noethig zu haben, so ist dies selbst bloss die Folge der Herrschaft des christlichen Werthurtheils und ein Ausdruck von der Staerke und Tiefe dieser Herrschaft: so dass der Ursprung der englischen Moral vergessen worden ist, so dass das Sehr-Bedingte ihres Rechts auf Dasein nicht mehr empfunden wird. Fuer den Englaender ist die Moral noch kein Problem... 6. George Sand. - Ich las die ersten lettres d'un voyageur: wie Alles, was von Rousseau stammt, falsch, gemacht, Blasebalg, uebertrieben. Ich halte diesen bunten Tapeten-Stil nicht aus; ebensowenig als die Poebel-Ambition nach generoesen Gefuehlen. Das Schlimmste freilich bleibt die Weibskoketterie mit Maennlichkeiten, mit Manieren ungezogener Jungen. - Wie kalt muss sie bei alledem gewesen sein, diese unausstehliche Kuenstlerin! Sie zog sich auf wie eine Uhr - und schrieb... Kalt, wie Hugo wie Balzac, wie alle Romantiker, sobald sie dichteten! Und wie selbstgefaellig sie dabei dagelegen haben mag, diese fruchtbare Schreibe-Kuh, die etwas Deutsches im schlimmen Sinne an sich hatte, gleich Rousseau selbst, ihrem Meister, und jedenfalls erst beim Niedergang des franzoesischen Geschmacks moeglich war! - Aber Renan verehrt sie... 7. Moral fuer Psychologen. - Keine Colportage-Psychologie treiben! Nie beobachten, um zu beobachten! Das giebt eine falsche Optik, ein Schielen, etwas Erzwungenes und Uebertreibendes. Erleben als Erleben-Wollen - das geraeth nicht. Man darf nicht im Erlebniss nach sich hinblicken, jeder Blick wird da zum "boesen Blick". Ein geborner Psycholog huetet sich aus Instinkt, zu sehn, um zu sehn; dasselbe gilt vom gebornen Maler. Er arbeitet nie "nach der Natur", - er ueberlaesst seinem Instinkte, seiner camera obscura das Durchsieben und Ausdruecken des "Falls", der "Natur", des "Erlebten"... Das Allgemeine erst kommt ihm zum Bewusstsein, der Schluss, das Ergebniss: er kennt jenes willkuerliche Abstrahiren vom einzelnen Falle nicht. - Was wird daraus, wenn man es anders macht? Zum Beispiel nach Art der Pariser romanciers gross und klein Colportage-Psychologie treibt? Das lauert gleichsam der Wirklichkeit auf, das bringt jeden Abend eine Handvoll Curiositaeten mit nach Hause... Aber man sehe nur, was zuletzt herauskommt - ein Haufen von Klecksen, ein Mosaik besten Falls, in jedem Falle etwas Zusammen-Addirtes, Unruhiges, Farbenschreiendes. Das Schlimmste darin erreichen die Goncourt: sie setzen nicht drei Saetze zusammen, die nicht dem Auge, dem Psychologen-Auge einfach weh thun. - Die Natur, kuenstlerisch abgeschaetzt, ist kein Modell. Sie uebertreibt, sie verzerrt, sie laesst Luecken. Die Natur ist der Zufall. Das Studium "nach der Natur" scheint mir ein schlechtes Zeichen: es verraeth Unterwerfung, Schwaeche, Fatalismus, - dies Im-Staube-Liegen vor petits faits ist eines ganzen Kuenstlers unwuerdig. Sehen, was ist - das gehoert einer andern Gattung von Geistern. zu, den antiartistischen, den Thatsaechlichen. Man muss wissen, wer man ist... 8. Zur Psychologie des Kuenstlers. - Damit es Kunst giebt, damit es irgend ein aesthetisches Thun und Schauen giebt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgaenglich: der Rausch. Der Rausch muss erst die Erregbarkeit der ganzen Maschine gesteigert haben: eher kommt es zu keiner Kunst. Alle noch so verschieden bedingten Arten des Rausches haben dazu die Kraft: vor Allem der Rausch der Geschlechtserregung, diese aelteste und urspruenglichste Form des Rausches. Insgleichen der Rausch, der im Gefolge aller grossen Begierden, aller starken Affekte kommt; der Rausch des Festes, des Wettkampfs, des Bravourstuecks, des Siegs, aller extremen Bewegung; der Rausch der Grausamkeit; der Rausch in der Zerstoerung; der Rausch unter gewissen meteorologischen Einfluessen, zum Beispiel der Fruehlingsrausch; oder unter dem Einfluss der Narcotica; endlich der Rausch des Willens, der Rausch eines ueberhaeuften und geschwellten Willens. - Das Wesentliche am Rausch ist das Gefuehl der Kraftsteigerung und Fuelle. Aus diesem Gefuehle giebt man an die Dinge ab, man zwingt sie von uns zu nehmen, man vergewaltigt sie, - man heisst diesen Vorgang Idealisiren. Machen wir uns hier von einem Vorurtheil los: das Idealisiren besteht nicht, wie gemeinhin geglaubt wird, in einem Abziehn oder Abrechnen des Kleinen, des Nebensaechlichen. Ein ungeheures Heraustreibender Hauptzuege ist vielmehr das Entscheidende, so dass die andern darueber verschwinden. 9. Man bereichert in diesem Zustande Alles aus seiner eignen Fuelle: was man sieht, was man will, man sieht es geschwellt, gedraengt, stark, ueberladen mit Kraft. Der Mensch dieses Zustandes verwandelt die Dinge, bis sie seine Macht wiederspiegeln, - bis sie Reflexe seiner Vollkommenheit sind. Dies Verwandeln muessen in's Vollkommne ist - Kunst. Alles selbst, was er nicht ist, wird trotzdem ihm zur Lust an sich; in der Kunst geniesst sich der Mensch als Vollkommenheit. - Es waere erlaubt, sich einen gegensaetzlichen Zustand auszudenken, ein spezifisches Antikuenstlerthum des Instinks, - eine Art zu sein, welche alle Dinge verarmte, verduennte, schwindsuechtig machte. Und in der That, die Geschichte ist reich an solchen Anti-Artisten, an solchen Ausgehungerten des Lebens: welche mit Nothwendigkeit die Dinge noch an sich nehmen, sie auszehren, sie magerer machen muessen. Dies ist zum Beispiel der Fall des echten Christen, Pascal's zum Beispiel: ein Christ, der zugleich Kuenstler waere, kommt nicht vor... Man sei nicht kindlich und wende mir Raffael ein oder irgend welche homoeopathische Christen des neunzehnten Jahrhunderts: Raffael sagte Ja, Raffael machte Ja, folglich war Raffael kein Christ... 10. Was bedeutet der von mir in die Aesthetik eingefuehrte Gegensatz-Begriff apollinisch und dionysisch, beide als Arten des Rausches begriffen? - Der apollinische Rausch haelt vor Allem das Auge erregt, so dass es die Kraft der Vision bekommt. Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionaere par excellence. Im dionysischen Zustande ist dagegen das gesammte Affekt-System erregt und gesteigert: so dass es alle seine Mittel des Ausdrucks mit einem Male entladet und die Kraft des Darstellens, Nachbildens, Transfigurirens, Verwandelns, alle Art Mimik und Schauspielerei zugleich heraustreibt. Das Wesentliche bleibt die Leichtigkeit der Metamorphose, die Unfaehigkeit, nicht zu reagiren (- aehnlich wie bei gewissen Hysterischen, die auch auf jeden Wink hin in je de Rolle eintreten). Es ist dem dionysischen Menschen unmoeglich, irgend eine Suggestion nicht zu verstehn, er uebersieht kein Zeichen des Affekts, er hat den hoechsten Grad des verstehenden und errathenden Instinkts, wie er den hoechsten Grad von Mittheilungs-Kunst besitzt. Er geht in jede Haut, in jeden Affekt ein: er verwandelt sich bestaendig. - Musik, wie wir sie heute verstehn, ist gleichfalls eine Gesammt-Erregung und -Entladung der Affekte, aber dennoch nur das Ueberbleibsel von einer viel volleren Ausdrucks-Welt des Affekts, ein blosses residuum des dionysischen Histrionismus. Man hat, zur Ermoeglichung der Musik als Sonderkunst, eine Anzahl Sinne, vor Allem den Muskelsinn still gestellt (relativ wenigstens: denn in einem gewissen Grade redet noch aller Rhythmus zu unsern Muskeln): so dass der Mensch nicht mehr Alles, was er fuehlt, sofort leibhaft nachahmt und darstellt. Trotzdem ist Das der eigentlich dionysische Normalzustand, jedenfalls der Urzustand; die Musik ist die langsam erreichte Spezifikation desselben auf Unkosten der naechstverwandten Vermoegen. 11. Der Schauspieler, der Mime, der Taenzer, der Musiker, der Lyriker sind in ihren Instinkten grundverwandt und an sich Eins, aber allmaehlich spezialisirt und von einander abgetrennt - bis selbst zum Widerspruch. Der Lyriker blieb am laengsten mit dem Musiker geeint; der Schauspieler mit dem Taenzer. - Der Architekt stellt weder einen dionysischen, noch einen apollinischen Zustand dar: hier ist es der grosse Willensakt, der Wille, der Berge versetzt, der Rausch des grossen Willens, der zur Kunst verlangt. Die maechtigsten Menschen haben immer die Architekten inspirirt; der Architekt war stets unter der Suggestion der Macht. Im Bauwerk soll sich der Stolz, der Sieg ueber die Schwere, der Wille zur Macht versichtbaren; Architektur ist eine Art Macht-Beredsamkeit in Formen, bald ueberredend, selbst schmeichelnd, bald bloss befehlend. Das hoechste Gefuehl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum Ausdruck, was grossen Stil hat. Die Macht, die keinen Beweis mehr noethig hat; die es verschmaeht, zu gefallen; die schwer antwortet; die keinen Zeugen um sich fuehlt; die ohne Bewusstsein davon lebt, dass es Widerspruch gegen sie giebt; die in sich ruht, fatalistisch, ein Gesetz unter Gesetzen: Das redet als grosser Stil von sich. - 12. Ich las das Leben Thomas Carlyle's, diese farce wider Wissen und Willen, diese heroisch-moralische Interpretation dyspeptischer Zustaende. - Carlyle, ein Mann der starken Worte und Attitueden, ein Rhetor aus Noth, den bestaendig das Verlangen nach einem starken Glauben agacirt und das Gefuehl der Unfaehigkeit dazu (- darin ein typischer Romantiker!). Das Verlangen nach einem starken Glauben ist nicht der Beweis eines starken Glaubens, vielmehr das Gegentheil. Hat man ihn, so darf man sich den schoenen Luxus der Skepsis gestatten: man ist sicher genug, fest genug, gebunden genug dazu. Carlyle betaeubt Etwas in sich durch das fortissimo seiner Verehrung fuer Menschen starken Glaubens und durch seine Wuth gegen die weniger Einfaeltigen: er bedarf des Laerms. Eine bestaendige leidenschaftliche Unredlichkeit gegen sich - das ist sein proprium, damit ist und bleibt er interessant. - Freilich, in England wird er gerade wegen seiner Redlichkeit bewundert... Nun, das ist englisch; und in Anbetracht, dass die Englaender das Volk des vollkommnen cant sind, sogar billig, und nicht nur, begreiflich. Im Grunde ist Carlyle ein englischer Atheist, der seine Ehre darin sucht, es nicht zu sein. 13. Emerson. - Viel aufgeklaerter, schweifender, vielfacher, raffinirter als Carlyle, vor Allem gluecklicher... Ein Solcher, der sich instinktiv bloss von Ambrosia naehrt, der das Unverdauliche in den Dingen zuruecklaesst. Gegen Carlyle gehalten ein Mann des Geschmacks. - Carlyle, der ihn sehr liebte, sagte trotzdem von ihm: "er giebt uns nicht genug zu beissen": was mit Recht gesagt sein mag, aber nicht zu Ungunsten Emerson's. - Emerson hat jene guetige und geistreiche Heiterkeit, welche allen Ernst entmuthigt; er weiss es schlechterdings nicht, wie alt er schon ist und wie jung er noch sein wird, - er koennte von sich mit einem Wort Lope de Vega's sagen: "yo me sucedo a mi mismo". Sein Geist findet immer Gruende, zufrieden und selbst dankbar zu sein; und bisweilen streift er die heitere Transscendenz jenes Biedermanns, der von einem verliebten Stelldichein tamquam re bene gesta zurueckkam. "Ut desint vires, sprach er dankbar, tamen est laudanda voluptas." - 14. Anti-Darwin. - Was den beruehmten Kampf um's Leben betrifft, so scheint er mir einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Er kommt vor, aber als Ausnahme; der Gesammt-Aspekt des Lebens ist nicht die Nothlage, die Hungerlage, vielmehr der Reichthum, die Ueppigkeit, selbst die absurde Verschwendung, - wo gekaempft wird, kaempft man um Macht... Man soll nicht Malthus mit der Natur verwechseln. - Gesetzt aber, es giebt diesen Kampf - und in der That, er kommt vor -, so laeuft er leider umgekehrt aus als die Schule Darwin's wuenscht, als man vielleicht mit ihr wuenschen duerfte: naemlich zu Ungunsten der Starken, der Bevorrechtigten, der gluecklichen Ausnahmen. Die Gattungen wachsen nicht in der Vollkommenheit: die Schwachen werden immer wieder ueber die Starken Herr, - das macht, sie sind die grosse Zahl, sie sind auch klueger... Darwin hat den Geist vergessen (- das ist englisch!), die Schwachen haben mehr Geist... Man muss Geist noethig haben, um Geist zu bekommen, - man verliert ihn, wenn man ihn nicht mehr noethig hat. Wer die Staerke hat, entschlaegt sich des Geistes (- "lass fahren dahin! denkt man heute in Deutschland - das Reich muss uns doch bleiben"...). Ich verstehe unter Geist, wie man sieht, die Vorsicht, die Geduld, die List, die Verstellung, die grosse Selbstbeherrschung und Alles, was mimicry ist (zu letzterem gehoert ein grosser Theil der sogenannten Tugend). 15. Psychologen-Casuistik. - Das ist ein Menschenkenner: wozu studirt er eigentlich die Menschen? Er will kleine Vortheile ueber sie erschnappen, oder auch grosse, - er ist ein Politikus!... Jener da ist auch ein Menschenkenner: und ihr sagt, der wolle Nichts damit fuer sich, das sei ein grosser "Unpersoenlicher". Seht schaerfer zu! Vielleicht will er sogar noch einen schlimmeren Vortheil: sich den Menschen ueberlegen fuehlen, auf sie herabsehn duerfen, sich nicht mehr mit ihnen verwechseln. Dieser "Unpersoenliche" ist ein Menschen-Veraechter: und jener Erstere ist die humanere Species, was auch der Augenschein sagen mag. Er stellt sich wenigstens gleich, er stellt sich hinein... 16. Der psychologische Takt der Deutschen scheint mir durch eine ganze Reihe von Faellen in Frage gestellt, deren Verzeichniss vorzulegen mich meine Bescheidenheit hindert. In Einem Falle wird es mir nicht an einem grossen Anlasse fehlen, meine These zu begruenden: ich trage es den Deutschen nach, sich ueber Kant und seine "Philosophie der Hinterthueren", wie ich sie nenne, vergriffen zu haben, - das war nicht der Typus der intellektuellen Rechtschaffenheit. - Das Andre, was ich nicht hoeren mag, ist ein beruechtigtes "und": die Deutschen sagen, "Goethe und Schiller", - ich fuerchte, sie sagen "Schiller und Goethe"... Kennt man noch nicht diesen Schiller? - Es giebt noch schlimmere "und"; ich habe mit meinen eigenen Ohren, allerdings nur unter Universitaets-Professoren, gehoert "Schopenhauer und Hartmann" 17. Die geistigsten Menschen, vorausgesetzt, dass sie die muthigsten sind, erleben auch bei weitem die schmerzhaftesten Tragoedien: aber eben deshalb ehren sie das Leben, weil es ihnen seine groesste Gegnerschaft entgegenstellt. 18. Zum "intellektuellen Gewissen". - Nichts scheint mir heute seltner als die echte Heuchelei. Mein Verdacht ist gross, dass diesem Gewaechs die sanfte Luft unsrer Cultur nicht zutraeglich ist. Die Heuchelei gehoert in die Zeitalter des starken Glaubens: wo man selbst nicht bei der Noethigung, einen andern Glauben zur Schau zu tragen, von dem Glauben losliess, den man hatte. Heute laesst man ihn los; oder, was noch gewoehnlicher, man legt sich noch einen zweiten Glauben zu, - ehrlich bleibt man in jedem Falle. Ohne Zweifel ist heute eine sehr viel groessere Anzahl von Ueberzeugungen moeglich als ehemals: moeglich, das heisst erlaubt, das heisst unschaedlich. Daraus entsteht die Toleranz gegen sich selbst. - Die Toleranz gegen sich selbst gestattet mehrere Ueberzeugungen: diese selbst leben vertraeglich beisammen, - sie hueten sich, wie alle Welt heute, sich zu compromittiren. Womit compromittirt man sich heute? Wenn man Consequenz hat. Wenn man in gerader Linie geht. Wenn man weniger als fuenfdeutig ist. Wenn man echt ist... Meine Furcht ist gross, dass der moderne Mensch fuer einige Laster einfach zu bequem ist: so dass diese geradezu aussterben. Alles Boese, das vom starken Willen bedingt ist - und vielleicht giebt es nichts Boeses ohne Willensstaerke - entartet, in unsrer lauen Luft, zur Tugend... Die wenigen Heuchler, die ich kennen lernte, machten die Heuchelei nach: sie waren, wie heutzutage fast jeder zehnte Mensch, Schauspieler. - 19. Schoen und haesslich. - Nichts ist bedingter, sagen wir beschraenkter, als unser Gefuehl des Schoenen. Wer es losgeloest von der Lust des Menschen am Menschen denken wollte, verloere sofort Grund und Boden unter den Fuessen. Das "Schoene an sich" ist bloss ein Wort, nicht einmal ein Begriff. Im Schoenen setzt sich der Mensch als Maass der Vollkommenheit; in. ausgesuchten Faellen betet er sich darin an. Eine Gattung kann gar nicht anders als dergestalt zu sich allein ja sagen. Ihr unterster Instinkt, der der Selbsterhaltung und Selbsterweiterung, strahlt noch in solchen Sublimitaeten aus. Der Mensch glaubt die Welt selbst mit Schoenheit ueberhaeuft, - er vergisst sich als deren Ursache. Er allein hat sie mit Schoenheit beschenkt, ach! nur mit einer sehr menschlich-allzumenschlichen Schoenheit.... Im Grunde spiegelt sich der Mensch in den Dingen, er haelt Alles fuer schoen, was ihm sein Bild zurueckwirft: das Urtheil "schoen" ist seine Gattungs-Eitelkeit.... Dem Skeptiker naemlich darf ein kleiner Argwohn die Frage in's Ohr fluestern: ist wirklich damit die Welt verschoent, dass gerade der Mensch sie fuer schoen nimmt? Er hat sie vermenschlicht: das ist Alles. Aber Nichts, gar Nichts verbuergt uns, dass gerade der Mensch das Modell des Schoenen abgaebe. Wer weiss, wie er sich in den Augen eines hoeheren Geschmacksrichters ausnimmt? Vielleicht gewagt? vielleicht selbst erheiternd? vielleicht ein wenig arbitraer?... "Oh Dionysos, Goettlicher, warum ziehst du mich an den Ohren?" fragte Ariadne einmal bei einem jener beruehmten Zwiegespraeche auf Naxos ihren philosophischen Liebhaber. "Ich finde eine Art Humor in deinen Ohren, Ariadne: warum sind sie nicht noch laenger?" 20. Nichts ist schoen, nur der Mensch ist schoen: auf dieser Naivetaet ruht alle Aesthetik, sie ist deren erste Wahrheit. Fuegen wir sofort noch deren zweite hinzu: Nichts ist haesslich als der entartende Mensch, - damit ist das Reich des aesthetischen Urtheils umgrenzt. - Physiologisch nachgerechnet, schwaecht und betruebt alles Haessliche den Menschen. Es erinnert ihn an Verfall, Gefahr, Ohnmacht; er buesst thatsaechlich dabei Kraft ein. Man kann die Wirkung des Haesslichen mit dem Dynamometer messen. Wo der Mensch ueberhaupt niedergedrueckt wird, da wittert er die Naehe von etwas "Haesslichem". Sein Gefuehl der Macht, sein Wille zur Macht, sein Muth, sein Stolz - das faellt mit dem Haesslichen, das steigt mit dem Schoenen... Im einen wie im andern Falle machen wir einen Schluss: die Praemissen dazu sind in ungeheurer Fuelle im Instinkte aufgehaeuft. Das Haessliche wird verstanden als ein Wink und Symptom der Degenerescenz: was im Entferntesten an Degenerescenz erinnert, das wirkt in uns das Urtheil "haesslich". Jedes Anzeichen von Erschoepfung, von Schwere, von Alter, von Muedigkeit, jede Art Unfreiheit, als Krampf, als Laehmung, vor Allem der Geruch, die Farbe, die Form der Aufloesung, der Verwesung, und sei es auch in der letzten Verduennung zum Symbol - das Alles ruft die gleiche Reaktion hervor, das Werthurtheil "haesslich". Ein Hass springt da hervor: wen hasst da der Mensch? Aber es ist kein Zweifel: den Niedergang seines Typus. Er hasst da aus dem tiefsten Instinkte der Gattung heraus; in diesem Hass ist Schauder, Vorsicht, Tiefe, Fernblick, - es ist der tiefste Hass, den es giebt. Um seinetwillen ist die Kunst tief... 21. Schopenhauer. Schopenhauer, der letzte Deutsche, der in Betracht kommt (der ein europaeisches Ereigniss gleich Goethe, gleich Hegel, gleich Heinrich Heine ist, und nicht bloss ein lokales, ein "nationales"), ist fuer einen Psychologen ein Fall ersten Ranges: naemlich als boesartig genialer Versuch, zu Gunsten einer nihilistischen Gesammt-Abwerthung des Lebens gerade die Gegen-Instanzen, die grossen Selbstbejahungen des "Willens zum Leben", die Exuberanz-Formen des Lebens in's Feld zu fuehren. Er hat, der Reihe nach, die Kunst, den Heroismus, das Genie, die Schoenheit, das grosse Mitgefuehl, die Erkenntniss, den Willen zur Wahrheit, die Tragoedie als Folgeerscheinungen der "Verneinung" oder der Verneinungs-Beduerftigkeit des "Willens" interpretirt - die groesste psychologische Falschmuenzerei, die es, das Christenthum abgerechnet, in der Geschichte giebt. Genauer zugesehn ist er darin bloss der Erbe der christlichen Interpretation: nur dass er auch das vom Christenthum Abgelehnte, die grossen Cultur-Thatsachen der Menschheit noch in einem christlichen, das heisst nihilistischen Sinne gut zu heissen wusste (- naemlich als Wege zur "Erloesung", als Vorformen der "Erloesung", als Stimulantia des Beduerfnisses nach "Erloesung"... ) 22. Ich nehme einen einzelnen Fall. Schopenhauer spricht von der Schoenheit mit einer schwermuethigen Gluth, - warum letzten Grundes? Weil er in ihr eine Bruecke sieht, auf der man weiter gelangt, oder Durst bekommt, weiter zu gelangen... Sie ist ihm die Erloesung vom "Willen" auf Augenblicke - sie lockt zur Erloesung fuer immer... Insbesondere preist er sie als Erloeserin vom "Brennpunkte des Willens", von der Geschlechtlichkeit, - in der Schoenheit sieht er den Zeugetrieb verneint... Wunderlicher Heiliger! Irgend Jemand widerspricht dir, ich fuerchte, es ist die Natur. Wozu giebt es ueberhaupt Schoenheit in Ton, Farbe, Duft, rhythmischer Bewegung in der Natur? Was treibt die Schoenheit heraus?- Gluecklicherweise widerspricht ihm auch ein Philosoph. Keine geringere Autoritaet als die des goettlichen Plato (- so nennt ihn Schopenhauer selbst) haelt einen andern Satz aufrecht: dass alle Schoenheit zur Zeugung reize, - dass dies gerade das proprium ihrer Wirkung sei, vom Sinnlichsten bis hinauf in's Geistigste... 23. Plato geht weiter. Er sagt mit einer Unschuld, zu der man Grieche sein muss und nicht "Christ", dass es gar keine platonische Philosophie geben wuerde, wenn es nicht so schoene Juenglinge in Athen gaebe: deren Anblick sei es erst, was die Seele des Philosophen in einen erotischen Taumel versetze und ihr keine Ruhe lasse, bis sie den Samen aller hohen Dinge in ein so schoenes Erdreich hinabgesenkt habe. Auch ein wunderlicher Heiliger! - man traut seinen Ohren nicht, gesetzt selbst, dass man Plato traut. Zum Mindesten erraeth man, dass in Athen anders philosophirt wurde, vor Allem oeffentlich. Nichts ist weniger griechisch als die Begriffs-Spinneweberei eines Einsiedlers, amor intellectualis dei nach Art des Spinoza. Philosophie nach Art des Plato waere eher als ein erotischer Wettbewerb zu definiren, als eine Fortbildung und Verinnerlichung der alten agonalen Gymnastik und deren Voraussetzungen... Was wuchs zuletzt aus dieser philosophischen Erotik Plato's heraus? Eine neue Kunstform des griechischen Agon, die Dialektik. - Ich erinnere noch, gegen Schopenhauer und zu Ehren Plato's, daran, dass auch die ganze hoehere Cultur und Litteratur des klassischen Frankreichs auf dem Boden des geschlechtlichen Interesses aufgewachsen ist. Man darf ueberall bei ihr die Galanterie, die Sinne, den Geschlechts-Wettbewerb, das "Weib" suchen, - man wird nie umsonst suchen... 24. L'art pour l'art. - Der Kampf gegen den Zweck in der Kunst ist immer der Kampf gegen die moralisirende Tendenz in der Kunst, gegen ihre Unterordnung unter die Moral. L'art pour l'art heisst: "der Teufel hole die Moral!" - Aber selbst noch diese Feindschaft verraeth die Uebergewalt des Vorurtheils. Wenn man den Zweck des Moralpredigens und Menschen-Verbesserns von der Kunst ausgeschlossen hat, so folgt daraus noch lange nicht, dass die Kunst ueberhaupt zwecklos, ziellos, sinnlos, kurz l'art pour l'art - ein Wurm, der sich in den Schwanz beisst - ist. "Lieber gar keinen Zweck als einen moralischen Zweck!" - so redet die blosse Leidenschaft. Ein Psycholog fragt dagegen: was thut alle Kunst? lobt sie nicht? verherrlicht sie nicht? waehlt sie nicht aus? zieht sie nicht hervor? Mit dem Allen staerkt oder schwaecht sie gewisse Werthschaetzungen... Ist dies nur ein Nebenbei? ein Zufall? Etwas, bei dem der Instinkt des Kuenstlers gar nicht betheiligt waere? Oder aber: ist es nicht die Voraussetzung dazu, dass der Kuenstler kann...? Geht dessen unterster Instinkt auf die Kunst oder nicht vielmehr auf den Sinn der Kunst, das Leben? auf eine Wuenschbarkeit von Leben?- Die Kunst ist das grosse Stimulans zum Leben: wie koennte man sie als zwecklos, als ziellos, als l'art pour l'art verstehn? - Eine Frage bleibt zurueck: die Kunst bringt auch vieles Haessliche, Harte, Fragwuerdige des Lebens zur Erscheinung, - scheint sie nicht damit vom Leben zu entleiden? - Und in der That, es gab Philosophen, die ihr diesen Sinn liehn: "loskommen vom Willen" lehrte Schopenhauer als Gesammt-Absicht der Kunst, "zur Resignation stimmen" verehrte er als die grosse Nuetzlichkeit der Tragoedie. - Aber dies - ich gab es schon zu verstehn - ist Pessimisten-Optik und "boeser Blick" -: man muss an die Kuenstler selbst appelliren. Was theilt der tragische Kuenstler von sich mit? Ist es nicht gerade der Zustand ohne Furcht vor dem Furchtbaren und Fragwuerdigen, das er zeigt? - Dieser Zustand selbst ist eine hohe Wuenschbarkeit; wer ihn kennt, ehrt ihn mit den hoechsten Ehren. Er theilt ihn mit, er muss ihn mittheilen, vorausgesetzt, dass er ein Kuenstler ist, ein Genie der Mittheilung. Die Tapferkeit und Freiheit des Gefuehls vor einem maechtigen Feinde, vor einem erhabenen Ungemach, vor einem Problem, das Grauen erweckt - dieser siegreiche Zustand ist es, den der tragische Kuenstler auswaehlt, den er verherrlicht. Vor der Tragoedie feiert das Kriegerische in unserer Seele seine Saturnalien; wer Leid gewohnt ist, wer Leid aufsucht, der heroische Mensch preist mit der Tragoedie sein Dasein, - ihm allein kredenzt der Tragiker den Trunk dieser suessesten Grausamkeit. - 25. Mit Menschen fuerlieb nehmen, mit seinem Herzen offen Haus halten, das ist liberal, das ist aber bloss liberal. Man erkennt die Herzen, die der vornehmen Gastfreundschaft faehig sind, an den vielen verhaengten Fenstern und geschlossenen Laeden: ihre besten Raeume halten sie leer. Warum doch? - Weil sie Gaeste erwarten, mit denen man nicht "fuerlieb nimmt" 26. Wir schaetzen uns nicht genug mehr, wenn wir uns mittheilen. Unsre eigentlichen Erlebnisse sind ganz und gar nicht geschwaetzig. Sie koennten sich selbst nicht mittheilen, wenn sie wollten. Das macht, es fehlt ihnen das Wort. Wofuer wir Worte haben, darueber sind wir auch schon hinaus. In allem Reden liegt ein Gran Verachtung. Die Sprache, scheint es, ist nur fuer Durchschnittliches, Mittleres, Mittheilsames erfunden. Mit der Sprache vulgarisirt sich bereits der Sprechende. - Aus einer Moral fuer Taubstumme und andere Philosophen. 27. "Dies Bildniss ist bezaubernd schoen!"... Das Litteratur-Weib, unbefriedigt, aufgeregt, oede in Herz und Eingeweide, mit schmerzhafter Neugierde jederzeit auf den Imperativ hinhorchend, der aus den Tiefen seiner Organisation "aut liberi aut libri" fluestert: das Litteratur-Weib, gebildet genug, die Stimme der Natur zu verstehn, selbst wenn sie Latein redet und andrerseits eitel und Gans genug, um im Geheimen auch noch franzoesisch mit sich zu sprechen "je me verrai, je me lirai, je m'extasierai et je dirai: Possible, que j'aie eu tant d'esprit?" 28. Die "Unpersoenlichen" kommen zu Wort. - "Nichts faellt uns leichter, als weise, geduldig, ueberlegen zu sein. Wir triefen vom Oel der Nachsicht und des Mitgefuehls, wir sind auf eine absurde Weise gerecht, wir verzeihen Alles. Eben darum sollten wir uns etwas strenger halten; eben darum sollten wir uns, von Zeit zu Zeit, einen kleinen Affekt, ein kleines Laster von Affect zuechten. Es mag uns sauer angehn; und unter uns lachen wir vielleicht ueber den Aspekt, den wir damit geben. Aber was hilft es! Wir haben keine andre Art mehr uebrig von Selbstueberwindung: dies ist unsre Asketik, unser Buesserthum"... Persoenlich werden - die Tugend des "Unpersoenlichen"... 29. Aus einer Doctor-Promotion. - "Was ist die Aufgabe alles hoeheren Schulwesens?" - Aus dem Menschen eine Maschine zu machen. - "Was ist das Mittel dazu?" - Er muss lernen, sich langweilen. - "Wie erreicht man das?" - Durch den Begriff der Pflicht. - "Wer ist sein Vorbild dafuer?" - Der Philolog: der lehrt ochsen. - "Wer ist der vollkommene Mensch?" - Der Staats-Beamte. - "Welche Philosophie giebt die hoechste Formel fuer den Staats-Beamten?" - Die Kant's: der Staats-Beamte als Ding an sich zum Richter gesetzt ueber den Staats-Beamten als Erscheinung. - 30. Das Recht auf Dummheit. - Der ermuedete und langsam athmende Arbeiter, der gutmuethig blickt, der die Dinge gehen laesst, wie sie gehn: diese typische Figur, der man jetzt, im Zeitalter der Arbeit (und des "Reichs"! -) in allen Klassen der Gesellschaft begegnet, nimmt heute gerade die Kunst fuer sich in Anspruch, eingerechnet das Buch, vor Allem das Journal, - um wie viel mehr die schoene Natur, Italien... Der Mensch des Abends, mit den "entschlafenen wilden Trieben", von denen Faust redet, bedarf der Sommerfrische, des Seebads, der Gletscher, Bayreuth's... In solchen Zeitaltern hat die Kunst ein Recht auf reine Thorheit, - als eine Art Ferien fuer Geist, Witz und Gemueth. Das verstand Wagner. Die reine Thorheit stellt wieder her... 31. Noch ein Problem der Diaet. - Die Mittel, mit denen Julius Caesar sich gegen Kraenklichkeiten und Kopfschmerz vertheidigte: ungeheure Maersche, einfachste Lebensweise, ununterbrochner Aufenthalt im Freien, bestaendige Strapazen - das sind, in's Grosse gerechnet, die Erhaltungs- und Schutz-Maassregeln ueberhaupt gegen die extreme Verletzlichkeit jener subtilen und unter hoechstem Druck arbeitenden Maschine, welche Genie heisst. - 32. Der Immoralist redet. - Einem Philosophen geht Nichts mehr wider den Geschmack als der Mensch, sofern er wuenscht... Sieht er den Menschen nur in seinem Thun, sieht er dieses tapferste, listigste, ausdauerndste Thier verirrt selbst in labyrinthische Nothlagen, wie bewunderungswuerdig erscheint ihm der Mensch! Er spricht ihm noch zu... Aber der Philosoph verachtet den wuenschenden Menschen, auch den "wuenschbaren" Menschen - und ueberhaupt alle Wuenschbarkeiten, alle Ideale des Menschen. Wenn ein Philosoph Nihilist sein koennte, so wuerde er es sein, weil er das Nichts hinter allen Idealen des Menschen findet. Oder noch nicht einmal das Nichts, - sondern nur das Nichtswuerdige, das Absurde, das Kranke, das Feige, das Muede, alle Art Hefen aus dem ausgetrunkenen Becher seines Lebens... Der Mensch, der als Realitaet so verehrungswuerdig ist, wie kommt es, dass er keine Achtung verdient, sofern er wuenscht? Muss er es buessen, so tuechtig als Realitaet zu sein? Muss er sein Thun, die Kopf- und Willensanspannung in allem Thun, mit einem Gliederstrecken im Imaginaeren und Absurden ausgleichen? - Die Geschichte seiner Wuenschbarkeiten war bisher die partie honteuse des Menschen: man soll sich hueten, zu lange in ihr zu lesen. Was den Menschen rechtfertigt, ist seine Realitaet, - sie wird ihn ewig rechtfertigen. Um wie viel mehr werth ist der wirkliche Mensch, verglichen mit irgend einem bloss gewuenschten, ertraeumten, erstunkenen und erlogenen Menschen? mit irgend einem idealen Menschen?... Und nur der ideale Mensch geht dem Philosophen wider den Geschmack. 33. Naturwerth des Egoismus. - Die Selbstsucht ist so viel werth, als Der physiologisch werth ist, der sie hat: sie kann sehr viel werth sein, sie kann nichtswuerdig und veraechtlich sein. Jeder Einzelne darf darauf hin angesehen werden, ob er die aufsteigende oder die absteigende Linie des Lebens darstellt. Mit einer Entscheidung darueber hat man auch einen Kanon dafuer, was seine Selbstsucht werth ist. Stellt er das Aufsteigen der Linie dar, so ist in der That sein Werth ausserordentlich, - und um des Gesammt-Lebens willen, das mit ihm einen Schritt weiter thut, darf die Sorge um Erhaltung, um Schaffung seines optimum von Bedingungen selbst extrem sein. Der Einzelne, das "Individuum", wie Volk und Philosoph das bisher verstand, ist ja ein Irrthum: er ist nichts fuer sich, kein Atom, kein "Ring der Kette", nichts bloss Vererbtes von Ehedem, - er ist die ganze Eine Linie Mensch bis zu ihm hin selber noch... Stellt er die absteigende Entwicklung, den Verfall, die chronische Entartung, Erkrankung dar (- Krankheiten sind, in's Grosse gerechnet, bereits Folgeerscheinungen des Verfalls, nicht dessen Ursachen), so kommt ihm wenig Werth zu, und die erste Billigkeit will, dass er den Wohlgerathenen so wenig als moeglich wegnimmt. Er ist bloss noch deren Parasit... 34. Christ und Anarchist. - Wenn der Anarchist, als Mundstueck niedergehender Schichten der Gesellschaft, mit einer schoenen Entruestung "Recht", "Gerechtigkeit", "gleiche Rechte" verlangt, so steht er damit nur unter dem Drucke seiner Unkultur, welche nicht zu begreifen weiss, warum er eigentlich leidet, - woran er arm ist, an Leben... Ein Ursachen-Trieb ist in ihm maechtig: Jemand muss schuld daran sein, dass er sich schlecht befindet... Auch thut ihm die "schoene Entruestung" selber schon wohl, es ist ein Vergnuegen fuer alle armen Teufel, zu schimpfen, - es giebt einen kleinen Rausch von Macht. Schon die Klage, das Sich-Beklagen, kann dem Leben einen Reiz geben, um dessentwillen man es aushaelt: eine feinere Dosis Rache ist in jeder Klage, man wirft sein Schlechtbefinden, unter Umstaenden selbst seine Schlechtigkeit Denen, die anders sind, wie ein Unrecht, wie ein unerlaubtes Vorrecht vor. "Bin ich eine canaille, so solltest du es auch sein": auf diese Logik hin macht man Revolution. - Das Sich-Beklagen taugt in keinem Falle etwas: es stammt aus der Schwaeche. Ob man sein Schlecht-Befinden Andern oder sich selber zu misst -. Ersteres thut der Socialist, Letzteres zum Beispiel der Christ -, macht keinen eigentlichen Unterschied. Das Gemeinsame, sagen wir auch das Unwuerdige daran ist, dass jemand schuld daran sein soll, dass man leidet - kurz, dass der Leidende sich gegen sein Leiden den Honig der Rache verordnet. Die Objekte dieses Rach-Beduerfnisses als eines Lust-Beduerfnisses sind Gelegenheits-Ursachen: der Leidende findet ueberall Ursachen, seine kleine Rache zu kuehlen, - ist er Christ, nochmals gesagt, so findet er sie in sich... Der Christ und der Anarchist - Beide sind decadents. - Aber auch wenn der Christ die "Welt" verurtheilt, verleumdet, beschmutzt, so thut er es aus dem gleichen Instinkte, aus dem der socialistische Arbeiter die Gesellschaft verurtheilt, verleumdet, beschmutzt: das "juengste Gericht" selbst ist noch der suesse Trost der Rache - die Revolution, wie sie auch der socialistische Arbeiter erwartet, nur etwas ferner gedacht... Das "Jenseits" selbst - wozu ein Jenseits, wenn es nicht ein Mittel waere, das Diesseits zu beschmutzen?... 35. Kritik der Decadence-Moral. Eine "altruistische" Moral, eine Moral, bei der die Selbstsucht verkuemmert -, bleibt unter allen Umstaenden ein schlechtes Anzeichen. Dies gilt vom Einzelnen, dies gilt namentlich von Voelkern. Es fehlt am Besten, wenn es an der Selbstsucht zu fehlen beginnt. Instinktiv das Sich-Schaedliche waehlen, Gelockt-werden durch "uninteressirte" Motive giebt beinahe die Formel ab fuer decadence. "Nicht seinen Nutzen suchen" - das ist bloss das moralische Feigenblatt fuer eine ganz andere, naemlich physiologische Thatsaechlichkeit: "ich weiss meinen Nutzen nicht mehr zu finden" Disgregation der Instinkte! - Es ist zu Ende mit ihm, wenn der Mensch altruistisch wird. - Statt naiv zu sagen, "ich bin nichts mehr werth", sagt die Moral Luege im Munde des decadent: "Nichts ist etwas werth, - das Leben ist nichts werth"... Ein solches Urtheil bleibt zuletzt eine grosse Gefahr, es wirkt ansteckend, - auf dem ganzen morbiden Boden der Gesellschaft wuchert es bald zu tropischer Begriffs-Vegetation empor, bald als Religion (Christenthum), bald als Philosophie (Schopenhauerei). Unter Umstaenden vergiftet eine solche aus Faeulniss gewachsene Giftbaum-Vegetation mit ihrem Dunste weithin, auf Jahrtausende hin das Leben... 36. Moral fuer Aerzte. - Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft. In einem gewissen Zustande ist es unanstaendig, noch laenger zu leben. Das Fortvegetiren in feiger Abhaengigkeit von Aerzten und Praktiken, nachdem der Sinn vom Leben, das Recht zum Leben verloren gegangen ist, sollte bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehn. Die Aerzte wiederum haetten die Vermittler dieser Verachtung zu sein, - nicht Recepte, sondern jeden Tag eine neue Dosis Ekel vor ihrem Patienten... Eine neue Verantwortlichkeit schaffen, die des Arztes, fuer alle Faelle, wo das hoechste Interesse des Lebens, des aufsteigenden Lebens, das ruecksichtsloseste Nieder- und Beiseite-Draengen des entartenden Lebens verlangt - zum Beispiel fuer das Recht auf Zeugung, fuer das Recht, geboren zu werden, fuer das Recht, zu leben... Auf eine stolze Art sterben, wenn es nicht mehr moeglich ist, auf eine stolze Art zu leben. Der Tod, aus freien Stuecken gewaehlt, der Tod zur rechten Zeit, mit Helle und Freudigkeit, inmitten von Kindern und Zeugen vollzogen: so dass ein wirkliches Abschiednehmen noch moeglich ist, wo Der noch da ist, der sich verabschiedet, insgleichen ein wirkliches Abschaetzen des Erreichten und Gewollten, eine Summirung des Lebens - Alles im Gegensatz zu der erbaermlichen und schauderhaften Komoedie, die das Christenthum mit der Sterbestunde getrieben hat. Man soll es dem Christenthume nie vergessen, dass es die Schwaeche des Sterbenden zu Gewissens-Nothzucht, dass es die Art des Todes selbst zu Werth-Urtheilen ueber Mensch und Vergangenheit gemissbraucht hat! - Hier gilt es, allen Feigheiten des Vorurtheils zum Trotz, vor Allem die richtige, das heisst physiologische Wuerdigung des sogenannten natuerlichen Todes herzustellen: der zuletzt auch nur ein "unnatuerlicher", ein Selbstmord ist. Man geht nie durch jemand Anderes zu Grunde, als durch sich selbst. Nur ist es der Tod unter den veraechtlichsten Bedingungen, ein unfreier Tod, ein Tod zur unrechten Zeit, ein Feiglings Tod. Man sollte, aus Liebe zum Leben -, den Tod anders wollen, frei, bewusst, ohne Zufall, ohne Ueberfall... Endlich ein Rath fuer die Herrn Pessimisten und andere decadents. Wir haben es nicht in der Hand, zu verhindern, geboren zu werden: aber wir koennen diesen Fehler - denn bisweilen ist es ein Fehler - wieder gut machen. Wenn man sich abschafft, thut man die achtungswuerdigste Sache, die es giebt: man verdient beinahe damit, zu leben... Die Gesellschaft, was sage ich! Das Leben selber hat mehr Vortheil davon, als durch irgend welches "Leben" in Entsagung, Bleichsucht und andrer Tugend -, man hat die Andern von seinem Anblick befreit, man hat das Leben von einem Einwand befreit... Der Pessimismus, pur, vert, beweist sich erst durch die Selbst-Widerlegung der Herrn Pessimisten: man muss einen Schritt weiter gehn in seiner Logik, nicht bloss mit "Wille und Vorstellung", wie Schopenhauer es that, das Leben verneinen -, man muss Schopenhauern zuerst verneinen... Der Pessimismus, anbei gesagt, so ansteckend er ist, vermehrt trotzdem nicht die Krankhaftigkeit einer Zeit, eines Geschlechts im Ganzen: er ist deren Ausdruck. Man verfaellt ihm, wie man der Cholera verfaellt: man muss morbid genug dazu schon angelegt sein. Der Pessimismus selbst macht keinen einzigen decadent mehr; ich erinnere an das Ergebniss der Statistik, dass die Jahre, in denen die Cholera wuethet, sich in der Gesammt-Ziffer der Sterbefaelle nicht von andern Jahrgaengen unterscheiden. 37. Ob wir moralischer geworden sind. - Gegen meinen Begriff "jenseits von Gut und Boese" hat sich, wie zu erwarten stand, die ganze Ferocitaet der moralischen Verdummung, die bekanntlich in Deutschland als die Moral selber gilt -, in's Zeug geworfen: ich haette artige Geschichten davon zu erzaehlen. Vor Allem gab man mir die "unleugbare Ueberlegenheit" unsrer Zeit im sittlichen Urtheil zu ueberdenken, unsern wirklich hier gemachten Fortschritt: ein Cesare Borgia sei, im Vergleich mit uns, durchaus nicht als ein "hoeherer Mensch", als eine Art Uebermensch, wie ich es thue, aufzustellen... Ein Schweizer Redakteur, vom "Bund", gieng so weit, nicht ohne seine Achtung vor dem Muth zu solchem Wagniss auszudruecken, den Sinn meines Werks dahin zu "verstehn", dass ich mit demselben die Abschaffung aller anstaendigen Gefuehle beantragte. Sehr verbunden! - Ich erlaube mir, als Antwort, die Frage aufzuwerfen, ob wir wirklich moralischer geworden sind. Dass alle Welt das glaubt, ist bereits ein Einwand dagegen... Wir modernen Menschen, sehr zart, sehr verletzlich und hundert Ruecksichten gebend und nehmend, bilden uns in der That ein, diese zaertliche Menschlichkeit, die wir darstellen, diese erreichte Einmuethigkeit in der Schonung, in der Huelfsbereitschaft, im gegenseitigen Vertrauen sei ein positiver Fortschritt, damit seien wir weit ueber die Menschen der Renaissance hinaus. Aber so denkt jede Zeit, so muss sie denken. Gewiss ist, dass wir uns nicht in Renaissance-Zustaende hineinstellen duerften, nicht einmal hineindenken: unsre Nerven hielten jene Wirklichkeit nicht aus, nicht zu reden von unsern Muskeln. Mit diesem Unvermoegen ist aber kein Fortschritt bewiesen, sondern nur eine andre, eine spaetere Beschaffenheit, eine schwaechere, zaertlichere, verletzlichere, aus der sich nothwendig eine ruecksichtenreiche Moral erzeugt. Denken wir unsre Zartheit und Spaetheit, unsre physiologische Alterung weg, so verloere auch unsre Moral der "Vermenschlichung" sofort ihren Werth - an sich hat keine Moral Werth -: sie wuerde uns selbst Geringschaetzung machen. Zweifeln wir andrerseits nicht daran, dass wir Modernen mit unsrer dick wattirten Humanitaet, die durchaus an keinen Stein sich stossen Will, den Zeitgenossen Cesare Borgia's eine Komoedie zum Todtlachen abgeben wuerden. In der That, wir sind ueber die Maassen unfreiwillig spasshaft, mit unsren modernen "Tugenden"... Die Abnahme der feindseligen und misstrauenweckenden Instinkte - und das waere ja unser "Fortschritt" - stellt nur eine der Folgen in der allgemeinen Abnahme der Vitalitaet dar: es kostet hundert Mal mehr Muehe, mehr Vorsicht, ein so bedingtes, so spaetes Dasein durchzusetzen. Da hilft man sich gegenseitig, da ist Jeder bis zu einem gewissen Grade Kranker und Jeder Krankenwaerter. Das heisst dann "Tugend" -: unter Menschen, die das Leben noch anders kannten, voller, verschwenderischer, ueberstroemender, haette man's anders genannt, "Feigheit" vielleicht, "Erbaermlichkeit", "Altweiber-Moral"... Unsre Milderung der Sitten - das ist mein Satz, das ist, wenn man will, meine Neuerung - ist eine Folge des Niedergangs; die Haerte und Schrecklichkeit der Sitte kann umgekehrt eine Folge des Ueberschusses von Leben sein: dann naemlich darf auch Viel gewagt, Viel herausgefordert, Viel auch vergeudet werden. Was Wuerze ehedem des Lebens war, fuer uns waere es Gift... Indifferent zu sein - auch das ist eine Form der Staerke - dazu sind wir gleichfalls zu alt, zu spaet: unsre Mitgefuehls-Moral, vor der ich als der Erste gewarnt habe, Das, was man l'impressionisme morale nennen koennte, ist ein Ausdruck mehr der physiologischen Ueberreizbarkeit, die Allem, was decadent ist, eignet. Jene Bewegung, die mit der Mitleids-Moral Schopenhauer's versucht hat, sich wissenschaftlich vorzufuehren - ein sehr ungluecklicher Versuch! - ist die eigentliche decadence-Bewegung in der Moral, sie ist als solche tief verwandt mit der christlichen Moral. Die starken Zeiten, die vornehmen Culturen sehen im Mitleiden, in der "Naechstenliebe", im Mangel an Selbst und Selbstgefuehl etwas Veraechtliches. - Die Zeiten sind zu messen nach ihren positiven Kraeften - und dabei ergiebt sich jene so verschwenderische und verhaengnissreiche Zeit der Renaissance als die letzte grosse Zeit, und wir, wir Modernen mit unsrer aengstlichen Selbst-Fuersorge und Naechstenliebe, mit unsren Tugenden der Arbeit, der Anspruchslosigkeit, der Rechtlichkeit, der Wissenschaftlichkeit - sammelnd, oekonomisch, machinal - als eine schwache Zeit... Unsre Tugenden sind bedingt, sind herausgefordert durch unsre Schwaeche... Die "Gleichheit", eine gewisse thatsaechliche Anaehnlichung, die sich in der Theorie von "gleichen Rechten" nur zum Ausdruck bringt, gehoert wesentlich zum Niedergang: die Kluft zwischen Mensch und Mensch, Stand und Stand, die Vielheit der Typen, der Wille, selbst zu sein, sich abzuheben, Das, was ich Pathos der Distanz nenne, ist jeder starken Zeit zu eigen. Die Spannkraft, die Spannweite zwischen den Extremen wird heute immer kleiner, - die Extreme selbst verwischen sich endlich bis zur Aehnlichkeit... Alle unsre politischen Theorien und Staats-Verfassungen, das "deutsche Reich" durchaus nicht ausgenommen, sind Folgerungen, Folge-Nothwendigkeiten des Niedergangs; die unbewusste Wirkung der decadence ist bis in die Ideale einzelner Wissenschaften hinein Herr geworden. Mein Einwand gegen die ganze Sociologie in England und Frankreich bleibt, dass sie nur die Verfalls-Gebilde der Societaet aus Erfahrung kennt und vollkommen unschuldig die eigenen Verfalls-Instinkte als Norm des sociologischen Werthurteils nimmt. Das niedergehende Leben, die Abnahme aller organisirenden, das heisst trennenden, Kluefte aufreissenden, unter- und ueberordnenden Kraft formulirt sich in der Sociologie von heute zum Ideal... Unsre Socialisten sind decadents, aber auch Herr Herbert Spencer ist ein decadent, - er sieht im Sieg des Altruismus etwas Wuenschenswerthes!... 38. Mein Begriff von Freiheit. - Der Werth einer Sache liegt mitunter nicht in dem, was man mit ihr erreicht, sondern in dem, was man fuer sie bezahlt, - was sie uns kostet. Ich gebe ein Beispiel. Die liberalen Institutionen hoeren alsbald auf, liberal zu sein, sobald sie erreicht sind: es giebt spaeter keine aergeren und gruendlicheren Schaediger der Freiheit, als liberale Institutionen. Man weiss ja, was sie zu Wege bringen: sie unterminiren den Willen zur Macht, sie sind die zur Moral erhobene Nivellirung von Berg und Tal, sie machen klein, feige und genuesslich, - mit ihnen triumphirt jedesmal das Heerdenthier. Liberalismus: auf deutsch Heerden-Verthierung... Dieselben Institutionen bringen, so lange sie noch erkaempft werden, ganz andere Wirkungen hervor; sie foerdern dann in der That die Freiheit auf eine maechtige Weise. Genauer zugesehn, ist es der Krieg, der diese Wirkungen hervorbringt, der Krieg um liberale Institutionen, der als Krieg die illiberalen Instinkte dauern laesst. Und der Krieg erzieht zur Freiheit. Denn was ist Freiheit! Dass man den Willen zur Selbstverantwortlichkeit hat. Dass man die Distanz, die uns abtrennt, festhaelt. Dass man gegen Muehsal, Haerte, Entbehrung, selbst gegen das Leben gleichgueltiger wird. Dass man bereit ist, seiner Sache Menschen zu opfern, sich selber nicht abgerechnet. Freiheit bedeutet, dass die maennlichen, die kriegs- und siegsfrohen Instinkte die Herrschaft haben ueber andre Instinkte, zum Beispiel ueber die des "Gluecks". Der freigewordne Mensch, um wie viel mehr der freigewordne Geist, tritt mit Fuessen auf die veraechtliche Art von Wohlbefinden, von dem Kraemer, Christen, Kuehe, Weiber, Englaender und andre Demokraten traeumen. Der freie Mensch ist Krieger. - Wonach misst sich die Freiheit, bei Einzelnen, wie bei Voelkern? Nach dem Widerstand, der ueberwunden werden muss, nach der Muehe, die es kostet, oben zu bleiben. Den hoechsten Typus freier Menschen haette man dort zu suchen, wo bestaendig der hoechste Widerstand ueberwunden wird: fuenf Schritt weit von der Tyrannei, dicht an der Schwelle der Gefahr der Knechtschaft. Dies ist psychologisch wahr, wenn man hier unter den "Tyrannen" unerbittliche und furchtbare Instinkte begreift, die das Maximum von Autoritaet und Zucht gegen sich herausfordern - schoenster Typus Julius Caesar -; dies ist auch politisch wahr, man mache nur seinen Gang durch die Geschichte. Die Voelker, die Etwas werth waren, werth wurden, wurden dies nie unter liberalen Institutionen: die grosse Gefahr machte Etwas aus ihnen, das Ehrfurcht verdient, die Gefahr, die uns unsre Huelfsmittel, unsre Tugenden, unsre Wehr und Waffen, unsern Geist erst kennen lehrt, - die uns zwingt, stark zu sein... Erster Grundsatz: man muss es noethig haben, stark zu sein: sonst wird man's nie. - Jene grossen Treibhaeuser fuer starke, fuer die staerkste Art Mensch, die es bisher gegeben hat, die aristokratischen Gemeinwesen in der Art von Rom und Venedig verstanden Freiheit genau in dem Sinne, wie ich das Wort Freiheit verstehe: als Etwas, das man hat und nicht hat, das man will, das man erobert... 39. Kritik der Modernitaet. - Unsre Institutionen taugen nichts mehr: darueber ist man einmuethig. Aber das liegt nicht an ihnen, sondern an uns. Nachdem uns alle Instinkte abhanden gekommen sind, aus denen Institutionen wachsen, kommen uns Institutionen ueberhaupt abhanden, weil wir nicht mehr zu ihnen taugen. Demokratismus war jeder Zeit die Niedergangs-Form der organisirenden Kraft: ich habe schon in "Menschliches, Allzumenschliches" 1, 318 die moderne Demokratie sammt ihren Halbheiten, wie "deutsches Reich", als Verfallsform des Staats gekennzeichnet. Damit es Institutionen giebt, muss es eine Art Wille, Instinkt, Imperativ geben, antiliberal bis zur Bosheit: den Willen zur Tradition, zur Autoritaet, zur Verantwortlichkeit auf Jahrhunderte hinaus, zur Solidaritaet von Geschlechter-Ketten vorwaerts und rueckwaerts in infinitum. Ist dieser Wille da, so gruendet sich Etwas wie das imperium Romanum: oder wie Russland, die einzige Macht, die heute Dauer im Leibe hat, die warten kann, die Etwas noch versprechen kann, - Russland der Gegensatz-Begriff zu der erbaermlichen europaeischen Kleinstaaterei und Nervositaet, die mit der Gruendung des deutschen Reichs in einen kritischen Zustand eingetreten ist... Der ganze Westen hat jene Instinkte nicht mehr, aus denen Institutionen wachsen, aus denen Zukunft waechst: seinem "modernen Geiste" geht vielleicht Nichts so sehr wider den Strich. Man lebt fuer heute, man lebt sehr geschwind, - man lebt sehr unverantwortlich: dies gerade nennt man "Freiheit". Was aus Institutionen Institutionen macht, wird verachtet, gehasst, abgelehnt: man glaubt sich in der Gefahr einer neuen Sklaverei, wo das Wort "Autoritaet" auch nur laut wird. So weit geht die decadence im Werth-Instinkte unsrer Politiker, unsrer politischen Parteien: sie ziehn instinktiv vor, was aufloest, was das Ende beschleunigt... Zeugniss die moderne Ehe. Aus der modernen Ehe ist ersichtlich alle Vernunft abhanden gekommen: das giebt aber keinen Einwand gegen die Ehe ab, sondern gegen die Modernitaet. Die Vernunft der Ehe - sie lag in der juristischen Alleinverantwortlichkeit des Mannes: damit hatte die Ehe Schwergewicht, waehrend sie heute auf beiden Beinen hinkt. Die Vernunft der Ehe - sie lag in ihrer principiellen Unloesbarkeit: damit bekam sie einen Accent, der, dem Zufall von Gefuehl, Leidenschaft und Augenblick gegenueber, sich Gehoer zu schaffen wusste. Sie lag insgleichen in der Verantwortlichkeit der Familien fuer die Auswahl der Gatten. Man hat mit der wachsenden Indulgenz zu Gunsten der Liebes-Heirath geradezu die Grundlage der Ehe, Das, was erst aus ihr eine Institution macht, eliminirt. Man gruendet eine Institution nie und nimmermehr auf eine Idiosynkrasie, man gruendet die Ehe nicht, wie gesagt, auf die "Liebe", - man gruendet sie auf den Geschlechtstrieb, auf den Eigenthumstrieb (Weib und Kind als Eigenthum), auf den Herrschafts-Trieb, der sich bestaendig das kleinste Gebilde der Herrschaft, die Familie, organisirt, der Kinder und Erben braucht, um ein erreichtes Maass von Macht, Einfluss, Reichthum auch physiologisch festzuhalten, um lange Aufgaben, um Instinkt-Solidaritaet zwischen Jahrhunderten vorzubereiten. Die Ehe als Institution begreift bereits die Bejahung der groessten, der dauerhaftesten Organisationsform in sich: wenn die Gesellschaft selbst nicht als Ganzes fuer sich gutsagen kann bis in die fernsten Geschlechter hinaus, so hat die Ehe ueberhaupt keinen Sinn. - Die moderne Ehe verlor ihren Sinn, - folglich schafft man sie ab. - 40. Die Arbeiter-Frage. - Die Dummheit, im Grunde die Instinkt-Entartung, welche heute die Ursache aller Dummheiten ist, liegt darin, dass es eine Arbeiter-Frage giebt. Ueber gewisse Dinge fragt man nicht: erster Imperativ des Instinktes. - Ich sehe durchaus nicht ab, was man mit dem europaeischen Arbeiter machen will, nachdem man erst eine Frage aus ihm gemacht hat. Er befindet sich viel zu gut, um nicht Schritt fuer Schritt mehr zu fragen, unbescheidner zu fragen. Er hat zuletzt die grosse Zahl fuer sich. Die Hoffnung ist vollkommen vorueber, dass hier sich eine bescheidene und selbstgenuegsame Art Mensch, ein Typus Chinese zum Stande herausbilde: und dies haette Vernunft gehabt, dies waere geradezu eine Nothwendigkeit gewesen. Was hat man gethan? - Alles, um auch die Voraussetzung dazu im Keime zu vernichten, - man hat die Instinkte, vermoege deren ein Arbeiter als Stand moeglich, sich selber moeglich wird, durch die unverantwortlichste Gedankenlosigkeit in Grund und Boden zerstoert. Man hat den Arbeiter militaertuechtig gemacht, man hat ihm das Coalitions-Recht, das politische Stimmrecht gegeben: was Wunder, wenn der Arbeiter seine Existenz heute bereits als Nothstand (moralisch ausgedrueckt als Unrecht -) empfindet? Aber was will man? nochmals gefragt. Will man einen Zweck, muss man auch die Mittel wollen: will man Sklaven, so ist man ein Narr, wenn man sie zu Herrn erzieht. - 41. "Freiheit, die ich nicht meine..." In solchen Zeiten, wie heute, seinen Instinkten ueberlassen sein, ist ein Verhaengniss mehr. Diese Instinkte widersprechen, stoeren sich, zerstoeren sich unter einander; ich definirte das Moderne bereits als den physiologischen Selbst-Widerspruch. Die Vernunft der Erziehung wuerde wollen, dass unter einem eisernen Drucke wenigstens Eins dieser Instinkt-Systeme paralysirt wuerde, um einem andren zu erlauben, zu Kraeften zu kommen, stark zu werden, Herr zu werden. Heute muesste man das Individuum erst moeglich machen, indem man dasselbe beschneidet: moeglich, das heisst ganz... Das Umgekehrte geschieht: der Anspruch auf Unabhaengigkeit, auf freie Entwicklung, auf laisser aller wird gerade von Denen am hitzigsten gemacht, fuer die kein Zuegel zu streng waere - dies gilt in politicis, dies gilt in der Kunst. Aber das ist ein Symptom der decadence: unser moderner Begriff "Freiheit" ist ein Beweis von Instinkt-Entartung mehr. - 42. Wo Glaube noth thut. - Nichts ist seltner unter Moralisten und Heiligen als Rechtschaffenheit; vielleicht sagen sie das Gegentheil, vielleicht glauben sie es selbst. Wenn naemlich ein Glaube nuetzlicher, wirkungsvoller, ueberzeugender ist, als die bewusste Heuchelei, so wird, aus Instinkt, die Heuchelei alsbald zur Unschuld: erster Satz zum Verstaendniss grosser Heiliger. Auch bei den Philosophen, einer andren Art von Heiligen, bringt es das ganze Handwerk mit sich, dass sie nur gewisse Wahrheiten zulassen: naemlich solche, auf die hin ihr Handwerk die oeffentliche Sanktion hat, - Kantisch geredet, Wahrheiten der praktischen Vernunft. Sie wissen, was sie beweisen muessen, darin sind sie praktisch, - sie erkennen sich unter einander daran, dass sie ueber "die Wahrheiten" uebereinstimmen. - "Du sollst nicht luegen" - auf deutsch: hueten Sie sich, mein Herr Philosoph, die Wahrheit zu sagen... 43. Den Conservativen in's Ohr gesagt. - Was man frueher nicht wusste, was man heute weiss, wissen koennte -, eine Rueckbildung, eine Umkehr in irgend welchem Sinn und Grade ist gar nicht moeglich. Wir Physiologen wenigstens wissen das. Aber alle Priester und Moralisten haben daran geglaubt, - sie wollten die Menschheit auf ein frueheres Maass von Tugend zurueckbringen, zurueckschrauben. Moral war immer ein Prokrustes-Bett. Selbst die Politiker haben es darin den Tugendpredigern nachgemacht: es giebt auch heute noch Parteien, die als Ziel den Krebsgang aller Dinge traeumen. Aber es steht Niemandem frei, Krebs zu sein. Es hilft nichts: man muss vorwaerts, will sagen Schritt fuer Schritt weiter in der decadence (- dies meine Definition des modernen "Fortschritts"... ). Man kann diese Entwicklung hemmen und, durch Hemmung, die Entartung selber stauen, aufsammeln, vehementer und ploetzlicher machen: mehr kann man nicht. - 44. Mein Begriff vom Genie. - Grosse Maenner sind wie grosse Zeiten Explosiv-Stoffe, in denen eine ungeheure Kraft aufgehaeuft ist; ihre Voraussetzung ist immer, historisch und physiologisch, dass lange auf sie hin gesammelt, gehaeuft, gespart und bewahrt worden ist, - dass lange keine Explosion stattfand. Ist die Spannung in der Masse zu gross geworden, so genuegt der zufaelligste Reiz, das "Genie", die "That", das grosse Schicksal in die Welt zu rufen. Was liegt dann an Umgebung, an Zeitalter, an "Zeitgeist", an "oeffentlicher Meinung"! - Man nehme den Fall Napoleon's. Das Frankreich der Revolution, und noch mehr das der Vorrevolution, wuerde aus sich den entgegengesetzten Typus, als der Napoleon's ist, hervorgebracht haben: es hat ihn auch hervorgebracht. Und weil Napoleon anders war, Erbe einer staerkeren, laengeren, aelteren Civilisation als die, welche in Frankreich in Dampf und Stuecke gieng, wurde er hier Herr, war er allein hier Herr. Die grossen Menschen sind nothwendig, die Zeit, in der sie erscheinen, ist zufaellig; dass sie fast immer ueber dieselbe Herr werden, liegt nur darin, dass sie staerker, dass sie aelter sind, dass laenger auf sie hin gesammelt worden ist. Zwischen einem Genie und seiner Zeit besteht ein Verhaeltniss, wie zwischen stark und schwach, auch wie zwischen alt und jung: die Zeit ist relativ immer viel juenger, duenner, unmuendiger, unsicherer, kindischer. - Dass man hierueber in Frankreich heute sehr anders denkt (in Deutschland auch: aber daran liegt nichts), dass dort die Theorie vom milieu, eine wahre Neurotiker-Theorie, sakrosankt und beinahe wissenschaftlich geworden ist und bis unter die Physiologen Glauben findet, das "riecht nicht gut", das macht Einem traurige Gedanken. - Man versteht es auch in England nicht anders, doch darueber wird sich kein Mensch betrueben. Dem Englaender stehen nur zwei Wege offen, sich mit dem Genie und "grossen Manne" abzufinden: entweder demokratisch in der Art Buckle's oder religioes in der Art Carlyle's. - Die Gefahr, die in grossen Menschen und Zeiten liegt, ist ausser ordentlich; die Erschoepfung jeder Art, die Sterilitaet folgt ihnen auf dem Fusse. Der grosse Mensch ist ein Ende; die grosse Zeit, die Renaissance zum Beispiel, ist ein Ende. Das Genie - in Werk, in That - ist nothwendig ein Verschwender: dass es sich ausgiebt, ist seine Groesse... Der Instinkt der Selbsterhaltung ist gleichsam ausgehaengt; der uebergewaltige Druck der ausstroemenden Kraefte verbietet ihm jede solche Obhut und Vorsicht. Man nennt das "Aufopferung"; man ruehmt seinen "Heroismus" darin, seine Gleichgueltigkeit gegen das eigne Wohl, seine Hingebung fuer eine Idee, eine grosse Sache, ein Vaterland: Alles Missverstaendnisse... Er stroemt aus, er stroemt ueber, er verbraucht sich, er schont sich nicht, - mit Fatalitaet, verhaengnissvoll, unfreiwillig, wie das Ausbrechen eines Flusses ueber seine Ufer unfreiwillig ist. Aber weil man solchen Explosiven viel verdankt, hat man ihnen auch viel dagegen geschenkt, zum Beispiel eine Art hoeherer Moral... Das ist ja die Art der menschlichen Dankbarkeit: sie missversteht ihre Wohlthaeter.- 45. Der Verbrecher und was ihm verwandt ist. - Der Verbrecher-Typus, das ist der Typus des starken Menschen unter unguenstigen Bedingungen, ein krank gemachter starker Mensch. Ihm fehlt die Wildniss, eine gewisse freiere und gefaehrlichere Natur und Daseinsform, in der Alles, was Waffe und Wehr im Instinkt des starken Menschen ist, zu Recht besteht. Seine Tugenden sind von der Gesellschaft in Bann gethan; seine lebhaftesten Triebe, die er mitgebracht hat, verwachsen alsbald mit den niederdrueckenden Affekten, mit dem Verdacht, der Furcht, der Unehre. Aber dies ist beinahe das Recept zur physiologischen Entartung. Wer Das, was er am besten kann, am liebsten thaete, heimlich thun muss, mit langer Spannung, Vorsicht, Schlauheit, wird anaemisch; und weil er immer nur Gefahr, Verfolgung, Verhaengniss von seinen Instinkten her erntet, verkehrt sich auch sein Gefuehl gegen diese Instinkte - er fuehlt sie fatalistisch. Die Gesellschaft ist es, unsre zahme, mittelmaessige, verschnittene Gesellschaft, in der ein naturwuechsiger Mensch, der vom Gebirge her oder aus den Abenteuern des Meeres kommt, nothwendig zum Verbrecher entartet. Oder beinahe nothwendig: denn es giebt Faelle, wo ein solcher Mensch sich staerker erweist als die Gesellschaft: der Corse Napoleon ist der beruehmteste Fall. Fuer das Problem, das hier vorliegt, ist das Zeugniss Dostoiewsky's von Belang - Dostoiewsky's, des einzigen Psychologen, anbei gesagt, von dem ich Etwas zu lernen hatte: er gehoert zu den schoensten Gluecksfaellen meines Lebens, mehr selbst noch als die Entdeckung Stendhal's. Dieser tiefe Mensch, der zehn Mal Recht hatte, die oberflaechlichen Deutschen gering zu schaetzen, hat die sibirischen Zuchthaeusler, in deren Mitte er lange lebte, lauter schwere Verbrecher, fuer die es keinen Rueckweg zur Gesellschaft mehr gab, sehr anders empfunden als er selbst erwartete - ungefaehr als aus dem besten, haertesten und werthvollsten Holze geschnitzt, das auf russischer Erde ueberhaupt waechst. Verallgemeinern wir den Fall des Verbrechers: denken wir uns Naturen, denen, aus irgend einem Grunde, die oeffentliche Zustimmung fehlt, die wissen, dass sie nicht als wohlthaetig, als nuetzlich empfunden werden, - jenes Tschandala-Gefuehl, dass man nicht als gleich gilt, sondern als ausgestossen, unwuerdig, verunreinigend. Alle solche Naturen haben die Farbe des Unterirdischen auf Gedanken und Handlungen; an ihnen wird Jegliches bleicher als an Solchen, auf deren Dasein das Tageslicht ruht. Aber fast alle Existenzformen, die wir heute auszeichnen, haben ehemals unter dieser halben Grabesluft gelebt: der wissenschaftliche Charakter, der Artist, das Genie, der freie Geist, der Schauspieler, der Kaufmann, der grosse Entdecker... So lange der Priester als oberster Typus galt, war jede werthvolle Art Mensch entwerthet... Die Zeit kommt - ich verspreche das - wo er als der niedrigste gelten wird, als unser Tschandala, als die verlogenste, als die unanstaendigste Art Mensch... Ich richte die Aufmerksamkeit darauf, wie noch jetzt, unter dem mildesten Regiment der Sitte, das je auf Erden, zum Mindesten in Europa, geherrscht hat, jede Abseitigkeit, jedes lange, allzulange Unterhalb, jede ungewoehnliche, undurchsichtige Daseinsform jenem Typus nahe bringt, den der Verbrecher vollendet. Alle Neuerer des Geistes haben eine Zeit das fahle und fatalistische Zeichen des Tschandala auf der Stirn: nicht, weil sie so empfunden wuerden, sondern weil sie selbst die furchtbare Kluft fuehlen, die sie von allem Herkoemmlichen und in Ehren Stehenden trennt. Fast jedes Genie kennt als eine seiner Entwicklungen die "catilinarische Existenz", ein Hass-, Rache- und Aufstands-Gefuehl gegen Alles, was schon ist, was nicht mehr wird... Catilina - die Praeexistenz-Form jedes Caesar. - 46. Hier ist die Aussicht frei. - Es kann Hoehe der Seele sein, wenn ein Philosoph schweigt; es kann Liebe sein, wenn er sich widerspricht; es ist eine Hoeflichkeit des Erkennenden moeglich, welche luegt. Man hat nicht ohne Feinheit gesagt: il est indigne des grands coeurs de repandre le trouble, qu'ils ressentent: nur muss man hinzufuegen, dass vor dem Unwuerdigsten sich nicht zu fuerchten ebenfalls Groesse der Seele sein kann. Ein Weib, das liebt, opfert seine Ehre; ein Erkennender, welcher "liebt", opfert vielleicht seine Menschlichkeit; ein Gott, welcher liebte, ward Jude... 47. Die Schoenheit kein Zufall. - Auch die Schoenheit einer Rasse oder Familie, ihre Anmuth und Guete in allen Gebaerden wird erarbeitet: sie ist, gleich dem Genie, das Schlussergebniss der accumulirten Arbeit von Geschlechtern. Man muss dem guten Geschmacke grosse Opfer gebracht haben, man muss um seinetwillen Vieles gethan, Vieles gelassen haben - das siebzehnte Jahrhundert Frankreichs ist bewunderungswuerdig in Beidem -, man muss in ihm ein Princip der Wahl, fuer Gesellschaft, Ort, Kleidung, Geschlechtsbefriedigung gehabt haben, man muss Schoenheit dem Vortheil, der Gewohnheit, der Meinung, der Traegheit vorgezogen haben. Oberste Richtschnur: man muss sich auch vor sich selber nicht "gehen lassen". - Die guten Dinge sind ueber die Maassen kostspielig: und immer gilt das Gesetz, dass wer sie hat, ein Andrer ist, als wer sie erwirbt. Alles Gute ist Erbschaft: was nicht ererbt ist, ist unvollkommen, ist Anfang... In Athen waren zur Zeit Cicero's, der darueber seine Ueberraschung ausdrueckt, die Maenner und Juenglinge bei weitem den Frauen an Schoenheit ueberlegen: aber welche Arbeit und Anstrengung im Dienste der Schoenheit hatte daselbst das maennliche Geschlecht seit Jahrhunderten von sich verlangt! - Man soll sich naemlich ueber die Methodik hier nicht vergreifen: eine blosse Zucht von Gefuehlen und Gedanken ist beinahe Null (- hier liegt das grosse Missverstaendniss der deutschen Bildung, die ganz illusorisch ist): man muss den Leib zuerst ueberreden. Die strenge Aufrechterhaltung bedeutender und gewaehlter Gebaerden, eine Verbindlichkeit, nur mit Menschen zu leben, die sich nicht "gehen lassen", genuegt vollkommen, um bedeutend und gewaehlt zu werden: in zwei, drei Geschlechtern ist bereits Alles verinnerlicht. Es ist entscheidend ueber das Loos von Volk und Menschheit, dass man die Cultur an der rechten Stelle beginnt - nicht an der "Seele" (wie es der verhaengnissvolle Aberglaube der Priester und Halb-Priester war): die rechte Stelle ist der Leib, die Gebaerde, die Diaet, die Physiologie, der Rest folgt daraus... Die Griechen bleiben deshalb das erste Cultur-Ereigniss der Geschichte - sie wussten, sie thaten, was Noth that; das Christenthum, das den Leib verachtete, war bisher das groesste Unglueck der Menschheit. - 48. Fortschritt in meinem Sinne. - Auch ich rede von "Rueckkehr zur Natur", obwohl es eigentlich nicht ein Zurueckgehn, sondern ein Hinaufkommen ist - hinauf in die hohe, freie, selbst furchtbare Natur und Natuerlichkeit, eine solche, die mit grossen Aufgaben spielt, spielen darf .. Um es im Gleichniss zu sagen: Napoleon war ein Stueck "Rueckkehr zur Natur", so wie ich sie verstehe (zum Beispiel in rebus tacticis, noch mehr, wie die Militaers wissen, im Strategischen). - Aber Rousseau - wohin wollte der eigentlich zurueck? Rousseau, dieser erste moderne Mensch, Idealist und canaille in Einer Person; der die moralische "Wuerde" noethig hatte, um seinen eignen Aspekt auszuhalten; krank vor zuegelloser Eitelkeit und zuegelloser Selbstverachtung. Auch diese Missgeburt, welche sich an die Schwelle der neuen Zeit gelagert hat, wollte "Rueckkehr zur Natur" - wohin, nochmals gefragt, wollte Rousseau zurueck? - Ich hasse Rousseau noch in der Revolution: sie ist der welthistorische Ausdruck fuer diese Doppelheit von Idealist und canaille. Die blutige farce, mit der sich diese Revolution abspielte, ihre "Immoralitaet", geht mich wenig an: was ich hasse, ist ihre Rousseau'sche Moralitaet - die sogenannten "Wahrheiten" der Revolution, mit denen sie immer noch wirkt und alles Flache und Mittelmaessige zu sich ueberredet. Die Lehre von der Gleichheit!... Aber es giebt gar kein giftigeres Gift: denn sie scheint von der Gerechtigkeit selbst gepredigt, waehrend sie das Ende der Gerechtigkeit ist... "Den Gleichen Gleiches, den Ungleichen Ungleiches - das waere die wahre Rede der Gerechtigkeit: und, was daraus folgt, Ungleiches niemals gleich machen." - Dass es um jene Lehre von der Gleichheit herum so schauerlich und blutig zu gieng, hat dieser "modernen Idee" par excellence eine Art Glorie und Feuerschein gegeben, so dass die Revolution als Schauspiel auch die edelsten Geister verfuehrt hat. Das ist zuletzt kein Grund, sie mehr zu achten. - Ich sehe nur Einen, der sie empfand, wie sie empfunden werden muss, mit Ekel - Goethe... 49. Goethe - kein deutsches Ereigniss, sondern ein europaeisches: ein grossartiger Versuch, das achtzehnte Jahrhundert zu ueberwinden durch eine Rueckkehr zur Natur, durch ein Hinaufkommen zur Natuerlichkeit der Renaissance, eine Art Selbstueberwindung von Seiten dieses Jahrhunderts. - Er trug dessen staerkste Instinkte in sich: die Gefuehlsamkeit, die Natur-Idolatrie, das Antihistorische, das Idealistische, das Unreale und Revolutionaere (- letzteres ist nur eine Form des Unrealen). Er nahm die Historie, die Naturwissenschaft, die Antike, insgleichen Spinoza zu Huelfe, vor Allem die praktische Thaetigkeit; er umstellte sich mit lauter geschlossenen Horizonten; er loeste sich nicht vom Leben ab, er stellte sich hinein; er war nicht verzagt und nahm so viel als moeglich auf sich, ueber sich, in sich. Was er Wollte, das war Totalitaet; er bekaempfte das Auseinander von Vernunft, Sinnlichkeit, Gefuehl, Wille (- in abschreckendster Scholastik durch Kant gepredigt, den Antipoden Goethe's), er disciplinirte sich zur Ganzheit, er schuf sich... Goethe war, inmitten eines unreal gesinnten Zeitalters, ein ueberzeugter Realist: er sagte ja zu Allem, was ihm hierin verwandt war, - er hatte kein groesseres Erlebniss als jenes ens realissimum, genannt Napoleon. Goethe concipirte einen starken, hochgebildeten, in aller Leiblichkeiten geschickten, sich selbst im Zaume habenden, vor sich selber ehrfuerchtigen Menschen, der sich den ganzen Umfang und Reichthum der Natuerlichkeit zu goennen wagen darf, der stark genug zu dieser Freiheit ist; den Menschen der Toleranz, nicht aus Schwaeche, sondern aus Staerke, weil er Das, woran die durchschnittliche Natur zu Grunde gehn wuerde, noch zu seinem Vortheile zu brauchen weiss; den Menschen, fuer den es nichts Verbotenes mehr giebt, es sei denn die Schwaeche, heisse sie nun Laster oder Tugend... Ein solcher freigewordner Geist steht mit einem freudigen und vertrauenden Fatalismus mitten im All, im Glauben, dass nur das Einzelne verwerflich ist, dass im Ganzen sich Alles erloest und bejaht - er verneint nicht mehr... Aber ein solcher Glaube ist der hoechste aller moeglichen Glauben: ich habe ihn auf den Namen des Dionysos getauft. - 50. Man koennte sagen, dass in gewissem Sinne das neunzehnte Jahrhundert Das alles auch erstrebt hat, was Goethe als Person erstrebte: eine Universalitaet im Verstehn, im Gutheissen, ein Ansich-heran-kommen-lassen von Jedwedem, einen verwegnen Realismus, eine Ehrfurcht vor allem Thatsaechlichen. Wie kommt es, dass das Gesammt-Ergebniss kein Goethe, sondern ein Chaos ist, ein nihilistisches Seufzen, ein Nicht-wissen-wo-aus-noch-ein, ein Instinkt von Ermuedung, der in praxi fortwaehrend dazu treibt, zum achtzehnten Jahrhundert zurueckzugreifen? (- zum Beispiel als Gefuehls-Romantik, als Altruismus und Hyper-Sentimentalitaet, als Femininismus im Geschmack, als Socialismus in der Politik.) Ist nicht das neunzehnte Jahrhundert, zumal in seinem Ausgange, bloss ein verstaerktes verrohtes achtzehntes Jahrhundert, das heisst ein decadence-Jahrhundert? So dass Goethe nicht bloss fuer Deutschland, sondern fuer ganz Europa bloss ein Zwischenfall, ein schoenes Umsonst gewesen waere? - Aber man missversteht grosse Menschen, wenn man sie aus der armseligen Perspektive eines oeffentlichen Nutzens ansieht. Dass man keinen Nutzen aus ihnen zu ziehn weiss, das gehoert selbst vielleicht zur Groesse... 51. Goethe ist der letzte Deutsche, vor dem ich Ehrfurcht habe: er haette drei Dinge empfunden, die ich empfinde, - auch verstehen wir uns ueber das "Kreuz"... Man fragt mich oefter, wozu ich eigentlich deutsch schriebe: nirgendswo wuerde ich schlechter gelesen, als im Vaterlande. Aber wer weiss zuletzt, ob ich auch nur wuensche, heute gelesen zu werden? - Dinge schaffen, an denen umsonst die Zeit ihre Zaehne versucht; der Form nach, der Substanz nach um eine kleine Unsterblichkeit bemueht sein - ich war noch nie bescheiden genug, weniger von mir zu verlangen. Der Aphorismus, die Sentenz, in denen ich als der Erste unter Deutschen Meister bin, sind die Formen der "Ewigkeit"; mein Ehrgeiz ist, in zehn Saetzen zu sagen, was jeder Andre in einem Buche sagt, - was jeder Andre in einem Buche nicht sagt... Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben, das sie besitzt, meinen Zarathustra: ich gebe ihr ueber kurzem das unabhaengigste. - Was ich den Alten verdanke. 1. Zum Schluss ein Wort ueber jene Welt, zu der ich Zugaenge gesucht, zu der ich vielleicht einen neuen Zugang gefunden habe - die alte Welt. Mein Geschmack, der der Gegensatz eines duldsamen Geschmacks sein mag, ist auch hier fern davon, in Bausch und Bogen ja zu sagen: er sagt ueberhaupt nicht gern ja, lieber noch Nein, am allerliebsten gar nichts... Das gilt von ganzen Culturen, das gilt von Buechern, - es gilt auch von Orten und Landschaften. Im Grunde ist es eine ganz kleine Anzahl antiker Buecher, die in meinem Leben mitzaehlen; die beruehmtesten sind nicht darunter. Mein Sinn fuer Stil, fuer das Epigramm als Stil erwachte fast augenblicklich bei der Beruehrung mit Sallust. Ich habe das Erstaunen meines verehrten Lehrers Corssen nicht vergessen, als er seinem schlechtesten Lateiner die allererste Censur geben musste -, ich war mit Einem Schlage fertig. Gedraengt, streng, mit so viel Substanz als moeglich auf dem Grunde, eine kalte Bosheit gegen das "schoene Wort", auch das "schoene Gefuehl" - daran errieth ich mich. Man wird, bis in meinen Zarathustra hinein, eine sehr ernsthafte Ambition nach roemischem Stil, nach dem "aere perennius" im Stil bei mir wiedererkennen. - Nicht anders ergieng es mir bei der ersten Beruehrung mit Horaz. Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzuecken gehabt, das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und ueber das Ganze hin seine Kraft ausstroemt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen - das Alles ist roemisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par excellence. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populaeres, - eine blosse Gefuehls-Geschwaetzigkeit... 2. Den Griechen verdanke ich durchaus keine verwandt starken Eindruecke; und, um es geradezu herauszusagen, sie koennen uns nicht sein, was die Roemer sind. Man lernt nicht von den Griechen - ihre Art ist zu fremd, sie ist auch zu fluessig, um imperativisch, um "klassisch" zu wirken. Wer haette je an einem Griechen schreiben gelernt! Wer haette es je ohne die Roemer gelernt!... Man wende mir ja nicht Plato ein. Im Verhaeltniss zu Plato bin ich ein gruendlicher Skeptiker und war stets ausser Stande, in die Bewunderung des Artisten Plato, die unter Gelehrten herkoemmlich ist, einzustimmen. Zuletzt habe ich hier die raffinirtesten Geschmacksrichter unter den Alten selbst auf meiner Seite. Plato wirft, wie mir scheint, alle Formen des Stils durcheinander, er ist damit ein erster decadent des Stils: er hat etwas Aehnliches auf dem Gewissen, wie die Cyniker, die die satura Menippea erfanden. Dass der Platonische Dialog, diese entsetzlich selbstgefaellige und kindliche Art Dialektik, als Reiz wirken koenne, dazu muss man nie gute Franzosen gelesen haben, - Fontenelle zum Beispiel. Plato ist langweilig. - Zuletzt geht mein Misstrauen bei Plato in die Tiefe: ich finde ihn so abgeirrt von allen Grundinstinkten der Hellenen, so vermoralisirt, so praeexistent-christlich - er hat bereits den Begriff "gut" als obersten Begriff -, dass ich von dem ganzen Phaenomen Plato eher das harte Wort "hoeherer Schwindel" oder, wenn man's lieber hoert, Idealismus - als irgend ein andres gebrauchen moechte. Man hat theuer dafuer bezahlt, dass dieser Athener bei den Aegyptern in die Schule gieng (- oder bei den Juden in Agypten?...) Im grossen Verhaengniss des Christenthums ist Plato jene "Ideal" genannte Zweideutigkeit und Fascination, die den edleren Naturen des Alterthums es moeglich machte, sich selbst misszuverstehn und die Bruecke zu betreten, die zum "Kreuz" fuehrte... Und wie viel Plato ist noch im Begriff "Kirche", in Bau, System, Praxis der Kirche! - Meine Erholung, meine Vorliebe, meine Kur von allem Platonismus war zu jeder Zeit Thukydides. Thukydides und, vielleicht, der principe Machiavell's sind mir selber am meisten verwandt durch den unbedingten Willen, sich Nichts vorzumachen und die Vernunft in der Realitaet zu sehn, - nicht in der "Vernunft", noch weniger in der "Moral"... Von der jaemmerlichen Schoenfaerberei der Griechen in's Ideal, die der "klassisch gebildete" Juengling als Lohn fuer seine Gymnasial-Dressur in's Leben davontraegt, kurirt Nichts so gruendlich als Thukydides. Man muss ihn Zeile fuer Zeile umwenden und seine Hintergedanken so deutlich ablesen wie seine Worte: es giebt wenige so hintergedankenreiche Denker. In ihm kommt die Sophisten-Cultur, will sagen die Realisten-Cultur, zu ihrem vollendeten Ausdruck: diese unschaetzbare Bewegung inmitten des eben allerwaerts losbrechenden Moral- und Ideal-Schwindels der sokratischen Schulen. Die griechische Philosophie als die decadence des griechischen Instinkts; Thukydides als die grosse Summe, die letzte Offenbarung jener starken, strengen, harten Thatsaechlichkeit, die dem aelteren Hellenen im Instinkte lag. Der Muth vor der Realitaet unterscheidet zuletzt solche Naturen wie Thukydides und Plato: Plato ist ein Feigling vor der Realitaet, - folglich fluechtet er in's Ideal; Thukydides hat sich in der Gewalt, folglich behaelt er auch die Dinge in der Gewalt... 3. In den Griechen "schoene Seelen", "goldene Mitten" und andre Vollkommenheiten auszuwittern, etwa an ihnen die Ruhe in der Groesse, die ideale Gesinnung, die hohe Einfalt bewundern - vor dieser "hohen Einfalt", einer niaiserie allemande zu guterletzt, war ich durch den Psychologen behuetet, den ich in mir trug. Ich sah ihren staerksten Instinkt, den Willen zur Macht, ich sah sie zittern vor der unbaendigen Gewalt dieses Triebs, - ich sah alle ihre Institutionen wachsen aus Schutzmaassregeln, um sich vor einander gegen ihren inwendigen Explosivstoff sicher zu stellen. Die ungeheure Spannung im Innern entlud sich dann in furchtbarer und ruecksichtsloser Feindschaft nach Aussen: die Stadtgemeinden zerfleischten sich unter einander, damit die Stadtbuerger jeder einzelnen vor sich selber Ruhe faenden. Man hatte es noethig, stark zu sein: die Gefahr war in der Naehe -, sie lauerte ueberall. Die prachtvoll geschmeidige Leiblichkeit, der verwegene Realismus und Immoralismus, der dem Hellenen eignet, ist eine Noth, nicht eine "Natur" gewesen. Er folgte erst, er war nicht von Anfang an da. Und mit Festen und Kuensten wollte man auch nichts Andres als sich obenauf fuehlen, sich obenauf zeigen: es sind Mittel, sich selber zu verherrlichen, unter Umstaenden vor sich Furcht zu machen... Die Griechen auf deutsche Manier nach ihren Philosophen beurtheilen, etwa die Biedermaennerei der sokratischen Schulen zu Aufschluessen darueber benutzen, was im Grunde hellenisch sei!... Die Philosophen sind ja die decadents des Griechenthums, die Gegenbewegung gegen den alten, den vornehmen Geschmack (- gegen den agonalen Instinkt, gegen die Polis, gegen den Werth der Rasse, gegen die Autoritaet des Herkommens). Die sokratischen Tugenden wurden gepredigt, weil sie den Griechen abhanden gekommen waren: reizbar, furchtsam, unbestaendig, Komoedianten allesammt, hatten sie ein paar Gruende zu viel, sich Moral predigen zu lassen. Nicht, dass es Etwas geholfen haette: aber grosse Worte und Attitueden stehen decadents so gut... 4. Ich war der erste, der, zum Verstaendniss des aelteren, des noch reichen und selbst ueberstroemenden hellenischen Instinkts, jenes wundervolle Phaenomen ernst nahm, das den Namen des Dionysos traegt: es ist einzig erklaerbar aus einem Zuviel von Kraft. Wer den Griechen nachgeht, wie jener tiefste Kenner ihrer Cultur, der heute lebt, wie Jakob Burckhardt in Basel, der wusste sofort, dass damit Etwas gethan sei: Burckhardt fuegte seiner "Cultur der Griechen" einen eignen Abschnitt ueber das genannte Phaenomen ein. Will man den Gegensatz, so sehe man die beinahe erheiternde Instinkt-Armuth der deutschen Philologen, wenn sie in die Naehe des Dionysischen kommen. Der beruehmte Lobeck zumal, der mit der ehrwuerdigen Sicherheit eines zwischen Buechern ausgetrockneten Wurms in diese Welt geheimnissvoller Zustaende hineinkroch und sich ueberredete, damit wissenschaftlich zu sein, dass er bis zum Ekel leichtfertig und kindisch war, - Lobeck hat mit allem Aufwande von Gelehrsamkeit zu verstehn gegeben, eigentlich habe es mit allen diesen Curiositaeten Nichts auf sich. In der That moechten die Priester den Theilhabern an solchen Orgien einiges nicht Werthlose mitgetheilt haben, zum Beispiel, dass der Wein zur Lust anrege, dass der Mensch unter Umstaenden von Fruechten lebe, dass die Pflanzen im Fruehjahr aufbluehn, im Herbst verwelken. Was jenen so befremdlichen Reichthum an Riten, Symbolen und Mythen orgiastischen Ursprungs angeht, von dem die antike Welt ganz woertlich ueberwuchert ist, so findet Lobeck an ihm einen Anlass, noch um einen Grad geistreicher zu werden. "Die Griechen, sagt er Aglaophamus I, 672, hatten sie nichts Anderes zu thun, so lachten, sprangen, rasten sie umher, oder, da der Mensch mitunter auch dazu Lust hat, so sassen sie nieder, weinten und jammerten. Andere kamen dann spaeter hinzu und suchten doch irgend einen Grund fuer das auffallende Wesen; und so entstanden zur Erklaerung jener Gebraeuche jene zahllosen Festsagen und Mythen. Auf der andren Seite glaubte man, jenes possirliche Treiben, welches nun einmal an den Festtagen stattfand, gehoere auch nothwendig zur Festfeier, und hielt es als einen unentbehrlichen Theil des Gottesdienstes fest." - Das ist veraechtliches Geschwaetz, man wird einen Lobeck nicht einen Augenblick ernst nehmen. Ganz anders beruehrt es uns, wenn wir den Begriff "griechisch" pruefen, den Winckelmann und Goethe sich gebildet haben, und ihn unvertraeglich mit jenem Elemente finden, aus dem die dionysische Kunst waechst, - mit dem Orgiasmus. Ich zweifle in der That nicht daran, dass Goethe etwas Derartiges grundsaetzlich aus den Moeglichkeiten der griechischen Seele ausgeschlossen haette. Folglich verstand Goethe die Griechen nicht. Denn erst in den dionysischen Mysterien, in der Psychologie des dionysischen Zustands spricht sich die Grundthatsache des hellenischen Instinkts aus - sein "Wille zum Leben". Was verbuergte sich der Hellene mit diesen Mysterien? Das ewige Leben, die ewige Wiederkehr des Lebens; die Zukunft in der Vergangenheit verheissen und geweiht; das triumphirende Ja zum Leben ueber Tod und Wandel hinaus; das wahre Leben als das Gesammt-Fortleben durch die Zeugung, durch die Mysterien der Geschlechtlichkeit. Den Griechen war deshalb das geschlechtliche Symbol das ehrwuerdige Symbol an sich, der eigentliche Tiefsinn innerhalb der ganzen antiken Froemmigkeit. Alles Einzelne im Akte der Zeugung, der Schwangerschaft, der Geburt erweckte die hoechsten und feierlichsten Gefuehle. In der Mysterienlehre ist der Schmerz heilig gesprochen: die "Wehen der Gebaererin" heiligen den Schmerz ueberhaupt, - alles Werden und Wachsen, alles Zukunft-Verbuergende bedingt den Schmerz... Damit es die Lust des Schaffens giebt, damit der Wille zum Leben sich ewig selbst bejaht, muss es auch ewig die "Qual der Gebaererin" geben... Dies Alles bedeutet das Wort Dionysos: ich kenne keine hoehere Symbolik als diese griechische Symbolik, die der Dionysien. In ihr ist der tiefste Instinkt des Lebens, der zur Zukunft des Lebens, zur Ewigkeit des Lebens, religioes empfunden, - der Weg selbst zum Leben, die Zeugung, als der heilige Weg... Erst das Christenthum, mit seinem Ressentiment gegen das Leben auf dem Grunde, hat aus der Geschlechtlichkeit etwas Unreines gemacht: es warf Koth auf den Anfang, auf die Voraussetzung unseres Lebens... 5. Die Psychologie des Orgiasmus als eines ueberstroemenden Lebens- und Kraftgefuehls, innerhalb dessen selbst der Schmerz noch als Stimulans wirkt, gab mir den Schluessel zum Begriff des tragischen Gefuehls, das sowohl von Aristoteles als in Sonderheit von unsern Pessimisten missverstanden worden ist. Die Tragoedie ist so fern davon, Etwas fuer den Pessimismus der Hellenen im Sinne Schopenhauer's zu beweisen, dass sie vielmehr als dessen entscheidende Ablehnung und Gegen-Instanz zu gelten hat. Das ja sagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten und haertesten Problemen; der Wille zum Leben, im Opfer seiner hoechsten Typen der eignen Unerschoepflichkeit frohwerdend - das nannte ich dionysisch, das errieth ich als die Bruecke zur Psychologie des tragischen Dichters. Nicht um von Schrecken und Mitleiden loszukommen, nicht um sich von einem gefaehrlichen Affekt durch dessen vehemente Entladung zu reinigen - so verstand es Aristoteles -: sondern um, ueber Schrecken und Mitleid hinaus, die ewige Lust des Werdens selbst zu sein, - jene Lust, die auch noch die Lust am Vernichten in sich schliesst... Und damit beruehre ich wieder die Stelle, von der ich einstmals ausgieng - die "Geburt der Tragoedie" war meine erste Umwerthung aller Werthe: damit stelle ich mich wieder auf den Boden zurueck, aus dem mein Wollen, mein Koennen waechst - ich, der letzte Juenger des Philosophen Dionysos, - ich, der Lehrer der ewigen Wiederkunft... Der Hammer redet. Also sprach Zarathustra - 3, 90. "Warum so hart! - sprach zum Diamanten einst die Kuechen-Kohle: sind wir denn nicht Nah-Verwandte?" Warum so weich? Oh meine Brueder, also frage ich euch: seid ihr denn nicht - meine Brueder? Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel Leugnung, Verleugnung in eurem Herzen? so wenig Schicksal in eurem Blicke? Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie koenntet ihr einst mit mir - siegen? Und wenn eure Haerte nicht blitzen und schneiden und zerschneiden will: wie koenntet ihr einst mit mir - schaffen? Alle Schaffenden naemlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch duenken, eure Hand auf Jahrtausende zu druecken wie auf Wachs, - - Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf Erz, - haerter als Erz, edler als Erz. Ganz hart allein ist das Edelste. Diese neue Tafel, oh meine Brueder, stelle ich ueber euch: werdet hart! - - *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, GOTZEN-DAMMERUNG *** This file should be named 7gtzn10.txt or 7gtzn10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7gtzn11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7gtzn10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. 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