The Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes by Johann Peter Hebel Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 8-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen Johann Peter Hebel Inhalt Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht Baumzucht Bequeme Schiffahrt, wer's dafuer halten will Blutbad in Neuburg am Rhein Boeser Markt Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813 Brennende Menschen Brotlose Kunst Dankbarkeit Das Bettlerkind Das Blendwerk Das Bombardement von Kopenhagen Das Branntweinglaeslein Das fremde Kind Das letzte Wort Das Mittagessen im Hof Das schlaue Maedchen Das seltsame Rezept Das Vivat der Koenigin Das wohlbezahlte Gespenst Das wohlfeile Mittagessen Denkwuerdigkeiten aus dem Morgenlande Der Barbierjunge von Segringen Der betrogene Kraemer Der Bock Der falsche Edelstein Der fechtende Handwerksbursche in Anklam Der fremde Herr Der Fremdling in Memel Der fromme Rat Der Furtwanger in Philippsburg Der geduldige Mann Der geheilte Patient Der geheilte Patient Der Generalfeldmarschall Suwarow Der geschlossene Magen Der grosse Sanhedrin zu Paris Der grosse Schwimmer Der Handschuhhaendler Der Heiner und der Brassenheimer Mueller Der Herr Graf Der Herr Wunderlich Der Husar in Neisse Der kann Deutsch Der kluge Richter Der kluge Sultan Der Kommandant und die badischen Jaeger in Hersfeld Der Lehrjunge Der listige Kaufherr Der listige Quaeker Der listige Steiermarker Der Prozess ohne Gesetz Der Rekrut Der Rekrut Der schlaue Husar Der schlaue Mann Der schlaue Pilgrim Der Schneider in Pensa Der Schneider in Pensa Der schwarze Mann in der weissen Wolke Der sicherste Weg Der silberne Loeffel Der sinnreiche Bettler Der Star von Segringen Der Talhauser Galgen Der unschuldig Gehenkte Der Vater und der Sohn Der verachtete Rat Der verwegene Hofnarr Der vorsichtige Traeumer Der Wassertraeger Der Wegweiser Der Wettermacher Der wohlbezahlte Spassvogel Der Wolkenbruch in Tuerkheim Der Zahnarzt Der Zirkelschmied Des Dieben Antwort Des Seilers Antwort Die Bekehrung Die Besatzung von Oggersheim Die drei Diebe Die falsche Schaetzung Die gute Mutter Die lachenden Jungfrauen Die leichteste Todesstrafe Die nasse Schlittenfahrt Die Ohrfeige Die Ohrfeige Die Probe Die Raben Die Schlafkameraden Die Schmachschrift Die Tabaksdose Die Wachtel Die Wachtel Die Weizenbluete Die zwei Postillione Drei Worte Drei Wuensche Drei Wuensche Ein gutes Rezept Ein Hausmittel Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler Ein Wort gibt das andere Eine merkwuerdige Abbitte Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte Eine sonderbare Wirtszeche Einer Edelfrau schlaflose Nacht Einer oder der andere Einfaeltiger Mensch in Mailand Eintraeglicher Raetselhandel Erinnerung an die Kriegszeit Etwas aus der Tuerkei Farbenspiel Franz Ignaz Narocki Franziska Geschwinde Reise Gleiches mit Gleichem Glueck im Unglueck Glueck im Unglueck gluecklich ueber die Grenzen kam Gute Antwort Gute Geduld Gutes Wort, boese Tat Heimliche Enthauptung Herr Charles (Eine wahre Geschichte) Hilfe in der Not Hochzeit auf der Schildwache Ist der Mensch ein wunderliches Geschoepf Jakob Humbel Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne Kannitverstan Kindesdank und Undank Koenig Friedrich und sein Nachbar Koenig Friedrichs Leibhusar Lange Kriegsfuhr List gegen List Mancherlei gute Lehren 1 Mancherlei gute Lehren 2 Mancherlei gute Lehren 3 Mancherlei gute Lehren 4 Mancherlei gute Lehren 5 Mancherlei gute Lehren 6 Mancherlei gute Lehren 7 Mancherlei gute Lehren 8 Mancherlei gute Lehren 9 Mancherlei gute Lehren 10 Mancherlei gute Lehren 11 Mancherlei gute Lehren 12 Merkwuerdige Gespenstergeschichte Merkwuerdige Schicksale eines jungen Englaenders Merkwuerdiges Rechnungsexempel 5 Merkwuerdiges Rechnungsexempel 6 Missverstand Missverstand Mittel gegen Zank und Schlaege Mohammed Moses Mendelssohn Pieve Reise nach Frankfurt Rettung einer Offiziersfrau Rettung vom Hochgericht Schlechter Gewinn Schlechter Lohn Schreckliche Ungluecksfaelle in der Schweiz Seinesgleichen Seltene Liebe Seltsame Ehescheidung Seltsamer Spazierritt Streich spielen Suwarow Teure Eier Teures Spaesslein Tod vor Schrecken Unglueck der Stadt Leiden Unglueck in Kopenhagen Untreue schlaegt den eigenen Herrn Unverhofftes Wiedersehen Unverhofftes Wiedersehen Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte) Verloren oder gefunden Wasserlaeufer Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen Wie einmal ein schoenes Ross um fuenf Pruegel feil gewesen ist Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht Willige Rechtspflege Willige Rechtspflege Zwei Erzaehlungen Zwei Gehilfen des Hausfreunds Zwei honette Kaufleute Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk Zwei Sprichwoerter Zwei Weissagungen Abendlied wenn man aus dem Wirtshaus geht Jetzt schwingen wir den Hut. Der Wein, der war so gut. Der Kaiser trinkt Burgunder Wein, Sein schoenster Junker schenkt ihm ein, Und schmeckt ihm doch nicht besser, Nicht besser. Der Wirt, der ist bezahlt, Und keine Kreide malt Den Namen an die Kammertuer Und hintendran die Schuldgebuehr. Der Gast darf wiederkommen, Ja kommen. Und wer sein Glaeslein trinkt, Ein lustig Liedlein singt Im Frieden und mit Sittsamkeit Und geht nach Haus zu rechter Zeit, Der Gast darf wiederkehren, Mit Ehren. Des Wirts sein Toechterlein Ist zuechtig, schlank und fein, Die Mutter haelt's in treuer Hut, Und hat sie keins, das ist nicht gut, Musst' eins in Strassburg kaufen, Ja kaufen. Jetzt, Brueder, gute Nacht! Der Mond am Himmel wacht; Und wacht er nicht, so schlaeft er noch. Wir finden Weg und Haustuer doch Und schlafen aus im Frieden, Ja Frieden. Baumzucht Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne dass er's weiss, mit blauen Zaehnen und herabhaengenden Schnueren an den Beinkleidern zu dem Hausfreund. "Die Kirschen", sagt er, "schmecken mir doch nie besser, als wenn ich selber frei und keck wie ein Voeglein auf dem luftigen Baum kann sitzen und essen frischweg von den Zweigen die schoensten-- auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz. Wir naehren uns doch alle", sagt er, "an dem naemlichen grossen Hausvaterstisch und aus der naemlichen milden Hand; die Biene, die Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Roesslein und der Herr Vogt, der darauf reitet. Hausfreund", sagt der Adjunkt, "singt mir einmal in Eurer Weise das Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt." Der lieb Gott het zum Frueehlig gseit: "Gang, deck im Wuermli au si Tisch!" Druf het der Chriesbaum Blaetter treit, viel tausig Blaetter grueen und frisch. Und's Wuermli, us em Ei verwacht's, 's het gschlofen in sim Winterhus; es streckt si und sperrt 's Mueli uf Und ribt die bloeden Augen us. Und druf, se het's mit stillem Zahn am Blaettli gnagt enanderno und gseit: "Wie isch das Gmuees so guet! Me chunnt schier nimme weg dervo." Und wieder het der lieb Gott gseit: "Deck jetz im Imli au si Tisch!" Druf het der Chriesbaum Blueete treit, viel tausig Blueete wiss und frisch. Und 's Imli sieht's und fliegt druf los, frueeih in der Sunne Morgeschin; Es denkt: "Das wird mi Kaffi sy, sie hen doch chosper Porzelin." "Wie sufer sin die Chaecheli geschwenkt!" Es streckt si troche Zuengli dry. Es trinkt und seit: "Wie schmeckt's so sueess, Do muess der Zucker wolfel sy." Der lieb Gott het zuem Summer gseit: "Gang, deck im Spaetzli au si Tisch!" Druf het der Chriesbaum Fruechte treit, viel tausig Chriesi rot und frisch. Und 's Spaetzli seit: "Isch das der Bricht? Do sitzt me zue und frogt nit lang. Das git mer Chraft in Mark und Bei Und staerkt mer d' Stimm zuem neue Gsang." "Hausfreund", sagte der Adjunkt, "hat Euch auch manchmal der Feldschuetz verjagt ab den Kirschenbaeumen in Eurer Jugend? Und habt Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbaeume im Pfarrgarten zu Schopfen und Aepfel und Nuesse eingetragen auf den Winter wie meiner Schwiegermutter ihr Eichhoernlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am laengsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist." "Das geht natuerlich zu,", sagte der Hausfreund; "man hat am laengsten Zeit daran zu denken." Der lieb Gott het zum Spoetlig gseit: "Rum ab! sie hen jetz alli gha!" Druf het e chueele Bergluft gweiht, Und 's het scho chleini Rife g'ha. Und d' Blaettli werden gel und rot und fallen eis im andere no, und was vom Boden obsi chunnt, muss au zuem Bode nidsi go. Der lieb Gott het zuem Winter gseit: "Deck weidli zui, was uebrig isch." Druf het der Winter Flocke gstreut-- "Hausfreund", sagt der Adjunkt, "Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl haette: ein eigenes Kuehlein oder ein eigener Kirschbaum oder Nussbaum, lieber ein Baum." Der Hausfreund sagt: "Adjunkt, Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum haette, so haett' ich auch einen eigenen Garten oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Haustuere waere auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kuehlein auf seinen vier Beinen koenntet Ihr uebel dran sein." "Das ist's eben", sagt der Adjunkt, "so ein Baum frisst keinen Klee und keinen Haber. Nein, er trinkt still wie ein Mutterkind den naehrenden Saft der Erde und saugt reines, warmes Leben aus dem Sonnenschein und frisches aus der Luft und schuettelt die Haare im Sturm. Auch koennte mir das Kuehlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blueten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Baeume waeren die gluecklichsten Geschoepfe, meint der Adjunkt, wenn sie wuessten, wie frei und lustig sie wohnen, wie schoen sie sind im Fruehling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak geniesst, oder ein Stuecklein Kaes, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen koennen und jung und alt froh machen umsonst und im Winter allein nicht heimgehen. Nein, sie bleiben draussen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fusspfade verschneit sind: "Rechts-- jetzt links--jetzt noch ein wenig links ueber das Berglein. "Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter haettet Ihr, so muesst Ihr Eure Untergebenen fleissig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten und ihnen selber mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ihr koennt Eurer Gemeinde keinen groesseren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig; wenn er aber gross ist, so ist er ein Kapital fuer die Kinder und traegt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheissung dieses und des zukuenftigen Lebens". "Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe", sagt der Adjunkt zum Hausfreund, "dass ich mir ein eigenes Guetlein kaufen und meiner Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Baeumlein, und das Baeumlein muss heissen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermoegen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen und immer schoener werden, und wie nach wenig Jahren das Bueblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan und begrabe es unter sein Baeumlein, und wenn alsdann der Fruehling wiederkehrt, und alle Baeume stehen wie Auferstandene von den Toten in ihrer Verklaerung da, voll Blueten und Sommervoegel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab und rufe leise hinab: "Stilles Kind, dein Baeumlein blueht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus." Er ist kein unwaeger Mensch, der Adjunkt. Bequeme Schiffahrt, wer's dafuer halten will Ein Schiff wurde von Mannheim den Neckar hinauf nach Heidelberg gezogen. Kommt hinterdrein mit vollem Felleisen und ein Paar heraushaengender Stiefelschuhe ein Handwerksbursche. "Darf ich auch mit fuer Geld und gute Worte? Was muss ich geben?" Der Schiffmeister, der ein gar lustiger Kumpan war, sagte: "Fuenfzehn Kreuzer, wenn Ihr in's Schiff wollt sitzen. Wollt Ihr aber helfen ziehen, nur sechs. Das Felleisen koennt Ihr mir in das Schiff werfen, es hindert Euch sonst nur." Der Handwerksbursche fing an zu rechnen. "Fuenfzehn Kreuzer--sechs Kreuzer--sechs von fuenfzehn bleibt neun." Die neun Kreuzer, dachte er, kann ich verdienen. "Wenn's denn erlaubt ist", sagte er und warf das Felleisen in das Schiff. Hernach schlang er eins von den Seilern ueber die Achsel und half ziehen, was er nach Leibeskraeften vermochte. "Wir kommen eher an Ort und Stelle", dacht' er, "wenn ich nicht lass bin." In Heidelberg aber entrichtete er sechs Kreuzer Faehrgeld--fuer die Erlaubnis mit zu ziehen und nahm das Felleisen wieder in Empfang. Blutbad in Neuburg am Rhein Als im Dreissigjaehrigen Krieg der Schwed am Rhein war, stachen einmal die Neuburger eine schwedische Patrouille tot und sagten: "Wenn wir nach Schweden kommen, macht's uns auch so." Darob entruestete sich der schwedische General dergestalt; dass er einen hohen und teuren Schwur tat. "Auch kein Hund soll am Leben bleiben", schwur er hoch und teuer, und hatte etwas im Kopf, ein Glaeslein Norschinger zuviel. Als solches die Neuburger hoerten, schlossen sie die Tore zu. Aber am andern Tag, als der Zorn und der Wein von dem General gewichen war, da reute es ihn, denn er war vormittags ein gar menschlicher Herr, und bekam fast grosse Anfechtung in seinem Gewissen, dass er mit viel unschuldigem Blut sein Wort und seinen Eid sollt' loesen. Also liess er den Feldprediger kommen und klagte ihm seine Not. Der Feldprediger meinte zwar, massen der Feldhauptmann einen Schwur getan haette, der Gott leid sei, so sei brechen besser als halten. Das glaubte der Feldhauptmann nicht, denn er hielt sein Wort und seinen Schwur ueber alles teuer. Aber nach langem Besinnen kam's auf einmal wie Sonnenschein in sein Angesicht, und sagte: "Was ich geschworen habe, das will ich auch halten, Punktum!" Als aber die schwedischen Zimmerleute das Stadttor hatten eingehauen, und der Feldhauptmann ritt selber mit drei Faehnlein hinein, befahl er, alle Hunde im Staedtlein zu toeten, aber die Menschen liess er leben, und wurden selbigen Tages neunzehn grosse Metzgerhunde, drei Schaeferhunde, vierundsechzig Pudel, acht Windhunde, zwoelf Dachshunde und zwei gar feine Moepperlein jaemmerlich teils zusammengehauen, teils mit Buechsen zu Tod geschossen. Also hat der Feldhauptmann das menschliche Blut verschont und doch seinen Eid gehalten. Denn er hatte den Schwur getan: Kein Hund soll am Leben bleiben, und ist auch keiner daran geblieben. Boeser Markt In der grossen Stadt London und rings um sie her gibt es ausserordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dies bringen sie zuweg manchmal durch List und Betrug, noch oefter durch kuehnen Angriff, manchmal am hellen, lichten Tag und an der offenen Landstrasse. Einem geratet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und der Scharfrichter wissen davon zu erzaehlen. Eine seltsame Geschichte begegnete aber eines Tages einem vornehmen und reichen Mann. Der Koenig und viele andere grosse Herren und Frauen waren an einem schoenen Sommertage in einem grossen koeniglichen Garten versammelt, dessen lange, gewundene Gaenge sich in der Ferne in einem Wald verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten Koenig und seine Familie froh und gluecklich zu sehen. Man ass und trank, man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schoenen Gaengen und zwischen dem duftenden Rosengebuesch, paarweise und allein, wie es sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er auch dazu gehoerte, mit einer Pistole unter dem Rock in einer abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt, dachte: es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen. Kommt ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will spazieren gehn im kuehlen Schatten und denkt an nichts. Indem er an nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihr Maul auf des Herrn Brust und bittet ihn hoeflich, keinen Laerm zu machen, es brauche niemand zu wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muss uebel dran sein, wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiss, was drin steckt. Der Herr dachte vernuenftig: Der Leib ist kostbarer als das Geld; lieber den Ring verloren als den Finger; und versprach zu schweigen. "Gnaediger Herr", fuhr jetzt der Geselle fort: "waeren Euch Eure zwei goldenen Uhren nicht feil fuer gute Bezahlung? Unser Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anderst, man weiss nie, wie man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt." Will der reiche Herr wohl oder uebel, so muss er dem Halunken die Uhren verkaufen fuer ein paar Stueber oder etwas, so man kaum ein Schoepplein dafuer kann trinken. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und Schnallen und Ordensstern und das goldne Herz, so er vorne auf der Brust im Hemd hatte, Stueck fuer Stueck ab um schlechtes Geld und immer mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte: Jetzt bin ich absolviert, gottlob! fing der Spitzbube von neuem an: "Gnaediger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wollet Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?" Der Herr denkt an das Sprichwort, dass man muesse zu einem boesen Markt ein gutes Gesicht machen, und sagt: "Lasst sehen!" Da zog der Bursche allerlei Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweibatzenkraemer gekauft oder auch schon auf einem ungewischten Bank gefunden hatte, und der gute Herr musste ihm alles abkaufen, Stueck fuer Stueck um teures Geld. Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole uebrig hatte und sah, dass der Herr noch ein paar schoene Dublonen in dem gruenen, seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: "Gnaediger Herr, wolltet Ihr mir fuer den Rest, den Ihr da, in den Haenden habt, nicht die Pistole abkaufen? Sie ist vom besten Buechsenschmied in London und zwei Dublonen unter Bruedern wert." Der Herr dachte in der Ueberraschung: "Du dummer Dieb!" und kauft die Pistole. Als er aber die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach "Nun halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich dich heissen werde, oder ich schiesse dich auf der Stelle tot." Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: "Schiesst herzhaft los, gnaediger Herr; sie ist nicht geladen." Der Herr drueckte ab, und es ging wirklich nicht los, wie nebenstehende Figur beweist; denn sonst muesste man Rauch sehen. Er liess den Ladstock in den Lauf fallen, und es war kein Koernlein Pulver darin. Der Dieb aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Englaender ging schamrot zurueck, dass er sich also habe in Schrecken setzen lassen, und dachte an vieles. Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813 Im Spaetjahr 1813 erfuhren wir Brassenheimer von dem Krieg in Sachsen auch lange nichts anders, als lauter Liebes und Gutes, wer naemlich franzoesisch gesinnt war, und niemand hatte bei Turmstrafe das Herz, etwas anderes zu wissen, noch viel weniger zu sagen, ausgenommen ein lustiger Kumpan, der Spielmann in der untern Gasse, hat's gemerkt. Was tut der Spielmann? Er geht ins Amtshaus. "Herr Amtmann, die Hochzeiten- und Kirchweihtaenze wollen heuer gar nicht recht geraten. Wolltet Ihr mir und meinen Kameraden nicht erlauben, dann und wann an einem Sonntag abends im Roten Loewen eine Komoedie zu spielen fuer ein Geringes?" Der Amtmann erwiderte: "Reichenauer, das lob' ich an Euch, dass Ihr Euch lieber auf eine geziemliche Art forthelfen und Euern Mitbuergern einen lustigen Abend dafuer machen wollt, als dass Ihr wieder Schulden macht oder stehlt." Also kuendeten sie auf den naechsten Sonntag eine nagelneue Komoedie an. Es sei die neueste, sagten sie, die es gibt. In derselben Komoedie musste einer mitspielen, der hiess Franz, und hatte eine Frau mit Namen Viktoria, ein gar stattliches, handfestes Weibsbild. Im Verlauf der Komoedie musste es sich schicken, dass der Franz mit einem fremden Mann Verdruss bekam. Der Zank gebar Schimpf, der Schimpf gebar Schlaege, und wer die meisten bekam, war nicht der fremde Mann, sondern der Franz, also dass er zuletzt seine Frau zu Hilfe rief. Weil sie aber Viktoria hiess, konnte er nicht Apollonia oder Kunigunda rufen, und also fuegete es sich, dass, je mehr er Schlaege bekam und je besser sie aufsassen, desto lauter rief er: "Viktoria! Viktoria!" Daran haben wir Brassenheimer, was verstaendige Leute unter uns sind, zum ersten Mal gemerkt, wie es damals in Sachsen stehen mochte, und was es zu bedeuten hatte, wenn man schrie: "Viktoria! Viktoria!" Der Herr Amtmann hat zum Glueck nichts gemerkt. Brennende Menschen Zwar von feurigen Mannen hat man schon oft gehoert, aber seltener von brennenden Frauen. Eine Apothekersfrau geht nachts mit der Magd in den Keller und will etwas holen. Die Magd steigt mit dem Licht auf eine Stellasche, greift auf den Schaft, wirft eine grosse Flasche voll Branntwein um, worin ungefaehr 6-8 Mass waren, und zerbricht sie, der Branntwein stroemt ploetzlich herab, so ueber die Magd, so ueber die Frau. Das Licht kommt der Magd an den Aermel. Die Magd fangt an lichterloh zu brennen, rot mit gelbem Schein. Die Frau will ihr zu Hilfe eilen. Die Frau brennt auch an. Beide rennen brennend die Treppe hinauf in den Hof. Der Apothekerjung sieht's und springt davon, meint, es woll' ihn einer holen, mit dem man nicht gern geht, den der Hausfreund nicht nennen darf. Im Hof am Brunnen begiessen sie sich mit Wasser. Das Wasser wird nicht Meister ueber den Branntewein. Endlich wirft sich die Magd auf den Dunghaufen im Hof und waelzt sich darauf. Die Frau wirft sich ebenfalls auf den Dunghaufen und waelzt sich auch. Beide loeschten aus; die Magd wurde noch geheilt, aber die Frau musste sterben. Merke: Wenn man brennt, muss man sich auf einem Misthaufen waelzen. Solches ist auch gut fuer die, welche den Branntewein inwendig im Leib haben.-- Brotlose Kunst In der Stadt Aachen ist eine Fabrik, in welcher nichts als Naehnadeln gemacht werden. Das ist keine brotlose Kunst. Denn es werden in jeder Woche 200 Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stueck auf ein Pfund gehen; Facit: eine Million, und der Meister Schneider und die Naeherin und jede Hausmutter weiss wohl, wieviel man fuer einen Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer auszurechnen, wie viel Geld an den Aachener Nadeln in der Fabrik selbst und durch den Handel jaehrlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, und die meisten Arbeiter sind Kinder von acht bis zehn Jahren. Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten und wunderte sich, dass es moeglich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feinern Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, fast unsichtbare Faden kann gezogen werden. Aber ein Maegdlein, welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln ein Loch dadurch, nahm das eine Ende des Haares, bog es um und zog es durch die Oeffnung zu einer artigen Schleife oder, wie man's sonst nennt, Schlupf oder Letsch. Das war so brotlos eben auch nicht. Denn das Maegdlein bot dieses kuenstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafuer ein artiges Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen sein. Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleissigen Kinde wohl zu goennen. Aber waehrend ehrliche Eltern und Kinder aller Orten etwas Nuetzliches arbeiten und ihr Brot mit Ehren verdienen und mit gutem Gewissen essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in der Kunst geuebt hatte, in einer ziemlich grossen Entfernung durch ein Nadeloehr kleine Linsen zu werfen. Das war eine brotlose Kunst. Doch lief es auch nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschuetz unter anderm nach Rom kam, liess er sich auch vor dem Papst sehen, der sonst ein grosser Freund von seltsamen Kuensten war, hoffte ein huebsches Stueck Geld von ihm zu beikommen und machte schon ein paar wunderfreundliche Augen, als der Schatzmeister des Heiligen Vaters mit einem Saecklein auf ihn zuging, und bueckte sich entsetzlich tief, als ihm der Schatzmeister das ganze Saecklein anbot. Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise Papst zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleisses uebermachen liess, damit er sich in seiner Kunst noch ferner ueben und immer groessere Fortschritte darin machen koenne. Dankbarkeit In der Seeschlacht von Trafalgar, waehrend die Kugeln sausten und die Mastbaeume krachten, fand ein Matrose noch Zeit, zu kratzen, wo es ihn biss, naemlich auf dem Kopf. Auf einmal streifte er mit zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger bedaechtig an einem Haare herab und liess ein armes Tierlein das er zum Gefangenen gemacht hatte, auf den Boden fallen. Aber indem er sich niederbueckte, um ihm den Garaus zu machen, flog eine feindliche Kanonenkugel ihm ueber den Ruecken weg, paff, in das benachbarte Schiff. Da ergriff den Matrosen ein dankbares Gefuehl, und ueberzeugt, dass er von dieser Kugel waere zerschmettert worden, wenn er sich nicht nach dem Tierlein gebuecket haette, hob er es schonend von dem Boden auf und setzte es wieder auf den Kopf. "Weil du mir das Leben gerettet hast", sagte er; "aber lass dich nicht zum zweiten Mal attrapieren, denn ich kenne dich nimmer." Das Bettlerkind Zu einem betagten Herrn, der zwar wohltaetig, aber fast wunderlich war, kommt ein freundliches Bettelkind und bittet ihn um ein Almosen. "Wir haben schon seit dem Samstag kein Weissbrot mehr, und das schwarze ist so teuer, weil die Laibe so gross sind." Der Herr, der auf Ordnung hielt und das Betteln nicht wohl leiden konnte, sagte: "Weil du sonst so bescheiden bist, ich habe dich noch nie gesehen, und heute zum ersten Mal zu mir kommst, so will ich dir zwar ein Sechskreuzerlein schenken. Aber unterstehe dich nicht, dass du dich wieder bei mir blicken lassest, sonst geht's mit einem Groschen ab." Also holte das Kind in Zukunft den Groschen fast ueber jeden andern Tag. Als er aber des Ueberlaufens muede war, sagte er: "Jetzt bin ich's muede. Wenn du dich noch einmal unterstehst, so setze ich dich auf einen Kreuzer herab." Also kam das Kind in Zukunft alle Morgen und holte den Kreuzer. Die Koechin riet dem Herrn, er solle dem Kind gar nie mehr etwas geben, so wird's schon wegbleiben. "So?" sagte er, "das ist mir ein sauberer Rat. Seht Ihr nicht, je weniger man ihm gibt, desto oefter kommt's?" Das Blendwerk Manche Leute, wenn sie etwas sehen, das sie nicht begreifen, noch weniger nachmachen koennen, so sagen sie kurz und gut, das ist ein Blendwerk. Naemlich, dass man etwas zu sehen glaube, wo nichts ist, oder dass man die Sache anders sehe, als sie wirklich ist. Dass es aber viel Blendwerk gibt, das unterliegt keinem Zweifel. Z. B. wenn jemand im Mondschein auf der Strasse ist und sieht an einer Mauer oder im Nebel seinen Schatten aufrecht, dass er meint, es sei ein ungebetener Kamerad, der mit ihm geht, einer von der schwarzen Legion. Item, wenn jemand einen falschen Freund fuer einen guten Freund haelt und trotz aller Warnung dem Spitzbuben traut, bis er zuletzt um Hab und Gut betrogen ist und die Haende ueber dem Kopf zusammenschlaegt. Das ist ein grosses Blendwerk. Item, wenn jemand meint, etwas sei ein Blendwerk, und ist doch keins. In einem namhaften Ort am Rheinstrom kam ein Gaukler an, ein Tausendkuenstler, und bekam die Erlaubnis, auf einer alten Heubuehne, die schon lange nicht mehr war gebraucht worden, seine Kuenste zu zeigen, und zwar gleich zum letzten Mal. Fast die ganze Gemeinde versammelte sich, und es war der Muehe wert. Dem Vernehmen nach--der Hausfreund war nicht dabei--brachte der Tausendkuenstler zuerst zwei schwarze Katzen hervor, die hoerten einander das grosse Einmaleins ab und rechneten verschiedene Exempel aus der verkehrten Regeldetri. Nachdem schlupfte er durch einen metallenen Fingerring hindurch und kam auf der andern Seite lebendig und ebenso dick wieder an, als er vorher war. Etwas an der Sache scheint uebertrieben zu sein. Hierauf sagte er, das sei aber noch alles nichts. Jetzt wolle er sich mit einem scharfen Schrotmesser den Bauch aufschneiden. Hernach wolle er ganz in den Bauch hineinschlupfen, dass man gar nichts mehr von ihm sehe. Hernach wolle er sich wieder aus sich selber herauswickeln, dass er wieder sichtbar werde. Ehe er aber das grosse Waegestueck beginnen konnte, fing die Buehne an zu knacken. Es kracht links, es kracht rechts. Knack, stuerzte der morsche Boden zusammen, und die ganze Zuschauerschaft waere in dem untern Raume zusammengestuerzt, wenn nicht noch einer sich an einem schwebenden Balken erhalten haette. Die andern lagen alle unten. Da entstand nun ein grosses, vierstimmiges Not- und Zetergeschrei von Maennern, Weibern, Kindern und Saeuglingen. Es ist gar klug, wenn man kleine Kinder zu so etwas mittraegt. Sie sehen alles gar gut, und wenn's an Musik fehlt, so koennen sie machen. Alles schrie: "O mein Kopf, o mein Arm, o meine Rippen", so dass der oben auf dem Balken genug zu troesten und zu ermahnen hatte. "Habt doch nur Geduld", sagte er, "und seid verstaendig! Man muss sich ja schaemen vor dem fremden Mann: Merkt ihr denn nicht, dass es nur Blendwerk ist? Euch Leuten", sagte er, "ist keine Ehre anzutun." Denn er hielt das Unglueck fuer ein Blendwerk vom Kuenstler und meinte, unversehens wuerden wieder alle an ihren Plaetzen sitzen. Das Bombardement von Kopenhagen In der ganzen gefahrvollen Zeit von 1789 an, als ein Land nach dem andern entweder in die Revolution oder in einen blutigen Krieg gezogen wurde, hatte sich das Koenigreich Daenemark teils durch seine Lage, teils durch die Weisheit seiner Regierung den Frieden erhalten. Sie lebte niemand zu lieb und niemand zu leid, dachte nur darauf, den Wohlstand der Untertanen zu vermehren, wurde deswegen von allen Maechten in Ehren erhalten. Als aber im Jahr 1807 der Englaender sah, dass Russland und Preussen von ihm abgegangen sei, und mit dem Feind Frieden gemacht habe, und dass die Franzosen in allen Haefen und festen Plaetzen an der Ostsee Meister sind, und die Sache schlimm gehen kann, wenn sie auch noch sollten nach Daenemark kommen, sagte er kein Wort, sondern liess eine Flotte auslaufen, und niemand wusste, wohin. Als aber die Flotte im Sund und an der daenischen Kueste und vor der koeniglichen Haupt- und Residenzstadt Kopenhagen stand, und alles sicher und ruhig war, so machten die Englaender Bericht nach Kopenhagen hinein: "Weil wir so gute Freunde zusammen sind, so gebt uns gutwillig bis zum Frieden eure Flotte, damit sie nicht in des Feindes Haende kommt, und die Festung. Denn es waere uns entsetzlich leid, wenn wir euch muessten die Stadt ueber dem Kopfe zusammenschiessen." Als wenn ein Buergersmann oder Bauer mit einem andern einen Prozess hat, und kommt in der Nacht mit seinen Knechten einem Nachbar vor das Bette, und sagt: "Nachbar, weil ich mit meinem Gevattermann einen Prozess habe, so muesst Ihr mir bis Ausgang der Sache Eure Rosse in meine Verwahrung geben, dass mein Gegenpart nicht kann darauf zu den Advokaten reiten, sonst zuend' ich Euch das Haus an, und muesst mir erlauben, dass ich an der Strasse mit meinen Knechten in Euer Kornfeld stehe, auf dass, wenn der Gevattermann auf seinem eigenen Ross zum Hofgericht reiten will, so verrenn' ich ihm den Weg." Der Nachbar sagt: "Lass mir mein Haus unangezuendet! Was gehn mich eure Haendel an?" Und so sagten die Daenen auch. Als aber der Englaender fragte: "Wollt ihr gutwillig oder nicht?" und die Daenen sagten: "Nein, wir wollen nicht gutwillig!" so stieg er mit seinen Landungstruppen ans Ufer, rueckte immer naeher gegen die Hauptstadt, richtete Batterien auf, fuehrte Kanonen drein, und sagte am 2. September nach dem Frieden von Tilsit, jetzt sei die letzte Frist. Allein alle Einwohner von Kopenhagen und die ganze daenische Nation sagten: Das Betragen des uebermuetigen Feindes sei unerhoert, und es waere eine Schande, die der Belt nicht abwaschen koennte, sich durch Drohungen schrecken zu lassen und in seine ungerechten Forderungen einzuwilligen. Nein! Da fing das fuerchterliche Gericht an, das ueber diese arme Stadt im Schicksal beschlossen war. Denn von abends um sieben Uhr an hoerte das Schiessen auf Kopenhagen, mit 72 Moersern und schweren Kanonen, die ganze Nacht hindurch zwoelf Stunden lang nimmer auf; und ein Satan, namens Congreve, war dabei, der hatte ein neues Zerstoerungsmittel erfunden, naemlich die sogenannten Brandraketen. Das war ungefaehr ein Art von Roehren, die mit brennbaren Materien angefuellt wurden, und vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuss entzuendet sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal wo niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zuendete an, was brennen konnte. Auch diese Brandraketen flogen die ganze Nacht in das arme Kopenhagen hinein. Kopenhagen hatte damals 4000 Haeuser, 85'965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 koenigliche Schloesser, 22 Krankenspitaeler, 30 Armenhaeuser, einen reichen Handel und viele Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schoene Dachstuhl in dieser angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz sich nicht zu helfen wusste, wie manche Wunde blutete, und wie die Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgelaeute und der Kanonendonner durcheinander ging. Am 3. September, als der Tag kam, hoerte das Schiessen auf, und der Englaender fragte, ob sie noch nicht wollten gewonnen geben. Der Kommandant von Kopenhagen sagte: "Nein!" Da fing das Schiessen nachmittags um vier Uhr von neuem an, und dauerte bis den 4. September mittags fort, ohne Unterlass und ohne Barmherzigkeit. Und als der Kommandant noch nicht wollte Ja sagen, fing abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den 5. des Mittags. Da lagen mehr als 300 schoene Haeuser in der Asche; ganze Kirchtuerme waren eingestuerzt, und noch ueberall wuetete die Flamme. Mehr als 800 Buerger waren schon getoetet und mehrere schwer verwundet. Ganz Kopenhagen sah hier einer Brandstaette, oder einem Steinhaufen, da einem Lazarett, und dort einem Schlachtfeld gleich. Als endlich der Kommandant von Kopenhagen nirgends mehr Rettung noch Huelfe und ueberall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7. September kapituliert, und der Kronprinz hat's nicht einmal gelobt. Das erste war, die Englaender nahmen die ganze Seeflotte von Kopenhagen in Besitz und fuehrten sie weg: 18 Linienschiffe, 15 Fregatten und mehrere kleinere bis auf eine Fregatte, welche der Koenig von England ehemals dem Koenig von Daenemark zum Geschenk gemacht hatte, als sie noch Freunde waren. Diese liessen sie zurueck. Der Koenig von Daenemark schickte sie ihnen aber auch nach, und will nichts Geschenktes mehr zum Andenken haben. Im Land selbst und auf den Schiffen hausten die Englaender als boese Feinde, denn der Soldat weiss nicht, was er tut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient haetten, so fuehrte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glueck dauerte ihr Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober wieder ein, und fuhren am 21. mit der daenischen Flotte und dem Raub davon, und der Congreve ist unterwegs ertrunken und hat Frau und Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Daenen gemeinschaftlich mit den Franzosen, und Kaiser Napoleon will nicht eher mit den Englaendern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder zurueckgegeben, und Kopenhagen bezahlt haben. Dies ist das Schicksal von Daenemark, und die Freunde der Englaender sagen, es sei nicht so schlimm gemeint gewesen; andere aber sagen, es haette nicht koennen schlimmer sein, und die Daenen meinen's auch. Das Branntweinglaeslein Ein Unteroffizier trat im Roten Roesslein ein von der Parade. Der Wirt sagt zu ihm: "Aber den habt Ihr nicht schlecht getroffen heut in dem Kasernenhof. Was hat er angestellt?"--"Nicht wahr, ich hab' ihn gut getroffen?" sagte der Unteroffizier. "Es ist ein ausgelernter Spitzbube, gegen den keine Vorsicht hilft. Er ist imstand und stiehlt Euch ein Rad vom Wagen, waehrend Ihr darauf sitzt und Wein holt im Ramstal. Kommt Ihr herein, so habt Ihr noch drei Raeder." Der Wirt sagt: "Mir ist keiner schlau genug. Der ist noch nicht auf der Welt." Denn der Wirt war ein wenig dumm. Es ist fast immer ein Zeichen von Unverstand, wenn man allein klueger zu sein glaubt als alle andern. Deswegen sagte er: mir ist keiner schlau genug. Der Unteroffizier sagte: "Gilt's einen Taler, er fuehrt Euch an?" Der Wirt geht die Wette ein. Nachmittags kommt der Soldat mit einem Branntweinflaeschlein in der Hand und verlangt fuer einen Sechser Branntenwein. Er habe daheim einen kranken Kameraden. Er hatte aber noch ein anderes Flaeschlein von gleicher Groesse und Gestalt in der Tasche, darin war Brunnenwasser, so viel als man Branntwein bekommen mag fuer sechs Kreuzer. Als er in das leere Flaeschlein den Branntwein bekommen hatte, steckte er es zu dem andern in die naemliche Tasche und gab dem Wirt einen Sechser, der war falsch. Als er aber schon an der Tuere war, waehrend der Wirt den Sechser umkehrte, ruft er dem Soldaten: "Guter Freund, Euer Sechser ist falsch auf der untern Seite. Gebt mir einen andern." Der Soldat stellte sich schrecklich erbost ueber den Spitzbuben, der ihm den falschen Sechser gegeben hatte, und zum Unglueck habe er keinen andern bei sich. Er wolle aber sogleich einen holen.--"Nein", sagte der Wirt, "so ist's nicht gewettet. Gebt den Branntwein wieder heraus, und holt zuerst das Geld." Da stellte ihm der Soldat das Flaeschlein auf den Tisch, wo das Brunnenwasser drin war, und ging und kam nicht wieder. Abends kam der Unteroffizier. "Ei, seid Ihr es?" sagte der Wirt und lachte aus vollem Halse. "Was gilt's, Ihr wollt mir einen Taler bringen." Der Unteroffizier aber laechelte nur, zwar etwas spoettisch und sagte: "Nein, ich will einen holen. Versucht einmal Euern Branntwein, ob er nicht schmeckt akkurat wie Brunnenwasser." Da wusste der Wirt vor Verwunderung und Beschaemung nicht, was er sagen wollte. Der Unteroffizier aber sagte spoettisch: "Euch ist keiner schlau genug." Also hatte er den Taler gewonnen, doch durfte der Wirt sechs Kreuzer davon abziehen, was der Branntwein kostete, und bekam, wie das Sprichwort sagt, zum Schaden den Spott. Das fremde Kind Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwalds kommt abends am 5. Dezember 1807 ein achtjaehriges Maegdlein halb barfuss, halb nackt vor das Haeuslein eines armen Tagloehners im Gebirg und gesellt sich, mir nichts, dir nichts, zu den Kindern des armen Mannes, die vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit ihnen, mir nichts, dir nichts, in die Stube und denkt weiter nimmer ans Fortgehen. Nicht anders als ein Schaeflein, das sich vor der Herde verlaufen hat und in der Wildnis herumirrt, wenn es wieder zu seinesgleichen kommt, so hat es keinen Kummer mehr. Der Tagloehner fragt das Kind, wo es herkomme. "Oben aben von Gutenberg."--"Wie heisst dein Vater?"--"Ich habe keinen Vater."--"Wie heisst deine Mutter?"--"Ich habe keine Mutter."--"Wem gehoerst du denn sonst an?"--"Ich gehoere niemand sonst an."--Aus allem, was er fragte, war nur so viel herauszubringen, dass das Kind von den Bettelleuten sei aufgelesen worden, dass es mehrere Jahre mit Bettlern und Gaunern sei herumgezogen, dass sie es zuletzt in St. Peter haben sitzen lassen, und dass es allein ueber St. Maergen gekommen sei und jetzt da sei. Als der Tagloehner mit den Seinigen zu Nacht ass, setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch. Als es Zeit war zu schlafen, legte es sich auf den Ofenbank und schlief auch; so den andern Tag, so den dritten. Denn der Mann dachte: ich kann das arme Kind nicht wieder in sein Elend hinausjagen, so schwer es mich ankommt, eins mehr zu fuettern. Aber am dritten Tag sagte er zu seiner Frau: "Frau, ich will's doch auch dem Herrn Pfarrer anzeigen." Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des armen Mannes, der Hausfreund auch; "aber das Maegdlein", sagte der Pfarrherr, "soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst werden die Stuecklein zu klein. Ich will ihm einen Vater und eine Mutter suchen." Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden und gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiel, der selber wenig Kinder hat, und der Hausfreund weiss just nicht, wie er's dem Manne sagte: "Peter", sagte er, "wollt Ihr ein Geschenk annehmen?"--"Nach dem's ist", sagte der Mann.--"Es kommt von unserm lieben Herr Gott.-- "Wenn's von dem kommt, so ist's kein Fehler." Also bot ihm der Pfarrherr das verlassene Maegdlein an und erzaehlte ihm die Geschichte dazu, so und so. Der Mann sagte: "Ich will mit meiner Frau reden. Es wird nicht fehlen." Der Mann und die Frau nahmen das Kind mit Freuden auf. "Wenn's guttut", sagte der Mann, so will ich's erziehen, bis es sein Stuecklein Brot selber verdienen kann. Wenn's nicht guttut, so will ich's wenigstens behalten bis im Fruehjahr. Denn dem Winter darf man keine Kinder anvertrauen." Jetzt hat er's schon viermal ueberwintert und viermal uebersommert auch. Denn das Kind tat gut, ist folgsam und dankbar und fleissig in der Schule, und Speise und Trank ist nicht der groesste Gotteslohn, den das fromme Ehepaar an ihm ausuebt, sondern die christliche Zucht, die vaeterliche Erziehung und die muetterliche Pflege. Wer das fremde Toechterlein unter den andern in der Schule sieht, sollt' es nicht erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es gekleidet. So etwas tut dem Hausfreund wohl, und er koennte den braven Tagloehner und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen nennen, wer sie sind, und wie sie heissen. Aber ueber seinen Mund kommt's nicht. Das letzte Wort Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau herwaerts Ulm lebten miteinander, die waren nicht fuer einander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch und hatte eine Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen ging. Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hoeren wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: "Du Knicker", und das letzte Wort gehoerte allemal ihr. Einmal fingen sie es wieder miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben haben bis frueh um fuenf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Muedigkeit die Augen zufielen und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Naegeln in den Arm und sagte noch einmal: Du Knicker! Darueber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Haeuslichkeit und lief fort, sobald er konnte, und wohin? Ins Wirtshaus. Und was im Wirtshaus? Zuerst trinken, danach spielen, endlich saufen, anfaenglich um bares Geld, zuletzt auf Borgs. Denn wenn die Frau nichts zu Rat haelt und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es faellt nichts heraus. Als er aber im Roten Roesslein den letzten Rausch gekauft hatte, und konnte ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfuenfzig Kreuzer, an die Stubentuer, und als er nach Haus kam und die Frau erblickte: "Nichts als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin", sagte er zu ihr. "Und nichts als Unehre und Verdruss hat man von dir, du Saeufer, du der und jener, du Knicker", sagte sie. Da stieg es schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei boesen Geister, die in ihm wohnten, naemlich der Zorn und der Rausch, sagten zu ihm: "Wirf die Bestie in die Donau!" Das liess er sich nicht zweimal sagen. "Wart', ich will dir zeigen, du Vergeuderin" ("du Knicker", sagte sie ihm drauf), "ich will dir schon zeigen, wo du hingehoerst", und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der Unmensch noch einmal: "Du Vergeuderin." Da hob die Frau noch einmal die Arme aus dem Wasser empor und drueckte den Nagel des rechten Daumens auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man einem gewissen Tierlein den Garaus macht, und das war ihr Letztes.-- Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit haelt, wird man nicht sagen duerfen, dass der unbarmherzige Moerder auch nimmer lebt, sondern er ging heim und henkte sich noch in der naemlichen Nacht an einen Pfosten. Das Mittagessen im Hof Man klagt haeufig darueber, wie schwer und unmoeglich es sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennete, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wuesste, nie zu eigensinnig und nie zu nachgiebig, so waere mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdriesslich nach Hause, und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiss oder zu kalt oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdriesslich. Er fasste daher die Schuessel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Teller stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war. "Verwegener, was soll das sein?" fragte der Herr und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte ganz kalt und ruhig: "Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hofe speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blueht, und wie froehlich die Bienen ihren Mittag halten!"--Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer. Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schoenen Fruehlingshimmels auf, laechelte heimlich ueber den schnellen Einfall seines Aufwaerters und dankte ihm im Herzen fuer die gute Lehre. Das schlaue Maedchen In einer grossen Stadt hatten viele reiche und vornehme Herren einen lustigen Tag. Einer von ihnen dachte: "Koennt ihr heute dem Wirt und den Musikanten wenigstens 1500 Gulden zu verdienen geben, so koennt ihr auch etwas fuer die liebe Armut steuern." Also kam, als die Herren am froehlichsten waren, ein huebsches und nett gekleidetes Maedchen mit einem Teller und bat mit suessen Blicken und liebem Wort um eine Steuer fuer die Armen. Jeder gab, der eine weniger, der andere mehr, je nachdem der Geldbeutel beschaffen war und das Herz. Denn kleiner Beutel und enges Herz gibt wenig. Weiter Beutel und grosses Herz gibt viel. So ein Herz hatte derjenige, zu welchem das Maegdlein jetzt kommt. Denn als er ihm in die hellen, schmeichelnden Augen schaute, ging ihm das Herz fast in Liebe auf. Deswegen legte er zwei Louisdor auf den Teller und sagte dem Maegdlein ins Ohr: "Fuer deine zwei schoenen blauen Augen." Das war naemlich so gemeint: Weil du, schoene Fuerbitterin fuer die Armen, zwei so schoene Augen hast, so geb' ich den Armen zwei so schoene Louisdor, sonst taet's eine auch. Das schlaue Maedchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz anders verstuende. Denn weil er sagte: "Fuer deine zwei schoene Augen" - nahm es ganz zuechtig die zwei Louisdor vom Teller weg, steckte sie in den eigenen Sack und sagte mit schmeichelnden Gebaerden: "Schoenen, herzlichen Dank! Aber seid so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas fuer die Armen." Da legte der Herr noch einmal zwei Louisdor auf den Teller, kneipte das Maegdlein freundlich in die Backen und sagte: "Du kleiner Schalk!" Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich ausgelacht, und sie tranken auf des Maegdleins Gesundheit, und die Musikanten machten Tusch. Das seltsame Rezept Es ist sonst kein grosser Spass dabei, wenn man ein Rezept in die Apotheke tragen muss; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein Spass. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud sorgsam eine grosse tannene Stubentuere ab und trug sie hinein. Der Apotheker machte grosse Augen und sagte: "Was wollt Ihr da, guter Freund, mit Eurer Stubentuere? Der Schreiner wohnt um zwei Haeuser links." Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau gewesen und habe ihr wollen ein Traenklein verordnen, so sei in dem ganzen Haus keine Feder, keine Tinte und kein Papier gewesen, nur eine Kreide. Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentuere geschrieben, und nun soll der Herr Bachin so gut sein und das Traenklein kochen. Item, wenn es nur gut getan hat. Wohl dem, der sich in der Not zu helfen weiss. Das Vivat der Koenigin Nicht ebenso gut als der Franzos, der dem Englaender auf der Bruecke zu Pferd begegnete, kam ein anderer Franzos zu Koenigszeiten mit einem andern Englaender davon in einem Wirtshaus. Der Englaender sass schon ueber eine halbe Stunde still und stumm in einer Ecke und wartete auf einen Chirurgus, haette gern die Zaehne zusammengebissen vor Ungeduld, aber einer davon war hohl und tat ihm von Zeit zu Zeit entsetzlich weh, zum Exempel diesmal. Kommt auf einmal der Franzose, ein Perueckenmacher oder so etwas, an den Tisch, wo der Englaender sass, und wollte seinen Kameraden einen Spass zum besten geben. Denn er glaubte, der Englaender sei dumm oder noch scheu dortzuland. Also fing er ein langes Gespraech mit ihm an, worauf der Englaender wenig antwortete, ruehmte ihm, was Frankreich fuer ein reiches und grosses Land sei, und dass einer schon ein gutes Pferd haben muesse, wenn er's in drei Vierteljahren durchreiten wollte, und wie der Koenig so gerecht sei, und die Koenigin so gut. "Aber auf das Wohl der Koenigin", sagte er, "trinkt Ihr doch eins mit mir, und noch mehr?" Als sie ausgetrunken hatten, zerriss der Franzos die Hemdkrause an seinem alten, abgewaschenen Hemde und sagte: "Es lebe die Koenigin! Gentleman", sagte er, "Ihr muesst Eure Hemdkrause auch zerreissen auf das Wohlsein der Koenigin. Ich hab' meine auch zerrissen." "Geht zum Henker, Ihr Sapperment", sagte der Englaender, "Euer Hemd hat nimmer weit in die Papiermuehle. Meins kommt nagelneu von der Naeherin weg und ist an einigen Orten noch ganz heiss vom Durchzug der Nadel." Aber der Perueckenmacher sagte: "Herr, ich verstehe keinen Spass! Entweder zerreisst Ihr Euer Hemd, oder Ihr muesst Euch mit mir stechen auf Leben und Tod." Wollte der fremde Englaender keinen Spektakel haben, so musste er seine Hemdkrause zerreissen wie der Franzose. Aber jetzt wurde er auf einmal freundlich und redselig und erzaehlte dem Perueckenmacher viel von England und von London und von dem grossen Kirchturm in London, und wie einer droben schon gute Augen haben muesse, wenn er unten die Stadt noch sehen wolle; bis der Chirurgus kam. Als der Chirurgus kain und fragte, was der fremde Herr befehle, "seid so gut", sagte der Englaender, "und zieht mir diesen Stockzahn da aus, den dritten, aufs Wohlsein der Koenigin von England.! Herr", sagt er zu dem Perueckenmacher, "Ihr bleibt da sitzen und ruehrt Euch nicht." Als der Zahn gluecklich heraus war, sagte er zu dem Zahnarzt: "Seid so gut und zieht jetzt diesem Herrn da ebenfalls einen Zahn aus aufs Wohlsein der Koenigin von England. Guter Freund", sagte er, "Ihr muesst Euch auch einen ausreissen lassen, ich hab' mir auch einen ausreissen lassen." Da verging dem Spassmacher der Mutwillen und die roten Backen, und protestierte zwar, die Sache sei nicht gleich. "Euer Zahn da", sagte er, "ist so hohl, dass eine Haesin drin setzen koennte. Die meinigen sind alle so kerngesund, dass ich eine Bleikugel damit breit beissen kann. Wenn drei Lilien drauf waeren koennt' ich Geld damit praegen." Aber der andere gab darauf kein Gehoer, sondern sagte: "Herr, ich verstehe keinen Spass! Entweder Ihr lasst Euch einen Zahn ausbrechen auf der Stelle, oder Ihr koennt Euch mit mir stechen auf Leben und auf Tod, und ich bohr' Euch da an die Tuer hinan, dass der Degen eine Elle weit in die Kammer hineingeht." Da dachte der Perueckenmacher: Ein Zahn,--Ein Leben!--Neun Kinder hab ich daheim.--Lieber ein Zahn. Also liess er sich wohl oder uebel auch einen ausreissen, und schieden darauf in Frieden voneinander. Aber zu seinen Kameraden sagte er nachher: "Diesmal mit einem Fremden Mutwillen getrieben, den ich nicht kenne! Hoert man mir nichts an, wenn ich rede?" Das wohlbezahlte Gespenst In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen koennte, geht ein ueblicher Fussweg ueber den Kirchhof und von da durch den Acker eines Mannes, der an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht. Wenn nun die Ackerwege bei nasser Witterung schluepfrig und ungangbar sind, ging man immer tiefer in den Acker hinein, und zertrat dem Eigentuemer die Saat, so dass bei anhaltend feuchter Witterung der Weg immer breiter und der Acker immer schmaeler wurde, und das war kein Recht. Zum Teil wusste nun der beschaedigte Mann sich wohl zu helfen. Er gab bei Tag, wenn er sonst nichts zu tun hatte, fleissig acht, und wenn ein unverstaendiger Mensch diesen Weg kam, der lieber seine Schuhe als seines Nachbars Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und pfaendete ihn oder tat's mit ein paar Ohrfeigen kurz ab. Bei Nacht aber, wo man noch am ersten einen guten Weg braucht und sucht, war's nur desto schlimmer, und die Dornenaeste und Rispen, mit welchen er den Wandernden verstaendlich machen wollte, wo der Weg sei, waren allemal in wenig Naechten niedergerissen oder ausgetreten, und mancher tat's vielleicht mit Fleiss. Aber da kam dem Mann etwas anderes zustatten. Es wurde auf einmal unsicher auf dem Kirchhofe, ueber welchen der Weg ging. Bei trockenem Wetter und etwas hellen Naechten sah man oft ein langes, weisses Gespenst ueber die Graeber wandeln. Wenn es regnete oder sehr finster war, hoerte man im Beinhaus bald ein aengstliches Stoehnen und Winseln, bald ein Klappern, als wenn alle Totenkoepfe und Totengebeine darin lebendig werden wollten. Wer das hoerte, sprang bebend wieder zur naechsten Kirchhoftuere hinaus, und in kurzer Zeit sah man, sobald der Abend daemmerte und die letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war, gewiss keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege, bis ein verstaendiger und herzhafter Mann aus einem benachbarten Dorfe sich an diesem Ort verspaetete und den naechsten Weg nach Haus doch ueber diesen verschrienen Platz und ueber den Gerstenacker nahm. Denn ob ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten, so sagte er doch am Ende: "Wenn es ein Geist ist, geh' ich mit Gott als ein ehrlicher Mann den naechsten Weg zu meiner Frau und zu meinen Kindern heim, habe nichts Boeses getan, und ein Geist, wenn's auch der schlimmste unter allen waere, tut mir nichts. Ist's aber Fleisch und Bein, so habe ich zwei Faeuste bei mir, die sind auch schon dabei gewesen." Er ging. Als er aber auf den Kirchhof kam und kaum am zweiten Grab vorbei war, hoerte er hinter sich ein klaegliches Aechzen und Stoehnen, und als er zurueckschaute, siehe, da erhob sich hinter ihm, wie aus einem Grab herauf, eine lange, weisse Gestalt. Der Mond schimmerte blass ueber die Graeber. Totenstille war ringsumher, nur ein paar Fledermaeuse flatterten vorueber. Da war dem guten Manne doch nicht wohl zumute, wie er nachher selber gestand, und waere gerne wieder zurueckgegangen, wenn er nicht noch einmal an dem Gespenst haette vorbeigehen muessen. Was war nun zu tun? Langsam und still ging er seines Weges zwischen den Graebern und manchem schwarzen Totenkreuz vorbei. Langsam und immer aechzend folgte zu seinem Entsetzen das Gespenst ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und das war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof hinaus, und das war dumm. Aber so geht es. Kein Betrueger ist so schlau, er vertratet sich. Denn sobald der verfolgte Ehrenmann das Gespenst auf dem Acker erblickte, dachte er bei sich selber: Ein rechtes Gespenst muss wie eine Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein Geist, der auf den Kirchhof gehoert, geht nicht aufs Ackerfeld. Daher bekam er auf einmal Mut, drehte sich schnell um, fasste die weisse Gestalt mit fester Hand und merkte bald, dass er unter einem Leintuch einen Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht auf dem Kirchhof daheim sei. Er fing daher an, mit der andern Faust auf ihn loszutrommeln, bis er seinen Mut an ihm gekuehlt hatte, und da er vor dem Leintuch selber nicht sah, wo er hinschlug, so musste das arme Gespenst die Schlaege annehmen, wie sie fielen. Damit war nun die Sache abgetan, und man hat weiter nichts mehr davon erfahren, als dass der Eigentuemer des Gerstenackers ein paar Wochen lang mit blauen und gelben Zieraten im Gesicht herumging und von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem Kirchhof zu sehen war. Denn solche Leute wie unser handfester Ehrenmann, das sind allein die rechten Geisterbanner, und es waere zu wuenschen, dass jeder andere Betrueger und Gaukelhans ebenso sein Recht und seinen Meister finden moechte. Das wohlfeile Mittagessen Es ist ein altes Sprichwort: Wer andern eine Grube graebt, faellt selber darein.--Aber der Loewenwirt in einem gewissen Staedtlein war schon vorher darin. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und trotzig verlangte er fuer sein Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf forderte er auch ein Stueck Rindfleisch und ein Gemues fuer sein Geld. Der Wirt fragte ganz hoeflich, ob ihm nicht auch ein Glas Wein beliebe? "O freilich ja!", erwiderte der Gast, "wenn ich etwas Gutes haben kann fuer mein Geld." Nachdem er sich alles hatte wohl schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der Tasche und sagte: "Hier, Herr Wirt, ist mein Geld." Der Wirt sagte: "Was soll das heissen? Seid Ihr mir nicht einen Taler schuldig?" Der Gast erwiderte: "Ich habe fuer keinen Taler Speise von Euch verlangt, sondern fuer mein Geld. Hier ist mein Geld. Mehr hab' ich nicht. Habt Ihr mir zuviel dafuer gegeben, so ist's Eure Schuld."--Dieser Einfall war eigentlich nicht weit her. Es gehoerte nur Unverschaemtheit dazu, und ein unbekuemmertes Gemuet, wie es am Ende ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. "Ihr seid ein durchtriebener Schalk", erwiderte der Wirt, "und haettet wohl etwas anderes verdient. Aber ich schenke Euch das Mittagessen und hier noch ein Vierundzwanzigkreuzerstueck dazu. Nur seid stille zur Sache und geht zu meinem Nachbarn, dem Baerenwirt, und macht es ihm ebenso!" Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Baerenwirt, aus Brotneid in Unfrieden lebte und einer dem andern jeglichen Tort und Schimpf gerne antat und erwiderte. Aber der schlaue Gast griff laechelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der andern vorsichtig nach der Tuere, wuenschte dem Wirt einen guten Abend, und sagte: "Bei Eurem Nachbarn, dem Herrn Baerenwirt, bin ich schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein anderer." So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte hatte den Nutzen davon. Aber der listige Kunde haette sich noch obendrein einen schoenen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute Lehre daraus gezogen und sich miteinander ausgesoehnt haetten. Denn Frieden ernaehrt, aber Unfrieden verzehrt. Denkwuerdigkeiten aus dem Morgenlande 1. In der Tuerkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat anflehte, mit Scheltworten und Schlaegen von sich ab, und als er ihn nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein. Die es sahen, verdross es, aber niemand konnte erraten, warum der arme Mann den Stein aufhob und, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche steckte, und niemand dachte daran, dass er ihn von nun an so bei sich tragen wuerde. Aber das tat er. Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglueck, naemlich er veruebte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines Vermoegens verlustig, sondern er musste auch nach dortiger Sitte zur Schau und Schande, rueckwaerts auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt reiten. An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem raetselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben auch da, und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er ihn schon in die Hoehe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu werfen, und wie von einem guten Geist gewarnt, liess er ihn wieder fallen und ging mit einem bewegten Gesicht davon. Daraus kann man lernen: Erstens, man soll im Glueck nicht uebermuetig, nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen sein. Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am fruehen Morgen war, und "wer dir als Freund nichts nutzen kann, der kann vielleicht als Feind dir schaden". Zweitens, man soll seinem Feind keinen Stein in der Tasche und keine Rache im Herzen nachtragen. Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen liess und davonging, sprach er zu sich selber so: "Rache an dem Feind auszuueben, so lange er reich und gluecklich war, das war toericht und gefaehrlich; jetzt wo er ungluecklich ist, waere es unmenschlich und schaendlich." Denkwuerdigkeiten aus dem Morgenlande 2. Ein anderer meinte, es sei schoen, Gutes zu tun an seinen Freunden, und Boeses an seinen Feinden. Aber noch ein anderer erwiderte, das sei schoen, an den Freunden Gutes zu tun, und die Feinde zu Freunden zu machen. Denkwuerdigkeiten aus dem Morgenlande 3. Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenlaender sagen und tun. Einer, namens Lockmann, wurde gefragt, wo er seine feinen und wohlgefaelligen Sitten gelernt habe? Er antwortete: "Bei lauter unhoeflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat." Denkwuerdigkeiten aus dem Morgenlande 4. Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimnis, durch dessen Kraft er mit den zanksuechtigen Leuten immer in gutem Frieden ausgekommen sei. Er sagte so: "Ein verstaendiger Mann und ein toerichter Mann koennen nicht einen Strohhalm mit einander zerreissen. Denn wenn der Tor zieht, so laesst der Verstaendige nach, und wenn jener nachlaesst, so zieht dieser. Aber wenn zwei Unverstaendige zusammenkommen, so zerreissen sie eiserne Ketten. Der Barbierjunge von Segringen Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im vorigen Spaetjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich aussah, also dass ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirt, eh' er etwas zu essen und zu trinken fordert: "Habt Ihr keinen Barbier im Ort, der mich rasieren kann?" Der Wirt sagt Ja und holt den Barbierer. Zu dem sagt der Fremde: "Ihr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn Ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl' ich Euch vier Kronentaler. Wenn Ihr mich aber schneidet, so stech' ich Euch tot. Ihr waeret nicht der erste." Wie der erschrockene Mann das hoerte (denn der fremde Herr machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert waere, und das spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und schickt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr das naemliche. Wie der Gesell das naemliche hoert, springt er ebenfalls fort und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge laesst sich blenden von dem Geld und denkt: "Ich wag's. Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir fuer vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und einen Schnepper. Geratet's nicht, so weiss ich, was ich tue", und rasiert den Herrn. Der Herr haelt ruhig still, weiss nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltbluetig mit dem Messer im Gesicht und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser oder im Fall eines Schnittes um ein Stuecklein Zundel oder Fliesspapier darauf zu tun waere und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben, und bringt ihm gluecklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut und dachte doch, als er fertig war: "Gottlob!" Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler; sagt er zu ihm: "Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du mich geschnitten haettest, so haett' ich dich erstochen." Der Lehrjunge aber bedankte sich laechelnd fuer das schoene Stueck Geld und sagte: "Gnaediger Herr, Ihr haettet mich nicht verstochen, sondern wenn Ihr gezuckt haettet und ich haett' Euch ins Gesicht geschnitten, so waer' ich Euch zuvorgekommen, haett' Euch augenblicklich die Gurgel abgehauen und waere auf- und davongesprungen." Als aber der fremde Herr das hoerte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch einen Kronentaler extra und hat seitdem zu keinem Barbier mehr gesagt: "Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest." Der betrogene Kraemer Ein Rubel ist in Russland eine Silbermuenze und betraegt 27 Batzen hin oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstueck und tut zehen Rubel; deswegen kann man wohl fuer einen Imperial einen Rubel bekommen, zum Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht fuer einen Rubel einen Imperial. Allein ein schlauer Soldat in Moskau sagte doch: "Was gilt's? morgen auf dem Jahrmarkt will ich mit einem Rubel einen doppelten Imperial angeln." Als den andern Tag in langen Reihen von Kauflaeden der Jahrmarkt aufging, vor allen Staenden standen schon die Leute, lobten und tadelten, boten ab und boten zu, und die Menge ging auf und ging ab, und die Knaben gruessten die Maegdlein, kommt auf einmal der Soldat mit einem Rubel in den Haenden. "Wem gehoert dieser Kaisertaler, dieser Rubel? Gehoert er Euch?" fragt er jeden Kraemer an jedem Stand. Einer, der ohnehin nicht viel Geld loeste und lange zusah, dachte endlich: wenn dich dein Geld an die Finger brennt, die meinigen sind nicht so bloede. "Hieher, Musketier, der Rubel ist mein." Der Soldat sagte: "Wenn Ihr mir nicht gerufen haettet, ich haett' Euch schwerlich gefunden unter der Menge", und gibt ihm den Rubel. Der Kaufmann betrachtet ihn hin und her und klingelt daran, ob er gut sei; ja, er war gut, und steckt ihn in die Tasche. "Seid so gut und gebt mir denn jetzt auch meinen Imperial", sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiderte: "Ich habe keinen Imperial von Euch, so bin ich Euch keinen schuldig. Da habt Ihr Euren einfaeltigen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spass wollt machen." Aber der Musketier sagte: "Meinen zweifaeltigen Imperial gebt mir heraus, mein Spass ist Ernst, und die Marktwache, die Polizei wird zu finden sein." Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das trotzige, und das trotzige gab das schnoede, und es haengt sich an den Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb. Auf einmal bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. "Was geht hier vor?" fragte der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die Menge durchgebohrt hatte. "Was geht vor? frag' ich." Der Kraemer wusste wenig zu sagen, aber desto mundfertiger war der Musketier. Vor keiner Viertelstunde, erzaehlte er, hab' er diesem Mann fuer einen Rubel abgekauft, das und das. Als er ihn bezahlen wollte, in allen Taschen hatte er kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial, den ihm sein Pate geschenkt hatte, als er gezogen wurde. So habe er ihm den Imperial als Unterpfand zurueckgelassen, bis er den Rubel bringe. Wie er mit dem Rubel wieder kommen sei, hab' er den rechten Kaufladen nimmer gefunden und an allen Staenden gefragt: "Wem bin ich einen Rubel schuldig?" so habe dieser da gesagt, er sei derjenige, und sei's auch und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem Imperial wolle er nichts wissen. "Wollt Ihr ihn jetzt gutwillig herausgeben oder nicht?" Als aber der Polizeisergeant die Umstehenden fragte und die Umstehenden sagten: ja, der Musketier habe an allen Kauflaeden gefragt, wem der Rubel gehoere, und dieser habe bekannt, er gehoere ihm und habe ihn auch angenommen und daran geklingelt, ob er probat sei. Als der Polizeihauptmann das hoerte, so gab er den Bescheid: "Habt Ihr Euren Rubel bekommen, so gebt dem Soldaten auch seinen Imperial zurueck, oder man petschiert Euch Euren Stand mit Lattnaegeln zusammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt, und koennt Ihr alsdann lang Hunger leiden, so koennt Ihr auch lang leben." Das sagte der Anfuehrer der Polizeiwache, und wer dem Musketier fuer seinen Rubel einen Imperial herausgeben musste, war der Kaufmann. Merke: Fremdes Gut frisst das eigene, wie neuer Schnee den alten. Der Bock Einst im strengen Winter, an einem Sonntag abends, fuhr eine fremde, wunderschoene Frau den Schliengener Berg hinauf, und als auf einmal die Pferde stillstanden, waren sie auch klueger als ein Bauersmann, der vor ihnen mitten im Weg und im Schnee lag und schlief. Denn die Pferde hatten nur Haber im Leib, aber der Bauersmann Branntewein und kam von unten herauf, wollte nach Kandern gehen, verfehlte aber in Schliengen den Rang. Die wunderschoene Frau liess ihn wecken. "Fehlt Euch etwas, guter Mann, oder seid Ihr sonst in den Schnee gefallen?" - "Nein", stammelte der Bauersmann, " da ist mir eine schwarze Katze mit feurigen Augen vor meinen Augen herumgefackelt und hat mich irregefuehrt und schlaftrunken gemacht, und wenn ich weiss, wo ich bin,--so weiss es"--das Kind im Mutterleib, wollte er etwa sagen, aber er brachte es nicht heraus.--"Ihr seid betrunken, guter Mann, und wenn Ihr hier liegen bleibt, muesst Ihr erfrieren."--"Wenn ich betrunken bin", fragte er, "habt Ihr mir den Rausch bezahlt, oder hab' ich ihn bezahlt, oder bin ich ihn nicht vielmehr noch schuldig?" Als aber die Frau, so freundlich sie ist und sein kann, ihm zuredete, vornen auf den Bock zu sitzen bis zum naechsten Ort,-- "Bock sitzen?" dachte er in seinem erschrecklichen Rausch und fing auf einmal an, aus einem andern Ton zu sprechen. "Ihr seid die schwarze Katze und habt Euch in eine heidnische Prinzessin verwandelt. Um Gottes willen, verschont mich nur diesmal!" Denn er dachte an einen andern Bock, auf dem die Hexen reiten, und jetzt geh' es zum Pech- und Schwefel-Bruennlein, und nicht zur Kalten Herberge, die auf dem Schliengener Berg steht, sondern zur heissen. In seinem Leben wollte er keinen Rausch mehr trinken. Allein das half alles nichts, sondern der Kutscher, der Postillion von Muellheim, band ihn auf den Bock. Und so fuhr er mausstill und in aengstlicher Erwartung seines Schicksals mit bis zur Station. Auf der Station aber, auf Kaltenherberge, legten ihn die Postknechte in einen warmen Kuhstall und liessen ihn seinen Rausch dort ausschlafen. Aber noch bis, auf diese Stunde glaubt der Mann, er sei verhext und bezaubert gewesen, und hat seitdem keinen Rausch mehr getrunken, ausgenommen an den Werktagen. Dies Geschichtlein ist wahr, und wenn's auch nicht zwischen Schliengen und Kaltenherberge sollte geschehen sein, und der Hausfreund kennt die schoene Frau. Hat sie's ihm nicht selber geschrieben von Freiburg aus im Uechtland? Der falsche Edelstein In einem schoenen Garten vor Strassburg vor dem Metzgertor, wo jedermann fuer sein Geld hineingehen und lustig und honett sein darf, da sass ein wohlgekleideter Mann, der auch sein Schoepplein trank, und hatte einen Ring am Finger mit einem kostbaren Edelstein und spiegelte den Ring. So kommt ein Jude und sagt: "Herr, Ihr habt einen schoenen Edelstein in Eurem Fingerring, dem waer' ich auch nicht feind. Glitzert er nicht wie das Urim und Thummim in dem Brustschildlein des Aharons?" Der wohlgekleidete Fremde sagte ganz kurz und trocken: "Der Stein ist falsch; wenn er gut waere, steckte er wohl an einem andern Finger als an dem meinigen." Der Jud bat den Fremden, ihm den Ring in die Hand zu geben. Er wendet ihn hin, er wendet ihn her, dreht den Kopf rechts, dreht den Kopf links. Soll dieser Stein nicht echt sein? dachte er und bot dem Fremden fuer den Ring zwei neue Dublonen. Der Fremde sagte ganz unwillig: "Was soll ich Euch betruegen? Ihr habt es schon gehoert, der Stein ist falsch." Der Jude bittet um Erlaubnis, ihn einem Kenner zu zeigen, und einer, der dabei sass, sagte: "Ich stehe gut fuer den Israeliten, der Stein mag wert sein, was er will." Der Fremde sagte: "Ich brauche keinen Buergen, der Stein ist nicht echt." In dem naemlichen Garten sass damals an einem andern Tisch auch der Hausfreund mit seinen Gevatterleuten, und waren auch lustig und honett fuer ihr Geld, naemlich fuer das Geld der Gevatterleute, und einer davon ist ein Goldschmied, der's versteht. Einem Soldaten, der in der Schlacht bei Austerlitz die Nase verloren hatte, hat er eine silberne angesetzt und mit Fleischfarbe angestrichen, und die Nase war gut. Nur einblasen einen lebendigen Odem in die Nase, das konnte er nicht. Zu dem Gevattermann kommt der Jude. "Herr", sagte er, "soll dieses kein echter Edelstein sein? Kann der Koenig Salomon einen schoenern in der Krone getragen haben?" Der Gevattermann, der auch ein halber Sternseher ist, sagte: "Er glaenzt wie am Himmel der Aldebaran. Ich verschaffe Euch neunzig Dublonen fuer den Ring. Was Ihr ihn wohlfeiler bekommt, ist Euer Schmus." Der Jud kehrt zu dem Fremden zurueck. "Echt oder unecht, ich gebe Euch sechs Dublonen", und zaehlte sie auf den Tisch, funkelnagelneu. Der Fremde steckte den Ring wieder an den Finger und sagte jetzt: "Er ist mir gar nicht feil. Ist der falsche Edelstein so gut nachgemacht, dass Ihr ihn fuer einen rechten haltet, so ist er mir auch so gut", und steckte die Hand in die Tasche, dass der luesterne Israelit den Stein gar nicht mehr sehen sollte.--"Acht Dublonen."--"Nein."--"Zehn Dublonen." "Nein."--"Zwoelf--vierzehn--fuenfzehn Dublonen." "Meinetwegen", sagte endlich der Fremde, "wenn Ihr mir keine Ruhe lassen und mit Gewalt wollt betrogen sein. Aber ich sage es Euch vor allen diesen Herren da, der Stein ist falsch, und ich gebe Euch kein gut Wort mehr dafuer. Denn ich will keinen Verdruss haben. Der Ring ist Euer." Jetzt brachte der Jud voll Freude dem Gevattermann den Ring. "Morgen komm ich zu Euch und hole das Geld." Aber der Gevattermann, den noch niemand angefuehrt hat, machte ein paar grosse Augen. "Guter Freund, das ist nicht mehr der naemliche Ring, den Ihr mir vor zwei Minuten gezeigt habt. Dieser Stein ist zwanzig Kreuzer wert zwischen Bruedern. So macht man sie bei Sankt Blasien im Eieli in der Glashuette." Denn der Fremde hatte wirklich einen falschen Ring in der Tasche, der voellig wie der gute aussah, den er zuerst am Finger spiegelte, und waehrend der Jud mit ihm handelte und er die Hand in der Tasche hatte, streifte er mit dem Daumen den echten Ring vom Finger ab und steckte den Finger in den falschen, und den bekam der Jud. Da fuhr der Betrogene, als wenn er auf einer brennenden Rakete geritten waere, zu dem Fremden zurueck: "Au waih, au waih! Ich bin ein betrogener Mann, ein ungluecklicher Mann, der Stein ist falsch." Aber der Fremde sagte ganz kaltbluetig und gelassen: "Ich hab' ihn Euch fuer falsch verkauft. Diese Herren hier sind Zeugen. Der Ring ist Euer. Hab' ich Euch ihn angeschwaetzt, oder habt Ihr ihn mir abgeschwaetzt?" Alle Anwesenden mussten gestehen: "Ja, er hat ihm den Stein fuer falsch verkauft und gesagt: der Ring ist Euer." Also musste der Jud den Ring behalten, und die Sache wurde nachher vertuscht. Der fechtende Handwerksbursche in Anklam Im August des Jahrs 1804 stand in der Stadt Anklam in Pommern ein reisender Handwerksbursche an einer Stubentuere und bat um einen Zehrpfennig ganz fleissig. Als sich niemand sehen liess noch ruehrte, oeffnete er leise die Tuere und ging hinein. Als er eine arme und kranke Witwe erblickte, die da sagte, sie habe selber nichts, so ging er wieder hinaus. Lieber Leser, denke nicht, der hat's lassen drauf ankommen, ob jemand in der Stube ist, hat seinen Zehrpfennig selber wollen nehmen. Sonst musst du dich schaemen und in deinem Herzen einem edeln Menschen Abbitte tun. Denn der Handwerksbursche kam nach ungefaehr fuenf Stunden wieder. Die Frau, rief ihm zwar entgegen: "Mein Gott! ich kann Euch ja nichts geben. Ich selbst lebe von anderer Menschen Milde und bin jetzt krank." Allein der edle Juengling dachte bei sich selber: Eben deswegen. Anstaendig und freundlich trat er bis vor den Tisch, legte aus beiden Taschen viel Brot darauf, das er unterdessen gesammelt hatte, und viele auf gleiche Art gesammelte kleine Geldstuecke. "Das ist fuer Euch, arme, kranke Frau", sagte er mit sanftem Laecheln, ging wieder fort und zog leise die Stubentuere zu. Die Frau war die Witwe eines ehemaligen braven Unteroffiziers namens Laroque bei dem preussischen Regiment von Schoenfeld. Den Namen des frommen Juenglings aber hat ein Engel im Himmel fuer ein ander Mal aufgeschrieben. Ich kann nicht sagen, wie er heisst. Der fremde Herr Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet und die Schere zusammengewachsen; also naehrt er sich, so gut er kann. "Gevatter", sagt zu ihm der Peruckenmacher, "Ihr tragt nicht gerne schwer; wollt Ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Peruecke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt Euch den Gang."--"Gevatter", sagt der Schneider, "es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die Euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der Euch angeschmiert hat, so stell' ich auf dem Jahrmarkt etwas vor." Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drei Stunden im Revier einen Markt weiss, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so gibt er dem Jahrmarkt viel zu loesen fuer neue weltliche Lieder und feine Damaszener Maultrommeln. Also sass jetzt der Adjunkt auch zu Brassenheim im Wilden Mann und musterte die Lieder. Erstes Lied: Ein Laemmlein trank vom frischen usw. Zweites Lied: Schoenstes Hirschlein ueber die Massen usw. Drittes Lied: Kein schoener Leben auf Erden usw. und probierte die Trommeln. Kommt auf einmal der Schneider herein mit rotem Rock, hirschledernen Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran und zwei Sporen. Der Wirt zog hoeflich die Kappe ab, die Gaeste auch, und: "Hat Euch, Herr Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall gefuehrt?" fragte ihn der Wirt. "Mein Normaender, der Scheck?" sagte der Schneider. "Ich hab' ihn au Cerf eingestellt, im Hirschen. Ich will hier nur ein Schoepplein trinken. Ich bin der beruehmte Adelstan und reise auf Menschenkenntnis und Weinkunde. Platz da!" sagte er zum Adjunkt. "Holla", denkt der Adjunkt, "der meint auch, grob sei vornehm. Was gilt's, er ist nicht weit her?" Als aber der Schneider die Gerte breit ueber den Tisch legte und raeusperte sich wie ein Kamel und betrachtete die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch, steht der Adjunkt langsam auf und sagt dem Wirt etwas halblaut in das Ohr. Ein Ehninger, der es hoerte, sagt: "Herr Landsmann, Ihr seid auf der rechten Spur. Ich hab' ihn gesehn die Stiefel am Bach abwaschen und eine Gerte schneiden. Er ist zu Fuss gekommen." Ein Scherenschleifer sagte: "Ich kenn' ihn wohl, er ist einmal ein Schneider gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruh' gesetzt und tut Botengaenge um den Lohn." Also geht der Wirt ein wenig hinaus und kommt wieder herein. "So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein Unglueck voruebergehen", sagt er im Hereinkommen. "Da suchen die Hatschierer in allen Wirtshaeusern einen Herrn in einem roten Rocke, der heute durch die Doerfer galoppiert ist und ein Kind zu Tod geritten hat." Da schauten alle Gaeste den Ritter Adelstan an; der sagte in der Angst: "Mein Rock ist eher gelb als rot." Aber der Ehninger sagte: "Nein, aber Euer Gesicht ist eher blass als gelb, und hat auf einmal viel Schweisstropfen darauf geregnet. Gesteht's, Ihr seid nicht geritten."--"Doch, er ist geritten", sagte der Wirt; "ich hab' ihm eben das Ross draussen angebunden. Es ist losgerissen im Hirsch und sucht ihn. Hat nicht Euer Normaender die Maehnen unten am Hals und gespaltene Hufe, und wenn er wiehert, sollte man schier nicht meinen, dass es ein Ross ist! Zahlt Euer Schoepplein und reitet ordentlich heim." Als er aber vor das Haus kam und den Normaender sah, den ihm der Wirt an die Tuere gebunden hat, wollte er nicht aufsitzen, sondern ging zu Fuss zum Flecken heraus und wurde von den Gaesten entsetzlich verhoehnt. Merke: Man muss nie mehr scheinen wollen, als man ist und als man sich zu bleiben getrauen kann wegen der Zukunft. Der Fremdling in Memel Oft sieht die Wahrheit wie eine Luege aus. Das erfuhr ein Fremder, der vor einigen Jahren mit einem Schiff aus Westindien an den Kuesten der Ostsee ankam. Damals war der russische Kaiser bei dem Koenig von Preussen auf Besuch. Beide Potentaten standen in gewoehnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwei rechte gute Freunde beieinander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern ging ganz treuherzig auf sie zu, meinte, es seien zwei Kaufleute oder andere Herren aus der Gegend, und fing ein Gespraech mit ihnen an, war begierig, allerlei Neues zu hoeren, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beiden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den einen auf eine hoefliche Art zu fragen, wer er sei. "Ich bin der Koenig von Preussen", sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankoemmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er: Es ist moeglich, und machte vor dem Koenige ein ehrerbietiges Kompliment. Und das war vernuenftig. Denn in zweifelhaften Dingen muss man immer das Sicherste und Beste waehlen und lieber eine Hoeflichkeit aus Irrtum begehen als eine Grobheit. Als aber der Koenig weiter sagte und auf seinen Begleiter deutete: "Dies ist Se. Majestaet der russische Kaiser", da war's doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwei lose Voegel ihn zum besten haben wollten, und sagte: "Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spass haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. Bin ich deswegen aus Westindien hierher gekommen, dass ich euer Narr sei?"-- Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, dass er allerdings derjenige sei. Allein der Fremde gab kein Gehoer mehr. "Ein russischer Spassvogel moeget Ihr sein", sagte er. Als er aber nachher im Gruenen Baum die Sache erzaehlte und andern Bericht bekam, da kam er ganz demuetig wieder, bat fussfaellig um Vergebung, und die grossmuetigen Potentaten verziehen ihm, wie natuerlich, und hatten hernach viel Spass an dem Vorfall. Der fromme Rat Ein achtzehnjaehriger Juengling ging, noch unerfahren, katholisch und fromm, zum ersten Mal aus der Eltern Haus auf die Wanderschaft. In der ersten grossen Stadt auf der Bruecke blieb er stehen und wollte rechts und links ein wenig umschauen, weil er fuerchtete, es moechten ihm nimmer viel solche Bruecken kommen, an welche unten und oben solche Staedte angebaut seien wie diese. Als er aber rechts umschaute, kam daher von einer Seite ein Pater und trug das hochwuerdige Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demuetig ist und es recht meint. Als er aber links umschaute, kam von der andern Seite der Bruecke auch ein Pater und trug auch das hochwuerdige Gut, vor welchem jeder Katholik niederkniet, der demuetig ist und es recht meint, und beide waren ihm schon ganz nahe, und beide waren im Begriff, an ihm vorbeizugehen im naemlichen Augenblick, der eine links von daher, der andere rechts von dorther. Da wusste sich der arme Mensch nicht zu helfen, vor welchem hochwuerdigen Gut er niederknien, und welches er mit Gebet und Liebe gruessen soll, und es war ihm auch schwer zu raten. Als er aber den einen Pater mit Bekuemmernis anschaute und ihn gleichsam mit den Augen fragte und bat, was er tun sollte, laechelte der Pater wie ein Engel freundlich die fromme Seele an und hob die Hand und den Zeigefinger gegen den hohen und sonnenreichen Himmel hinauf. Naemlich vor dem dort oben soll er niederknien und ihn anbeten. Das weiss der Hausfreund zu loben und hochzuachten, obwohl er noch nie einen Rosenkranz gebetet hat; sonst schrieb' er den lutherischen Kalender nicht. Der Furtwanger in Philippsburg Im Jahre 1734, als der Franzos Sturm lief auf Philippsburg, und die Reichstruppen lagen darin, steht ein Rekrut, ein Furtwanger, auf einem einsamen Posten seitwaerts vom Angriff und denkt: "Wenn's nur nicht hieher kommt!" Indem waechst ganz leise eine franzoesische Grenadierkappe hinter dem Rempart herauf, und kommt ein Kopf nach mit einem Schnauzbart, wie wenn der Mond aufgeht hinter den Bergen. Denn ein paar Dutzend Waghaelse hatten draussen eine Sturmleiter angelegt, um unbeschrien auf den Rempart zu kommen, und sahen die Schildwache nicht, dass eine da sei. Springt der Furtwanger herbei und gibt dem Franzosen einen Stich. Pfeifen auf einmal Kugeln genug um ihn her aus Windbuechsen, und geht ein zweites Franzosengesicht auf hinter dem Rempart. Gibt ihm der Furtwanger auch einen Stich und sagt: "Aber jetzt kommst du nimmer." Item: es kam der dritte und der vierte und bis zum zwoelften. Als der Sturm abgeschlagen war und der Platzkommandant auf dem Platz herumritt, ob alles in der Ordnung sei, sieht er von weitem die Sturmleiter und zwoelf tote Franzosen dabei, und wie er zu dem Posten kommt, fragt er den Furtwanger: "Was hat's hier gegeben?"--"So?" sagt der Furtwanger, "Ihr habt gut fragen. Wisst Ihr, dass mir einer mehr zu schaffen gemacht hat als Euch alle? Nur zwoelfmal hintereinander hat er angesetzt. Unten im Graben muss er liegen." Denn er meinte, es sei immer der naemliche gewesen, und es koenne nur mit dem Boesen zugegangen sein, dass ihm allemal hinter dem Bajonett die Wunde wieder heilte. Da laechelte der Kommandant und die Offiziere, so mit ihm waren, und nahm ihm seinen Unverstand nicht uebel, sondern er liess ihm fuer jeden ein Halbguldenstueck Stechgeld bezahlen, und durfte er ueberdies selbigen Abend auf Rechnung der Reichs-Operationskasse Wein trinken und Speck essen, so viel er wollte. Der geduldige Mann Ein Mann, der eines Nachmittags muede nach Hause kam, haette gern ein Stueck Butterbrot mit Schnittlauch darauf gegessen oder etwas von einem geraeucherten Bug. Aber die Frau, die im Haus ziemlich der Meister war und in der Kueche ganz, hatte den Schluessel zum Kuechenkaestlein in der Tasche und war bei einer Freundin auf Besuch. Er schickte daher die Magd und den Knecht, eins um das andere, die Frau soll heimkommen oder den Schluessel schicken. Sie sagte allemal: "Ich komm' gleich, er soll nur ein wenig warten." Als ihm aber die Geduld immer naeher zusammenging und der Hunger immer weiter auseinander, traegt er und der Knecht das verschlossene Kuechenkaestlein in das Haus der Freundin, wo seine Frau zum Besuch war und sagt zu seiner Frau: "Frau, sei so gut und schliess mir das Kaestlein auf, dass ich etwas zum Abendessen nehmen kann, sonst halt' ich's nimmer aus." Also lachte die Frau und schnitt ihm ein Stuecklein Brot herab und etwas vom Bug. Der geheilte Patient Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Voegel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der arme Mann nichts weiss, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schuesseln und Glaesern und in den weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag sass er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, ass aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draussen oder schnauft der Nachbar so?" Den ganzen Nachmittag ass und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter Langeweile bis an den Abend, so dass man bei ihm nie redet sagen konnte, wo das Mittagessen aufhoerte und wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett und war so mued, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten haette. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war wie ein Sack. Essen und Schlaf wollten ihm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht redet gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hoerte, so hatte er 365 Krankheiten, naemlich alle Tage eine andere. Alle Aerzte, die in Amsterdam sind, mussten ihm raten. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver und Pillen wie Enteneier so gross, und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half ihm nichts, denn er befolgte nicht, was ihm die Arzte befahlen, sondern sagte: "Wofuer bin ich ein reicher Mann, wenn ich leben soll wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen fuer mein Geld?" Endlich hoerte er von einem Arzt, der hundert Stunden weit weg wohnte, der sei so geschickt, dass die Kranken gesund wuerden, wenn er sie nur redet anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Wege, wo er sich sehen lasse. Zu dem Arzt fasste der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte, naemlich nicht Arznei, sondern Maessigkeit und Bewegung, und sagte: "Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr habt einen schlimmen Umstand, doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen wollt. Ihr habt ein boeses Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben Maeulern. Mit dem Lindwurm muss ich selber reden, und Ihr muesst zu mir kommen. Aber fuer's erste, so duerft Ihr nicht fahren oder auf dem Roesslein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schuettelt Ihr den Lindwurm, und er beisst Euch die Eingeweide ab, sieben Daerme auf einmal ganz entzwei. Fuers andere duerft Ihr nicht mehr essen als zweimal des Tages einen Teller voll Gemues, mittags ein Bratwuerstlein dazu, und nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsuepplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm groesser, so dass er Euch die Leber verdrueckt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so hoert Ihr im anderen Fruehjahr den Kuckuck nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!" Als der Patient so mit sich reden hoerte, liess er sich sogleich den anderen Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, dass eine Schnecke haette koennen sein Vorreiter sein, und wer ihn gruesste, dem dankte er nicht, und wo ein Wuermlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Voegel schon lange nimmer so lieblich gesungen haetten, und der Tau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Felde so rot, und alle Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schoener, und er ging leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in der Stadt des Arztes ankam und den anderen Morgen aufstand, war es ihm so wohl, dass er sagte: "Ich haette zu keiner ungeschickteren Zeit koennen gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' mir." Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und sagte ihm: "jetzt erzaehlt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt." Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das hat Euch. ein guter Geist geraten, dass Ihr meinem Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib, deswegen muesst Ihr wieder zu Fuss heimgehen und daheim fleissig Holz saegen und nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so koennt Ihr ein alter Mann werden", und laechelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh Euch wohl', und hat nachher dem Rat gefolgt und siebenundachtzig Jahre, vier Monate, zehn Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt zwanzig Dublonen zum Gruss geschickt." Der geheilte Patient Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Voegel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob! der arme Mann nichts weiss; denn es gibt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schuesseln und Glaesern und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener hautreiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag sass er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, ass aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet's draussen oder schnauft der Nachbar so?"--Den ganzen Nachmittag ass und trank er ebenfalls, bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile, bis an den Abend, also, dass man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhoerte, und wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett und war so mued, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten haette. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollte ihm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht recht gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hoerte, so hatte er 365 Krankheiten, naemlich alle Tage eine andere. Alle Aerzte, die in Amsterdam sind, mussten ihm raten. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Mixturen und ganze Schaufeln voll Pulver, und Pillen wie Enteneier so gross, und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alles Doktern half ihm nichts, denn er folgte nicht, was ihm die Aerzte befahlen, sondern sagte: "Foudre, wofuer bin ich ein reicher Mann, wenn ich soll leben wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen fuer mein Geld?" Endlich hoerte er von einem Arzt, der hundert Stund weit wegwohnte, der sei so geschickt, dass die Kranken gesund werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Weg, wenn er sich sehen lasse. Zu dem Arzt fasste der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehle, naemlich nicht Arznei, sondern Maessigkeit und Bewegung, und sagte: "Wart', dich will ich bald kuriert haben." Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: "Guter Freund, Ihr habt einen schlimmen Umstand; doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen wollt. Ihr habt ein boes Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben Maeulern. Mit dem Lindwurm muss ich selber reden, und Ihr muesst zu mir kommen. Aber fuers erste, so duerft Ihr nicht fahren oder auf dem Roesslein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schuettelt Ihr den Lindwurm, und er beisst Euch die Eingeweide ab, sieben Daerme auf einmal ganz entzwei. Fuers andere duerft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemues, Mittags ein Bratwuerstlein dazu, und Nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsuepplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm groesser, also, dass er Euch die Leber verdruckt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so hoert Ihr im andern Fruehjahr den Kuckuck nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!" Als der Patient so mit ihm reden hoerte, liess er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, dass perfekt eine Schnecke haette koennen sein Vorreiter sein, und wer ihn gruesste, dem dankte er nicht, und wo ein Wuermlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Voegel schon lange nimmer so lieblich gesungen haetten wie heut, und der Tau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch; und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schoener, und er ging leichter und munterer dahin, und als er am achtzehnten Tage in der Stadt des Arztes ankam und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, dass er sagte: "Ich haette zu keiner ungeschicktern Zeit koennen gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief' mir." Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand und sagte ihm: "Jetzt erzaehlt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt." Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das hat Euch ein guter Geist geraten, dass Ihr meinem Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib. Deswegen muesst Ihr wieder zu Fuss heimgehen und daheim fleissig Holz saegen, dass niemand sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so koennt Ihr ein alter Mann werden", und laechelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh' Euch wohl", und hat nachher dem Rat gefolgt und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt 20 Dublonen zum Gruss geschickt. Der Generalfeldmarschall Suwarow Das Stuecklein von Suwarow im Kalender 1809 hat dem geneigten Leser nicht uebel gefallen. Von ihm selber waere viel Anmutiges zu erzaehlen. Wenn ein vornehmer Herr nicht hochmuetig ist, sondern redet auch mit geringen Leuten und stellt sich manchmal, als wenn er nur ihresgleichen waere, so sagt man zu seinem Lob: er ist ein gemeiner Herr. Suwarow konnte manchen schimmernden Ordensstern an die Brust haengen, manchen Diamantring an die Finger stecken, und aus mancher goldenen Dose Tabak schnupfen. War er nicht Sieger in Polen und in der Tuerkei, russischer Generalfeldmarschall und Fuerst und an der Spitze von dreimal hunderttausend Mann, soviel als seinesgleichen ein anderer? Aber bei dem allen war er ein sehr gemeiner Herr. Wenn es nicht sein musste, so kleidete er sich nie wie ein General, sondern wie es ihm bequem war. Manchmal, wenn er kommandierte, so hatte er nur Einen Stiefel an. An dem andern Bein hing ihm der Strumpf herunter, und die Beinkleider waren auf der Seite aufgeknuepft. Denn er hatte einen Schaden am Knie. Oft war er nicht einmal so gut gekleidet. Morgens, wenn's noch so frisch war, ging er aus dem Bett oder von der Streue weg vor dem Zelt im Lager spazieren, nackt und bloss wie Adam im Paradies, und liess ein paar Eimer voll kaltes Wasser ueber sich herabgiessen zur Erfrischung. Er hatte keinen Kammerdiener und keinen Heiduck, nur einen Knecht, keine Kutsche und kein Ross. In dem Treffen setzte er sich aufs naechste beste. Sein Essen war gemeine Soldatenkost. Niemand freute sich gross, wenn man von ihm zur Mittagsmahlzeit eingeladen wurde. Manchmal ging er zu den gemeinen Soldaten ins Zelt und war wie ihresgleichen. Wenn ihn auf dem Marsch oder im Lager, oder wo es war, etwas ankam, wo ein anderer an einen Baum steht oder hinter eine Hecke geht, da machte er kurzen Prozess. Seinetwegen durfte ihm jedermann zuschauen, wer's noch nie gesehen hat. Bei den vornehmsten Gelegenheiten, wenn er in der kostbarsten Marschallsuniform voll Ehrenkreuzen und Ordenssternen dastand und, wo man ihn ansah, von Gold und Silber funkelte und klingelte, trieb er's doch wie ein saeuberlicher Bauer, der wegwirft, was ein Herr in die Rocktasche steckt. Er schneuzte die Nase mit den Fingern, strich die Finger am Aermel ab und nahm alsdann wieder eine Prise aus der goldenen Dose. Also lebte der General und Fuerst Italinsky-Suwarow. Der geschlossene Magen Als einst der Zirkelschmied wieder auf vier bis sechs Wochen in gute Umstaende gekommen war, lebte er so lange gar ehrbar und haeuslich mit seiner Frau, der Baerbel, und war in keinem Wirtshaus mehr zu sehen. Nein, er ass alle Mittag ein Pfuendlein Fleisch mit ihr daheim und liess eine halbe Mass Wein dazu holen aus dem Adler und gab auf ihre Ermahnungen. Einmal jedoch, als es ihm besonders schmeckte, schickte er nach dem Essen das Bueblein heimlich in das Wirtshaus, dass es noch eine Halbe holen sollte. Als aber das Bueblein die zweite Halbe brachte und auf den Tisch stellte, schaute seine Frau ihn bittend an: "Maennlein", sagte sie, "lass es jetzt genug sein! Weisst du nicht, was im Doktorbuch steht, dass der Magen nach dem Essen geschlossen sei." Dem entgegen schaute der Zirkelschmied so lieb und freundlich zuerst den Wein, hernach die Baerbel an: "Liebes Weiblein", sagte er, "sei unbesorgt! Soll der Magen auch geschlossen sein, so viel bring' ich noch wohl durch das Schluesselloch." Der grosse Sanhedrin zu Paris Dass die Juden seit der Zerstoerung Jerusalems, das heisst, seit mehr als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Buergerrecht auf der ganzen Erde in der Zerstreuung leben; dass die meisten von ihnen, ohne selber etwas Nuetzliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden Einwohnern eines Landes naehren; dass sie daher auch an vielen Orten als Fremdlinge verachtet, misshandelt und verfolgt werden, ist Gott bekannt und leid.--Mancher sagt daher im Unverstand: "Man sollte sie alle aus dem Lande jagen." Ein anderer sagt im Verstand: "Man sollte arbeitsame und nuetzliche Menschen aus ihnen machen und sie alsdann behalten." Der Anfang dazu ist gemacht. Merkwuerdig fuer die Gegenwart und fuer die Zukunft ist dasjenige, was der grosse Kaiser Napoleon wegen der Judenschaft in Frankreich und dem Koenigreich Italien verordnet und veranstaltet hat. Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich wohnen, das franzoesische Buergerrecht, und man sagte frischweg: Buerger Aaron, Buerger Levi, Buerger Rabbi, und gab sich bruederlich die Hand. Aber was will da herauskommen? Der christliche Buerger hat ein anderes Gesetz und Recht, so hat der juedische Buerger auch ein anderes Gesetz und Recht und will nicht haben Gemeinschaft mit den Gojim. Aber zweierlei Gesetz und Willen in einer Buergerschaft tut gut wie ein brausender Strudel in einem Strom. Da will Wasser auf, da will Wasser ab, und eine Muehle, die darin steht, wird nicht viel Mehl mahlen. Das sah der grosse Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe er antrat die grosse Reise nach Jena, Berlin und Warschau und Eylau, liess er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, dass sie ihm sollte schicken aus ihrer Mitte verstaendige und gelehrte Maenner aus allen Departementern des Kaisertums. Da war nun jedermann in grossem Wunder, was das werden sollte, und der eine sagte das, der andere jenes, z. B. der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in ihre alte Heimat am grossen Berg Libanon, an dem Bach Aegypti und am Meer. Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern, worin Juden wohnen, beisammen waren, liess bald der Kaiser ihnen gewisse Fragen vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen und beantworten nach dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sei die Rede nicht vom Fortschicken, sondern vom Dableiben und von einer festen Verbindung der Juden mit den andern Buergern in Frankreich und in dem Koenigreich Italien. Denn alle diese Fragen gingen darauf hinaus, ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben koenne ansehen und liebem als sein Vaterland und die andern Buerger desselben als seine Mitbuerger und die buergerlichen Gesetze desselben halten. Das war nun fast spitzig, und wie es anfaenglich schien, war nicht gut sagen: Ja, und war nicht gut sagen: Nein. Allein die Abgeordneten sagen, dass der Geist der goettlichen Weisheit erleuchtet habe ihre Gemueter, und sie erteilten eine Antwort, die war wohlgefaellig in den Augen des Kaisers. Darum formierte die juedische Versammlung aus sich, zum unerhoerten Wunder unsrer Zeit, den Grossen Sanhedrin. Denn der Grosse Sanhedrin ist nicht ein grosser Jude zu Paris wie der Riese Goliath, so aber ein Philister war, sondern--Sanhedrin, das wird verdolmetscht: eine Versammlung, und wurde vor alten, alten Zeiten also genannt der Hohe Rat zu Jerusalem, so bestand aus 71 Ratsherren, die wurden fuer die verstaendigsten und weisesten Maenner gehalten, ein ganzes Volk, und wie diese das Gesetz erklaerten, so war es recht und musste gelten in ganz Israel. Einen solchen Rat setzten die Abgeordneten der Judenschaft wieder ein und sagen, es sei seit 1500 Jahren kein Grosser Sanhedrin gewesen als dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon. Dies ist der Inhalt der Gesetze, die der Grosse Sanhedrin aussprach zu Paris im Jahr 5567 nach Erschaffung der Welt im Monat Adar desselbigen Jahres, am 22sten Tag des Monats: 1. Die juedische Ehe soll bestehen aus einem Manne und einer Frau. Kein Israelite darf zu gleicher Zeit mehr haben als eine Frau. 2. Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sei dann, die weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sei nach dem buergerlichen Gesetz aufgeloest. 3. Kein Rabbiner darf die Bestaetigung einer Ehe aussprechen, es sei dann, dass die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen Trauschein haben. Aber ein Jude darf eine Christentochter heiraten und ein Christ eine juedische Tochter. Solches hat nichts zu sagen. 4. Denn der Grosse Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden seien Brueder, weil sie Einen Gott anbeten, der die Erde und den Himmel erschaffen hat, und befiehlt daher, der Israelite soll mit dem Franzosen und Italiener und mit den Untertanen jedes Landes, in welchem sie wohnen, so leben als mit Bruedern und Mitbuergern, wenn sie denselben einigen Gott anerkennen und verehren. 5. Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Naechsten, wie sie befohlen ist im Gesetz Moses, ausueben, ebenso gegen die Christen, weil sie seine Brueder sind, als gegen seine eigenen Glaubensgenossen in oder ausser Frankreich und dem Koenigreich Italien. 6. Der Grosse Sanhedrin erkennt, das Land, worin ein Israelite geboren und erzogen ist oder wo er sich niedergelassen hat und den Schutz der Gesetze geniesst, sei sein Vaterland, und befiehlt daher allen Israeliten in Frankreich und in dem Koenigreich Italien, solches Land als ihr Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es zu verteidigen usw. Der juedische Soldat ist in solchem Stand von den Zeremonien frei, die damit nicht vereinbar sind. 7. Der Grosse Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe zur Arbeit einzufloessen, sie zu nuetzlichen Kuensten und Handwerkern anzuhalten, und ermahnt sie, liegende Gruende anzukaufen und allen Beschaeftigungen zu entsagen, wodurch sie in den Augen ihrer Mitbuerger koennen verhasst oder veraechtlich werden. 8. Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein israelitischer Hausvater in der Not von ihm geliehen hat, Zins nehmen. Es ist ein Werk der Liebe. Aber ein Kapital, das auf Gewinn in den Handel gesteckt wird, ist verzinsbar. 9. Das naemliche gilt auch gegen die Mitbuerger anderer Religionen. Aller Wucher ist gaenzlich verboten, in und ausser Frankreich und dem Koenigreich Italien, nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbuerger, sondern auch gegen Fremde. Diese neun Artikel sind publiziert worden den 2. Maerz 1807 und unterschrieben von dem Vorsteher des Grossen Sanhedrin, Rabbi d. Sinzheim von Strassburg und andern hohen Ratsherren. Der grosse Schwimmer Vor dem leidigen Krieg, als man noch unangefochten aus Frankreich nach England reisen und in Dover ein Schoepplein trinken oder Zeug kaufen konnte zu einem Westlein, ging woechentlich zweimal ein grosses Postschiff von Calais nach Dover durch die Meerenge und wieder zurueck. Denn dort ist das Meer zwischen beiden Laendern nur wenige Meilen breit. Aber man musste kommen, eh' das Schiff abfuhr, wenn man mitfahren wollte. Dies schien ein Franzos aus Gaskonien nicht zu wissen, denn er kam eine Viertelstunde zu spaet, als man schon die Huehner eintat in Calais, und der Himmel ueberzog sich mit Wolken. Soll ich jetzt ein paar Tage hier sitzen bleiben und Maulaffen feil haben, bis wieder eine Gelegenheit kommt? Nein, dachte er, ringer, ich gebe einem Schiffsmann ein Zwoelfsousstuecklein und fahre dem Postschiff nach. Denn ein kleines Boot faehrt geschwinder als das schwere Postschiff und holt es wohl ein. Als er aber in dem offenen Fahrzeuge sass, "wenn ich daran gedacht haette", sagte der Schiffsmann, "so haett' ich ein Spanntuch mitgenommen"; denn es fing an zu troepfeln; aber wie? In kurzer Zeit stroemte ein Regenguss aus der hohen Nacht herab, als wenn noch ein Meer von oben mit dem Meer von unten sich vermaehlen wollte. Aber der Gaskonier dachte: "Das gibt einen Spass."--"Gottlob!" sagte endlich der Schiffsmann, "ich sehe das Postschiff." Als er nun an demselben angelegt hatte, und der Gaskonier war hinaufgeklettert und kam mitten in der Nacht und mitten im Meer auf einmal durch das Tuerlein hinein zu der Reisegesellschaft, die im Schiff sass, wunderte sich jeder, wo er herkomme, so spaet, so allein und so nass. Denn in einem solchen Meerschiff sitzt man wie in einem Keller und hoert vor dem Gespraech der Gesellschaft, vor dem Geschrei der Schiffsleute, vor dem Getoese, vor dem Rauschen der Segel und Brausen der Wellen nicht, was draussen vorgeht, und keinem dachte das Herz daran, dass es regnete. "Ihr seht ja aus", sagte einer, "als wenn Ihr waeret gekielholt, das heisst unter dem Schiff durchgezogen worden."--"So? Meint Ihr", sagte der Gaskonier, "man koenne trocken schwimmen? Wenn das noch einer erfindet, so will ich's auch lernen, denn ich bin der Bote von Oleron und schwimme alle Montage mit Briefen und Bestellungen nach dem festen Lande, weil's geschwinder geht. Aber jetzt hab' ich etwas in England zu verrichten. Wenn's erlaubt ist", fuhr er fort, "so will ich nun vollends mitfahren, weil ich euch gluecklicherweise angetroffen habe. Es kann den Sternen nach nimmer weit sein nach Dover."--"Landsmann", sagte einer und stiess eine Wolke von Tabaksrauch aus dem Mund (es war aber kein Landsmann, sondern ein Englaender), "wenn Ihr von Calais bis hierher geschwommen seid durch das Meer, so seid Ihr noch ueber den schwarzen Schwimmer in London."--"Ich gehe keinem aus dem Weg", sagte der Gaskonier.-- "Wollt Ihr's mit ihm versuchen", erwiderte der Englaender, "wenn ich hundert Louisdor auf Euch setze?" Der Gaskonier sagte: "Mir an!" Reiche Englaender haben im Brauch, auf Leute, die sich in einer koerperlichen Kunst hervortun, grosse Summen untereinander zu verwetten; deswegen nahm der Englaender im Schiff den Gaskonier auf seine Kosten mit sich nach London und hielt ihm gut zu mit Essen und Trinken, dass er bei guten Kraeften bliebe. "Mylord", sagte er in London zu einem guten Freund, "ich habe einen Schwimmer mitgebracht vom Meer. Gilt's hundert Guineen: er schwimmt besser als Euer Mohr?" Der gute Freund sagte: "Es gilt!" Den andern Tag erschienen beide mit ihren Schwimmern auf einem bestimmten Platz an dem Themsefluss, und viel hundert neugierige Menschen hatten sich versammelt und wetteten noch extra, der eine auf den Mohr, der andere auf den Gaskonier, einen Schilling, sechs Schilling; eine, zwei, fuenf, zehn, zwanzig Guineen, und der Mohr schlug den Gaskonier nicht hoch an. Als sich aber beide schon ausgekleidet hatten, band sich der Gaskonier mit einem ledernen Riemen noch ein Kistlein an den Leib und sagte nicht warum, als wenn's so sein muesste. Der Mohr sagte "Wie kommt Ihr mir vor? Habt Ihr so etwas dem grossen Springer abgelernt, der Bleikugeln an die Fuesse binden musste, wenn er einen Hasen fangen wollte, damit er den Hasen nicht uebersprang?" Der Gaskonier oeffnete das Kistlein und sagte: "Ich habe nur eine Flasche Wein darin, ein paar Knackwuerste und ein Laiblein Brot. Ich wollte Euch eben fragen, wo Ihr Euere Lebensmittel habt. Denn ich schwimme jetzt geradeswegs den Themsefluss hinab in die Nordsee und durch den Kanal ins Atlantische Meer nach Cadix, und wenn's nach mir geht, so kehren wir unterwegs nirgends ein, denn bis Montag, als den sechzehnten, muss ich wieder in Oleron sein. Aber in Cadix im Roesslein will ich morgen frueh ein gutes Mittagessen bestellen, dass es fertig ist, bis Ihr nachkommt." Der geneigte Leser haette kaum gedacht, dass er sich auf diese Art aus der Affaere herausziehen wuerde. Aber der Mohr verlor Hoeren und Sehen. "Mit diesem Enterich", sagte er zu seinem Herrn, "kann ich nicht in die Wette schwimmen. Tut, was ihr wollt", und kleidete sich wieder an. Also war die Wette zu Ende, und der Gaskonier bekam von seinem Englaender, der ihn mitgebracht hatte, eine ansehnliche Belohnung, der Mohr aber wurde von jedermann ausgelacht. Denn ob man wohl merken mochte, dass es von dem Franzosen nur Spiegelfechterei war, so fand doch jedermann Vergnuegen an dem kecken Einfall und an dem unerwarteten Ausgang, und er wurde nachher von allen, die auf ihn gewettet hatten, noch vier Wochen lang in allen Wirtshaeusern und Bierkneipen freigehalten und bekannte, dass er noch sein Leben lang in keinem Wasser gewesen sei. Der Handschuhhaendler Ein Handschuhhaendler, welcher eine Kiste voll feine Handschuh aus Frankreich nach Deutschland bringen wollte, gebrauchte folgende List. Naemlich, es ist ein Gesetz an den franzoesischen Zollstaetten, dass, wer mit einer Ware hinueber oder herueber will, der muss angeben, "wie hoch schaetzest du sie", wegen dem Zoll. Schaetzt er sie nun, dass es gehen und stehen mag, gut, so zahlt er den Zoll, so viel oder so wenig. Sieht aber der Zollgardist, dass der Kaufmann oder der Kraemer seine Ware viel zu gering anschlaegt, damit er nicht viel dafuer entrichten muss, so darf der Zollgardist sagen: "Gut, ich gebe dir so viel dafuer, ich geb' dir auch zehn Prozent mehr", so muss sich's dann der Kraemer gefallen lassen. Der Kraemer bekommt das Geld, und der Zollgardist behaltet die Ware, die alsdann versteigert wird in Kolmar oder in Strassburg oder so. Solches ist listig ausgedacht, und man kann nichts dagegen sagen. Aber der Listigste findet seinen Meister. Ein Kaufmann, welcher zwei Kisten voll Handschuh ueber den Rhein bringen wollte, verabredete zuerst etwas mit einem Freunde. Alsdann legte er in die erste Kiste lauter rechte Handschuhe, naemlich fuer die rechte Hand, je zwei und zwei, in die andere lauter linke. Die linken schmuggelte er bei Nacht und Nebel herueber. Siehst du nichts, merkst du nichts. Mit den andern kam er an der Zollstaette an. "Was habt Ihr in Eurer Kiste?" "Pariser Handschuhe." "Wie hoch schlagt Ihr sie an?" "Zweihundert Franken." Der Zollgardist betastete die Handschuhe; zart war das Leder, fest war es auch, fein die Naht, kurz sie waren 400 Franken wert zwischen Bruedern. "Ich gebe euch 220 Franken dafuer, sagte der Zollgardist, "sie sind mein." Der Kraemer sagt: "Sind sie Euer, so sind sie mein gewesen. Zehn Prozent sind auch Profit." Also nahm er 220 Franken und liess die Kiste im Stich. Freitags drauf in Speier im Kaufhaus, es war noch in der alten Zeit, kamen die Handschuhe zur Steigerung. "Wer gibt mehr als zweihundert und zwanzig?" Die Liebhaber besichtigten die Ware. " Es scheint mir", sagte der Freund des Kraemers, "die linken seien etwas rar." "Parbleu", sagte ein anderer, "es sind lauter rechte." Kein Mensch tat ein Gebot. "Wer gibt zweihundert?--hundertundfuenfzig?--hundert?--Wer gibt achtzig?"--Kein Gebot. "Wisst ihr was", sagte endlich der Freund des Kraemers, "es kommen vielleicht viel Leute mit einzechten Armen aus dem Feld zurueck." Es war Anno 13. "Ich geb sechzig Franken!" sagte er. Wem zugeschlagen wurde, war er. Wer vor Zorn des Henkers haette werden moegen, war der ueberrheinische Zollgardist. Der angestellte Kaeufer aber hat hernach die rechten Handschuhe ebenfalls ueber den Rhein geschmuggelt--siehst du nichts, merkst du nichts, und hat sie in Waldangelloch mit seinem Freund wieder zusammensepariert, je einen linken und einen rechten, und haben sie in Frankfurt auf der Messe fuer ein teures Geld verkauft. An dem Zollgardist aber hat der Kraemer gewonnen: einhundertundvierzig Franken und den Zoll. Item, wie sagt die Schrift? "Ich wusste nichts von der Lust, so das Gesetz nicht haette gesagt: lass dich nicht geluesten!" Der Heiner und der Brassenheimer Mueller Eines Tages sass der Heiner ganz betruebt in einem Wirtshaus und dachte daran, wie ihn zuerst der rote Dieter und danach sein eigener Bruder verlassen haben, und wie er jetzt allein ist. "Nein", dachte er, "es ist bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint, es sei einer noch so ehrlich, so ist er ein Spitzbub." Unterdessen kommen mehrere Gaeste in das Wirtshaus und trinken Neuen, und "wisst Ihr auch," sagte einer, "dass der Zundelheiner im Land ist und wird morgen im ganzen Amt ein Treibjagen auf ihn angestellt, und der Amtmann und die Schreiber stehen auf dem Anstand?" Als das der Heiner hoerte, wurde es ihm gruen und gelb vor den Augen, denn er dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sei er verraten. Ein anderer aber sagte: "Es ist wieder einmal ein blinder Laerm. Sitzt nicht der Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?" Drueber kommt auf einem wohlgenaehrten Schimmel der Brassenheimer Mueller mit roten Pausbacken und kleinen, freundlichen Augen dahergeritten. Und als er in die Stube kam, und tut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen, Bescheid und hoert, dass sie von dem Zundelheiner sprechen, sagt er: "Ich hab' schon so viel von dem Zundelheiner erzaehlen gehoert. Ich moecht' ihn doch auch einmal sehen." Da sagte ein anderer: "Nehmt Euch in acht, dass Ihr ihn nicht zu frueh zu sehen bekommt! Es geht die Rede, er sei wieder im Land." Aber der Mueller mit seinen Pausbacken sagte: "Pah! ich komm' noch bei guter Tageszeit durch den Fridstaedter Wald, dann bin ich auf der Landstrasse; und wenn's fehlen will, geb' ich dem Schimmel die Sporen." Als das der Heiner hoerte, fragt er die Wirtin: "Was bin ich schuldig", und geht fort in den Fridstaedter Wald. Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein lahmer Mensch. "Gebt mir fuer ein Kaesperlein Eure Kruecke", sagte er zu dem lahmen Soldaten. "Ich habe das linke Bein uebertreten, dass ich laut schreien moechte, wenn ich drauf treten muss. Im naechsten Dorf, wo Ihr abgeladen werdet, macht Euch der Wagner eine neue." Also gab ihm der Bettler die Kruecke. Bald darauf gehen zwei betrunkene Soldaten an ihm vorbei und singen das Reiterlied. Wie er in den Fridstaedter Wald kommt, haengt er die Kruecke an einen hohen Ast, setzt sich ungefaehr sechs Schritte davon weg an die Strasse und zieht das linke Bein zusammen, als wenn er lahm waere. Drueber kommt auf stattlichem Schimmel der Mueller daher trottiert und macht ein Gesicht, als wenn er sagen wollte: "Bin ich nicht der reiche Mueller, und bin ich nicht der schoene Mueller, und bin ich nicht der witzige Mueller?" Als aber der witzige Mueller zu dem Heiner kam, sagte der Heiner mit klaeglicher Stimme: "Wolltet Ihr nicht ein Werk der Barmherzigkeit tun an einem armen, lahmen Mann? Zwei betrunkene Soldaten, sie werden Euch wohl begegnet sein, haben mir all mein Almosengeld abgenommen und haben mir aus Bosheit, dass es so wenig war, die Kruecke auf jenen Baum geschleudert, und ist an den Aesten haengen blieben, dass ich nun nimmer weiter kann. Wolltet Ihr nicht so gut sein und sie mit Eurer Peitsche herabzwicken?" Der Mueller sagte: "Ja, sie sind mir begegnet an der Waldspitze. Sie haben gesungen: So herzig, wie mein Liesel ist halt nichts auf der Welt." Weil aber der Mueller auf einem schmalen Steg ueber einen Graben zu dem Baum musste, so stieg er von dem Ross ab, um dem armen Teufel die Kruecke herabzuzwicken. Als er aber an dem Baum war, und schaut hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen und reitet davon. "Lasst Euch das Gehen nicht verdriessen," rief er dem Mueller zurueck, "und wenn Ihr heimkommt, so richtet Eurer Frau einen Gruss aus von dem Zundelheiner!" So etwas muss man selber sehen, wenn man's glauben soll. Deswegen steht's hierneben abgebildet. Als er aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach Brassenheim und an die Muehle kam und alle Raeder klapperten, dass ihn niemand hoerte, stieg er vor der Muehle ab, band dem Mueller den Schimmel wieder an der Haustuere an und setzte seinen Weg zu Fuss fort. Der Herr Graf Eines Abends, da sassen wir in einem vornehmen Gasthause und vexierten einander mit allerlei. "Wisst Ihr noch, zum Beispiel", fragte der Graf den Hausfreund, "wie Ihr einst mit einem fremden Herrn angegangen seid, an dem naemlichen Platz, wo Ihr jetzt sitzet, von wegen der Sternseherei, und wie Ihr von einem beschrien worden seid, als Ihr nachher auf dem linken Fluegel wolltet abziehen? Man muss sich mit fremden Leuten in acht nehmen, die man nicht kennt", sagte der Graf im Scherz, und erfuhr es bald nachher im Ernst. Denn mancher gibt eine gute Lehre und befolgt sie selber nicht. Es kamen jetzt aus einer Chaise vier fremde Personen in die Stube und darunter zwei schoene weibliche Gestalten, wie sie der Graf gerne sieht, und freute sich schon der angenehmen Tischgesellschaft. Als wir aber naeher zusammenrueckten, damit die Fremden Platz haetten am Tisch, bestellten sie ihr Nachtessen in ein eigenes Gemach, denn sie seien muede von der Reise und reich. Als aber der Hausfreund hinwiederum den Grafen vexieren wollte: "denkt Ihr auch noch daran, wie Ihr einmal seid heimgeschickt worden, als der ungarische Major im Land war", da war schon kein Graf mehr weit und breit zu sehen, sondern er war mit des Wirts Vorwissen und Gefaelligkeit in eine Kammer gegangen und kleidete sich daselbst anderst an, als wenn er in die Wirtschaft gehoerte. In solcher Gestalt ging er in die Stube, wo die Fremden waren, deckte den Tisch, brachte das Essen, wartete auf und erfreute sein Herz an der Schoenheit der weiblichen Gestalten und an ihren suessen Reden. Auch musste er ihnen Neuigkeiten erzaehlen. Mehr Ungluecksfaelle sind in zehn Jahren nicht geschehen, als damals an einem Tag nach des Grafen Erzaehlung. Den andern Tag reisten die Fremden wieder weiter, wir meinten nach Basel. Am Mittwoch aber oder Donnerstags drauf wurden wir einig, in die lustige Badestadt zu gehen, wo unzaehlige Fremde aus allen Weltteilen der Gesundheit pflegen und sich der wunderschoenen Landschaft erfreuen. Als wir aber dort um die Mittagszeit in einen Speisesaal traten, es waren schon viele Leute da, erblickten wir die naemlichen vier Personen wieder und sie uns; und wer uns kannte, bewillkommte uns laut mit Namen und tat uns unsre Ehre an. "Seid uns hoechlich gegruesst, Herr Graf! Guten Tag, Herr Hausfreund! Was fuehrt Euch fuer ein Gluecksstern zu uns, Herr Graf? Hausfreund, was bringt Ihr Neues von daheim?" Da schaute mit Schweisstropfen auf der Stirne der Graf den Hausfreund an: "Jetzt ist guter Rat teuer, wenn Ihr keinen wisst. Was Ihr aber tut, bringt's nicht in den Kalender." "Herr Graf", erwiderte der Hausfreund, "diesmal will ich Euch noch retten. Aber kuenftig befolgt die Lehren selbst, die Ihr andern gebt! In solche Verlegenheit kommt man mit Euch." Also redete der Hausfreund mit dem Wirt, was er zu den fremden Personen sagen sollte. Der Wirt sagte: "Wenn das so ist, so muss man freilich aus der Not eine Tugend machen", und redete mit den Fremden. "Wisst ihr", sagte er, "wer die zwei Personen sind, die zuletzt da hereinkamen? Der eine ist eines Wirts Sohn nicht weit von hier, sonst ein wahrheitsliebender junger Mann, nur bisweilen, nachdem als der Mond steht, kommt es ihm in den Kopf, er sei der Graf Susse. Deswegen machen ihm die Leute, weil er gut ist, diesen Spass. Der andere ist der Rheinlaendische Hausfreund, dem im Jahr 1814 auf 1815 eine Eule aufgesessen ist, wie ihr im Morgenblatt koennt gelesen haben." Da sprach die eine weibliche Gestalt halb seufzend: "Der arme Mensch!" - naemlich der Graf--"wir kennen ihn", sagte sie. "Wir haben auch damals schon etwas an ihm gemerkt. Statt des Kaffee, den er uns auf den andern Morgen bestellen sollte, bestellte er uns eine Habermehlsuppe." Also wurde die Sache noch gluecklich vertuscht, und als sie hernach sahen, mit welcher Feinheit und Wuerde er sich gegen jedermann benahm, sagten sie: "Man sieht's ihm recht an, dass ihm der Graf von Herzen geht. Mit Vorsatz koennte sich einer nicht so verstellen." Der Herr Wunderlich Nicht nur wird die Einfalt von dem Mutwillen irregefuehrt, oft auch von dem Zufall. Seltener erloest sie der Zufall wieder aus den Fangstricken des Mutwillens. Wie erging es jenem Bauersmann, der in der Stadt einem Buerger namens Wunderlich einen Wagen voll Holz verkauft hatte auf dem Marktplatz? "Fahrt jetzt nur dort die Strasse hinaus", sagte der Buerger, "bis zum Eisenladen, hernach links in die Gasse, hernach beim ersten Brunnen wieder rechts, hernach beim Roten Loewen wieder links. Numero 428 ist mein Haus, Jakob Wunderlich." Und bis so weit gut. Der Bauersmann aber dachte: "Ist's nicht noch frueh am Vormittag, hab' ich nicht das Holz um einen guten Preis verkauft, will ich nicht zuerst noch ein Schoepplein trinken in der Kneipe da?" und repetierte fuer sich: "Eisenladen,--links--rechts--links-- Numero 428." Aber in der Kneipe sassen bei einem Saueressen auch schon ein paar lustige Gesellen, und als sie ihn sahen hereinkommen, stiess einer den andern mit den Ellenbogen, und der andere fing an, als wenn er fortfuehre: "Drum muss man's selber gesehen haben", sagte er, "und bei den Russen gewesen sein, wenn man's glauben soll, wo der Mann im mittleren Glied, ich will vom Fluegelmann nicht reden, zwanzig Ellen misst, auch weniger. Jeder Finger ist eine Pistole, die Zaehne sind Pallisaden mit Feldschlangen dazwischen, die Nase ein Bollwerk, die Augen Bombenkugeln. Jedes Barthaar ist ein Bajonett, jedes Haupthaar ein Sabel. Ein solcher Sabel laesst sich auseinanderziehen, wie ein Perspektiv, fuer in die Naehe zu fechten und in die Weite. Verliert ihn einer, so zieht er einen andern aus dem Haar. An den Fuessen sind ihnen Schiffe gewachsen, und es ist ihnen einerlei, ob auf dem Wasser oder auf dem Land. Der Mann schultert seinen Achtundvierzigpfuender. Jeder hat sieben Leben. Toetet Ihr ihm eins, so hat er noch sechs. Jeder Gemeine hat Majorsrang." Der geneigte Leser wird an diesem Muesterlein genug haben. Unserm Bauersmann aber verging Hoeren und Sehen, und so weit war es nicht gut. Denn als er wieder auf die Strasse kam, waren ihm vor Staunen und Entsetzen der Eisenladen, die Gasse links, die Gasse rechts und der Herr Wunderlich aus dem Gedaechtnis heraus verschwunden, und wen er fragte: "Guter Freund, wisst Ihr mir nicht zu sagen, wo der Herr wohnt, dem ich das Holz verkauft habe, so und so sieht er aus?" der gab ihm keine Antwort oder eine falsche. Der eine sagte: "Am obern Tore Numero 1." Dort sagte ein anderer: "Nein, er ist ausgezogen und wohnt jetzt in der untern Vorstadt Numero 916. Gluecklicherweise fuehrte ihn sein Weg nach der untern Vorstadt durch die Schulgasse, und einige Schueler standen vor der Tuere. Die Buerschlein, dachte er, wissen sonst den Bescheid in der Stadt herum am besten, weil sie der Wind aus allen Gassen zusammengeht. "Junger Herr", sagte er zu einem, "wolltet Ihr mir nicht sagen, wo der Herr wohnt, der mir dieses Holz abgekauft hat", und so und so. Der Schueler, ein durchtriebener Kopf, erwiderte: "Guter Freund, ich bin noch nicht in der Schwarzen Kunst, ich bin noch in der Philosophie (so hiess die Klasse, worin er sass). Wenn ihr aber", sagte er, "zu dem Herrn in der obern Stube gehen wollt, der das grosse Buch hat, wo Gribis Grabis drin steht: Tunkus, Blemsum, Schalelei, Ikmack und Norma, der schlagt's Euch auf fuer zwei Schillinge." In der obern Stube legte er zwei Schillinge auf den Tisch. "Herr Magister, ich habe vergessen, wie der Herr heisst, und wo er wohnt, dem ich mein Holz verkauft habe. Wollet Ihr nicht so gut sein und es mir aus Euerm Gribis-Grabis-Buch dort sagen." Der Schulherr aber schaute diese Zumutung mit ungemeinem Staunen an, also dass er zuletzt die Brille abhob und den baumwollenen Schlafrock uebereinadernahm. "Guter Freund", wollte er sagen, "das ist wohl wunderlich von Euch, dass Ihr meint, ich koenne Euch aus meinen Buechern sagen, was Euch im Kopf fehlt." Als er aber angefangen hatte: "Guter Freund, das ist wohl wunderlich", fiel ihm der Bauersmann mit freudiger Verwunderung in die Rede. "Ganz richtig", sagte er, "es ist Herr Wunderlich. Sapperment", sagte er, "das heiss ich ins Schwarze getroffen gleich auf den ersten Schuss und ohne Buch", und entsetzte sich jetzt noch viel mehr ueber die allwissende Gelehrsamkeit des Schulherrn, als vorher ueber die fuerchterlichen Soldaten in der Kneipe. Der Schulherr aber gab ihm seine zwei Schillinge wieder und liess ihm hernach durch ein Bueblein zeigen, wo der Herr Wunderlich wohnt. Also hat dem Mann ein laecherlicher Zufall wieder auf die Spur geholfen, von welcher er war abgeleitet worden durch den Mutwillen. Der Husar in Neisse Als vor achtzehn Jahren die Preussen mit den Franzosen Krieg fuehrten und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie auch nicht daran, dass sich das Blaettlein wenden koennte, und dass der Franzos noch im Jahr 1806 nach Preussen kommen und den ungebetenen Besuch wettmachen werde. Denn nicht jeder fuehrte sich auf, wie es einem braven Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals ein brauner preussischer Husar, der ein boeser Mensch war, in das Haus eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel war, und viel Geldeswert, zuletzt auch noch das schoene Bett mit nagelneuem Ueberzug und misshandelte Mann und Frau. Ein Knabe von acht Jahren bat ihn kniend, er moechte doch seinen Eltern nur das Bett wiedergeben. Der Husar stosst ihn unbarmherzig von sich. Die Tochter laeuft ihm nach, haelt ihn am Dolman fest und fleht um Barmherzigkeit. Er nimmt sie und wirft sie in den Sodbrunnen, so im Hofe steht, und rettet seinen Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er seinen Abschied, setzt sich in der Stadt Neisse in Schlesien, denkt nimmer daran, was er einmal veruebt hat, und meint, es sei schon lange Gras darueber gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806? Die Franzosen ruecken in Neisse ein; ein junger Sergeant wird abends einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der Sergeant ist auch brav, fuehrt sich ordentlich auf und scheint guter Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum Fruehstueck. Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen wollte, ging sie endlich in das Stueblein hinauf, macht leise die Tuere auf und will sehen, ob ihm etwas fehlt. Da sass der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die Haende ineinander gelegt und seufzte, als wenn ihm ein gross Unglueck begegnet waere, oder als wenn er das Heimweh haette oder so etwas, und sah nicht, dass jemand in der Stube ist. Die Frau aber ging leise auf ihn zu und fragte ihn: "Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant, und warum seid Ihr so traurig?" Da sah sie der Mann mit einem Blick voll Traenen an und sagte, die Ueberzuege dieses Bettes, in dem er heute Nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in Champagne angehoert, die in der Pluenderung alles verloren haben und zu armen Leuten geworden seien, und jetzt denke er an alles und sein Herz sei voll Traenen. Denn es war der Sohn des gepluenderten Mannes in Champagne und kannte die Ueberzuege noch, und die roten Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja auch noch daran. Da erschrak die gute Frau und sagte, dass sie dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch hier in Neisse lebe, und sie koenne nichts dafuer. Da stand der Franzose auf und liess sich in das Haus des Husaren fuehren und kannte ihn wieder. "Denkt Ihr noch daran", sagte er zu dem Husaren, "wie Ihr vor 18 Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut und zuletzt auch noch das Bett aus dem Hause getragen habt, und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjaehriger Knabe um Schonung anflehte, und an meine Schwester?" Anfaenglich wollte der alte Suender sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Kriege nicht alles, wie es soll, und was der eine liegen lasse, hole doch ein anderer, und Lieber nimmt man's selber. Als er aber merkte, dass der Sergeant der naemliche sei, dessen Eltern er gepluendert und misshandelt hatte, und als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor Gewissensangst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem Franzosen auf die zitternden Knie nieder und konnte nichts mehr herausbringen als: "Pardon!", dachte aber: Es wird nicht viel helfen. Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: "Jetzt wird der Franzos den Husaren zusammenhauen", und freut sich schon darauf. Allein das koennte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und veraechtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Boeses mit Boesem vergelten. So dachte der Franzose auch und sagte: "Dass du mich misshandelt hast, das verzeihe ich dir. Dass du meine Eltern misshandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine Eltern verzeihen. Dass du meine Schwester in den Brunnen geworfen hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott!"--Mit diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide zu tun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher zumut, als wenn er vor dem juengsten Gericht gestanden waere und haette keinen guten Bescheid bekommen. Denn er hatte von dieser Zeit an keine ruhige Stunde mehr und soll nach einem Vierteljahr gestorben sein. Merke: Man muss in der Fremde nichts tun, worueber man sich daheim nicht darf finden lassen. Merke: Es gibt Untaten, ueber welche kein Gras waechst. Der kann Deutsch Bekanntlich gibt es in der franzoesischen Armee viele Deutschgeborene, die es aber im Feld und im Quartier nicht immer merken lassen. Das ist alsdann fuer einen Hauswirt, der seinen Einquartierten fuer einen Stockfranzosen haelt, ein gross Kreuz und Leiden, wenn er nicht franzoesisch mit ihm reden kann. Aber ein Buerger in Salzwedel, der im letzten Krieg einen Sundgauer im Quartier hatte, entdeckte von ohngefaehr ein Mittel, wie man bald dahinter kommt. Es ging so zu. Der Sundgauer parlierte lauter Foudre Diable, forderte mit dem Saebel in der Faust immer etwas anders, und der Salzwedler wusste nie, was? Haett's ihm gern gegeben, wenn er gekonnt haette. Da sprang er in der Not in seines Nachbarn Haus, der sein Gevatter war und ein wenig franzoesisch kann, und bat ihn um seinen Beistand. Der Gevatter sagte: "Er wird aus der Dauphine sein, ich will schon mit ihm zurechtkommen." Aber weit gefehlt. War's vorher arg, so war's jetzt aerger. Der Sundgauer machte Forderungen, die der gute Mann nicht zu befriedigen wusste, so dass er endlich im Unwillen sagte "Das ist ja der vermaledeiteste Spitzbube, mit dem mich der Bolettenschreiber noch heimgesucht hat." Aber kaum war das unvorsichtige Wort heraus, so bekam er von dem vermeinten Stockfranzosen eine ganz entsetzliche Ohrfeige. Da sagte der Nachbar: "Gevattermann! Nun lasst Euch nimmer Angst sein, der kann Deutsch." Der kluge Richter Dass nicht alles so uneben sei, was im Morgenlande geschieht, das haben wir schon einmal gehoert. Auch folgende Begebenheit soll sich daselbst zugetragen haben: Ein reicher Mann hatte eine betraechtliche Geldsumme, welche in ein Tuch eingenaehet war, aus Unvorsichtigkeit verloren. Er machte daher seinen Verlust bekannt und bot, wie man zu tun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von hundert Talern, an. Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann dahergegangen. "Dein Geld habe ich gefunden. Dies wird's wohl sein! So nimm dein Eigentum zurueck!" So sprach er mit dem heitern Blick eines ehrlichen Mannes und eines guten Gewissens, und das war schoen. Der andere machte auch ein froehliches Gesicht, aber nur, weil er sein verloren geschaetztes Geld wieder hatte. Denn wie es um seine Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen. Er zaehlte das Geld, und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um seine versprochene Belohnung bringen koennte. "Guter Freund", sprach er hierauf, " es waren eigentlich 800 Taler in dem Tuch eingenaeht. Ich finde aber nur noch 700 Taler. Ihr werdet also wohl eine Naht aufgetrennt und Eure 100 Taler Belohnung schon herausgenommen haben. Da habt Ihr wohl daran getan. Ich danke Euch." Das war nicht schoen. Aber wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich waehrt am laengsten, und Unrecht schlaegt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder, dem es weniger um die 100 Taler als um seine unbescholtene Rechtschaffenheit zu tun war, versicherte, dass er das Paecklein so gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie er's gefunden habe. Am Ende kamen sie vor den Richter. Beide beistanden auch hier noch auf ihrer Behauptung, der eine, dass 800 Taler seien eingenaeht gewesen, der andere, dass er von dem Gefundenen nichts genommen und das Paecklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung des andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so an: er liess sich von beiden ueber das, was sie aussagten, eine feste und feierliche Versicherung geben, und tat hierauf folgenden Ausspruch: "Demnach, und wenn der eine von euch 800 Taler verloren, der andere aber nur ein Paecklein mit 700 Talern gefunden hat, so kann auch das Geld des letztern nicht das naemliche sein, auf welches der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund, nimmst also das Geld, welches du gefunden hast, wieder zurueck, und behaeltst es in guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Taler verloren hat. Und dir da weiss ich keinen Rat, als du geduldest dich, bis derjenige sich meldet, der deine 800 Taler findet." So sprach der Richter, und dabei blieb es. Der kluge Sultan Zu dem Grosssultan der Tuerken, als er eben an einem Freitag in die Kirche gehen wollte, trat ein armer Teufel von seinen Untertanen mit schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchloecherten Pantoffeln, schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme uebereinander und sagte: "Glaubst du auch, grossmaechtiger Sultan, was der Prophet sagt?" Der Sultan, so ein guetiger Herr war, sagte: "Ja, ich glaube, was der Prophet sagt." Der arme Teufel fuhr fort: "Der Prophet sagt im Alkoran: Alle Muselmaenner (das heisst, alle Mohammedaner) sind Brueder. Herr Bruder, so sei so gut und teile mit mir das Erbe." Dazu laechelte der Kaiser und dachte: Das ist eine neue Art, ein Almosen zu betteln, und gibt ihm einen Loewentaler. Der Tuerke beschaut das Geldstueck lang auf der einen Seite und auf der andern Seite. Am Ende schuettelt er den Kopf und sagt: "Herr Bruder, wie komme ich zu einem schaebigen Loewentaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, als hundert Maulesel tragen koennen, und meinen Kindern daheim werden vor Hunger die Naegel blau, und mir wird naechstens der Mund ganz zuwachsen. Heisst das geteilt mit einem Bruder?" Der guetige Sultan aber hob warnend den Finger in die Hoehe und sagte: "Herr Bruder, sei zufrieden, und sage ja niemand, wieviel ich dir gegeben habe, denn unsere Familie ist gross, und wenn unsere andern Brueder alle auch kommen und wollen ihr Erbteil von mir, so wird's nicht reichen, und du musst noch herausgeben." Das begriff der Herr Bruder, ging zum Baeckermeister Abu Tlengi und kaufte ein Laiblein Brot, der Kaiser aber begab sich in die Kirche und verrichtete sein Gebet. Der Kommandant und die badischen Jaeger in Hersfeld Folgende Begebenheit verdient, dass sie im Andenken bleibe, und wer keine Freude daran hat, den will ich nicht loben. Im verflossenen Winter, als die franzoesische Armee und ein grosser Teil der bundesgenossischen Truppen in Polen und Preussen stand, befand sich ein Teil des badischen Jaegerregiments in Hessen und in der Stadt Hersfeld auf ihren Posten. Denn dieses Land hatte der Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen und mit Mannschaft besetzt. Da gab es nun von seiten der Einwohner, denen das Alte besser gefiel als das Neue, mancherlei Unordnungen, und es wurden besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlichkeiten ausgeuebt und unter andern ein franzoesischer Offizier getoetet. Das konnte der franzoesische Kaiser nicht geschehen lassen, waehrend er mit einem zahlreichen Feind im Angesicht kaempfte, dass auch hinter ihm Feindseligkeiten ausbrachen und ein kleiner Funke sich zu einer grossen Feuersbrunst entzuendete. Die armen Einwohner von Hersfeld bekamen daher bald Ursache, ihre unueberlegte Kuehnheit zu bereuen. Denn der franzoesische Kaiser befahl, die Stadt Hersfeld zu pluendern und alsdann an vier Orten anzuzuenden und in die Asche zu legen. Dieses Hersfeld ist ein Ort, der viele Fabriken und daher auch viele reiche und wohlhabende Einwohner und schoene Gebaeude hat; und ein Menschenherz kann wohl empfinden, wie es nun den armen Leuten, den Vaetern und Muettern zumute war, als sie die Schreckenspost vernahmen; und der arme Mann, dem sein Hab und Gut auf einmal auf dem Arm konnte weggetragen werden, war jetzt so uebel dran als der reiche, dem man es auf vielen Wagen nicht wegfuehren konnte; und in der Asche sind die grossen Haeuser auf dem Platz und die kleinen in den Winkeln auch so gleich als die reichen Leute und die armen Leute auf dem Kirchhof. Nun, zum Schlimmsten kam es nicht. Auf Fuerbitte der franzoesischen Kommandanten in Kassel und Hersfeld wurde die Strafe so gemildert: es sollten zwar nur vier Haeuser verbrannt werden, und dies war glimpflich; aber bei der Pluenderung sollte es bleiben, und das war noch hart genug. Die ungluecklichen Einwohner waren auch, als sie diesen letzten Bescheid hoerten, so erschrocken, so alles Mutes und aller Besinnung beraubt, dass sie der menschenfreundliche Kommandant selber ermahnen musste, statt des vergeblichen Klagens und Bittens die kurze Frist zu benutzen und ihr Bestes noch geschwind auf die Seite zu schaffen. Die fuerchterliche Stunde schlug; die Trommel wirbelte ins Klaggeschrei der Ungluecklichen. Durch das Getuemmel der Fluechtenden und Fliehenden und Verzweifelten eilten die Soldaten auf ihren Sammelplatz. Da trat der brave Kommandant von Hersfeld vor die Reihen seiner baldigen Jaeger, stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft vor die Augen und sagte hierauf: "Soldaten! Die Erlaubnis zu pluendern faengt jetzt an. Wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem Glied!" So sprach der Kommandant; und wer jetzt ein Glas voll Wein hat neben sich stehen, der trinke es aus zu Ehren der badischen Jaeger. Kein Mann trat aus dem Glied. Nicht einer! Der Aufruf wurde wiederholt. Kein Fuss bewegte sich; und wollte der Kommandant gepluendert haben, so haette er muessen selber gehen. Aber es war niemand lieber als ihm, dass die Sache also ablief; das ist leicht zu bemerken. Als die Buerger das erfuhren, war es ihnen zumute wie einem, der aus einem schweren Traum erwacht. Ihre Freude ist nicht zu beschreiben. Sie schickten sogleich eine Gesandtschaft an den Kommandanten, liessen ihm fuer diese Milde und Grossmut danken und boten ihm aus Dankbarkeit ein grosses Geschenk an. Wer weiss, was mancher getan haette! Aber der Kommandant schlug dasselbe ab und sagte: er lasse sich keine gute Tat mit Geld bezahlen. "Nur zum Andenken von euch", setzte er hinzu, "erbitte ich mir eine silberne Muenze, auf welcher die Stadt Hersfeld vorgestellt ist und der heutige Auftritt. Dies soll das Geschenk sein, welches ich meiner kuenftigen Gattin aus dem Krieg mitbringen will." Dies ist geschehen im Februar des Jahrs 1807, und so etwas ist des Lesens zweimal wert. Der Lehrjunge Eines Tages wurde in Rheinfelden ein junger Mensch wegen eines veruebten Diebstahls an den Pranger gestellt, an das Halseisen, und ein fremder, wohlgekleideter Mensch blieb die ganze Zeit unter den Zuschauern stehen und verwandte kein Auge von ihm. Als aber der Dieb nach einer Stunde herabgelassen wurde von seinem Ehrenposten und zum Andenken noch 20 Pruegel bekommen sollte, trat der Fremde zu dem Hatschier, drueckte ihm einen Kleinen Taler in die Hand und sagte: "Setzt ihm die Pruegel ein wenig kraeftig auf, Herr Haltunsfest! Gebt ihm die besten, die Ihr aufbringen koennt"; und der Hatschier mochte schlagen, so stark er wollte, so rief der Fremde immer: "Besser! Noch besser!" und den jungen Menschen auf der Schranne fragte er bisweilen mit hoehnischem Lachen: "Wie tut's, Buerschlein? Wie schmeckt's?" Als aber der Dieb zur Stadt war hinausgejagt worden, ging ihm der Fremde von weitem nach, und als er ihn erreicht hatte auf dem Weg nach Degerfelden, sagte er zu ihm: "Kennst du mich noch, Gutschick?" Der junge Mensch sagte: "Euch werde ich so bald nicht vergessen. Aber sagt mir doch, warum habt Ihr an meiner Schmach eine solche Schadenfreude gehabt und an dem Pass, den mir der Hatschier mit dem Weidenstumpen geschrieben hat, so ich doch Euch nicht bestohlen, auch mein Leben lang sonst nicht beleidiget habe." Der Fremde sagte: "Zur Warnung, weil du deine Sache so einfaeltig angelegt hattest, dass es notwendig herauskommen musste. Wer unser Metier treiben will, ich bin der Zundelfrieder", sagte er, und er war's auch--"wer unser Metier treiben will, der muss sein Geschaeft mit List anfangen und mit Vorsicht zu Ende bringen. Wenn du aber zu mir in die Lehre gehen willst, denn an Verstand scheint es dir nicht zu fehlen, und eine Warnung hast du jetzt, und so will ich mich deiner annehmen und etwas Rechtes aus dir machen." Also nahm er den jungen Menschen als Lehrjungen an, und als es bald darauf unsicher am Rhein wurde, nahm er ihn mit sich in die spanischen Niederlande. Der listige Kaufherr Der Adjunkt, der dieses schreibt, hat allemal eine grosse Freude, wenn er auch ein Geschichtlein einmauren kann in den Kalender. Denn was er in gelehrte Buecher hineinstiftet, lesen nicht viel Leute, am wenigsten die Gelehrten selber. Der Hausfreund aber hat nach den neuesten Zaehlungen 700'000 Leser, ohne die, welche umsonst zuhoeren. Diesmal aber freut er sich insbesondere zu erzaehlen, wie einmal ein grosser Spitzbube auch hinter das Licht gefuehrt worden ist; denn die Woelfe beissen bisweilen auch ein gescheites Huendlein, sagt Doktor Luther. Ein franzoesischer Kaufherr segelte mit einem Schiff voll grossen Reichtums aus der Levante heim, aus dem Morgenland, wo unser Glaube, unsere Fruchtbaeume und unser Blut daheim ist, und dachte schon mit Freuden daran, wie, er jetzt bald ein eigenes Schloesslein am Meer bauen, und ruhig leben und alle Abend dreierlei Fische zu Nacht speisen wolle. Paff, geschah ein Schuss. Ein algierisches Raubschiff war in der Naehe, wollte uns gefangen nehmen und geraden Wegs nach Algier fuehren in die Sklaverei. Denn hat man zwischen Wasser und Himmel gute Gelegenheit Luftschloesser zu bauen, so hat man auch gute Gelegenheit zu stehlen. So denken die algierschen Seeraeuber auch. Hat das Wasser keine Balken, so hat's auch keine Galgen. Zum Glueck hatte der Kaufherr einen Ragusaner auf dem Schiff, der schon einmal in algierischer Gefangenschaft gewesen war und ihre Sprache und ihre Pruegel aus dem Fundament verstand. Zu dem sagte der Kaufherr: "Nicolo, hast du Lust noch einmal algierisch zu werden? Folge mir, was ich dir sage, so kannst du dich erretten und uns." Also verbargen wir uns alle im Schiff, dass kein Mensch zu sehen war, nur der Ragusaner stellte sich oben auf das Verdeck. Als nun die Seeraeuber mit ihren blinkenden Saebeln schon nahe waren und riefen, die Christenhunde sollten sich ergeben, fing der Ragusaner mit klaeglicher Stimme auf algierisch an: Tschamiana, fing er an, tschamiana halakna bilabai monaschid ana billah onzorun min almaut. "Wir sind alle an der Pest gestorben bis auf die Kranken, die noch auf ihr Ende warten, und ein deutscher Adjunkt und ich. Um Gottes willen rettet mich!" Dem Algierer Seekapitaen, als er hoerte, dass er so nah an einem Schiff voll Pest sei, kam's gruen und gelb vor die Augen. In der groessten Geschwindigkeit hielt er das Schnupftuch vor die Nase, hatte aber keins, sondern den Aermel; und lenkte sein Schiff hinter den Wind. Lajonzork, sagte er, Allahorraman arrahim atabarra laka it schanat chall. "Gott helfe dir, der Gnaedige und Barmherzige! Aber geh zum Henker mit deiner Pest! Ich will dir eine Flasche voll Kraeuteressig reichen." Darauf liess er ihm eine Flasche voll Kraeuteressig reichen an einer langen Stange und segelte so schnell als moeglich linksum. Also kamen wir gluecklich aus der Gefahr, und der Kaufherr baute hernach in der Gegend von Marseille das Schloesslein und stellte den Ragusaner als Haushofmeister an auf lebenslang. Der listige Quaeker Die Quaeker sind eine Sekte, zum Exempel in England, fromme, friedliche und verstaendige Leute, wie hierzuland die Wiedertaeufer ungefaehr, und duerfen vieles nicht tun nach ihren Gesetzen: nicht schwoeren, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den Hut abziehn, aber reiten duerfen sie, wenn sie Pferde haben. Als einer von ihnen einmal abends auf einem gar schoenen, stattlichen Pferd nach Haus in die Stadt wollte reiten, wartet auf ihn ein Raeuber mit kohlschwarzem Gesicht ebenfalls auf einem Ross, dem man alle Rippen unter der Haut, alle Knochen, alle Gelenke zaehlen konnte, nur nicht die Zaehne, denn sie waren alle ausgebissen, nicht am Haber, aber am Stroh. "Kind Gottes", sagte der Raeuber, "ich moechte meinem armen Tier da, das sich noch dunkel an den Auszug der Kinder Israel aus Aegypten erinnern kann, wohl auch ein so gutes Futter goennen, wie das Eurige haben muss dem Aussehen nach. Wenn's Euch recht ist, so wollen wir tauschen. Ihr habt doch keine geladene Pistole bei Euch, aber ich." Der Quaeker dachte bei sich selbst: "Was ist zu tun? Wenn alles fehlt, so hab' ich zu Haus noch ein zweites Pferd, aber kein zweites Leben." Also tauschten sie miteinander, und der Raeuber ritt auf dem Ross des Quaekers nach Haus, aber der Quaeker fuehrte das arme Tier des Raeubers am Zaum. Als er aber gegen die Stadt und an die ersten Haeuser kam, legte er ihm den Zaum auf den Ruecken und sagte: "Geh voraus, Lazarus; du wirst deines Herrn Stall besser finden als ich." Und so liess er das Pferd vorausgehen und folgte ihm nach Gasse ein, Gasse aus, bis es vor einer Stalltuere stehen blieb. Als es stehen blieb und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und in die Stube, und der Raeuber fegte gerade den Russ aus dem Gesicht mit einem wollenen Strumpf. "Seid Ihr wohl nach Hause gekommen?" sagte der Quaeker. "Wenn's Euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern Tausch wieder aufheben, er ist ohnedem nicht gerichtlich bestaetigt. Gebt mir mein Roesslein wieder, das Eurige steht vor der Tuer." Als sich nun der Spitzbube entdeckt sah, wollte er wohl oder uebel, gab er dem Quaeker sein gutes Pferd zurueck. "Seid so gut", sagte der Quaeker, "und gebt mir jetzt auch noch zwei Taler Rittlohn; ich und Euer Roesslein sind miteinander zu Fuss spaziert." Wollte der Spitzbube wohl oder uebel, musst' er ihm auch noch zwei Taler Rittlohn bezahlen. "Nicht wahr, das Tierlein lauft einen sanften Trab?" sagte der Quaeker. Der listige Steiermarker In Steiermark, ein wenig abhanden von der Strasse, dachte ein reicher Bauer im letzten Krieg: wie fang' ich's an, dass ich meine Kronentaler und meine Dukaetlein rette in dieser boesen Zeit? Die Kaiserin Maria Theresia ist mir noch so lieb, troest' sie Gott, und der Kaiser Joseph, troest' ihn Gott, und der Kaiser Franz, Gott schenk' ihm Leben und Gesundheit. Und wenn man meint, man habe die lieben Herrschaften noch so gut verborgen und gefluechtet, so riecht sie der Feind, sobald er die Nase ins Dorf streckt, und fuehrt sie in die Gefangenschaft ins Lothringen oder in die Champagne, dass einem armen Untertanen das Herz dabei bluten moechte vor Patriotismus. "Jetzt weiss ich," sagte er, "wie ich's anfange", und trug das Geld bei dunkler, blinder Nacht in den Krautgarten. "Das Siebengestirn verratet mich nicht", sagte er. Im Krautgarten legte er das Geld geradezu zwischen die Gelveieleinstoecke und die spanischen Wicken. Nebendran grub er ein Loch in das Weglein zwischen den Beeten und warf allen Grund daraus auf das Geld und zertrat rings herum die schoenen Blumenstoecke und das Mangoldkraut, wie einer, der Sauerkraut einstampft. Am Montag drauf streiften schon die Chasseurs im ganzen Revier, und am Donnerstag kam eine Partie ins Dorf, frisch auf die Muehle zu, und aus der Muehle mit weissen Ellenbogen zu unserm Bauern: und "Geld her, Buur," rief ihm ein Sundgauer mit blankem Saebel entgegen, "oder bet' dein letztes Vaterunser." Der Bauer sagte, sie moechten nehmen, was sie in Gottes Namen noch finden. Er habe nichts mehr, es sei gestern und vorgestern schon alles in Rapuse gegangen. "Vor euch kann man etwas verbergen," sagt er, "ihr seid die Rechten." Als sie nichts fanden ausser ein paar Kupferkreuzer und einen vergoldeten Sechser mit dem Bildnis der Kaiserin Maria Theresia und ein Ringlein dran zum Anhaengen, "Buur," sagte der Sundgauer, "du hast dein Geld verlochet; auf der Stelle zeig', wo du dein Geld verlocht hast, oder du gehst ohne dein letztes Vaterunser aus der Welt." "Auf der Stelle kann ich's euch nicht zeigen," sagte der Bauer, "so sauer mich der Gang ankommt, sondern ihr muesst mit mir in den Krautgarten gehen. Dort will ich euch zeigen, wo ich es verborgen hatte, und wie es mir ergangen ist. Der Herr Feind ist schon gestern und vorgestern dagewesen und haben's gefunden und alles geholt." Die Chasseure nahmen den Augenschein im Garten ein, fanden alles, wie es der Mann angegeben hatte, und keiner dachte daran, dass das Geld unter dem Grundhaufen liegt, sondern jeder schaute in das leere Loch und dachte: waer' ich nur frueher gekommen. "Und haetten sie nur die schoenen Gelveieleinstoecke und den Goldlack nicht so verderbt", sagte der Bauer, und so hinterging er diese und alle, die noch nachkamen, und hat auf diese Art das ganze erzherzogliche Haus, den Kaiser Franz, den Kaiser Joseph, die Kaiserin Maria Theresia und den allerhoechstseligen Herrn Leopold den Ersten gerettet und gluecklich im Land behalten. Der Prozess ohne Gesetz Nur weil es unter allen Staenden einfaeltige Leute gibt, gibt es solche auch unter dem achtungswerten Bauernstand; sonst waer es nicht noetig. Ein solcher schob eines Morgens einen schwarzen Rettich und ein Stueck Brot in die Tasche, und "Frau", sagte er, "gib acht zum Haus, ich gehe jetzt in die Stadt." Unterwegs sagte er von Zeit zu Zeit: "Dich will ich bekommen. Mit dir will ich fertig werden", und nahm allemal eine Prise darauf, als wenn er den Tabak meinte, mit ihm woll' er fertig werden; er meinte aber seinen Schwager, den Oelmueller. In der Stadt ging er geradeswegs zu einem Advokaten und erzaehlte ihm, was er fuer einen Streit habe mit seinem Schwager wegen einem Stueck Reben im untern Berg, und wie einmal der Schwed am Rhein gewesen sei und seine Voreltern drauf ins Land gekommen seien, der Schwager aber sei von Enzberg im Wuerttembergischen, und der Herr Advokat soll jetzt so gut sein und einen Prozess daraus machen. Der Advokat mit einer Tabakspfeife im Mund, sie rauchen fast alle, tat gewaltige Zuege voll Rauch, und es gab lauter schwebende Ringlein in der Luft, der Adjunkt kann auch machen. Dabei war er aber ein aufrichtiger Mann, als Rechtsfreund und Rechtsbeistand natuerlich. "Guter Mann", sagte er, "wenn's so ist, wie Ihr mir da vortragt, den Prozess koennt Ihr nicht gewinnen", und holte ihm vom Schaft das Landrecht hinter einem porzellinen Tabakstopf hervor. "Seht da", schlug er ihm auf, "Kapitel soundsoviel, Numero vier, das Gesetz spricht gegen Euch unverrichteter Sachen." Indem klopft jemand an der Tuere und tritt herein, und ob er einen Zwerchsack ueber die Schulter haengen hatte und etwas drin, genug, der Advokat geht mit ihm in die Kammer abseits. "Ich komm' gleich wieder zu Euch." Unterdessen riss der Bauersmann das Blatt aus dem Landrecht, worauf das Gesetz stand, drueckte es geschwind in die Tasche und legte das Buch wieder zusammen. Als er wieder bei dem Advokaten allein war, stellt er den rechten Fuss ein wenig vor und schlotterte mit dem Knie ein paarmal ein- und auswaerts, teils weil es dortzuland zum guten Vortrag gehoert, teils damit der Advokat etwas sollte klingeln hoeren oben in der Tasche. "Ihr Gnaden", sagte er zu dem Advokaten, "ich hab' mich unterdessen besonnen. Ich meine, ich will's doch probieren, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten", und, machte ein verschlagenes Gesicht dazu, als wenn er noch etwas wuesste und sagen wollte: Es kann nicht fehlen. Der Advokat sagte: "Ich habe aufrichtig mit Euch gesprochen und Euch klaren Wein eingeschenkt." Der Bauersmann schaute unwillkuerlich auf den Tisch, aber er sah keinen. "Wenn Ihr's wollt drauf ankommen lassen", fuhr der Advokat fort, "so kommt's mir auch nicht drauf an." Der Bauersmann sagte: "Es wird nicht alles gefehlt sein." Kurz, der Prozess wird anhaengig, und der Advokat brauchte das Landrecht nicht mehr weiters dazu, weil er das Gesetz auswendig wusste wie alle. Item was geschieht? Der Gegenpart hatte einen saumseligen Advokaten, der Advokat verabsaeumt einen Termin, und unser Bauersmann gewinnt den Prozess. Als ihm nun der Advokat den Spruch publizierte, "aber nicht wahr", sagte der Advokat, "diesen schlechten Rechtshandel hab' ich gut fuer Euch gefuehrt?"--"Den Kuckuck hat Er", erwiderte der Bauersmann und zog das ausgerissene Blatt wieder aus der Tasche hervor: "Sieht Er da? Kann Er gedruckt lesen? Wenn ich nicht das Gesetz aus dem Landrecht gerissen haette, Er haett' den Prozess lang verloren." Denn er meinte wirklich, der Prozess sei dadurch zu seinem Vorteil ausgefallen, dass er das gefaehrliche Gesetz aus dem Landrecht gerissen hatte, und auf dem Heimweg, so oft er eine Prise nahm, machte er allemal ein pfiffiges Gesicht und sagte: "Mit dir bin ich fertig worden, Oelmueller." Item. So koennen Prozesse gewonnen werden. Wohl dem, der keinen zu verlieren hat. Der Rekrut Ein Rekrut, dem schon in den ersten 14 Tagen das Schildwachstehen langweilig vorkam, betrachtete einmal das Schilderhaus unten und oben und hinten und vornen, wie ein Foerster, wenn er einen Baum schaetzt, oder ein Metzger ein Haeuptlein Vieh. Endlich sagte er: "Ich moechte nur wissen, was sie an dem einfaeltigen Kasten finden, dass den ganzen Tag einer dastehen und ihn hueten muss." Denn er meinte, er stehe da wegen dem Schilderhaus, nicht das Schilderhaus wegen ihm. Der Rekrut Zum schwaebischen Kreiskontingent kam im Jahr 1795 ein Rekrut, so ein schoener, wohlgewachsener Mann war. Der Offizier fragte ihn, wie alt er sei. Der Rekrut antwortete: "Einundzwanzig Jahr. Ich bin ein ganzes Jahr lang krank gewesen, sonst waer' ich zweiundzwanzig." Der schlaue Husar Ein Husar im letzten Kriege wusste wohl, dass der Bauer, dem er jetzt auf der Strasse entgegenging, 100 Gulden fuer geliefertes Heu eingenommen hatte und heimtragen wollte. Deswegen bat er ihn um ein kleines Geschenk zu Tabak und Branntwein. Wer weiss, ob er mit ein paar Batzen nicht zufrieden gewesen waere. Aber der Landmann versicherte und beteuerte bei Himmel und Hoelle, dass er den eigenen letzten Kreuzer im naechsten Dorfe ausgegeben und nichts mehr uebrig habe. "Wenn's nur nicht so weit von meinem Quartier waere", sagte hierauf der Husar, "so waere uns beiden zu helfen; aber wenn du hast nichts, ich hab' nichts, so muessen wir den Gang zum heiligen Alfonsus doch machen. Was er uns heute beschert, wollen wir bruederlich teilen." Dieser Alfonsus stand in Stein ausgehauen in einer alten, wenig besuchten Kapelle am Feldweg. Der Landmann hatte anfangs keine grosse Lust zu dieser Wallfahrt. Aber der Husar nahm keine Vorstellung an und versicherte unterwegs seinen Begleiter so nachdruecklich, der heilige Alfonsus habe ihn noch in keiner Not stecken lassen, dass dieser selbst anfing, Hoffnung zu gewinnen. Vermutlich war in der abgelegenen Kapelle ein Kamerad und Helfershelfer des Husaren verborgen? Nichts weniger! Es war wirklich das steinerne Bild des Alfonsus, vor welchem sie jetzt niederknieten, waehrend der Husar gar andaechtig zu beten schien. "Jetzt", sagte er seinem Begleiter ins Ohr, "jetzt hat mir der Heilige gewunken." Er stand auf, ging zu ihm hin, hielt die Ohren an die steinernen Lippen und kam gar freudig wieder zu seinem Begleiter zurueck. "Einen Gulden hat er mir geschenkt: in meiner Tasche muesse er schon stecken." Er zog auch wirklich zum Erstaunen des andern einen Gulden heraus, den er aber schon vorher bei sich hatte, und teilte ihn versprochenermassen bruederlich zur Haelfte. Das leuchtete dem Landmann ein, und es war ihm gar recht, dass der Husar die Probe noch einmal machte. Alles ging das zweite Mal wie zuerst. Nur kam der Kriegsmann diesmal viel freudiger von dem Heiligen zurueck. "Hundert Gulden hat uns jetzt der gute Alfonsus auf einmal geschenkt. In deiner Tasche muessen sie stecken." Der arme Bauer wurde todesblass, als er dies hoerte, und wiederholte seine Versicherung, dass er gewiss keinen Kreuzer habe. Allein der Husar redete ihm zu, er sollte doch nur Vertrauen zu dem heiligen Alfonsus haben und nachsehen. Alfonsus habe ihn noch nie angefuehrt. Wollte er wohl oder uebel, so musste er seine Taschen umkehren und leer machen. Die hundert Gulden kamen richtig zum Vorschein, und hatte er vorher dem schlauen Husaren die Haelfte von seinem Gulden abgenommen, so musste er jetzt auch seine hundert Gulden mit ihm teilen, da half kein Bitten und kein Flehen. Das war fein und listig, aber eben doch nicht recht, zumal in einer Kapelle. Der schlaue Mann Einem andern, als er das Wirtshaussitzen bis nach Mitternacht anfing, schloss einmal die Frau nachts um zehn Uhr die Tuere zu und ging ins Bett, und wollt' er wohl oder uebel, so musste er unter dem Immenstand im Garten ueber Nacht sein. Den andern Tag, was tut er? Der geneigte Leser gebe acht! Als er ins Wirtshaus ging, hob er die Haustuere aus den Kloben und nahm sie mit, und frueh um ein Uhr, als er heimkam, haengt er sie wieder ein und schloss sie zu, und seine Frau hat ihn nimmer ausgeschlossen und ist ins Bett gegangen, sondern hat ihn nachher mit Liebe und Sanftmut gebessert. Der schlaue Pilgrim Vor einigen Jahren zog ein Muessiggaenger durch das Land, der sich fuer einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn und laufe geradenweges zum Heiligen Grab nach Jerusalem, fragte schon in Muellheim an der Post: "Wie weit ist es noch nach Jerusalem?" Und wenn man ihm sagte: "Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fussweg ueber Mauchen ist es eine Viertelstunde naeher", so ging er, um auf dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, ueber Mauchen. Das waere nun so uebel nicht. Man muss einen kleinen Vorteil nicht verachten, sonst kommt man zu keinem grossen. Man hat oefter Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, als einen Gulden. Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege von 700 Stunden nur allemal an fuenf Stunden weiss eine Viertelstunde abzukuerzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen--rechnet selber aus, wieviel? Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht ebenso, sondern weil er nur dem Muessiggang und guten Essen nachzog, so war es ihm einerlei, wo er war. Ein Bettler kann nach dem alten Sprichwort nie verirren, muss in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er nicht mehr drin bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreisst, zumal wenn er barfuss geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer darauf, sobald als moeglich wieder an die Landstrasse zu kommen, wo reiche Haeuser stehen und gut gekocht wird. Denn der Halunke war nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim sein soll, mit gemeiner Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte Kieselsteinsuppen. Wenn er naemlich irgendwo so ein braves Wirtshaus an der Strasse stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in Krotzingen oder den Baselstab in Schliengen, so ging er hinein und bat ganz demuetig und hungrig um ein gutes Wassersuepplein von Kieselsteinen, um Gottes willen, Geld habe er keines.--Wenn nun die mitleidige Wirtin zu ihm sagte: "Frommer Pilgrim, die Kieselsteine koennten Euch hart im Magen liegen!" so sagte er: "Eben deswegen! Die Kieselsteine halten laenger an als Brot, und der Weg nach Jerusalem ist weit. Wenn Ihr mir aber ein Glaeslein Wein dazu bescheren wollt, um Gottes willen, so koennt' ich's freilich besser verdauen." Wenn aber die Wirtin sagte: "Aber, frommer Pilgrim, eine solche Suppe kann Euch doch unmoeglich Kraft geben!" so antwortete er: "Ei, wenn Ihr anstatt des Wasser wolltet Fleischbruehe dazu nehmen, um Gottes willen, so waer's freilich nahrhafter." Brachte nun die Wirtin eine solche Suppe und sagte: "Die Tuenklein sind doch nicht so gar weich geworden", so sagte er: "Ja, und die Bruehe sieht gar duenn aus. Haettet Ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemues darein oder ein Stuecklein Fleisch oder beides um Gottes willen?" Wenn ihm nun die mitleidige Wirtin auch noch Gemues und Fleisch in die Schuessel legte, so sagte er: "Vergelts Euch Gott! Gebt mir jetzt Brot, so will ich die Suppe essen." Hierauf streifte er die Aermel seines Pilgergewandes zurueck, setzte sich und griff an das Werk mit Freuden, und wenn er Brot und Wein und Fleisch und Gemues und die Fleischbruehe aufgezehrt hatte bis auf den letzten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Aermel ab, oder auch gar nicht, und sagte: "Frau Wirtin, Eure Suppe hat mich rechtschaffen gesaettigt, so dass ich die schoenen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schad dafuer! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich Euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Askalon oder eine Rose von Jericho." (Drum huete dich; nicht das Gewand macht den Pilgrim, sondern der fromme Sinn, und eine Suende ist es, dasselbe zu missbrauchen.) Der Schneider in Pensa Der Schneider in Pensa, was ist das fuer ein Maennlein! Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus, jahrein fuer halb Russland Arbeit genug und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer Sinn, ein Gemuet, treu und koestlich wie Gold, und mitten in Asien deutsches Blut rheinlaendischer Hausfreundschaft. Im Jahre 1812, als Russland nimmer Strassen genug hatte fuer die Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch Pensa, das fuer sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spaet. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und uebernommen und alsdann weiter abgefuehrt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert, auch sechzehn Rheinlaender, badische Offiziere, die damals unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, ueber die Schlachtfelder und Brandstaetten Europas ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmassen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich ueber ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte: "Was wird aus uns werden?" oder "Wann wird der Tod unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine Deutschen da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Fuessen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebuertig aus Bretten im Neckarkreis, Grossherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nuernberg, hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfaelzer Schneider schlaegt sieben bis acht mal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber liess er sich unter ein russisches Kavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit ihm in die fremde russische Welt hinein, wo alles anders ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher haeuslich und buergerlich niederliess, ist er jetzt ein angesehenes Maennlein. Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreissig Stunden Weges ein Mensch ein Unglueck oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an; er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld. Einem Gemuete wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, bluehte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schoene Freudenernte Sooft ein Transport von ungluecklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und "Sind keine Deutschen da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum anderen, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so aussaehen", dachte er. Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte ihnen, bis sie weitergefuehrt wurden, ihr Elend, als nach Kraeften er konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele brave Landsleute, auch Darmstaedter und andere, hineinrief: "Sind keine Deutschen da?" er musste zum zweitenmal fragen, denn das erstemal konnten sie vor Staunen und Ungewissheit nicht antworten, sondern das suesse deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton, und als er hoerte: "Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er sei er waer' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte. "Von Mannheim am Rheinstrom", als wenn der Schneider nicht vor ihm gewusst haette, wo Mannheim liegt; der andere sagte: Yon Bruchsal", der dritte: "Von Heidelberg", der vierte: "Von Gochsheim", da zog es wie ein warmes, aufloesendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich bin von Bretten', sagte das herrliche Gemuet, Franz Anton Egetmeier von~Bretten, wie Joseph von Agypten zu den Soehnen Israels sagte: "Ich bin Joseph, euer Bruder" und die Traenen der Freude, der Wehmut und heiligen Heimatliebe traten a112n in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie einen freudigeren Fund an dem Schneider oder der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am geruehrtesten war. jetzt fuehrte der gute Mensch seine teuern Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquicklichen Mahle, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um dit Gnade, dass er seine Landsleute in Pensa behalten duerfe. "Anton", sagte der Statthalter, wann hab ich Euch etwas abgeschlagen?" jetzt lief er in der Stadt herum und suchte fuer die, die in seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus. jetzt musterte er seine Gaeste, einen nach dem anderen. "Herr Landsmann", sagte er zu dem einen, "mit Eurem Weisszeug sieht's windig aus. Ich werde Euch fuer ein halbes Dutzend neue Hemder sorgen." "Ihr braucht auch ein neues Roecklein", sagte er zu einem andern Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstuecken fuer seine werten rheinischen Hausfreunde. In wenigen Tagen waren alle neu oder anstaendig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Noeten ist, missbraucht niemals fremde Gutmuetigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinischen Hausfreunde: "Herr Landmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt keine Muenzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch fuer Eure grossen Auslagen werden schadlos halten koennen und wann."Darauf erwiderte der Schneider: "Ich finde hinlaengliche Entschaedigung in dem Gefuehl, Ihnen helfen zu koennen. Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder Koenig spricht, wenn, eingefasst in Wuerde, die Guete hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fuerstliche Geburt und Grossmut, sondern auch die liebe haeusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen koenigliche Sprueche ein, Gesinnungen ohnehin. jetzt fuehrte er sie freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der Erzaehler hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu ruehmen, das er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig war er es. jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes Geburts oder Namensfest, es wurde am naemlichen Tage von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas frueher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorruecken und dem Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wusste und seinen Kindern er nannte sie nur noch seine Kinder mit Freudentraenen zubrachte, darum, dass sich ihre Erloesung nahte. Als einmal Geld zur Unterstuetzung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltaeter seine Auslagen zu vergueten. "Kinder", sagte er, "verbittert mir meine Freude nicht!" Vater Egetmeier", sagten sie, "tut unserem Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrueben und um das Geld wieder zu ihrem Vergnuegen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Haenden war. Das gute Geld war fuer einen anderen Gebrauch zu bestimmen; aber man kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erloesung schlug, gesellte sich zur Freude ohne Mass der bittere Schmerz der Trennung und zu dem bitteren Schmerz die Not. Denn es fehlte an allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren Gegend noetig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch Russland zu reisen hatten, taeglich dreizehn Kreuzer verabreicht wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die rheinlaendischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit grossen Freudenschritten, ja mit verklaertem Antlitz zurueck: "Kinder, es ist Rat; Geld genug!" Was war's? Die gute Seele hatte fuer 2000 Rubel das Haus verkauft "Ich will schon eine Unterkunft finden", sagte er, wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt." 0 du heiliges, lebendig gewordenes Spruechlein des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es denen, die es beduerftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu grossem Trost fuer die edlen Gefangenen, wieder rueckgaengig gemacht. Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert Rubel fuer sie zusammen und noetigte sie, was er hatte von kostbarem russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes beduerftig waeren oder einem ein Unglueck widerfuehre. Den Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswuenschen und Traenen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dass dieses fuer ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs unaufhoerlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialystok in Polen wohlbehalten ankamen und Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reisegeld zurueck. Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in Asien. Der Schneider in Pensa Ein rechtschaffener Kalendermacher, zum Beispiel der Hausfreund, hat von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen, naemlich, dass er die Wege aufdecke, auf welchen die ewige Vorsehung fuer die Hilfe sorgt, noch ehe die Not da ist, und dass er kundmache das Lob vortrefflicher Menschen, sie moegen doch auch stecken, fast wo sie wollen. Der Schneider in Pensa, was ist das fuer ein Maennlein! Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus jahrein fuer halb Russland Arbeit genug, und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer Sinn, ein Gemuet treu und koestlich wie Gold und mitten in Asien deutsches Blut rheinlaendischer Hausfreundschaft. Im Jahr 1812, als Russland nimmer Strassen genug hatte fuer die Kriegsgefangenen an der Berezina oder in Wilna, ging eine auch durch Pensa, welches fuer sich schon mehr als hundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spat. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und uebernommen und alsdann weiter abgefuehrt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert auch sechzehn rheinlaendische Herren Leser, badische Offiziere, die damals unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, ueber die Schlachtfelder und Brandstaetten von Europa ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmassen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Land kein Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich ueber ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte: "Was wird aus uns werden?" oder: "Wann wird der Tod unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: "Sind keine Deutsche da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Fuessen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebuertig aus Bretten im Neckarkreis, Grossherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahr 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nuernberg, hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfaelzer Schneider schlagt sieben bis achtmal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber liess er sich unter ein russisches Kavallerie-Regiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit ihnen in die fremde russische Welt hinein, wo alles anderst ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher haeuslich und buergerlich niederliess, ist er jetzt ein angesehenes Maennlein. Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreissig Stunden Weges ein Mensch ein Unglueck oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an, er findet bei ihm, was ihm fehlt, Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld. Einem Gemuete wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, bluehte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schoene. Freudenernte. So oft ein Transport von ungluecklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und "Sind keine Deutsche da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehener Weise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. "Wenn sie nur so oder so aussaehen", dachte er. "Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann." Doch nahm er, wenn keine Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte ihnen, bis sie weitergefuehrt wurden, ihr Elend, als nach Kraeften er konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele geneigte Leser, auch Darmstaedter und andere hineinrief: "Sind keine Deutsche da?"--er musste zum zweiten Mal fragen, denn das erste Mal konnten sie vor Staunen und Ungewissheit nicht antworten, sondern das suesse deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton, und als er hoerte: "Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher er sei--er waer' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte: "Von Mannheim am Rheinstrom", als wenn der Schneider nicht vor ihm gewusst haette, wo Mannheim liegt, der andere sagte: "Von Bruchsal", der dritte: "Von Heidelberg", der vierte: "Von Gochsheim"; da zog es wie ein warmes, aufloesendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. "Und ich bin von Bretten", sagte das herrliche Gemuete, Franz Anton Egetmeier von Bretten, wie Joseph in Aegypten zu den Soehnen Israels sagte: "Ich bin Joseph, euer Bruder"--und die Traenen der Freude, der Wehmut und heiligen Heimatsliebe traten allen in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie einen freudigern Fund an dem Schneider oder der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am geruehrtesten war. Jetzt fuehrte der gute Mensch seine teuern Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquicklichen Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, dass er seine Landsleute in Pensa behalten duerfe. "Anton", sagte der Statthalter, "wann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?" Jetzt lief er in der Stadt herum und suchte fuer diejenigen, welche in seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus. Jetzt musterte er seine Gaeste, einen nach dem andern. "Herr Landsmann", sagte er zu einem, "mit Euerm Weisszeug sieht's windig aus. Ich werde Euch fuer ein halbes Dutzend neue Hemder sorgen.--Ihr braucht auch ein neues Roecklein", sagte er zu einem andern.--"Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden", zu einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstuecken fuer seine werten rheinlaendischen Hausfreunde. In wenig Tagen waren alle neu oder anstaendig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Noeten ist, missbraucht niemals fremde Gutmuetigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinlaendischen Hausfreunde: "Herr Landsmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt keine Muenzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch fuer Eure grossen Auslagen werden schadlos halten koennen, und wann." Darauf erwiderte der Schneider: "Ich finde hinlaengliche Entschaedigung in dem Gefuehl, Ihnen helfen zu koennen. Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder Koenig spricht, wenn eingefasst in Wuerde die Guete hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fuerstliche Geburt und Grossmut, sondern auch die liebe haeusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen koenigliche Sprueche ein, Gesinnungen ohnehin. Jetzt fuehrte er sie freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der Kalender hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu ruehmen, was er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig war er es. Jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes Geburts- oder Namensfest, es wurde am naemlichen Tag von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas frueher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorruecken und dem Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wusste, und seinen Kindern--er nannte sie nur noch seine Kinder--mit Freudentraenen zubrachte, darum, dass sich ihre Erloesung nahte. Als einmal Geld zur Unterstuetzung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltaeter seine Auslagen zu vergueten. "Kinder", sagte er, "verbittert mir meine Freude nicht!"--"Vater Egetmeier", sagten sie, "tut unserm Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrueben, und um das Geld wieder zu ihrem Vergnuegen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Haenden war. Das gute Geld war fuer einen andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erloesung schlug, gesellte sich zur Freude ohne Mass der bittere Schmerz der Trennung und zu dem bittern Schmerz die Not. Denn es fehlte an allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren Gegend noetig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch Russland zu reisen hatten, taeglich 13 Kreuzer verabreicht wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu Hause. "Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die rheinlaendischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit grossen Freudenschritten, ja mit verklaertem Antlitz zurueck: "Kinder, es ist Rat. Geld genug!"--Was war's? Die gute Seele hatte fuer zweitausend Rubel das Haus verkauft. "Ich will schon eine Unterkunft finden", sagte er, "wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt." O du heiliges, lebendig gewordenes Spruechlein des Evangeliums und seiner Liebe: "Verkaufe, was du hast, und gib es denen, die es beduerftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: "Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet, ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu grossem Trost fuer die edeln Gefangenen, wieder rueckgaengig gemacht. Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert Rubel fuer sie zusammen und noetigte sie, was er hatte von kostbarem russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes beduerftig waeren oder einem ein Unglueck widerfuehre. Den Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswuenschen und Traenen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dass dieses fuer ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs unaufhoerlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialystock in Polen wohlbehalten ankamen und Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reisegeld zurueck. Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in Asien. Der Hausfreund wird im kuenftigen Kalender noch ein freudiges Wort von ihm zu reden wissen, und es waere nimmer der Muehe wert, einen Kalender zu schreiben, wenn sich die geneigten Leser nicht auf sein Bildnis freuen wollten, was er ihnen zu stiften verspricht. Der schwarze Mann in der weissen Wolke Sonst hat der Hausfreund nie viel auf Gespenster gehalten, wenn einem die Gespenster erscheinen; diesmal zwar auch nicht. Denn als er eines Tages, es war aber Nacht, mit dem Adjunkt und mit dem Vizepraesident durch den Brassenheimer Wald nach Hause ging; vornehme Herren schaemen sich nicht, mit ihm zu gehen und gut Freund zu sein, absonderlich bei Nacht, wenn es niemand sieht, und wenn sie selber froh sind, dass sie jemand begleitet; denn als wir aus dem Wald kamen, schlug es 12 Uhr in Brassenheim, und die Mitternacht seufzte in den Baeumen. Ein schwacher Wind wehte durch die finstere Nacht, und der Himmel war verhaengt; nur bisweilen schimmerte der abnehmende Mond ein wenig durch die Wolken, wo sie am bruechigsten waren. "Adjunkt", sagte der Vizepraesident, "wisst Ihr nichts zu erzaehlen?" "Ja", sagte der Adjunkt: "die Hirschauer wollten Anno 3 eine Bruecke bauen, so stellten sie die Bruecke der Laenge nach in den Strom, denn sie sagten: Es sieht besser aus, und wenn ein grosses Wasser kommt, kann es besser an der Bruecke vorbei und nimmt sie nicht mit." "Adjunkt", sagte der Hausfreund, "sind wohl die Flinten zuerst erfunden worden oder die Ladstecken?" Der Adjunkt sagte: "Die Ladstecken. Denn sonst waere es nicht der Muehe wert gewesen, die Flinten zu erfinden, weil man sie doch nicht haette laden koennen." Als aber der Adjunkt niessen musste, drehte er den Kopf seitwaerts gegen das Feld und niesst. Indem er den Kopf seitwaerts dreht, druckt er sich auf einmal an den Hausfreund. "Habt Ihr nichts gesehn, Hausfreund?" sagte er aengstlich und leise. "Eine schneeweisse Wolke stieg aus der Erde auf, und in der Wolke stand ein schwarzer Mann und hat mir gewinkt, ich soll kommen." "Warum seid Ihr nicht gegangen?" sagte der Hausfreund. "Es sind Euch Funken aus den Augen gefahren, weil Ihr habt niessen muessen." "Er hat das Feuer im Elsass gesehen", sagte der Vizepraesident. Aber bald verging uns der Spass, und die Mitternacht schauerte allen durch Mark und Bein. Denn im naemlichen Augenblick erscheint wieder die weisse Wolke und in der weissen Wolke die schwarze Gestalt und winkt. Weg war's wieder auf einmal. "Habt Ihr's jetzt gesehen?" fragte der Adjunkt; "es ist gut, dass der Herr Praesident bei uns ist, mit uns zweien machte er kurzen Prozess." Aber der Praesident dachte, es ist gut, dass der Hausfreund bei mir ist, dass ich mich an ihm heben kann. Denn allen zitterten die Kniee, und der Mut stieg keinem sonderlich in die Hoehe, aber das Haar. Der Hausfreund will's einstweilen dem geneigten Leser zu raten geben, was es war. Denn als wir wieder ein wenig zur Besinnung gekommen waren, obgleich die Erscheinung wenigstens siebenmal wiederkam, sagte endlich der Praesident: "Hausfreund, Ihr habt doch am meisten getrunken in Neuhausen, so werdet Ihr auch den meisten Mut haben; redet den Geist an!" Da rief der Hausfreund: "Alle guten Geister! Schwarze Gestalt der Mitternacht, wer bist du?" Da rief der Geist mit Zetergeschrei: "Ich bin der Xaveri Taubenkorn von Brassenheim. Um unsrer lieben Frauen willen verschont mich!" Merke: Der Taubenkorn ist ein unbescholtener Gerichtsmann in Brassenheim und wirtet; also kennt ihn der Hausfreund wohl, und ist ein lobenswerter Feldmann, dem keine Stunde in der Nacht zu spaet oder zu frueh ist fuer seinen Acker. Als ihn nun der Hausfreund fragte: "Xaveri, was treibt Ihr fuer Blendwerk? Seid Ihr mit dem Boesen im Bund?"--sagte er: "Seid Ihr's, Hausfreund? Nein, ich streue Ips auf meinen Kleeacker. Der Wind ist gut, und es kommt bald ein linder Regen." Also, wenn er eine Handvoll Gips auswarf, entstand die Wolke, ein wenig vom Mond erhellt, und man sah darin den Xaveri wie einen Schatten, und wenn er die Hand zurueckzog, meinte man, er winke; aber wenn das Gipsmehl verflogen und gefallen war, sah man nichts mehr.--"Ihr habt mich rechtschaffen erschreckt", sagte der Xaveri zum Hausfreund, "denn ich habe nicht anders geglaubt, als es beschreit mich ein Gespenst. Ein ander Mal lasst Euere Possen bleiben." Der sicherste Weg Bisweilen hat selbst ein Betrunkener noch eine Ueberlegung oder doch einen guten Einfall, wie einer, der auf dem Heimweg aus der Stadt nicht auf dem gewoehnlichen Pfad, sondern gerade in dem Wasser ging, das dicht neben dem Pfade fortlaeuft. Ihm begegnete ein menschenfreundlicher Herr, der gerne der Notleidenden und Betrunkenen sich annimmt, und wollte ihm die Hand reichen. "Guter Freund", sagte er, "merkt Ihr nicht, dass Ihr im Wasser geht? Hier ist der Fusspfad!" Der Betrunkene erwiderte: sonst finde er's auch bequemer, auf dem trockenen Pfad zu gehen, aber diesmal habe er ein wenig auf die Seite geladen. "Eben deswegen", sagte der Herr, "will ich Euch aus dem Bache heraushelfen!" "Eben deswegen", erwiderte der Betrunkene, "bleib' ich drin. Denn wenn ich im Bach gehe und falle, so falle ich auf den Weg. Wenn ich aber auf dem Weg falle, so falle ich in den Bach." So sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf die Stirne, naemlich, dass darin ausser dem Rausche auch noch etwas mehr sei, woran ein anderer nicht denke. Der silberne Loeffel In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im Roten Ochsen zu Mittag essen, und geht in den Roten Ochsen. Da waren bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmaessige, ehrliche Leute und Spitzbuben wie ueberall. Man ass und trank, der eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und jenem, zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Maehren, von dem Machin in Frankreich, der mit dem grossen Wolf gekaempft hat. Das sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfaehrt alles ein Jahr frueher als andere Leute.--Als nun das Essen fast vorbei war, einer und der andere trank noch eine halbe Mass Ungarwein zum Zuspitzen, ein anderer drehte Kuegelein aus weichem Brot, als wenn er ein Apotheker waer' und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit dem Messer oder mit der Gabel oder mit dem silbernen Loeffel. Da sah der Offizier von ungefaehr zu, wie einer in einem gruenen Rocke mit dem silbernen Loeffel spielte, und wie ihm der Loeffel auf einmal in den Rockaermel hineinschluepfte und nicht wieder herauskam. Ein anderer haette gedacht: was geht's mich an? und waere still dazu gewesen oder haette grossen Laerm angefangen. Der Offizier dachte: Ich weiss nicht, wer der gruene Loeffelschuetz ist, und was es fuer ein Verdruss geben kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der Offizier auch einen silbernen Loeffel und steckte ihn zwischen zwei Knopfloecher im Rocke, zu einem hinein, zum, andern hinaus, wie es manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Loeffel mitbringen, aber keine Suppe.--Waehrenddem der Offizier seine Zeche bezahlte, und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: Das ist ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhaengen hat. Der muss sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, dass er zum Ehrenzeichen einen silbernen Loeffel bekommen hat; oder ist's gar einer von meinen eigenen? Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: "Und der Loeffel geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist teuer genug dazu." Der Wirt sagte: "So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn Ihr keinen Loeffel daheim habt, so will ich Euch einen Patentloeffel schenken, aber meinen silbernen lasst mir da." Da stand der Offizier auf, klopfte dem Wirt auf die Achsel und laechelte. "Wir haben nur Spass gemacht", sagte er, "ich und der Herr dort in dem gruenen Rocke. Gebt Ihr Euern Loeffel wieder aus dem Aermel heraus, gruener Herr, so will ich meinen auch wieder hergeben." Als der Loeffelschuetz merkte, dass er verraten sei, und dass ein ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er: Lieber Spass als Ernst, und gab seinen Loeffel ebenfalls her. Also kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum,. und der Loeffeldieb lachte auch--aber nicht lange. Denn als die andern Gaeste das sahen, jagten sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande und ein paar Tritten unter der Tuere zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackern Offizier aber bewirtete er noch mit einer Bouteille voll Ungarwein auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute. Merke: Man muss keine silbernen Loeffel stehlen. Merke: Das Recht findet seinen Knecht. Der sinnreiche Bettler Sonst bemessen die Bettler ihre dankbaren Wuensche nach dem Wert der Gabe, die ihnen gereicht wird. Derjenige, von welchem hier die Rede ist, sagt, das sei grundfalsch. Wer ihm viel gibt, dem wuenscht er eine hundertfaeltige Vergeltung von Gott. Wer ihm aber wenig gibt, dem wuenscht er eine tausendfaeltige oder, wenn es noch weniger ist, eine hunderttausendfaeltige Vergeltung. Denn er sagt: "Ich muss einen gleich guten Willen bei allen voraussetzen. Wer wenig reicht, wird wenig haben. Ich muss ihm also mehr wuenschen. Soll ich das Meinige auch noch dazu beitragen, dass zuletzt die Reichen alles bekommen?" Der Star von Segringen Selbst einem Staren kann es nuetzlich sein, wenn er etwas gelernt hat, wie viel mehr einem Menschen.--In einem respektabeln Dorf, ich will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern hier im Land, und derjenige, dem es begegnet ist, liest es vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Star, aber der Mensch. In Segringen der Barbier hatte einen Star, und der wohlbekannte Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Star lernte nicht nur alle Woerter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hoerte, zum Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen. Sein Herr hatte sonst noch allerlei Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit wiederholte, zum Exempel: so so lala; oder par compagnie (das heisst so viel als: in Gesellschaft mit andern); oder: wie Gott will; oder: du Dolpatsch. So titulierte er naemlich insgemein den Lehrjungen, wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich anstatt aufs Tuch, oder wenn er das Schermesser am Ruecken abzog anstatt die Schneide, oder wenn er ein Guetterlein verheite. Alle diese Redensarten lernte nach und nach der Star auch. Da nun taeglich viel Leute im Haus waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's manchmal viel zu lachen, wenn die Gaeste miteinander ein Gespraech fuehrten, und der Star warf auch eins von seinen Woertern drein, das sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon haette; und manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: "Hansel, was machst du?" antwortete er: "du Dolpatsch!" und alle Leute in der Nachbarschaft wussten von dem Hansel zu erzaehlen. Eines Tages aber, als ihm die beschnittenen Fluegel wieder gewachsen waren, und das Fenster war offen und das Wetter schoen, da dachte der Star: Ich hab' jetzt schon so viel gelernt, dass ich in der Welt kann fortkommen, und husch! zum Fenster hinaus. Weg war er. Sein erster Flug ging ins Feld, wo er sich unter eine Gesellschaft anderer Voegel mischte, und als sie aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: sie wissen die Gelegenheit hierzuland besser als ich. Aber sie flogen ungluecklicherweise alle miteinander in ein Garn. Der Star sagte: "Wie Gott will." Als der Vogelsteller kommt und sieht, was er fuer einen grossen Fang getan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern behutsam heraus, dreht ihm den Hals um und wirft ihn auf den Boden. Als er aber die moerderischen Finger wieder nach einem Gefangenen ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: "Ich bin der Barbier von Segringen!" Als wenn er wuesste, was ihn retten muss. Der Vogelsteller erschrak anfaenglich, als wenn es hier nicht mit rechten Dingen zuginge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er kaum vor Lachen zu Atem kommen; und als er sagte: "Ei, Hansel, hier haett' ich dich nicht gesucht; wie kommst du in meine Schlinge?" da antwortete der Hansel: "Par compagnie." Also brachte der Vogelsteller den Star seinem Herrn wieder und bekam ein gutes Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch, denn jeder wollte den merkwuerdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum Balbierer von Segringen. Merke: So etwas passiert einem Staren selten. Aber schon mancher junge Mensch, der auch lieber herumflankieren als daheim bleiben wollte, ist ebenfalls par compagnie in die Schlinge geraten und nimmer herauskommen. Der Talhauser Galgen "Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja niemand", sagte zu dem Vogt von Gillmannshofen endlich der Obmann. Naemlich der Vogt war Tages vorher in der Stadt gewesen und hatte sich bei dem Herrn Amtmann Rates erholt in irgend einer Sache. "Es ist ganz gut", sagte der Amtmann, "dass Ihr da seid: hier sind vier Oberamtsbefehle an Euch, die koennt Ihr nun selber mitnehmen." Als der Vogt in den Roten Loewen zurueckgekommen war, waehrend er fortfuhr, wo er vorher war stehen geblieben, naemlich am fuenften Schoepplein, zog er die vier Befehle aus der Tasche, ob er ihnen nicht vorderhand aussen ansehen koenne, was inwendig stehen moechte, wie man bisweilen seltsamerweise tut. Hernach schob er die Befehle wieder in die Rocktasche. Hernach bei dem sechsten Schoepplein legte er die Arme auf den Tisch und den Kopf auf die Arme und schlief ein. Lustige Herren sassen an einem andern Tisch, und der durchtriebenste von ihnen, einer wie der Herr Theodor, sagte: "Ich will einen Spass machen." Naemlich er schrieb einen falschen Befehl, dass, da morgen den 15ten drei Juden sollen gehenkt werden, so habe sich der Vogt von Gillmannshofen mit vierundzwanzig Mann und einem Obmann, nicht minder saemtlichen Schulkindern bei dem Talhauser Galgen frueh um 9 Uhr unfehlbar einzufinden. Hernach zog er dem Vogt einen Befehl heimlich aus der Tasche und schob an dessen Stelle den falschen hinein. Auf dem Heimwege nach Gillmannshofen fing doch der Vogt an die Befehle aufzutun, was der Amtmann wieder mit ihm wolle, und als er anfing, den falschen Befehl zu lesen, "das muss ein Irrtum sein", sagte er zu sich selber, und ging in die Stadt zurueck, um den Amtmann darueber zu befragen. Der Amtmann und seine Frau und der Herr Oberrevisor und seine Frau ergoetzten sich nach des Tages Last und Arbeit mit einem Kartenspiel. "Was wollt Ihr schon wieder", fuhr ihn der Amtmann an, "seht Ihr nicht, dass Gesellschaft bei mir ist?" Der Vogt wollte ihm erklaeren, dass er einen Anstoss habe an einem von den Befehlen, und dass er meine--"Ein unruhiger Kopf seid Ihr", sagte der Amtmann, wie er's denn auch wirklich war. "Ihr habt nichts zu meinen-- Gehorsam habt Ihr zu leisten, was man Euch befiehlt, und damit Punktum. Seid Ihr noch nicht genug gestraft worden?" Demnach so ging der Vogt wieder seines Wegs, und den andern Morgen zog er mit einer Rotte von vierundzwanzig Mann und einem Obmann und der Herr Schulmeister mit der Schuljugend und viele Freiwillige nach dem Talhauser Galgen, der linker Hand auf einer kleinen Anhoehe steht, wenn man von der Neuhauser Muehle in die Stadt geht. "Es ist schade", sagte der Vogt zum Obmann, "dass es so entsetzlich regnet. Es wird mancher daheim bleiben." Als sie vor den Talhauser Wald hinauskamen und den Galgen noch mutterseelallein im Felde stehen sahen, "wir sind die ersten", sagte der Vogt zum Obmann, "es ist noch niemand da." Der Freiwilligen suchte sich jeder einen guten Platz aus, wo man's gut sehen kann. Einige setzten sich zum voraus auf nahestehende Baeume, andere standen einstweilen unter. Aber es geschah nichts. Wandersleute, die in ihren Geschaeften des Weges zogen, blieben auch im Regen stehen und wollten abwarten, was aus dem seltsamen Aufzug werden wolle. Aber es geschah nichts. "Sie werden warten", sagte der Vogt, "bis es nimmer so arg schuettet." Der Herr Schulmeister hielt zur Zeitverkuerzung eine Standrede um die andere an die Schuljugend, dass, ob es gleich nur Juden seien, sollten sie doch ein christliches Exempel daran nehmen. Aber es wollt noch nichts kommen. Es laeutete schon Mittag in allen Doerfern, aber der Mittag laeutete auch nichts herbei. Deswegen sagte zuletzt der Obmann zu dem Vogt: "Wann bringt man denn die Juden? Es kommt ja niemand. Oder sind wir gar zuletzt Eure Narren?" sagte er. "Es waere kein Wunder, wir henkten Euch selber daran, damit die Leute nicht umsonst dagewesen sind."--Kurz, es kam eben niemand. Seitdem, wer durch Gillmannshofen geht und fragt in guter Meinung oder aus Mutwillen, ob schon lang niemand mehr am Talhauser Galgen gehenkt worden sei, oder so, der wird geschlagen. Der unschuldig Gehenkte Folgende unglueckliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hueteten miteinander an einer Berghalde unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerlei und ahmten untereinander, wie dieses Alter zu tun pflegt, die Handlungen und Geschaefte der erwachsenen Menschen spielend nach. Eines Tages sagte der eine von ihnen: "Ich will der Dieb sein."--" So will ich das Oberamt sein", sagte der zweite. "Seid ihr die Hatschiere", sagte er zum dritten und vierten, "und du bist der Henker", sprach er zum fuenften. Gut! Der Dieb stiehlt einem seiner Kameraden heimlich ein Messer und setzt sich auf fluechtigen Fuss; der Bestohlene klagt beim Oberamt; die Hatschiere streifen im Revier, attrapieren den Dieb in einem hohlen Baum und liefern ihn ein. Der Richter verurteilt ihn zum Tode. Unterdessen hoert man im Wald einen Schuss fallen; Hundegebell erhebt sich. Man achtet's nicht. Der Henker wirft dem Malefikanten kurz und gut einen Strick um den Hals und henkt ihn im Unverstand und Leichtsinn an einen Aststumpen an einem Baumstamm, also, dass er mit den Fuessen nicht gar kann die Erde beruehren, denkt, ein paar Augenblicke kann er's schon aushalten. Ploetzlich rauscht es im duerren Laub im Wald; es knackt und kracht im dichten Gehoerst; ein schwarzer, wilder Eber bricht zottig und blitzend aus dem Wald hervor und laeuft ueber den Richtplatz. Die Hirtenbuben, denen es ohnehin halber zumute war, als ob es doch nicht ganz recht waere, mit einer so ernsthaften und bedenklichen Sache Mutwillen zu treiben, erschrecken, meinen, es sei der Teufel, vor dem uns Gott behuete, laufen vor Angst davon, einer von ihnen ins Dorf und erzaehlt, was geschehen sei. Aber als man kam, um den Gehenkten abzuloesen, war er erstickt und tot. Dies ist eine Warnung. Das Oberamt und die Hatschiere kamen nachher auf drei Wochen ins Zuchthaus, und der Henker auf sechs. Dass aber der Eber soll der Teufel gewesen sein, hat sich nicht bestaetigt. Denn er wurde von den nacheilenden Jaegern erlegt und zum Forstamt geliefert; der Teufel aber befindet sich noch am Leben. Der Vater und der Sohn Der Vater stellte ein Glaeslein voll Arznei in die Schublade, weil er glaubte, es sei nirgends besser verwahrt. Als aber der Sohn nach Hause kam und die Schublade schnell aufziehn wollte, fiel das Glaeslein um und zerbrach. Da gab ihm der Vater eine zornige Ohrfeige und sagte: "Kannst du nicht zuerst schauen, was in der Tischlade ist, eh' du sie auftust?" Der Sohn erwiderte zwar: Nein, das koenne niemand. Aber der Vater sagte: "Den Augenblick sei still, oder du bekommst noch eine." Merke: Man ist nie geneigter Unrecht zu tun, als wenn man Unrecht hat. Recht ist gut beweisen. Aber fuer das Unrecht braucht man schon Ohrfeigen und Drohungen zum Beweistum. Der verachtete Rat Man darf nie weniger geschwind tun, wenn etwas geschehen soll, als wenn man auf die Stunde einhalten will. Ein Fussgaenger auf der Basler Strasse drehte sich um und sah einen wohlbeladenen Wagen schnell hinter sich hereilen. "Dem muss es nicht arg pressieren", dachte er.--"Kann ich vor Torschluss noch in die Stadt kommen?" fragte ihn der Fuhrmann.--"Schwerlich", sagte der Fussgaenger, "doch wenn Ihr recht langsam fahrt, vielleicht. Ich will auch noch hinein."--"Wie weit ist's noch?"--"Noch zwei Stunden."--"Ei", dachte der Fuhrmann, "das ist einfaeltig geantwortet. Was gilt's, es ist ein Spassvogel." Wenn ich mit Langsamkeit in zwei Stunden hineinkomme, dachte er, so zwing' ich's mit Geschwindigkeit in anderthalber und hab's desto gewisser. Also trieb er die Pferde an, dass die Steine davonflogen und die Pferde die Eisen verloren. Der Leser merkt etwas. "Was gilt's", denkt er, "es fuhr ein Rad vom Wagen?" Es kommt dem Hausfreund auch nicht darauf an. Eigentlich aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse. Kurz, der Fuhrmann musste schon im naechsten Dorf ueber Nacht bleiben. An Basel war nimmer zu denken. Der Fussgaenger aber, als er nach einer Stunde durch das Dorf ging und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den Zeigfinger in die Hoehe. "Hab ich Euch nicht gewarnt", sagte er, "hab' ich nicht gesagt: Wenn Ihr langsam fahrt!" Der verwegene Hofnarr Der Koenig hatte ein Pferd, das war ihm so lieb, dass er sagte: "Ich weiss nicht, was ich tue, wenn das Pferd mir stirbt. Aber den, der mir von seinem Tod die erste Nachricht bringt, den lass ich auch gewiss aufhenken." Item, das Roesslein starb doch, und niemand wollte dem Koenig die erste Nachricht davon bringen. Endlich kam der Hofnarr. "Ach, gnaedigster Herr", rief er aus, "Ihr Pferd! Ach das arme, arme Pferd! Gestern war es noch so"--da stotterte er, und der erschrockene Koenig fiel ihm ins Wort und sagte: "Ist es gestorben? Ganz gewiss ist es gestorben, ich merk's schon." "Ach gnaedigster Herr", fuhr der Hofnarr mit noch groesserm Lamento fort, "das ist noch lange nicht das Schlimmste." "Nun, was denn?" fragte der Koenig. "Ach, dass Sie jetzt noch sich selber muessen henken lassen. Denn Sie haben's zuerst gesagt, dass Ihr Leibpferd tot sei. Ich hab's nicht gesagt." Der Koenig aber, betruebt ueber den Verlust seines Pferdes, aufgebracht ueber die Frechheit des Hofnarren und doch belustigt durch seinen guten Einfall, gab ihm augenblicklich .den Abschied mit einem guten Reisegeld. "Da, Hofnarr", sagte der Koenig, "da hast du 100 Dukaten. Lass dich statt meiner dafuer henken, wo du willst. Aber lass mich nichts mehr von dir sehen und hoeren! Sonst, wenn ich erfahre, dass du dich nicht hast henken lassen, so tu ich's." Der vorsichtige Traeumer Es gibt doch einfaeltige Leute in der Welt. In dem Staedtlein Witlisbach im Kanton Bern war einmal ein Fremder ueber Nacht, und als er ins Bett gehen wollte und ganz bis auf das Hemd ausgekleidet war, zog er noch ein Paar Pantoffeln aus dem Buendel, legte sie an, band sie mit den Strumpfbaendeln an den Fuessen fest und legte sich also in das Bette. Da sagte zu ihm ein anderer Wandersmann, der in der naemlichen Kammer ueber Nacht war: "Guter Freund, warum tut Ihr das?" Darauf erwiderte der erste: "Wegen der Vorsicht. Denn ich bin einmal im Traum in eine Glasscherbe getreten. So habe ich im Schlaf solche Schmerzen davon empfunden, dass ich um keinen Preis mehr barfuss schlafen moechte." Der Wassertraeger In Paris holt man das Wasser nicht am Brunnen. Wie dort alles ins Grosse getrieben wird, so schoepft man auch das Wasser ohmweise in dem Strom, der hindurch fleusst, in der Seine, und hat eigene Wassertraeger, arme Leute, die jahraus, jahrein das Wasser in die Haeuser bringen und davon leben. Denn man muesste viel Brunnen graben fuer fuenfmalhunderttausend Menschen in einer Stadt, ohne das unvernuenftige Vieh. Auch hat das Erdreich dort kein ander trinkbares Wasser; solches ist auch eine Ursache, dass man keine Brunnen graebt. Zwei solche Wassertraeger verdienten ihr Stuecklein Brot und tranken am Sonntag ihr Schoepplein miteinander manches Jahr, auch legten sie immer etwas weniges von dem Verdienst zurueck und setzten's in der Lotterie. Wer sein Geld in die Lotterie traegt, traegt's in den Rhein. Fort ist's. Aber bisweilen laesst das Glueck unter viel Tausenden einen etwas Namhaftes gewinnen und trompetet dazu, damit die andern Toren wieder gelockt werden. Also liess es auch unsere zwei Wassertraeger auf einmal gewinnen, mehr als 100'000 Livres. Einer von ihnen, als er seinen Anteil heimgetragen hatte, dachte nach: Wie kann ich mein Geld sicher anlegen? Wie viel darf ich des Jahrs verzehren, dass ich's aushalte und von Jahr zu Jahr noch reicher werde, bis ich's nimmer zaehlen kann? Und wie ihn seine Ueberlegung ermahnte, so tat er, und ist jetzt ein steinreicher Mann, und ein guter Freund des Hausfreunds kennt ihn. Der andere sagte: "Wohl will ich mir's auch werden lassen fuer mein Geld, aber meine Kunden geb ich nicht auf, dies ist unklug", sondern er nahm auf ein Vierteljahr einen an, einen Adjunkt wie der Hausfreund, der so lang sein Geschaeft verrichten musste, als er reich war. Denn er sagte: "In einem Vierteljahr bin ich fertig." Also kleidet er sich jetzt in die vornehmste Seide, alle Tage ein anderer Rock, eine andere Farbe, einer schoener als der andere, liess sich alle Tage frisieren, sieben Locken uebereinander, zwei Finger hoch mit Puder bedeckt, mietete auf ein Vierteljahr ein praechtiges Haus, liess alle Tage einen Ochsen schlachten, sechs Kaelber, zwei Schweine fuer sich und seine guten Freunde, die er zum Essen einladete, und fuer die Musikanten. Vom Keller bis in das Speiszimmer standen zwei Reihen Bediente und reichten sich die Flaschen, wie man die Feuereimer reicht bei einem Brand, in der einen Reihe die leeren Flaschen, in der andern die vollen. Den Boden von Paris betrat er nimmer, sondern wenn er in die Komoedie fahren wollte oder ins Palais royal, so mussten ihn sechs Bedienten in die Kutsche hineintragen und wieder hinaus. Ueberall war er der gnaedige Herr, der Herr Baron, der Herr Graf und der verstaendigste Mann in ganz Paris. Als er aber noch drei Wochen vor dem Ende des Vierteljahrs in den Geldkasten griff, um eine Handvoll Dublonen ungezaehlt und unbeschaut herauszunehmen, als er schon auf den Boden der Kiste griff, sagte er: "Gottlob, ich werde geschwinder fertig, als ich gemeint habe." Also bereitete er sich und seinen Freunden noch einen lustigen Tag, wischte alsdann den Rest seines Reichtums in der Kiste zusammen, schenkte es seinem Adjunkt und gab ihm den Abschied. Denn am andern Tag ging er selber wieder an sein altes Geschaeft, traegt jetzt Wasser in die Haeuser wie vorher, wieder so lustig und zufrieden wie vorher. Ja, er bringt das Wasser selbst seinem ehemaligen Kameraden, nimmt ihm aus alter Freundschaft nichts dafuer ab und lacht ihn aus. Der Hausfreund denkt etwas dabei, aber er sagt's nicht. Der Wegweiser Bekanntlich klagte einst ein alter Schulz von Wasselnheim seiner Frau, dass ihn sein Franzoesisch fast unter den Boden bringe. Er sollte naemlich einem franzoesischen Soldaten, der ausgerissen war, den Weg zeigen, verstand ihn nicht recht, antwortete ihm verkehrt und bekam fuer die beste Meinung Schlaege genug zum Dank oder vielmehr zum Undank. Anders sah ein Wegweiser an der wuerttembergischen Grenze die Sache an. Er sollte naemlich im letzten Krieg einem Zug Franzosen den Weg ueber das Gebirg zeigen, wusste aber kein Wort von ihrer Sprache als Oui, welches so viel heisst als Ja, und Bougre, welches ein Schimpfname ist. Diese zwei Worte hatte er oft gehoert und lernte sie nachsagen, ohne ihren Sinn zu verstehen. Anfaenglich ging alles gut, solange die Franzosen nur unter sich sprachen und ihn mit seiner Laterne und drei oder vier Tornistern, die sie ihm angehaengt hatten, voraus oder nebenher gehen liessen. Da er aber der Spur nach allemal mitlachte, wenn sie etwas zu lachen hatten, so fragte ihn einer franzoesisch, ob er auch verstuende, was sie miteinander redeten. Er haette herzhaft sagen duerfen: Nein! Aber eben weil er es nicht verstand, so kam es ihm nicht darauf an, was er antwortete. Er nahm daher all sein Franzoesisch zusammen und antwortete: "Oui, Bougre" (Ja, Ketzer!). Mit einem ellenlangen franzoesischen Fluche riss der Soldat den Saebel aus der Scheide und liess ihm denselben um den Kopf herum und nahe an den Ohren vorbeisausen. "Wie?" sagte er, "du willst einen franzoesischen Soldaten schimpfen?" "Oui, Bougre!" war die Antwort. Die andern hatten die hoechste Zeit, dem erbosten Kameraden in den Arm zu fallen, dass er dem Wegweiser, ohne welchen sie in der finstern Nacht nicht konnten weiterkommen, nicht auf der Stelle den Kopf spaltete; doch gaben sie ihm mit manchem Fluch und Flintenstoss rechts und links zu verstehen, wie es gemeint sei, und fragten ihn alsdann, ob er jetzt wolle manierlicher sein. "Oui, Bougre!" war die Antwort. Nun wurde er jaemmerlich zerschlagen, und alle seine Bitten um Verzeihung, und alle seine Bitten um Schonung legte er ihnen mit lauter "Oui, Bougre" ans Herz. Endlich kamen sie auf die Vermutung, er sei verrueckt (denn dass er franzoesisch verstehe, hatte er bejaht). Sie nahmen daher auf einem Hof, wo noch ein Licht brannte, einen andern Fuehrer, jagten diesen fort, und er erwiderte den Abschied des einen, dass er sich zum Henker packen sollte, richtig mit " Oui, Bougre". Als er aber so bald wieder nach Haus kam und sich seine Frau verwunderte, die ihn erst auf den andern Mittag wieder erwarten konnte, so erzaehlte er, wie die Soldaten unterwegs viel Spass mit ihm gehabt haetten, so dass es ihm fast sei zu arg worden, und wie sie hernach auf dem Zierhauser Hof einen andern genommen und ihn wieder heimgeschickt haetten. Die Franzosen (setzte er treuherzig hinzu) sind nicht so schlimm, als man meint, wenn man nur mit ihnen reden kann. Der Wettermacher Gleichwie einem Siebmacher oder einem Hafenbinder, wenn er in einem kleinen Ort zu Hause ist, koennen seine Mitbuerger nicht das ganze Jahr Arbeit und Nahrung geben, sondern er begibt sich auf Kuenstlerreisen im Revier herum und geht seinem Verdienst nach; also auch der Zirkelschmied ist fleissig darauf im andern Revier und handelt nicht mit Zirkeln, sondern mit Trug und Schelmerei, um die Leute zu beruecken und sich freizutrinken im Wirtshaus. Also erscheint er einmal in Obernehingen und geht gerade zum Schulz. "Herr Schulz", sagt er, "koenntet Ihr kein ander Wetter brauchen? Ich bin durch Euere Gemarkung gegangen. Die Felder in der Tiefe haben schon zu viel Regen gehabt, und auf der Hoehe ist das Wachstum auch noch zurueck." Der Schulz meinte, das seie geschwind gesagt, aber besser machen sei eine Kunst. "Ei", erwidert der Zirkelschmied, "auf das reise ich ja. Bin ich nicht der Wettermacher von Bologna? In Italien", sagte er, "wo doch Pomeranzen und Zitronen wachsen, wird alles Wetter auf Bestellung gemacht. Darin seid ihr Deutsche noch zurueck." Der Schulz ist ein guter und treuherziger Mann und gehoert zu denen, die lieber geschwind reich werden moechten als langsam. Also leuchtete ihm das Anbieten des Zirkelschmieds ein. Doch wollte er vorsichtig sein. "Macht mir morgen frueh einen heitern Himmel", sagte er, "zur Probe, und ein paar leichte weisse Woelklein dran, den ganzen Tag Sonnenschein und in der Luft so zarte, glaenzende Faeden. Auf den Mittag koennt Ihr die ersten gelben Sommervoegel los lassen, und gegen Abend darf's wieder kuehl werden." Der Zirkelschmied erwiderte: "Auf einen Tag kann ich mich nicht einlassen, Herr Schulz. Es traegt die Kosten nicht aus. Ich unternehm's nicht anderst als auf ein Jahr. Dann sollt Ihr aber Not haben, wo Ihr Euere Frucht und Euern Most unterbringen wollt." Auf die Frage des Schulzen, wieviel er fuer den Jahrgang fordere, verlangte er zum voraus nichts als taeglich einen Gulden und freien Trunk, bis die Sache eingerichtet sei, es koenne wenigstens drei Tage dauern; "hernach aber von jedem Saum Wein, den ihr mehr bekommt", sagte er, "als in den besten Jahren, ein Viertel, und von jedem Malter Frucht einen Sester." "Das waer' nicht veil", sagte der Schulz. Denn dortzuland sagt man veil statt viel, wenn man sich hochdeutsch explizieren will. Der Schulz bekam Respekt vor dem Zirkelschmied und explizierte sich hochdeutsch. Als er nun aber Papier und Feder aus dem Schraenklein holte und dem Zirkelschmied das Wetter von Monat zu Monat vorschreiben wollte, machte ihm der Zirkelschmied eine neue Einwendung: "Das geht nicht an, Herr Schulz! Ihr muesst auch die Buergerschaft darueber hoeren. Denn das Wetter ist eine Gemeindssache. Ihr koennt nicht verlangen, dass die ganze Buergerschaft Euer Wetter annehmen soll." Da sprach der Schulz: "Ihr habt recht! Ihr seid ein verstaendiger Mann." Der geneigte Leser aber ist nun der Schelmerei des Zirkelschmieds auf der rechten Spur, wenn er zum voraus vermutet, die Buergerschaft sei ueber die Sache nicht einig geworden. In der ersten Gemeindsversammlung wurde noch nichts ausgemacht, in der siebenten auch noch nichts, in der achten kam's zu ernsthaften Redensarten, und ein verstaendiger Gerichtsmann glaubte endlich, um Fried' und Einigkeit in der Gemeinde zu erhalten, waer's am besten, man zahlte den Wettermacher aus und schickte ihn fort. Also beschied der Schulz den Wettermacher vor sich: "Hier habt Ihr Euere neun Gulden, Unheilstifter, und nun tut zur Sache, dass Ihr fortkommt, eh' Mord und Totschlag in der Gemeinde ausbricht." Der Zirkelschmied liess sich nicht zweimal heissen. Er nahm das Geld, hinterliess eine Wirtsschuld von zirka 24 Mass Wein, und mit dem Wetter blieb es, wie es war. Item, der Zirkelschmied bleibt immer ein lehrreicher Mensch. Merke, wie gut es sei, dass der oberste Weltregent bisher die Witterung nach seinem Willen allein gelenkt hat. Selbst wir Kalendermacher, Planeten und uebrigen Landstaende werden nicht leicht um etwas gefragt und haben, was das betrifft, ruhige Tage. Der wohlbezahlte Spassvogel Wie man in den Wald schreit, so schreit es wieder heraus. Ein Spassvogel wollte in den neunziger Jahren einen Juden in Frankfurt zum besten haben. Er sprach also zu ihm: "Weisst du auch, Mauschel, dass in Zukunft die Juden in ganz Frankreich auf Eseln reiten muessen?" Dem hat der Jude also geantwortet: "Wenn das ist, artiger Herr, so wollen wir zwei auf dem deutschen Boden bleiben, wenn schon Ihr kein Jude seid." Der Wolkenbruch in Tuerkheim Ein ehemalig guter Bekannter des Hausfreundes tat im Oktober einen Streifzug auf Wein in das Elsass. Wie er in Tuerkheim abends in das Wirtshaus kommt, sitzt der Praesident da bei einem Schoepplein und isst zwei Bratwuerste, eine nach der andern. "Herr Praesident", sagte der gute Bekannte, "treff' ich Euch hier an? Eher haette ich des Himmels Einfall vermutet." Der Praesident laechelt und sagte: "Es ist alles moeglich." Sie bleiben beisammen, diskurieren allerlei miteinander, trinken auch allerlei miteinander, gehn miteinander in das Schlafgemach, jeder in ein Bett apart. Das Bett des guten Freundes hatte einen Umhang. Frueh gegen Tag, wenn man anfaengt sich zu strecken, stemmte er sich mit den Fuessen gegen das untere Brett der Bettlade. Das Brett gab nach, der Betthimmel gab auch nach. Ein paar Bretter, ein Haspel, zwei Paar Schuh usw., Brastbergers Predigtbuch und eine grosse Flasche voll Kirschenwasser stuerzten herunter. Aber die Flasche zerbrach unterwegs an dem Haspel und uebergoss den guten Bekannten mit Kirschenwasser und Glasscherben "Herr Praesident, kommt mir zu Hilfe!"--"Was ist Euch begegnet?" fragte der Praesident.--"Ich glaube, der Himmel, der ueber dem Bett ist, sei eingefallen." Da lachte der Praesident und sagte: "Es kommt mir auch so vor. Die Wolken haengen auch bis aufs Deckbett herunter. Sie sind von Tannenholz. Hab' ich Euch nicht gesagt, es sei alles moeglich?" Der Zahnarzt Zwei Tagdiebe, die schon lange miteinander in der Welt herumgezogen, weil sie zum Arbeiten zu traeg oder zu ungeschickt waren, kamen doch zuletzt in grosse Not, weil sie wenig Geld mehr uebrig hatten und nicht geschwind wussten, wo nehmen. Da gerieten sie auf folgenden Einfall. Sie bettelten vor einigen Haustueren Brot zusammen, das sie nicht zur Stillung des Hungers geniessen, sondern zum Betrug missbrauchen wollten. Sie kneteten naemlich und drehten aus dem Weichen desselben lauter kleine Kuegelein oder Pillen und bestreuten sie mit Wurmmehl aus altem, zerfressenem Holz, damit sie voellig aussahen wie die gelben Arzneipillen. Hierauf kauften sie fuer ein paar Batzen einige Bogen rotgefaerbtes Papier bei dem Buchbinder (denn eine schoene Farbe muss gewoehnlich bei jedem Betrug mithelfen). Das Papier zerschnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein, je sechs bis acht Stuecke in ein Paecklein. Nun ging der eine voraus in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den Roten Loewen, wo er viele Gaeste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank aber nicht, sondern sass ganz wehmuetig in einem Winkel, hielt die Hand an den Backen, winselte halblaut fuer sich und kehrte sich unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und Buerger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, dass der arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben muesse. Aber was war zu tun? Man bedauerte ihn, man troestete ihn, dass es schon wieder vergehen werde, trank sein Glaeslein fort und machte seine Marktaffaeren aus. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in seinem Leben gesehen haette. Keiner sah den andern an, bis der zweite durch das Winseln des erstern, der im Winkel sass, aufmerksam zu werden schien. "Guter Freund", sprach er, "Ihr scheint wohl Zahnschmerzen zu haben?" und ging mit grossen, aber langsamen Schritten auf ihn zu. "Ich bin der Doktor Staunzius Rapunzia von Trafalgar", fuhr er fort. Denn solche fremde, volltoenige Namen muessen auch zum Betrug behilflich sein wie die Farben. "Und wenn Ihr meine Zahnpillen gebrauchen wollt", fuhr er fort, "so soll es mir eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, hoechstens zweien von Euern Leiden zu befreien."--"Das wolle Gott", erwiderte der andere Halunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzia eines von seinen roten Paecklein aus der Tasche und verordnete dem Patienten, ein Kuegelein daraus auf den boesen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu beissen. Jetzt streckten die Gaeste an den andern Tischen die Koepfe herueber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit anzusehen. Nun koennt ihr euch vorstellen, was geschah. Auf diese erste Probe wollte zwar der Patient wenig ruehmen, vielmehr tat er einen entsetzlichen Schrei. Das gefiel dem Doktor. Der Schmerz, sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun ploetzlich aller Schmerz verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den Angstschweiss von der Stirne weg, obgleich keiner dran war, und tat, als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die Hand drueckte.--Der Streich war schlau angelegt und tat seine Wirkung. Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen Pillen haben. Der Doktor bot das Paecklein fuer 24 Kreuzer, und in wenig Minuten waren alle verkauft. Natuerlich gingen jetzt die zwei Schelmen wieder einer nach dem andern weiters, lachten, als sie wieder zusammenkamen, ueber die Einfalt dieser Leute und liessen sich's wohl sein von ihrem Geld. Das war teures Brot. So wenig fuer 24 Kreuzer bekam man noch in keiner Hungersnot. Aber der Geldverlust war nicht einmal das Schlimmste. Denn die Weichbrotkuegelein wurden natuerlicherweise mit der Zeit steinhart. Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und Tag Zahnweh bekam und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal und zweimal darauf biss, da denke man an den entsetzlichen Schmerz, den er, statt geheilt zu werden, sich selbst fuer 24 Kreuzer aus der eigenen Tasche machte. Daraus ist also zu lernen, wie leicht man kann betrogen werden, wenn man den Vorspiegelungen jedes hergelaufenen Landstreichers traut, den man zum ersten Mal in seinem Leben sieht und vorher nie und nachher nimmer; und mancher, der dieses liest, wird vielleicht denken: "So einfaeltig bin ich zu meinem eigenen Schaden auch schon gewesen." [Merke: Wer so etwas kann, weiss an andern Orten Geld zu verdienen, laeuft nicht auf den Doerfern und Jahrmaerkten herum mit Loechern im Strumpf oder mit einer weissen Schnalle am rechten Schuh und am linken mit einer gelben.] Der Zirkelschmied In einer schwaebischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, dass, wer sich an einem verheirateten Mann vergreift und gibt ihm eine Ohrfeige, der muss 5 Gulden Busse bezahlen und kommt 24. Stunden lang in den Turn. Deswegen dachte am Andreastag ein verlumpter Zirkelschmied im Vorstaedtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im Goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen roten Heller hier und daheim habe und seit zwei Jahren nimmer weiss, ob die bayrischen Taler rund oder eckig sind. Darauf hin laesst er sich vom Lammwirt ein gutes Essen auftragen und trinkt viel Wein dazu, also dass die Zeche zwei Gulden fuenfzehn Kreuzer ausmachte; was damals auch fuer einen wohlhabenden Zirkelschmied schon viel war. Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirt zornig machen und in Jast bringen. "Das war ein schlechtes Essen, Herr Lammwirt", sagte er, "fuer ein so schoenes Geld. Es wundert mich, dass Ihr nicht schon lang ein reicher Mann seid, wovon ich doch noch nichts habe ruehmen hoeren." Der Wirt, so ein Ehrenmann war, antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es hatte ihm schon ein paar Mal im Arme gejuckt. Als aber der Zirkelschmied zuletzt sagte: "Es soll mir eine Warnung sein; denn ich habe mein Leben lang gehoert, dass man in den schlechtesten Kneipen, wie Euer Haus eine ist, am teuersten gehalten wird." Da gab ihm der Wirt eine entsetzliche Ohrfeige, die allein zwei Dukaten unter Bruedern wert war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine Zeche bezahlen, "oder ich lasse Euch durch die Knechte bis in die Vorstadt hinauspruegeln". Der Zirkelschmied aber laechelte und sagte: "Es ist nur mein Spass gewesen, Herr Lammwirt, und Euer Mittagessen war recht gut. Gebt mir nur fuer die Ohrfeige, die ich von Euch bar erhalten habe, zwei Gulden fuenfundvierzig Kreuzer auf mein Mittagessen heraus, so will ich Euch nicht verklagen. Es ist besser, wir leben im Frieden miteinander als in Feindschaft. Hat nicht Eure selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe gehoben?"--Zu diesen Worten machte der Lammwirt ein paar kuriose Augen; denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei wohlhabender Mann und wollte lieber viel Geld verlieren, als wegen eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen und nur eine Stunde des Turnhueters Hausmann sein. Deswegen dachte er: zwei Gulden und fuenfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken abverdient; ringer, ich gebe ihm noch zwei Gulden fuenfundvierzig Kreuzer drauf, als dass ich das Ganze noch einmal bezahlen muss und werde beschimpft dazu. Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber: "Jetzt komm mir nimmer ins Haus!" Drauf, sagt man, habe es der Zirkelschmied in andern Wirtshaeusern probiert, und die Ohrfeigen seien noch ein- oder zweimal al pari gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechselbrief so viel kr. gilt, als das bare Geld, wofuer er verschrieben ist. Drauf seien sie schnell auf 50 Prozent heruntergesunken und am Ende, wie die Assignaten in der Revolution, so unwert worden, dass man jetzt wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische Grenze so viele unentgeltlich ausgeben und wieder einnehmen kann, als man ertragen mag. Des Dieben Antwort Einem Dieb, der sich mit Reden mausig machen wollte, sagte jemand: "Was wollt Ihr? Ihr duerft ja gar nicht mehr in Eure Heimat zurueckkehren und muesst froh sein, wenn man Euch hier duldet."-- "Meint Ihr?" sagte der Dieb; "meine Herren daheim haben mich so lieb, ich weiss gewiss, wenn ich heimkaeme, sie liessen mich nimmer fort." Des Seilers Antwort In Donauwoerth wurde zu seiner Zeit ein Rossdieb gehenkt, und der Hausfreund hat schon manchmal gedacht: Wer heutzutag an den Galgen oder ins Zuchthaus will, wozu braucht der ein Ross zu stehlen? Kommt man nicht zu Fuss frueh genug? Der Donauwoerther hat auch geglaubt, der Galgen laufe ihm davon, wenn er nicht reite; und ist das Ross einem ungeschickten Dieb in die Haende gefallen, so fiel der Dieb einem ungeschickten Henkersknecht in die Haende. Denn als er ihm das haenfene Halsband hatte angelegt und stiess ihn von der Leiter vom Seigel herunter, so zuckte er noch lange mit den Augen hin und her, als wenn er sich noch ein Roesslein aussuchen wollte in der Menge. Denn unter den Zuschauern waren viele zu Pferd und auf Leiterwaegen und dachten: man sieht's besser. Als aber das Volk anfing laut zu murren, und der ungeschickte Henker wusste sich nicht zu helfen, so warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfasste ihn mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen, und zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammengehen und ihm den Atem toeten sollte. Da brach der Strick entzwei, und fielen beide miteinander auf die Erde hinab, als wenn sie nie waeren droben gewesen. Der Missetaeter lebte noch, und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: "Der Malefikant hat nur ein Ross gestohlen, nicht zwei, so hat er auch nur einen Strick verdient", und hat hinten dran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie's machen. Der Henker aber, als er nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungebaerdig an: "Ist das auch ein Strick gewesen?" sagte er, "man haett' Euch selber dran henken sollen." Der Seiler aber wusste zu antworten: " Es hat mir niemand gesagt", sagte der Seiler, "dass er zwei Schelmen tragen soll. Fuer einen war er stark genug, du oder der Rossdieb." Die Bekehrung Zwei Brueder im Westfaelinger Land lebten miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der juengere lutherisch blieb und aeltere katholisch wurde. Als der juengere lutherisch blieb und der aeltere katholisch wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schickte der Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen Jahren schrieb er zum ersten Mal an seinen Bruder. "Bruder", schrieb er, "es geht mir doch im Kopf herum, dass wir nicht Einen Glauben haben, und nicht in den naemlichen Himmel kommen sollen, vielleicht in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser." Also beschied er ihn in den Roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschaeft durchreiste. "Dort wollen wir's ausmachen." In den ersten Tagen kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der Lutherische: "der Papst ist der Antichrist", schalt der Katholische: "Luther ist der Widerchrist." Berief sich der Katholische auf den heiligen Augustin, sagte der Lutherische: "Ich hab' nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabei." Aber am Samstag ass schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. "Bruder," sagte er, "der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen"; und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. "Bruder," sagte er, "euer Schulmeister singt keinen schlechten Tremulant." Den andern Tag wollten sie miteinander zuerst in die Fruehmesse, danach in die lutherische Predigt, und was sie alsdann bis von heut ueber acht Tage der liebe Gott vermahnt, das wollten sie tun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem Gruenen Baum nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn. "Augenblicklich setzt Eure Reise fort! Hab' ich Euch auf eine Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr nicht vielmehr die Musterkarte reiten?" Und der andere fand einen Brief von seinem Vater: "Lieber Sohn, komm heim sobald du kannst, du musst spielen." Also gingen sie noch den naemlichen Abend unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder fuer sich nach, was er von dem andern gehoert hatte. Nach sechs Wochen schreibt der juengere dem Ladendiener einen Brief "Bruder, deine Gruende haben mich unterdessen vollkommen ueberzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch. Den Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter die Augen kommen." Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen die Feder. "Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit Gewalt in die Verdammnis rennen, dass du die seligmachende Religion verleugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden." Also hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie vorher, hoechstens ein wenig schlimmer. Merke: du sollst nicht ueber die Religion gruebeln und duefteln, damit du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit Andersdenkenden darueber disputieren, am wenigsten mit solchen, die es ebensowenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Ueberzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben und, was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, dass dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren. Die Besatzung von Oggersheim Zu Oggersheim, gegenueber von Mannheim, um die Wahl etwas weiter oben oder unten, je nachdem man sich stellt, als im Dreissigjaehrigen Krieg unversehens die Spaniolen vor Oggersheim anrueckten, flohen fast alle Einwohner nach Mannheim. Nur zwanzig Hausvaeter blieben zurueck und hatten das Herz, die Zugbruecke aufzuziehen und die Tore zu schliessen. Es gehoert nicht viel Herz zum Schliessen, aber zum Oeffnen. Denn als der spanische Feldhauptmann Don Gonsalva hineintrompeten liess: "Wenn ihr bis morgen um diese Zeit den Platz nicht uebergebt", liess er hineintrompeten, "alsdann gebt acht, wer am Leben bleibt, wenn ich den spanischen Sturmmarsch schlagen lasse und doch hineinkomme", da sahen die Helden einander an und sagten: "Der Weg nach Mannheim ist doch der sicherste." Nur einer dachte: "Was soll ich tun? Meine Frau steht an ihrem Ziel. Soll sie unterwegs oder gar auf dem Rhein ins Kindbett kommen? In Gottes Namen, ich bleibe da." Als nun die andern alle sich gefluechtet hatten und er noch allein in dem Staedtlein war, trat er mit einem weissen Faehnlein auf die Stadtmauer und rief in das spanische Lager: "Kund und zu wissen sei euch im Namen des Herrn Kommandanten von Oggersheim, der Garnison und der ehrsamen Buergerschaft! Ihr sollt uns versprechen, das Eigentum zu schonen und die protestantische Religion unangefochten zu lassen. Wenn ihr dieses tut und halten wollt, so sollen euch in einer Stunde die Stadttore geoeffnet werden. Ich, der Trompeter."--Da sahen der Feldhauptmann und seine Leute einander an. ja, Nein--Nein, ja. "Was sollen wir katholisches Blut vergiessen lassen", sagte endlich der Feldhauptmann, "um einen ketzerischen Altar umzuwerfen, oder was werden wir in diesem Bauernstaedtlein fuer Schaetze finden?" und rief mit lauter Stimme: "Akkordiert!" Nach einer Stunde, als der Feind mit geschlossenen Reihen und Gliedern, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel einzog, am aeussern Tor war niemand.--"Sie werden am innern sein." Am innern Tor war auch niemand.--"Sie werden auf dem Platz sein." Auf dem Platz stand mutterseelallein mit dem weissen Faehnlein der herzhafte Burgersmann.--"Was soll das heissen? Wo ist der Kommandant und die Besatzung, wo ist der Burgermeister und der Rat?" Da fiel der Burgersmann vor dem Feldhauptmann auf die Kniee nieder: "Gnaediger Herr, ich bin der einzige, der sich Euerer Grossmut anvertraut hat. Die andern sind nach Euerer Aufforderung alle nach Mannheim geflohen. Nur meine Frau ist noch bei mir im Staedtlein, aber ein ellenlanger Rekrut wird naechster Tagen eintreffen. Unterdessen bin ich mein eigener Kommandant und mein Trompeter, mein Gemeiner und mein Profoss. Wenn ich seit gestern haette desertieren wollen, ich haette mich selber wieder einfangen und Spiessruten jagen muessen." Da laechelte der Feldhauptmann und hiess ihn aufstehn, und obgleich die Spanier zur Zeit des Dreissigjaehrigen Krieges keinen Spass verstanden, so leistete er doch, was er versprochen hatte, und noch mehr. Denn als den andern Morgen der brave Burgersmann wieder zu dem Feldhauptmann kam, "Ihro Gnaden", sagte er, "wolltet Ihr mir nicht auf eine Viertelstunde Euern Peldpater leihen, wenn er evangelisch taufen kann? Der ellenlange Rekrut ist angekommen und schon einquartiert", da sagte der Feldhauptmann: "Ja, braver Kamerad, und ich will Gevattermann sein und dein Kind zur Taufe halten." Also hielt der General das Kind zur Taufe und schenkte ihm ein spanisches Goldstueck zum Andenken. Den folgenden Tag zogen die Spaniolen wieder weiters. Die drei Diebe Der geneigte Leser wird ermahnt, nicht alles fuer wahr zu halten, was in dieser Erzaehlung vorkommt. Doch ist sie in einem schoenen Buch beschrieben und zu Vers gebracht. Der Zundelheiner und der Zundelfrieder trieben von Jugend auf das Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des Seilers Tochter kopuliert war, naemlich mit dem Strick; und ein Schulkamerad, der rote Dieter, hielt's auch mit und war der Juengste Doch mordeten sie nicht und griffen keine Menschen an, sondern visitierten nur so bei Nacht in den Huehnerstaellen und, wenn's Gelegenheit gab, in den Kuechen, Kellern und Speichern, allenfalls auch in den Geldtroegen, und auf den Maerkten kauften sie immer am wohlfeilsten ein. Wenn's aber nichts zu stehlen gab, so uebten sie sich untereinander mit allerlei Aufgaben und Wagstuecken, um im Handwerk weiterzukommen. Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, er hat Eier, und fragt die andern: "Wer ist imstand und holt dem Vogel dort oben die Eier aus dem Nest, ohne dass es der Vogel merkt?" Der Frieder wie eine Katze klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt langsam ein Loechlein unten drein, laesst ein Eilein nach dem andern in die Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos und bringt die Eier. - "Aber wer dem Vogel die Eier wieder unterlegen kann",--sagte jetzt der Frieder, "ohne dass es der Vogel merkt!" Da kletterte der Heiner den Baum hinan, aber der Frieder kletterte ihm nach, und waehrend der Heiner dem Vogel langsam die Eier unterschob, ohne dass es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen ab, ohne dass es der Heiner merkte. Da gab es ein gross Gelaechter, und die beiden andern sagten: "Der Frieder ist der Meister." Der rote Dieter aber sagte: "Ich sehe schon, mit euch kann ich's nicht zugleich tun, und wenn's einmal zu boesen Haeusern geht und der Letze kommt ueber uns, so ist's mir nimmer Angst fuer euch, aber fuer mich." Also ging er fort, wurde wieder ehrlich und lebte mit seiner Frau arbeitsam und haeuslich. Im Spaetjahr, als die zwei andern noch nicht lang auf dem Rossmarkt ein Roesslein gestohlen hatten, besuchten sie einmal den Dieter und fragten ihn, wie es ihm gehe; denn sie hatten gehoert, dass er ein Schwein geschlachtet, und wollten ein wenig achtgeben, wo es liegt. Es hing in der Kammer an der Wand. Als sie fort waren, sagte der Dieter: "Frau, ich will das Saeulein in die Kueche tragen und die Mulde drauf decken, sonst ist es morgen nimmer unser." In der Nacht kommen die Diebe, brechen, so leise sie koennen, die Mauer durch, aber die Beute war nicht, mehr da. Der Dieter merkt etwas, steht auf, geht um das Haus und sieht nach. Unterdessen schleicht der Heiner um das andere Eck herum ins Haus bis zum Bett, wo die Frau lag, nimmt ihres Mannes Stimme an und sagt: "Frau, die Sau ist nimmer in der Kammer." Die Frau sagt: "Schwaetz' nicht so einfaeltig! Hast du sie nicht selber in die Kueche unter die Mulde getragen?" "Ja so", sagte der Heiner, "drum bin ich halber im Schlaf" und ging, holte das Schwein und trug es unbeschrieen fort, wusste in der finstern Nacht nicht, wo der Bruder ist, dachte, er wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald. Und als der Dieter wieder ins Haus kam und nach dem Saeulein greifen will, "Frau", rief er, "jetzt haben's die Galgenstricke doch geholt." Allein so geschwind gab er nicht gewonnen, sondern setzte den Dieben nach, und als er den Heiner einholte (es war schon weit vom Hause weg), und als er merkte, dass er allein sei, nahm er schnell die Stimme des Frieders an und sagte: "Bruder, lass jetzt mich das Saeulein tragen, du wirst muede sein." Der Heiner meint, es sei der Bruder, und gibt ihm das Schwein, sagt, er wolle vorausgehn in den Wald und ein Feuer machen. Der Dieter aber kehrte hinter ihm um, sagte fuer sich selber: "Hab' ich dich wieder, du liebes Saeulein!" und trug es heim. Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum, bis er im Wald das Feuer sah, und kam und fragte den Bruder: "Hast du die Sau, Heiner?" Der Heiner sagte: "Hast du sie denn nicht, Frieder?" Da schauten sie einander mit grossen Augen an und haetten kein so prasselndes Feuer von buchenen Spaenen gebraucht zum Nachtkochen. Aber desto schoener prasselte jetzt das Feuer daheim in Dieters Kueche. Denn das Schwein wurde sogleich nach der Heimkunft verhauen und Kesselfleisch ueber das Feuer getan. Denn der Dieter sagte: "Frau, ich bin hungrig, und was wir nicht beizeiten essen, holen die Schelmen doch." Als er sich aber in einen Winkel legte und ein wenig schlummerte, und die Frau kehrte mit der eisernen Gabel das Fleisch herum und schaute einmal nach der Seite, weil der Mann im Schlaf so aengstlich seufzte, kam eine zugespitzte Stange langsam durch das Kamin herab, spiesst das beste Stueck im Kessel an und zog's herauf; und als der Mann im Schlaf immer aengstlicher winselte und die Frau immer emsiger nach ihm sah, kam die Stange zum zweiten Mal und zum dritten Mal; und als die Frau den Dieter weckte: "Mann, jetzt wollen wir anrichten", da war der Kessel leer, und waer' ebenfalls kein so grosses Feuer noetig gewesen zum Nachtkochen. Als sie aber beide schon im Begriff waren, hungrig ins Bett zu gehen, und dachten: Will der Henker das Saeulein holen, so koennen wir's ja doch nicht heben, da kamen die Diebe vom Dach herab, durch das Loch der Mauer in die Kammer und aus der Kammer in die Stube und brachten wieder, was sie gemaust hatten. Jetzt ging ein froehliches Leben an. Man ass und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt haette, es sei das letzte Mal, und war guter Dinge, bis der Mond im letzten Viertel ueber das Haeuslein wegging und zum zweiten Mal im Dorf die Hahnen kraehten und von weitem der Hund des Metzgers bellte. Denn die Strickreiter waren auf der Spur, und als die Frau des roten Dieters sagte: "Jetzt ist's einmal Zeit ins Bett", kamen die Strickreiter von wegen des gestohlenen Roessleins und holten den Zundelheiner und den Zundelfrieder in den Turn und in das Zuchthaus. Die falsche Schaetzung Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glueck, wenigstens von ihren Bedienten die Wahrheit zu hoeren, die ihnen nicht leicht ein anderer sagt. Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Wert und nicht wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer Hochzeit angezogen hatte und sich mit seinen fetten, roten Backen im Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um und fragt seinen Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefaellig beschaute: "Nun, Thadde", fragte er ihn, "wie viel mag ich wohl wert sein, wie ich dastehe?" Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes Koenigreich zu schaetzen haette, und drehte lang die rechte Hand mit ausgestreckten Fingern so her und so hin. "Doch auch fuenfhundertundfuenfzig Gulden", sagte er endlich, "weil doch heutzutag alles teurer ist als sonst." Da sagte der Herr: "Du dummer Kerl, glaubst du nicht, dass mein Gewand, das ich anhabe, allein seine fuenfhundert Gulden wert ist?" Da trat der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubentuere zurueck und sagte: "Verzeiht mir meinen Irrtum, ich hab's etwas hoeher angeschlagen, sonst haett' ich nicht so viel herausgebracht." Die gute Mutter Im Jahre 1796, als die franzoesische Armee nach dem Rueckzug aus Deutschland jenseits hinab am Rhein lag, sehnte sich eine Mutter in der Schweiz nach ihrem Kind, das bei der Armee war, und von dem sie lange nichts erfahren hatte, und ihr Herz hatte daheim keine Ruhe mehr. "Er muss bei der Rheinarmee sein", sagte sie, "und der liebe Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu ihm fuehren", und als sie auf dem Postwagen zum St. Johannistor in Basel heraus und an den Rebhaeusern vorbei ins Sundgau gekommen war, treuherzig und redselig, wie alle Gemueter sind, die Teilnehmung und Hoffnung beduerfen, und die Schweizer ohnedem, erzaehlte sie ihren Reisegefaehrten bald, was sie auf den Weg getrieben hatte. "Find' ich ihn in Kolmar nicht, so geh' ich nach Strassburg, find' ich ihn in Strassburg nicht, so geh' ich nacher Mainz." Die andern sagten das dazu und jenes und einer fragte sie: "Was ist denn Euer Sohn bei der Armee? Major?" Da wurde sie fast verschaemt in ihrem Inwendigen. Denn sie dachte, er koennte wohl Major sein oder so etwas, weil er immer brav war, aber sie wusste es nicht. "Wenn ich ihn nur finde", sagte sie, "so darf er auch etwas weniger sein, denn er ist mein Sohn." Zwei Stunden herwaerts Kolmar aber, als schon die Sonne sich zu den Elsaesser Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den Doerfern rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Strasse standen partienweise mit dem Gewehr beim Fuss, und die Generale und Obersten standen vor dem Lager beisammen, diskurierten miteinander, und eine junge, weissgekleidete Person von weiblichem Geschlecht und feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren Armen ein Kind. Die Frau im Postwagen sagte: "Das ist auch keine gemeine Person, da sie nahe bei den Herren steht. Was gilt's, der, wo mit ihr redet, ist ihr Mann." Der geneigte Leser faengt allbereits an, etwas zu merken, aber die Frau im Postwagen merkte noch nichts. Ihr Mutterherz hatte keine Ahndung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren war, sondern bis nach Kolmar hinein war sie still und redete nimmer. In der Stadt im Wirtshaus, wo schon eine Gesellschaft an der Mahlzeit sass, und die Reisegefaehrten setzten sich auch noch, wo Platz war, da war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und Hoffnung eingeengt, da sie jetzt etwas von ihrem Sohn erfahren koennte, ob ihn niemand kenne, und ob er noch lebe, und ob er etwas sei, und hatte doch den Mut fast nicht zu fragen. Denn es gehoert Herz dazu, eine Frage zu tun, wo man das Ja so gerne hoeren moechte, und das Nein ist doch so moeglich. Auch meinte sie, jedermann merke es, dass es ihr Sohn sei, nach dem sie frage, und dass sie hoffe, er sei etwas geworden. Endlich aber, als ihr der Diener des Wirts die Suppe brachte, hielt sie ihn heimlich an dem Rocke fest und fragte ihn: "Kennt Ihr nicht einen bei der Armee, oder habt Ihr nicht von einem gehoert, so und so?" Der Diener sagt: "Das ist ja unser General, der im Lager steht. Heute hat er bei uns zu Mittag gegessen", und zeigte ihr den Platz. Aber die gute Mutter gab ihm wenig Gehoer darauf, sondern meinte, es sei Spass; der Diener ruft den Wirt. Der Wirt sagt: "Ja, so heisst der General." Ein Offizier sagte auch: "Ja, so heisst unser General", und auf ihre Fragen antwortete er: "Ja, so alt kann er sein", und "Ja, so sieht er aus und ist von Geburt ein Schweizer." Da konnte sie sich nicht mehr halten vor inwendiger Bewegung und sagte "Es ist mein Sohn, den ich suche"; und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig einfaeltig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und Scham. Denn sie schaemte sich, dass sie eines Generals Mutter sein sollte vor so vielen Leuten, und konnte es doch nicht verschweigen. Aber der Wirt sagte: "Wenn das so ist, gute Frau, so lasst herzhaft Eure Bagage abladen ab dem Postwagen, und erlaubt mir, dass ich morgen in aller Fruehe ein Kaleschlein anspannen lasse und Euch hinausfuehre zu Eurem Herrn Sohn in das Lager." Am Morgen, als sie in das Lager kam und den General sah, ja, so war es ihr Sohn, und die junge Frau, die gestern mit ihm geredet hatte, war ihre Schwiegertochter, und das Kind war ihr Enkel. Und als der General seine Mutter erkannte und seiner Gemahlin sagte: "Das ist sie", da kuessten und umarmten sie sich, und die Mutterliebe und die Kindesliebe und die Hoheit und die Demut schwammen ineinander und gossen sich in Traenen aus, und die gute Mutter blieb lange in ungewoehnlicher Ruehrung, fast weniger, dass sie heute die Ihrigen fand, als darueber, dass sie sie gestern schon gesehen hatte.--Als der Wirt zurueckkam, sagte er, das Geld regne zwar nirgends durch das Kamin herab, aber nicht zweihundert Franken naehme er darum, dass er nicht zugesehen haette, wie die gute Mutter ihren Sohn erkannte und sein Glueck sah; und der Hausfreund sagt: Es ist die schoenste Eigenschaft weitaus im menschlichen Herzen, dass es so gerne zusieht, wenn Freunde oder Angehoerige unverhofft wieder zusammenkommen, und dass es allemal dazu laecheln oder vor Ruehrung mit ihnen weinen muss, nicht ob es will. Die lachenden Jungfrauen Wer weiss, wo Saratow liegt? Der Hausfreund hat viel Buecher. Er weiss alles. Saratow liegt weit gegen Sonnenaufgang in das wilde Asien hinein und ist ebenfalls der Sitz einer russischen Statthalterschaft, naemlich wie Pensa, und war im Jahr 1812 ebenfalls der Sammelplatz, wo viel Tausend unglueckliche Kriegsgefangene abgegeben und dann tiefer hineingefuehrt wurden in das Elend. Ein Transport von gefangenen Deutschen wird eines Tages eingebracht. Eine Menge von Einwohnern, wie zu geschehen pflegt, stehen auf den Gassen; die Neugierigen schauten, der Uebermut trotzte und spottete, die Rachsucht fluchte und schimpfte. Keine Hand bot sich zur Pflege der kranken, der verwundeten, der verschmachtenden Fremdlinge an, eher zu etwas anderm. Niemand wehrte ihnen. Denn die Kriegsgefangenschaft spinnt keine Seide, und man kann nicht glauben, wie erbittert damals die Russen ueber ihre Feinde waren, und keiner wurde vorher gefragt, ob er zu den Schlimmen gehoere, sondern man nahm ihn dafuer. Aber einem wohlbetagten Hauptmann und seinem Leutnant begegnete etwas Merkwuerdiges. Denn eben als der Hauptmann den Leutnant an der Hand ergriff und ihn troesten wollte: "Fasse dich, junges Blut, auch das wird voruebergehen und ein Ende nehmen, mit dem Frieden oder mit dem Tode",--in dem Augenblicke hoeren sie zunaechst vor sich ein mutwilliges Lachen, und indem sie unwillkuerlich aufschauen,--sie haetten's bereits koennen gewohnt sein,--was erblicken ihre Augen? In einem vornehmen russischen Gefaehrt zwei Jungfrauen, schoen wie zwei Sonnen, lieblich wie der Fruehlingstag, wenn die Rosen bluehen. Beide Teile schauten einander an, aber ob auch die Jungfrauen sich wollten Gewalt antun, sie konnten sich nicht erwehren, und trat auch eine die andere auf den Fuss, so ward's nur aerger. Das griff schmerzhaft den sonst vielgeprueften Mut des bejahrten Hauptmanns an. Noch so jung, dachte er, und schon so entartet, und der Leutnant dachte: so schoen und doch so grausam, und der Schmerz des einen brach in eine Traene, der Unmut des andern aber in Worte aus: "Toechter dieses unwirtlichen Landes", fing der Hauptmann an, "ihr versteht zwar meine Rede nicht", die Jungfrauen lachten aufs neue,--"aber wollte Gott, ihr verstuendet sie", da lachten auf einmal die Jungfrauen nicht mehr. "Gar unfein", fuhr der Hauptmann fort, "steht das euerem Geschleckte, euerer Jugend und euren schoenen Kleidern an, an dem Jammer schuldloser Menschen eure Augen zu weiden und mit solchem Hohngelaechter unsere Herzen zu durchschneiden." Da fiel ihm erroetend die aeltere der Jungfrauen in das Wort, sie war ungefaehr 18 Jahre alt und die juengere 17, und redete die Ungluecklichen zu ihrem Erstaunen ebenfalls deutsch an, mitten in Saratow und mitten in Russland, mehr als 1000 Stunden weit von der Heimat deutsch. "Edle Fremdlinge", sagte sie, sanft wie ein Engel und mit tiefbewegter Stimme, "sprecht nicht also, dass wir gekommen seien, unsere Augen an euerem Elende zu weiden und euere Herzen durch Verhoehnung zu martern, die wir die Absicht haben, euch zu bitten, dass ihr mit uns gehen wollet in die Wohnung unserer Eltern und Pflege und Liebe anzunehmen, bis die Engel des Friedens euch zurueckfuehren moegen zu euren Fahnen oder in die Umarmungen eurer Angehoerigen, dass ihr bei ihnen gluecklich sein moeget alle Tage eures Lebens." Ihr entgegnete hinwiederum erstaunt ueber diese Worte der Hauptmann: "Edle Jungfrauen, wes herrlichen Geschlechts Toechter ihr sein moeget, wenn dem also ist, wie ihr saget, so vertrauen wir uns eurer Einladung an, die ihr aus deutschem Blute entsprossen scheint, so ihr das Unrecht verzeihen koennt; womit mein Schmerz euch beleidigt hat." Als sie aber in den Wagen einstiegen, und der Hauptmann wollte; wie es sich traf, neben die aeltere der Jungfrauen sitzen, widerfuhr ihnen noch etwas Apartes, denn es zog ihn die juengere sanft auf ihre Seite: "Verzeiht mir", sagte sie; "edler Fremdling, meine Ansprueche auf Euch sind mir zu wert. Meine Freundin hat kein Recht an Euch." Und zu dem Leutnant sprach die aeltere ebenfalls: "Meine Freundin hat kein Recht an Euch",--und zog ihn sanft und sittsam an ihre Seite. Den zwei Kriegsgefangenen aber war alles recht, denn auch jedem andern haette die Wahl zwischen beiden schoenen Jungfrauen schwerer sein muessen als jeder andern Jungfrau die Wahl zwischen einem fuenfzigjaehrigen Mann und einem zwanzigjaehrigen Juengling. Fragt sich nun: wer waren die Jungfrauen, und wo fuehrten sie ihre Gefangenen hin? Antwort: Es leben in Saratow zwei reiche und angesehene deutsche Familienvaeter; der Deutsche kommt, wie das Quecksilber, ueberall durch, wenn er schon keins ist. Beide Familien waren des Abends vorher wie gewoehnlich beisammen und sprachen von allerlei. "Ist's wahr",--sagte der eine,--"dass morgen deutsche Kriegsgefangene ankommen?"--"Sie sind schon angesagt", erwiderte man ihm.--"Die armen Menschen haben einen schweren Gang",--sprach wehmuetig eine der Muetter. Da trat die aeltere Jungfrau ihren Vater an: "Werden wir auch einen bekommen, mein Vater? Wie sorglich wollte ich gleich einer Tochter oder Schwester sein pflegen und ihn troesten." Der Vater erwiderte: "Den Gefangenen bettet man nicht auf Rosen. Sie werden in den Vorstaedten in den duerftigsten Huetten untergebracht."--"Oder wolltet Ihr denn nicht selbst einen einladen oder Euch einen ausbitten von dem Hauptmann ihrer Bewachung?"--"Das koennte mir wohl uebel gedeutet werden", erwiderte der Vater, "sie sind Feinde des Vaterlandes, in welches wir selbst als Fremdlinge aus ihrer Heimat sind aufgenommen worden. Wir duerfen die Feinde nicht als unsere Landsleute erkennen. Doch wenn einen von ihnen mir das Schicksal ohne mein Zutun entgegenfuehrt, will ich mich seiner nicht entschlagen", und ebenso sprach auch der Vater der andern Jungfrau. Da redeten die beiden Toechter miteinander, und leichtsinnig und gutmuetig, wie die Jugend ist, beschlossen sie, wenn die Gefangenen kaemen, zu tun, was sie taten. Anfaenglich fuhren sie ein wenig um den Transport herum, wie wenn man auf den Jahrmarkt geht, um einzukaufen. Man sieht zuerst die Waren an, was da ist, ehe man auf Geratewohl kauft, das Naechste, das Beste. Als aber die Jungfrauen den Hauptmann erblickten, wie er dastand, wenig gebeugt von seinen Leiden, und angeschmiegt an ihn den Juengling, den Leutnant, den das Schicksal zum ersten Mal in die Schule der Pruefung genommen hatte, und zwar gleich in die oberste Klasse, sagten sie zueinander, "diese zwei wollen wir nehmen."-- "Willst du den Alten?" sagte scherzhaft die juengere. "Oder willst du ihn?" sagte zu ihr ihre Freundin. Da nahm die juengere zwei Stecknadeln aus ihrem Busengewand, eine laengere und eine kuerzere, und zogen miteinander das Haelmlein mit Stecknadeln. Als aber die aeltere den Leutnant zog und die juengere den Hauptmann behielt, in dem Augenblick, als dieser sagte, "auch das wird ein Ende nehmen",-- lachten die Jungfrauen. Denn diesen Erbschatz teilt noch die Kindheit mit der Jugend, dass Schmerz und Freude leichter an ihr voruebergehen und in schnellern Abloesungen miteinander wechseln. Hernach aber, als der Hauptmann so ernsthaft sie anredete, "euer Ohr versteht zwar meine Rede nicht", lachten sie von neuem. Denn wenn man einmal darin ist, man muss; und das Gefuehl, dass es unschicklich sei, hilft nur dazu, die Unschicklichkeit zu begehen. Aber als sie den Schmerz erkannten, mit dem er nach einem suessen deutschen Wort in dieser fremden Welt wie nach einem Almosen seufzte, und sie hatten's in ihrem milden Herzen und konnten's ihm geben und waren deswegen da, da lachten sie nicht mehr und boten ihnen in deutscher Sprache und Rede die Pflege und Liebe ihrer Eltern an und fuehrten sie zu ihnen. Die Vaeter hoben zwar die Finger gegen ihre Toechter auf "Was habt ihr getan!" aber im Herzen waren sie es froh. Sie zeigten sogleich der Obrigkeit an, was geschehen war, und der menschenfreundliche Statthalter gab ihnen gerne die Erlaubnis, auf ihre Buergschaft zwar, ihre gefangenen Landsleute bei sich zu behalten bis auf ein Weiteres. Da gebrach ihnen auf einmal nichts mehr, da waren sie auf einmal aller ihrer Leiden quitt, da verzogen sich alle ihre Bekuemmernisse. Der Hauptmann in dem Hause, das ihn aufgenommen hatte, wurde angesehen und geliebt als ein Bruder, der Leutnant in dem seinigen als ein Sohn, von seiner schoenen Retterin auch noch ein wenig anderst, naemlich ebenso wie sie von ihm, bis die Engel des Friedens kamen. Als aber die Engel des Friedens kamen, schangschierte der Leutnant seinen Glauben, naemlich, dass er in der Uniform sterben werde. Er verschaffte sich den Abschied von seinem Regiment und freut sich jetzt als Gatte der Liebe und der Jugend seiner schoenen Retterin. Der Hauptmann aber trennte sich von diesen edeln Menschen und von seinem jungen Freund mit einer Ruehrung und mit einem Schmerz, der mehr Traenen als Worte hat, und kam wohlbehalten wieder in Deutschland und bei den Seinigen an, und wer ihn sah und vorher gekannt hatte, wunderte sich sein. "Ei, wie seid Ihr so jung geworden, Herr Hauptmann, in Eurer Gefangenschaft, Euch muss es nicht uebel gegangen sein." Der geneigte Leser darf an der Wahrheit dieser Erzaehlung nicht zweifeln, denn der Hausfreund hat sie aus dem zweiten Mund. Naemlich der Hauptmann hat sie selbst einem rheinlaendischen Herrn Kriegsobristen also mitgeteilt, der auch weiss, wie man ueber die Berezina geht, und von dem Kriegsobristen aber hat sie der Hausfreund und hat seitdem schon manches Taeublein mit ihm verzehrt und schon manches Schoepplein mit ihm herausgemacht, Fuchs oder Has. Die leichteste Todesstrafe Man hat gemeint, die Guillotine sei's. Aber nein! Ein Mann, der sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte und bei dem Fuersten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurteilt. Da half nicht Bitten, nicht Beten. Weil er aber sonst bei dem Fuersten wohl angeschrieben war, liess ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten sterben wolle; denn welche Todesart er waehlen wuerde, die sollte ihm werden. Also kam zu ihm in den Turn der Oberamtsschreiber: "Der Herzog will Euch eine Gnade erweisen. Wenn Ihr wollt geraedert sein, will er Euch raedern lassen; wenn Ihr wollt gehenkt sein, will er Euch henken lassen. Es haengen zwar schon zwei am Galgen, aber bekanntlich ist er dreischlaeferig. Wenn Ihr aber wollt lieber Rattenpulver essen, der Apotheker hat. Denn welche Todesart Ihr waehlen werdet, sagt der Herzog, die soll Euch werden. Aber sterben muesst Ihr, das werdet Ihr wissen." Da sagte der Malefikant: "Wenn ich denn doch sterben muss, das Raedern ist ein biegsamer Tod, und das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher. Aber Ihr versteht's doch nicht recht. Meines Orts, ich habe immer geglaubt, der Tod aus Altersschwaeche sei der sanfteste, und den will ich denn auch waehlen, und keinen andern", und dabei blieb er und liess sich's nicht ausreden. Da musste man ihn wieder laufen und fortleben lassen, bis er an Altersschwaeche selber starb. Denn der Herzog sagte: "Ich habe mein Wort gegeben, so will ich's auch nicht brechen." Dies Stuecklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne umkommen laesst, wenn sie ihn retten kann. Die nasse Schlittenfahrt Der Hausfreund hat viel gute Freunde am Rhein auf und ab, zwischen Friedlingen und Andernach, unter andern ein paar lose. Einer davon versteht sich gut darauf, Kissen und Saecke auszustopfen, um weich darauf zu sitzen, und man darf ihn rekommandieren. Zwei andere gute Freunde von ihm sagten zueinander an einem schoenen, kalten Wintertag: "Wollen wir nicht auf dem Schlitten fahren?"--"Wohin?"-- "Zum Theodor." Sie nannten ihn nur mit dem Vornamen. Theodor heisst er mit dem Vornamen. Also spannten sie den Rappen an den Rennschlitten und legten einen Sack voll Spreu darauf, der Laenge nach, um weicher zu sitzen. Als sie bei dem guten Freund angelangt waren, wurde lustig getrunken--der Wein lag ihm nie ueberzwerch im Fass--: Schliengener, Boellinger, Steinenstatter, Vierundachtziger, Achtziger, Vierundsiebenziger. Beim Vierundsiebenziger blieben sie sitzen, bis der Abendstern ueber dem Wasgau funkelte und die Bettglocken laut wurden in den Doerfern. Als die Bettglocken laut wurden, sagte einer von ihnen: "Jetzt will ich anspannen, unser Weg ist der weiteste." Der Theodor sagte: "Wahrscheinlich auch der kruemmste. Huest um! Dort links ist die Stubentuer." Denn der Gast taumelte nach der Tuere eines Milchschranks, in der Meinung, es sei die Stubentuer. Als sie auf dem Schlitten noch eins genommen hatten zu St. Johannes' Segen und ungefaehr an die Tannen gekommen waren, wurde es beiden nass zwischen den Beinen. Der vordere dachte: "Soll mir etwas passiert sein, oder ist mein Kamerad dahinten nicht wasserfest? Der andere dachte: Schmelzen die Spreu im Spreuersack, oder ist meinem Kameraden etwas passiert?--"Gevatter", stammelte endlich der vordere, " es scheint mir, Ihr habt's euch kommod gemacht. Ich haett' Euch wohl ein paar Minuten lang das Leitseil halten moegen."--"Gevatter", erwiderte der andere, "mir kommt's vor, Ihr solltet nicht mehr saufen, als Ihr bei Euch behalten koennt." Waehrend sie aber so Wortwechsel treiben und jeder die Schuld auf den andern warf, wurden sie immer naesser, und der Sack unter ihnen gab immer mehr nach, bis sie auf dem harten Brette sassen. "Mordsapperment, Ihr schwemmt mich noch ueber den Schlitten hinunter", fuhr der zweite fort.--"Oder Ihr mich", erwiderte der erste.--"Wenn ich nicht dasaesse wie einer, der zwischen den zwei Buckeln eines Trampeltieres reitet, ich laege schon lange auf dem Boden, und die Stiefel sind mir bereits mitsamt den Fuessen angefroren am Schlittenkufen."--"Drum eben", erwiderte der erste. "Woher kommt's, dass Euch das Wasser an den Beinen herablaeuft?" Als sie aber halbsteif nach Hause gekommen waren und die Spreu aus dem Sacke ausleeren wollten, schoss etwas ganz anderes als Spreu heraus. Da sagte der eine: "Ich glaube gar, der Schalk, der Theodor, hat uns den Sack mit Schnee angefuellt. Darum sind wir so nass geworden." Der andere sagte: "Es koemmt mir auch so vor."--Es war auch so. Die Ohrfeige Ein Bueblein klagte seiner Mutter: "Der Vater hat mir eine Ohrfeige gegeben." Der Vater aber kam dazu und sagte: "Luegst du wieder? Willst du noch eine?" Die Probe In einer ziemlich grossen Stadt, wo nicht alle Leute einander kennen, auch nicht alle Hatschiere, ging ein neu angenommener Hatschier in ein verdaechtiges Wirtshaeuslein hinein und hatte einen braunen Ueberrock an. Denn er dachte: Weil ich noch nicht lange angenommen bin, so kennt mich niemand, und niemand nimmt sich vor mir in acht; vielleicht gibt's etwas zu fischen. Ein bejahrter Mann in buergerlicher Kleidung folgt ihm nach und geht auch in das Wirtshaeuslein. Der neue Hatschier fordert einen Schoppen, der betagte Mann setzt sich an den naemlichen Tisch und fordert auch einen Schoppen. Unter ihnen und ober ihnen und an andern Tischen sassen mehrere Leute und sprachen in Friede und Eintracht von allerlei, von dem Elefant, von dem grossen Diebstahl, von den Kriegsoperationen. Einer zog mit dem Finger einen Strich von Wein ueber den Tisch und sagte: "Zum Exempel, dies waere die Donau." Drauf legte er ein Stuecklein Kaesrinde daneben und sagte: "Jetzt, das waer' Ulm." Ein anderer, als er Ulm nennen hoerte, sagte zu dem betagten Mann: "Ich bin von Ulm und haette Haus und Gewerb daselbst. Aber die alten Zeiten sind nicht mehr." Der betagte Mann sagte: "Landsmann, Ulm ist ueberall, die guten Zeiten sind nirgends mehr", und fing an zu hadern und sich zu vermessen ueber die Zeit und ueber die Abgaben und ueber die Obrigkeit, wie es sich nicht geziemt. Da wurde der Hatschier im braunen Ueberrock aufmerksam und stille und sagte endlich: "Guter Freund, ich warne Euch." Der betagte Mann aber sagte: "Was habt Ihr mich zu warnen?" und trank ein Glas voll Wein nach dem andern aus und schimpfte ueber die Obrigkeit nur noch aerger. Der verkleidete Hatschier sagte: "Guter Freund, ich kenn' Euch nicht. Aber ich will Euch noch einmal gewarnt haben." Der Betagte erwiderte: "Warnen hin und warnen her! Was wahr ist, muss man reden duerfen. Was bleibt einem noch uebrig als die freie Rede?" und so und so. Da schlug der verkleidete Hatschier den braunen Ueberrock zurueck und zeigte sich, wie er war, in einem hechtgrauen Rocke mit roten Aufschlaegen und einem Bandelier. "Jetzt, guter Freund", sagte er, "jetzt kommt mit mir!" Da stellte sich der Mann, als er an dem Rock den Hatschier erkannte, auf einmal wie umgewendet. "Guter Freund", sagte er, "Ihr werdet doch meinen Spass nicht fuer Ernst angesehen haben und nicht erst heute auf die Welt gekommen sein. Ich sehe schon", sagte er, "wir muessen eine Bouteille miteinander trinken, dass Ihr mich besser kennen lernt", und forderte noch eine Bouteille und winkte der Wirtin: "Vom Guten." Allein der Hatschier sagte: "Ich habe keinen Wein mit Euch zu trinken", und fasste ihn wohl oben am Arm, und fort zur Tuere hinaus. Unterwegs fuhr der Arrestant fort zu reden: "Ihr meint zum Beispiel, ich sei ein Feind von Abgaben, weil ich ueber die Abgaben geschimpft habe. Aber nein, ich will Euch das Gegenteil beweisen, denn Ihr seid auch eine obrigkeitliche Person, und ich habe vor Euersgleichen Respekt." Also zog er einen Kronentaler aus der Tasche und wollte sich damit loskaufen. Aber der Hatschier sagte: "Ihr habt mir keine Abgaben zu bezahlen." Eine Gasse weiter fuhr der Arrestant fort: "Was gilt's, Ihr seid noch nicht verheiratet und habt fuer keine Frau noch Kinder zu sorgen, weil Ihr keine Abgabe von mir braucht. Ich will Euch zu einem schoenen Weibsbild fuehren." Der Hatschier erwiderte: "Ihr habt mich zu keinem Weibsbild zu fuehren, aber ich Euch zu einem Mannsbild." Als sie aber miteinander in den Polizeihof und vor den Herrn Stadtvogt gekommen waren, fing der Stadtvogt an laut zu lachen, dann er gar ein lustiger Mann ist, und sagte: "Welcher von Euch zweien bringt den andern?" Denn es ist jetzt Zeit, dem geneigten Leser zu sagen, dass der Arrestant selber ein alter Hatschier war, und hatte sich verkleidet und war dem neuen nachgegangen, nur um ihn zu pruefen, ob er seine Pflicht tut. Deswegen sagte der Stadtvogt: "Welcher von Euch zweien bringt den andern." Der junge wollte anfangen, der alte aber, der vermeintliche Arrestant, schaute ihn gebieterisch an und sagte: "Es ist an mir zu reden, ich bin aelter im Dienst. Ihro Gnaden, Herr Stadtvogt", sagte er, "dieser junge Mann ist probat, und wir koennen uns verlassen auf ihn, denn er hat mich arretiert mit Manier und in der Art und hat sich nicht von mir bestechen oder breitschlagen lassen, noch mit Wein, noch mit Geld, noch mit Weibsleuten." Da laechelte der Stadtvogt gar freundlich, dass ihm solches wohlgefalle, und schenkte jedem einen kleinen Taler. Item, an einem solchen Ort mag es nicht gut sein, ein Spitzbube zu sein, wo ein Hatschier selber dem andern nicht trauen darf. Dies Stuecklein ist noch ein Vermaechtnis von dem Adjunkt, der jetzt in Dresden ist. Hat er nicht dem Hausfreund einen schoenen Pfeifenkopf von Dresden zum Andenken geschickt und ist ein gefluegelter Knabe darauf und ein Maegdlein und machen etwas miteinander. Aber er kommt wieder, der Adjunkt. Die Raben Zwei gute Freunde, ein Geistlicher und ein Kaufmann, machten miteinander eine Reise. Der Kaufmann neckte im Spass den Geistlichen, und der Geistliche neckte den Kaufmann. Nicht weit von dem Hochgericht, als die Raben aufflatterten und den beiden um die Koepfe flogen, sagte der Kaufmann: "Da haben wir's! Es ist kein Schick dabei, wenn man mit einem Geistlichen reist."--Denn manche Leute glauben sonst, es bedeute ein Unglueck, wenn einem die Raben ueber den Kopf fliegen.--Der Geistliche sagte: "Glaubt doch nicht so einfaeltige Fabeln, ein Mann, wie Ihr seid. Ich habe in kurzer Zeit mehrere armen Suender zum Tod begleitet. Jetzt meinen die dummen Tiere, ich bringe wieder einen, und halten Euch fuer gute Beute." Der Kaufmann sagte: "Herr Pfarrer, Ihr seid ein loser Vogel!" Die Schlafkameraden Eines Abends kam ein fremder Herr mit seinem Bedienten im Wirtshaus zu der goldenen Linden in Brassenheim an und liess sich bei dem Nachtessen beiderlei wohl schmecken, naemlich das Essen selbst und das koestliche Getraenk. Denn der Lindenwirt hat Guten. Der Bediente aber an einem andern Tisch dachte: Ich will meinem Herrn keine Schande machen, und trank wie im Zorn ein Glas und eine Bouteille nach der andern aus, sagend zu sich selbst: "Der Wirt soll nicht meinen, dass wir Knicker sind." Nach dem Essen sagte der Herr zu dem Lindenwirt: "Herr Wirt, ich hab' an Eurem Roten sozusagen eine gefaehrliche Entdeckung gemacht. Bringt mir noch eine Flasche voll in das Schlafstueblein." Der Bediente hinter dem Ruecken des Herrn winkte dem Wirt: "Mir auch eine!" Denn sein Herr liess sich vieles von ihm gefallen, weil er auf Reisen auch sein Leibgardist war und immer mit ihm in der naemlichen Stube schlafen musste, und je einmal, wenn er sich zuviel Freiheit herausnahm, war der Herr billig und dachte: Ich will nicht wunderlich sein. Es ist ja nicht das erste Mal, dass er's tut. Also trank an seinem Tisch der Herr und las die Zeitung, und am andern Tisch dachte der Bediente: "Es ist ein harter Dienst, wenn man trinken muss anstatt zu schlafen, zumal so starken. Gleichwohl, als er dem Herrn die zweite Flasche holen musste, nahm er fuer sich auch noch eine mit vom naemlichen. Der Herr fing endlich an, laut mit der Zeitung zu reden, und der Bediente nahm wie ein Echo zwischen der Tuere und dem Fenster auch Anteil daran, aber wie? Der Herr las von dem grossen Mammutsknochen, der gefunden wurde. Der Bediente, der eben das Glas zum Munde fuehrte, lallte fuer sich: "Soll leben der Mohammedsknochen." Oder als der Herr von dem Seminaristen las aus dem Seminarium in Pavia, der mit Lebensgefahr eines Schriftgiessers Kind aus den Flammen rettete, ergriff er das Glas, und "Bravo", sagte er, "wackerer Seminarist!" Der Bediente aber stammelte fuer sich: "Soll leben der wackere Seeminister" und goss richtig das halbe Glas ueber die Liberei hinab. "Hast du's gehoert, Anton? So eine Tat wiegt viele Meriten auf", fuhr der Herr fort.--"Sollen auch leben die Minoriten", erwiderte der Diener; und so oft jener z. B. sich raeusperte oder gaehnte, raeusperte sich und gaehnte der Anton auch. Endlich sagte der Herr: "Anton, jetzt wollen wir ins Bett." Der Anton sah seine Flasche an und erwiderte: " Es wird ohnehin niemand mehr auf sein in der Wirtschaft." Denn seine Flasche war leer. Aber in der Flasche des Herrn war noch ein Restlein. Frueh gegen zwei Uhr weckte es den Anton, dass noch ein Restlein in der Flasche des Herrn sei. Also stand er auf und trank es aus. "Sonst verriecht es", dachte er. Als er aber sich wieder legen wollte, kam er ein wenig zu weit rechts an das Bett seines Herrn. Denn beide Betten standen an der naemlichen Wand mit den Fussstaetten gegeneinander. Also legte sich der Anton neben seinen Herrn, mit dem Kopf unten und mit den Fuessen oben, neben des Herrn Gesicht, weil er meinte, er liege wieder in seinem eigenen. Eine Stunde vor Tag aber, als der Herr erwachte, kam es ihm vor, er wusste selbst nicht recht, wie. "Soll ich denn gestern abend haben Backensteinkaes heraufkommen lassen?" dachte er. Als er aber sich umdrehen wollte, ob ein Schraenklein in der Wand sei, fuehlte er auf einmal neben sich etwas Lebendiges und Warmes, und das Warme und Lebendige bewegte sich auch. Jetzt rief er: "Anton, Anton!" mit aengstlicher und leiser Stimme, dass der unsichere Schlafkamerad nicht aufwachen sollte, und derjenige, den er wecken wollte, war doch der Schlafkamerad. "Anton", schrie er endlich in der Herzensangst, so laut er konnte. "Was befehlen Ihro Hochwuerden", erwiderte endlich der Anton.--"Komm mir zu Hilfe! Es liegt einer neben mir."--"Ich kann nicht, neben mir liegt auch einer", erwiderte der Bediente und wollte sich strecken, so zwar, dass er mit dem linken Fuss unter des Herrn Kinn kam. "Anton, Anton", rief der Herr, "meiner reisst mir den Kopf ab", und suchte ebenfalls mit den Fuessen eine Habung. "Meiner will mir die Nase aufschlitzen", schrie noch viel aerger der Anton. "Wirf deinen heraus", schrie der Herr, "und komm mir zu Hilfe."--Also fasste der Bediente seinen Mann an den Beinen, und dieser, als er Ernst sah, fasste er seinen Mann ebenfalls an den Beinen, und rangen also die beiden miteinander, dass keiner dem andern konnte zu Hilfe kommen; und der Bediente fluchte wie ein Tuerk, der Herr aber fluchte zwar nicht, aber doch rief er die unsichtbaren Maechte an, sie sollten seinem Gegner den Hals brechen, was auch fast haette geschehen koennen; denn auf einmal hoerte unten der Wirt, der schon auf war, einen Fall, dass alle Fenster zitterten und der Perpendikel an der Wanduhr sich in die Ruhe stellte. Als er aber geschwind mit dem Licht und dem Hauptschluessel hinaufgeeilt war, ob ein Unglueck sich zugetragen habe, denn er kannte seinen Roten, lagen beide miteinander ringend auf dem Boden und schrieen Zeter Mordio um Hilfe. Da laechelte der Wirt in seiner Art, als ob er sagen wollte, der Rote hat gut gewirkt, die gefaehrliche Entdeckung. Die beiden aber schauten einander mit Verwunderung und Staunen an. "Ich glaube gar, du bist es selbst, Anton", sagte der Herr.--"So, seid nur Ihr es gewesen", erwiderte der Diener, und legten sich wieder ein jeder in sein Bett, worein er gehoerte. Die Schmachschrift Als bekanntlich eine Pasquille oder Schmachschrift auf den Koenig Friedrich in Berlin an einem oeffentlichen Platz aufgeheftet wurde und sein Kammerdiener ihm davon die Anzeige machte: "Ihro Majestaet", sagte der Kammerdiener, "es ist Ihnen heute nacht eine Ehre widerfahren, das und das. Alles hab' ich nicht lesen koennen; denn die Schrift haengt zu hoch. Aber was ich gelesen habe, ist nichts Gutes"; da sagte der Koenig: "Ich befehle, dass man die Schrift tiefer hinabhaenge und eine Schildwache dazustelle, auf dass jedermann lesen kann, was es fuer ungezogene Leute gibt." Nachderhand geschah nichts mehr. Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von Brassenheim. Denn Brassenheim ist ein Amtsstaedtlein. Als ihm eines Morgens eine Pasquille ins Haus gebracht wurde, die jemand mit Teig in der Nacht an die Haustuere geklebt hatte, wurde er ganz erbost und ungebaerdig, fluchte wie ein Tuerk im Haus herum und schlug der unschuldigen Katze ein Bein entzwei, dass die Frau Amtsschreiberin ganz entruestet wurde und fragte: "Bist du verrueckt, oder was fehlt dir?" Der Amtsschreiber sagte: "Da lies! Du hast deinen Teil auch darin." Als das die losen Voegel erfuhren, welche die Schandschrift angeklebt hatten, dass der Herr Amtsrichter also im Harnisch sei, hatten sie grosse Freude daran und sagten: "Heut nacht tun wir's wieder." Den zweiten Morgen, als ihm die neue Schandtat gebracht wurde und ein Rezept fuer lahmgeschlagene Katzen darin, ward er noch viel wuetender und warf Tische und Stuehle zusammen, ja er schrieb mit eigener Hand einen zornigen Bericht darueber an den regierenden Grafen, ob er gleich niemand nennen konnte, und als er ihn geschrieben hatte und den Sand darauf streuen wollte, ergriff er in der Rasche statt der Sandbuechse das Tintenfass und goss die Tinte ueber den Bericht und ueber die weisstuechenen Amtshosen. Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten: "Hansstoffel", sagte er, "vigiliere heut nacht um das Haus herum, bis der Hahn kraeht, und wenn du den Kujonen attrapierst, so bekommst du einen grossen Taler Fanggeld. Ich will sehen", sagte er, "ob ich mir soll auf der Nase herumtanzen lassen." Etwas nach elf Uhr kam der Stoffel von seinem Posten herauf, und der Herr Amtsschreiber war auch noch auf, auf dass, wenn der Stoffel den Pasquillenmacher braechte, dass er ihn gleich auf frischer Tat erstechen koennte. "Herr Amtsschreiber", sagte der Stoffel, "ich will nur melden, dass heute nacht nichts passiert ist, wenn Sie mir erlauben, jetzt ins Bett zu gehen. Alle Lichter im Staedtlein sind ausgeloescht, die Wirtshaeuser sind leer, die zwei letzten sind nach Haus gegangen, und des Wagner-Mattheisen Hahn hat zweimal hintereinander gekraeht, es wird wohl morgen auch wieder einmal regnen." Da fuhr ihn der Amtsschreiber wie ein betrunkener Heide an: "Dummes Vieh, auf der Stelle begib dich auf deinen Posten, bis der Tag aufgeht, oder ich schlage dir das Gehirn im Leib entzwei", sagte er im unvernuenftigen Zorn. Der geneigte Leser denkt: Was gilt's, waehrend der Stoffel bei dem Amtsschreiber war, ist die dritte Pasquille auch angepappt worden, und wenn er herabkommt, findet er sie jetzt. Nichts weniger. Sondern als der Stoffel im Fortgehen bereits an der Stubentuer war und der Amtsschreiber ihm noch einmal nachsah, "Hansstoffel", rief er ihm, "komm noch ein wenig daher!"-- Der Stoffel kam. "Dreh' dich um! Was hast du auf dem Ruecken?" "Will's Gott, keinen Galgen", sagte der Stoffel. "Nein, vermaledeiter Dummkopf, aber wahrscheinlich ein Pasquill."--Wie gesagt, so erraten: der Stoffel trug das dritte Pasquill bereits auf dem Ruecken geklebt, und standen darin noch viel mutwilligere Dinge als in dem ersten und zweiten, und unter andern ein Rezept fuer Tintenflecke aus den Amtshosen zu bringen. Dies war so zugegangen. Als der Stoffel noch vor dem Haus gesessen war, kamen zwei lose Gesellen heran, und einer von ihnen hatte schon die dritte Pasquille auf der flachen Hand liegen, also dass die beschriebene Seite des Papiers gegen die Hand hineinlag, die aeussere Seite aber war mit Teig bestrichen, dass er im Vorbeigehen die Schrift nur an die Tuere haette druecken duerfen. Als sie aber den Bedienten des Amtsschreibers vor der Tuere sitzen sahen, und alle Leute kannten den Stoffel, aber nicht alle Leute kannte der Stoffel: "Ei, guten Abend", sagte der eine, "was schafft Er Guts hier, Herr Hansstoffel? Was gilt's, Er kann nicht hinein!" da erzaehlte er ihnen, warum er da sitzen muesse und bis wann, und wie ihm bereits die Zeit so lange sei, und es komme doch niemand. "Ei", sagte der eine, "die Lichter im Staedtlein sind ausgeloescht, und die Wirtshaeuser sind leer, und wir zwei sind die letzten, die heimgehen. Also gehe Er in Gottes Namen ins Bett." Der andere aber, der das Papier in der flachen Hand hatte, schlug ihm im Fortgehen sanft und freundlich die Hand auf den Ruecken, dass das Papier am Rocke haengen blieb, und sagte: "Gute Nacht, Herr Hansstoffel, schlaf' Er wohl!" "Ebenfalls!" sagte der Stoffel, und als sie um das Eck herum waren, kraehte einer von ihnen zweimal wie ein Hahn oder wie der russische General-Feldmarschall Suwarow Fuerst Italinsky im Lager. Also brachte der Stoffel dem Amtsschreiber die Pasquille selber auf dem Ruecken in die Stube, und der Herr Amtsschreiber pruegelte zwar den Stoffel im Zimmer herum und schlug bei dem Ausholen ein paar Spiegel entzwei, aber den Schimpf und Schaden und Zorn musste er an sich selber haben und brachte nichts heraus. Denn die zwei Spassvoegel sagten: "Der Kluegste gibt nach. Jetzt wollen wir's aufgeben, eh' es zu boesen Haeusern geht", und jedermann, der davon erfuhr, lachte den Amtsschreiber aus. Merke: Der Koenig von Preussen hat sich in diesem Stuecke klueger betragen als der Herr Amtsschreiber von Brassenheim. Die Tabaksdose In einer niederlaendischen Stadt in einem Wirtshaus waren viele Leute beisammen, die einander einesteils kannten, zum Teil auch nicht. Denn es war ein Markttag. Den Zundelfrieder kannte niemand. "Gebt mir auch noch ein Schoepplein", sagte ein dicker, buergerlich gekleideter Mann zu dem Wirt und nahm eine Prise Tabak aus einer schweren, silbernen Dose. Da sah der Zundelfrieder zu, wie ein windiger, gewuerfelter Gesell sich zu dem dicken Mann stellte, ein Gespraech mit ihm anfing und ein paarmal wie von ungefaehr nach der Rocktasche schaute, in welche der Mann die Dose gesteckt hatte. Was gilt's, dachte der Frieder, der fuehrt auch etwas im Schild? Anfaenglich stand der Gesell. Hernach liess er ein Schoepplein kommen, setzte sich auch auf den Bank und sprach mit dem Dicken allerlei kuriose Sachen, woran dieser Mann viel Spass fand. Endlich kam ein Dritter. "Exkuese", sagte der Dritte, "kann man auch noch ein wenig Platz hier haben?" Also rueckte der windige Gesell ganz nahe an den dicken Mann hin und diskurierte immer fort: "Ja", sagte er, "ich habe mich ein Rechtes verwundert, als ich in dieses Land kam und sah, wie die Windmuehlen so flaetig vom Winde umgetrieben werden. Bei mir zulande geht das ganze Jahr kein Lueftlein. Also muss man die Windmuehlen anlegen, wo die Wachteln ihren Strich haben. Wenn nun im Fruehjahr die Milliontausend Wachteln kommen vom Meer her aus Afrika und fliegen ueber die Muehlenraeder, so fangen die Muehlen an zu gehen, und wer in dieser Zeit nicht kann mahlen lassen, hat das ganze Jahr kein Mehl im Haus." Darueber geriet der dicke Mann so ins Lachen, dass ihm fast der Atem verging, und unterdessen hatte der schlaue Gesell die Dose. "Aber jetzt hoert auf", sagte der Dicke. "Es tut mir weh im Kreuz", und schenkte ihm von seinem Wein auch ein Glas ein. Als der Spitzbube ausgetrunken hatte, sagte er: "Der Wein ist gut. Er treibt. Exkuese", sagte er zu dem Dritten, der vorne an ihm sass, "lasst mich einen Augenblick heraus!" Den Hut hatte er schon auf. Als er aber zur Tuer hinausging und fort wollte, ging ihm der Zundelfrieder nach, nahm ihn draussen auf die Seite und sagte zu ihm: "Wollt Ihr mir auf der Stelle meines Herrn Schwagers seine silberne Dose herausgeben? Meint Ihr, ich hab's nicht gemerkt? Oder soll ich Laermen machen? Ich hab Euch schonen wollen vor den vielen Leuten, die drin in der Stube sitzen." Als nun der Dieb sah, dass er verraten sei, gab er zitternd dem Frieder die Dose her und bat ihn vor Gott und nach Gott, stille zu sein. "Seht", sagte der Frieder, "in solche Not kann man kommen, wenn man auf boesen Wegen geht. Euer Leben lang lasst es Euch zur Warnung dienen. Unrecht Gut faselt nicht. Ehrlich waehrt am laengsten." Den Hut hatte der Freister auch schon auf. Also gab er dem Gesellen noch eine Prise Tabak aus der Dose und trug sie hernach zu einem Goldschmied. Die Wachtel Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbaren lebten sonst miteinander immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, dass mir Euer Laermenmacher, Euer Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein Stuendlein schlafen moechte, und dass Ihr Euch unwert macht bei der ganzen Nachbarschaft?"--Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife das Gegenteil. Ist's nicht aller Ehren wert, dass meine Wachtel der ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und Wachtel immer frueher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch einmal und sagt: "Freund, waer' Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie tot machen?"--"Das nicht", erwiderte der andere.--"Oder fliegen lassen?"--"Nein, auch nicht."--"Oder in eine andere Gasse stiften?"--"Auch das nicht, sondern hier vor mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hoeren koennt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der Kluegere von beiden. Ei, dachte er, wenn ich sie vor deinem Fenster umsonst hoeren kann und bekomme noch Geld dazu, so ist's besser.-- "Ist sie Euch ein Zweiguldenstueck wert?" fragte er den Nachbar. Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch soll's ihm nicht verloren sein, und noch in der naemlichen Stunde wurde die Wachtel umquartiert. Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf erweckte und er eben denken wollte: "Ei, meine gute Wachtel ist auch schon munter",--halbwegs des Gedankens faellt's ihm ein: "Nein, es ist meines Nachbars Wachtel,--das undankbare Vieh", sagte er endlich am dritten Morgen, "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und gute Tage gehabt, und jetzt haelt sie es mit einem andern und lebt mir zum Schabernack.--Der Nachbar sollte verstaendiger sein und bedenken, dass er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruss es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an: "Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht wieder einen kurzen Schlaf gehabt."--"Es ist ein braver Vogel", erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft."--"Er ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was verlangt Ihr Aufgeld, dass er Euch wieder feil werde?" Da laechelte der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht tot machen?"-- "Nein!"--"Oder sie fliegen lassen?"--"Das auch nicht."--"Oder in eine andere Gasse vermachen?"--"Auch das nicht. Aber an ihren alten Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja eben so gut hoeren koennt wie an ihrem jetzigen."--"Freund", erwiderte ihm hierauf der Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so lass ich sie fliegen." Der Nachbar dachte bei sich: "Wohlfeiler kann ich sie nicht los werden, als fuer sein eigenes Geld." Also gab er ihm die zwei Gulden wieder, und die Wachtel flog. Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es noetig hat, was fuer ein grosser Unterschied es sei, ob etwas vor dem eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem andern, ferner--denn es braucht keine Wachtel dazu--ob einer in einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt, oder ob es ein anderer anhoeren muss; item: ob einer selber bis nachts um 10 Uhr eine langweilige Geschichte erzaehlt, und ob ein anderer dabei sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muss, gleich als ob er achtgaebe. Die Wachtel Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbarn lebten sonst miteinander immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und sagt: "Freund, begreift Ihr nicht, dass mir Euer Laermenmacher, Euer Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein Stuendlein schlafen moechte, und dass Ihr Euch unwert macht bei der ganzen Nachbarschaft?" Ihm erwiderte der Nachbar: "Ich begreife das Gegenteil. Ists nicht aller Ehren wert, dass meine Wachtel der ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und die Wachtel immer frueher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch einmal und sagt: "Freund, waer Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der Nachbar sagt: "Wollt Ihr sie totmachen?" --"Das nicht", erwiderte der andere. "Oder fliegen lassen?" --"Nein, auch nicht." --"Oder in eine andere Gasse stiften?" --"Auch das nicht, sondern hier vor mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hoeren koennt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der Kluegere von beiden. ›Ei‹, dachte er, ›wenn ich sie vor deinem Fenster umsonst hoeren kann und bekomme noch Geld dazu, so ists besser.‹ --"Ist sie Euch ein Zweiguldenstueck wert?" fragte er den Nachbar. Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch solls ihm nicht verloren sein, und noch in der naemlichen Stunde wurde die Wachtel umquartiert. Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf erweckt und er eben denken wollte: ›Ei, meine gute Wachtel ist auch schon munter‹, --halbwegs des Gedankens faellts ihm ein: ›Nein, es ist meines Nachbars Wachtel.‹ --"Das undankbare Vieh", sagte er endlich am dritten Morgen; "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und gute Tage gehabt, und jetzt haelt sie es mit einem andern und lebt mir zum Schabernack. --Der Nachbar sollte verstaendiger sein und bedenken, dass er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht allein in der Stadt." Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruss es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an: "Freund", sagte er, "Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht wieder einen kurzen Schlaf gehabt." --"Es ist ein braver Vogel", erwiderte der Nachbar, "ich habe mich nicht daran verkauft." --"Er ist recht brav worden in Eurem Futter", fuhr jener fort. "Was verlangt Ihr Aufgeld, dass er Euch wieder feil werde?" Da laechelte der andere und sagte: "Wollt Ihr sie vielleicht totmachen?" -- "Nein." --"Oder fliegen lassen?" --"Das auch nicht." --"Oder in eine andere Gasse vermachen?" --"Auch das nicht. Aber an ihren alten Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja ebenso gut hoeren koennt wie an ihrem jetzigen." --"Freund", erwiderte ihm hierauf der Nachbar, "vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so lass ich sie fliegen." Der Nachbar dachte bei sich: ›Wohlfeiler kann ich sie nicht loswerden als fuer sein eigenes Geld.‹ Also gab er ihm die zwei Gulden wieder, und die Wachtel flog. Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es noetig hat, was fuer ein grosser Unterschied es sei, ob etwas vor dem eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem andern, ferner --denn es braucht keine Wachtel dazu --, ob einer in einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt oder ob es ein anderer anhoeren muss; item: ob einer selber bis nachts um zehn Uhr eine langweilige Geschichte erzaehlt und ob ein anderer dabei sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muss, gleich als ob er achtgaebe. Die Weizenbluete Nie muss sich einer ueber fremdes Unglueck freuen, weil es ihm Nutzen bringt, sonst kommt die Zeit, es freuen sich andere wieder. In einigen Gegenden hat man das Sprichwort, wenn man sagen will, dass man einen Gewinn oder Vorteil zu hoffen habe--sagt man: "Mein Weizen blueht." Als daher der Chirurgus und ein Zimmermann in der Nacht miteinander auf der Strasse gingen und in einiger Entfernung ein bekanntes Doerflein brannte, deutete der Zimmermann hinueber und sagte zu dem Chirurgus: "Herr Gevatter, mein Weizen blueht." Naemlich, weil es neue Haeuser aufzuschlagen gibt, wenn die alten verbrennen. Weil er aber auf den Brand und nicht auf den Weg sah, fiel er im naemlichen Augenblick in einen Graben und brach einen Arm entzwei. Da sagte zu ihm der Chirurgus: "Gevatter, es kommt mir vor, mein Weizen sei zeitig."--Der geneigte Leser versteht's. Die zwei Postillione Zwei Handelsleute reisten oft auf der Extrapost von Fuerth nach Hechingen oder von Hechingen nach Fuerth, wie jeden sein Geschaeft ermahnte, und gab der eine dem Postillion ein schlechtes Trinkgeld, so gab ihm der andere kein gutes. Denn jeder sagte: "Fuer was soll ich dem Postknecht einen Zwoelfer schenken? Ich trag ja nicht schwer daran." Die Postillione aber, der von Dinkelsbuehl und der von Ellwangen, sagten "Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst erweisen koennten, dass sie spendaschlicher wuerden!" Eines Tages kommt der Fuerther in Dinkelsbuehl an und will weiters. Der Postillion sagte zu seinem Kameraden: "Fahr du den Passagier." Der Kamerad sagte: "Es ist an dir." Unterdessen sass der Reisende ganz geduldig in seinem offenen Eliaswagen, bis der Postillion aufsass. Als er sah, dass der Postillion im Sattel recht sass und die Peitsche erhob, sagte er: "Fahr' zu, Schwager! Werf' Er mich nicht um!" Am naemlichen Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der Postillion dachte bei sich selbst: "Wenn jetzt nur mein Kamerad von Dinkelsbuehl mit dem Fuerther auch auf dem Weg waere!" Indem er faehrt, bergauf bergab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, wo dem Hausfreund und seinem Reisekumpan in Muenchen auch einmal die Haare geschnitten worden sind, begegnen sie einander; keiner will dem andern ausweichen. Jeder sagt: "Ich fuehre einen honetten Herrn, einen Schwitie, keinen Pfennigschaber wie du, dem seine Sechsbatzenstuecke aussehen wie Hildburghaeuser Groschen." Endlich legte sich der Fuerther auch in den Streit. "Gott's Wunder!" sagte er, "sollen wir noch einmal vierzig Jahr in der Wueste bleiben?" und schimpfte zuletzt den Ellwanger, dass ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb ins Gesicht gab. Der Dinkelsbuehler sagt: "Du sollst meinen Passagier nicht hauen, er ist mir anvertraut und zahlt honett; oder ich hau' den deinigen auch."--"Untersteh dich und hau mir meinen Herrn!" sagte der Ellwanger. Also hieb der Dinkelsbuehler des Ellwangers Passagier, und der Ellwanger hieb des Dinkelsbuehlers Passagier, und riefen einander in unaufhoerlichem Zorn zu: "Willst du meinen Herrn in Frieden lassen, oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem Lungenmus zusammenhauen?" und je schmerzlicher der eine Au und der andere Weih schrie, desto kraeftiger hieben die Postillione auf sie ein, bis sie des unbarmherzigen Spasses selber muede wurden. Als sie aber auseinander waren und jeder wieder seines Weges fuhr, sagten die Postillione zu ihren Reisenden so und so: "Nicht wahr, ich hab' mich Euer rechtschaffen angenommen? Mein Kamerad wird's niemand ruehmen, wie ich ihm seinen Herrn zerhauen habe. Aber diesmal kommt's Euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an. Wenn's der Fuerst wuesste", sagte der Dinkelsbuehler, "es waere ihm um einen Maxd'or nicht leid. Er sieht darauf, dass man die Reisenden gut haelt." Merke: Es ist kein Geld schlechter erhaust, als was man armen Leuten am Lohn und Trinkgeld vorenthaelt, und wofuer man gehauen oder sonst verunehrt wird. Fuer ein paar Groschen kann man viel Freundlichkeit und guten Willen kaufen. Merke: Der Herr, der auf der Abbildung seitwaerts steht, hat's mit angesehen und hat's dem Hausfreund vier Wochen hernach zu Karlsruhe am Mittagessen erzaehlt. Drei Worte Ein Jude in Endingen im Wirtshaus erblickte einen Kaufherrn, der ihm bekannt vorkam. "Seid Ihr nicht einer von den graussmuetigen Herrn, dass ich hab' die Gnad' gehabt mit ihnen von Basel nach Schalampi zu fahren auf dem Wasser?" Der Gersauer Kaufherr, er war von Gersau, sagte: "Hast du unterdessen nichts Neues ausspintisiert, Reiskamerad?" Der Jud antwortet: "Habt Ihr gute Geschaefte gemacht auf der Messe? Wenn Ihr gute Geschaefte gemacht habt,--um einen Sechsbaetzner, Ihr koenntet mir drei Worte nicht nachsagen." Der Gersauer dachte: Ein paar Franken hin oder her. "Lass hoeren!" Der Jud sagte: Messerschmied. Der Gersauer: Messerschmied. Dudelsack-- Dudelsack. Da schmunzelte der Jude und sagte: Falsch!--Da dachte der Gersauer hin und her, wo er koennte gefehlt haben. Aber der Jude zog eine Kreide aus der Tasche und machte damit einen Strich. "Einmal gewonnen." Noch einmal! sagte der Kaufherr. Der Jud sagte: Baumoel. Der Kaufherr: Baumoel. Rotgerber--Rotgerber. Da schmunzelte der Hebraeer abermal und sagte: Falsch, und so trieben sie's zum sechsten Mal. Als sie's zum sechsten Mal so getrieben hatten, sagte der Kaufherr: "Nun will ich dich bezahlen, wenn du mich ueberzeugen kannst, wo ich gefehlt habe." Der Jude sagte: "Ihr habt mir das dritte Wort nie nachgesprochen. Falsch war das dritte Wort, das habt Ihr mir nie nachgesprochen, und also war die Wette gewonnen." Drei Wuensche Diesmal ist aber die Frau Anna Fritze nicht dabei, auch riecht es nicht nach Rosenduft und Morgenrot, sondern nach Klingenberger und nach Kalbfleisch in einer sauren Bruehe. Drei lustige Kameraden sassen beisammen zu Kehl im Lamm, und als sie das Saueressen verzehrt hatten und noch eine Flasche voll Klingenberger miteinander tranken, sprachen sie von allerlei und fingen zuletzt an zu wuenschen. Endlich wurden sie der Rede eins, es sollte jeder noch einen kernhaften Wunsch tun, und wer den groessten Wunsch hervorbringe, der soll frei ausgehen an der Zeche. Da sprach der erste: "So wuensch' ich dann, dass ich alle Festungsgraeben von ganz Strassburg und Kehl voll feiner Naehnadeln haette und zu jeder Nadel einen Schneider, und jeder Schneider muesste mir ein Jahr lang lauter Maltersaecke naehen, und wenn ich dann jeden Maltersack voll doppelte Dublonen haette, so wollte ich zufrieden sein." Der zweite sagte: "So wollt' ich denn, dass das ganze Strassburger Muenster bis unter die Krone des Turmes hinauf voll Wechselbriefe vom feinsten Postpapier laege, so viel darin Platz haben, und waere mir auf jedem Wechselbrief so viel Geld verschrieben, als in allen deinen Maltersaecken Platz hat, und ich haett's." Der dritte sagte: "So wollt ich denn, dass ihr beide haettet, was ihr wuenscht, und dass euch alsdann beide in Einer Nacht der Henker holte, und ich waer euer Erbe." Der dritte ging frei aus an der Zeche, und die zwei andern bezahlten. Drei Wuensche Ein junges Ehepaar lebte recht vergnuegt und gluecklich beisammen und hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim ist: wenn man's gut hat, haett man's gerne besser. Aus diesem Fehler entstehen so viele toerichte Wuensche, woran es unserm Hans und seiner Liese auch nicht fehlte. Bald wuenschten sie des Schulzen Acker, bald des Loewenwirts Geld, bald des Meyers Haus und Hof und Vieh, bald einmal hunderttausend Millionen bayerische Taler kurzweg. Eines Abends aber, als sie friedlich am Ofen sassen und Nuesse aufklopften und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam durch die Kammertuer ein weisses Weiblein herein, nicht mehr als eine Elle lang, aber wunderschoen von Gestalt und Angesicht, und die ganze Stube war voll Rosenduft. Das Licht loeschte aus, aber ein Schimmer wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem Weiblein aus und ueberzog alle Waende. Ueber so etwas kann man nun doch ein wenig erschrecken, so schoen es aussehen mag. Aber unser gutes Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fraeulein mit wundersuesser, silberreiner Stimme sprach: "Ich bin eure Freundin, die Bergfei Anna Fritze, die im kristallenen Schloss mitten in den Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut und ueber siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wuensche duerft ihr tun; drei Wuensche sollen erfuellt werden." Hans drueckte den Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das lautet nicht uebel. Die Frau aber war schon im Begriff, den Mund zu oeffnen und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Kappen, seidenen Halstuechern und dergleichen zur Sprache zu bringen, als die Bergfei sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: "Acht Tage lang", sagte sie, "habt ihr Zeit. Bedenkt euch wohl und uebereilt euch nicht." Das ist kein Fehler, dachte der Mann und legte seiner Frau die Hand auf den Mund. Das Bergfraeulein aber verschwand. Die Lampe brannte wie vorher, und statt des Rosendufts zog wieder wie eine Wolke am Himmel der Oeldampf durch die Stube. So gluecklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus waren und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter Bassgeigen, so waren sie jetzt doch recht uebel dran, weil sie vor lauter Wunsch nicht wussten, was sie wuenschen wollten, und nicht einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu sprechen, aus Furcht, es moechte fuer gewuenscht passieren, ehe sie es genug ueberlegt haetten. "Nun", sagte die Frau, "wir haben ja noch Zeit bis am Freitag." Des andern Abends, waehrend die Grundbirn zum Nachtessen in der Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnuegt an dem Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfuenklein an der russigen Pfanne hin und her zuengelten, bald angingen, bald ausloeschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem kuenftigen Glueck. Als sie aber die geroesteten Grundbirn aus der Pfanne auf das Plaettlein anrichteten und ihr der Geruch lieblich in die Nase stieg:--"Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Wuerstlein dazu haetten", sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas anders zu denken, und--o weh, da war der erste Wunsch getan.--Schnell wie ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und Rosenduft untereinander durch das Kamin herab, und auf den Grundbirn lag die schoenste Bratwurst.--Wie gewuenscht, so geschehen.--Wer sollte sich ueber einen solchen Wunsch und seine Erfuellung nicht aergern? Welcher Mann ueber solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht unwillig werden? "Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase angewachsen waere", sprach er in der ersten Ueberraschung, auch in aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken--und wie gewuenscht so geschehen. Kaum war das letzte Wort gesprochen, so sass die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest, wie angewachsen im Mutterleib und hing zu beiden Seiten hinab wie ein Husarenschnauzbart. Nun war die Not der armen Eheleute erst recht gross. Zwei Wuensche waren getan und vorueber, und noch waren sie um keinen Heller und um kein Weizenkorn, sondern nur um eine boese Bratwurst reicher. Noch war ein Wunsch zwar uebrig. Aber was half nun aller Reichtum und alles Glueck zu einer solchen Nasenzierat der Hausfrau? Wollten sie wohl oder uebel, so mussten sie die Bergfei bitten, mit unsichtbarer Hand Barbiersdienste zu leisten und Frau Liese wieder von der vermaledeiten Wurst zu befreien. Wie gebeten, so geschehen, und so war der dritte Wunsch auch vorueber, und die armen Eheleute sahen einander an, waren der naemliche Hans und die naemliche Liese, nachher wie vorher, und die schoene Bergfei kam niemals wieder. Merke: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht geizig, sondern wuensche Numero eins: Verstand, dass du wissen moegest, was du Numero Zwei wuenschen sollest, um gluecklich zu werden. Und weil es leicht moeglich waere, dass du alsdann etwas waehltest, was ein toerichter Mensch nicht hoch anschlaegt, so bitte noch Numero Drei: um bestaendige Zufriedenheit und keine Reue. Oder so Alle Gelegenheit, gluecklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen. Ein gutes Rezept In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltaetiger Monarch, wie jedermann weiss; aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der Doktor gewesen ist und eine arme Frau kuriert hat. Eine arme kranke Frau sagte zu ihrem Bueblein: "Kind, hol' mir einen Doktor, sonst kann ich's nimmer aushalten vor Schmerzen." Das Bueblein lief zum ersten Doktor und zum zweiten; aber keiner wollte kommen, denn in Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Traenen, die wohl im Himmel fuer gute Muenze gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl fuer einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wusste, dass es der Kaiser ist, und dachte: Ich will's probieren. "Gnaediger Herr", sagte er, "wollet Ihr mir nicht einen Gulden schenken? Seid so barmherzig!" Der Kaiser dachte: "Der fasst's kurz und denkt, wenn ich den Gulden auf einmal bekomme, so brauch' ich nicht sechzig Mal um den Kreuzer zu betteln. "Tut's ein Kaesperlein oder zwei Vierundzwanziger nicht auch?" fragt ihn der Kaiser. Das Bueblein sagte: "Nein", und offenbarte ihm, wozu er das Geld benoetigt sei. Also gab ihm der Kaiser den Gulden und liess sich genau von ihm beschreiben, wie seine Mutter heisst, und wo sie wohnt, und waehrend das Bueblein zum dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe Gott wolle sie doch nicht verlassen, faehrt der Kaiser zu ihrer Wohnung und verhuellt sich ein wenig in seinen Mantel, also dass man ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht express darum ansah. Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stueblein kam, und sah recht leer und betruebt darin aus, meint sie, es ist der Doktor, und erzaehlt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei und sich nicht pflegen koenne. Der Kaiser sagte: "Ich will Euch dann jetzt ein Rezept verschreiben", und sie sagte ihm, wo des Buebleins Schreibzeug ist. Also schrieb er das Rezept und belehrte die Frau, in welche Apotheke sie es schicken muesse, wenn das Kind heimkommt, und legte es auf den Tisch. Als er aber kaum eine Minute fort war, kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig, als sie hoerte, er sei auch der Doktor, und entschuldigte sich, es sei schon so einer dagewesen und hab' ihr etwas verordnet, und sie habe nur auf ihr Bueblein gewartet. Als aber der Doktor das Rezept in die Hand nahm und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei, und was fuer einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch nicht wenig und sagte zu ihr: "Frau", sagte er, "Ihr seid einem guten Arzt in die Haende gefallen, denn er hat Euch fuenfundzwanzig Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und untendran steht: Joseph, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster und Herzsalbe und Augentrost haett' ich Euch nicht verschreiben koennen." Da tat die Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor Dankbarkeit und Ruehrung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr eine Mixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden Beinen. Also hat der Doktor die kranke Frau kuriert und der Kaiser die arme, und sie lebt noch und hat sich nachgehends wieder verheiratet. Ein Hausmittel Ein fremder Mann in einem Wirtshause bemerkte lange bei seinem Schoepplein, wie die Frau Vogtin (der Vogt fuehrte die Wirtschaft) unaufhoerlich am Stricken gehindert wurde durch etwas anderes. Endlich sagte er: "Es scheint, Ihr wollt ander Wetter prophezeien, Frau Voegtin. Euere braunen Tierlein machen Euch viel Zeitvertreib." Die Wirtin ward dessen fast verschaemt und sagte: "Ihr habt mir nicht sollen zusehen." Darauf erwiderte der Fremde: "Ein Floh ist doch auch ein Geschoepflein, und ich weiss nicht, warum man nicht davon reden soll. Wenn sie Euch aber zur Plage sind, und es kommt Euch auf einen Vierundzwanziger nicht an, ich wollte Euch wohl sagen, was Ihr tun muesstet, damit Ihr nie in Euerm Leben einen Floh bekaemet." Die Wirtin sagte: "Einen Vierundzwanziger waer' es wohl noch wert", und als er sich denselben voraus hatte bezahlen lassen, sagte er mit schelmischem Laecheln: "Naemlich, wenn Euch ein Floh am rechten Arm beisst, muesst Ihr ihn am linken suchen. Beisst er Euch aber am linken, so sucht ihn am rechten. Alsdann bekommt Ihr gewiss keinen. Ich hab's von der Polizei in Brassenheim gelernt", sagte er. Es war der Zirkelschmied. Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler Als der letzte Koenig von Polen noch regierte, entstand gegen ihn eine Empoerung, was nichts Seltenes war. Einer von den Rebellern, und zwar ein polnischer Fuerst, vergass sich so sehr, dass er einen Preis von 20'000 Gulden auf den Kopf des Koenigs setzte. Ja, er war frech genug, es dem Koenig selber zu schreiben, entweder um ihn zu betrueben oder zu erschrecken. Der Koenig aber schrieb ihm ganz kaltbluetig zur Antwort: "Euern Brief habe ich empfangen und gelesen. Es hat mir einiges Vergnuegen gemacht, dass mein Kopf bei Euch noch etwas gilt. Denn ich kann Euch versichern: fuer den Eurigen gaeb' ich keinen roten Heller." Ein Wort gibt das andere Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen Sohn nach Paris, dass er sollte Franzoesisch lernen und ein wenig gute Sitten. Nach einem Jahr oder drueber kommt der Knecht aus des Vaters Haus auch nach Paris. Als der junge Herr den Knecht erblickte, rief er voll Staunen und Freude aus: "Ei, Hans, wo fuehrt dich der Himmel her? Wie steht es zu Hause, und was gibt's Neues?"--"Nicht viel Neues, Herr Wilhelm, als dass vor zehn Tagen Euer schoener Rabe krepiert ist, den Euch vor einem Jahr der Weidgesell geschenkt hat." "O das arme Tier", erwiderte der Herr Wilhelm. "Was hat ihm denn gefehlt?" "Drum hat er zu viel Luder gefressen, als unsere schoenen Pferde verreckten, eins nach dem andern. Ich hab's gleich gesagt." "Wie! Meines Vaters vier schoene Mohrenschimmel sind gefallen?", fragte der Herr Wilhelm. "Wie ging das zu?" "Drum sind sie zu sehr angestrengt worden mit Wasserfuehren, als uns Haus und Hof verbrannte, und hat doch nichts geholfen." "Um Gottes willen!" rief der Herr Wilhelm voll Schrecken aus. "Ist unser schoenes Haus verbrannt? Wann das?" "Drum hat man nicht aufs Feuer achtgegeben an Ihres Herrn Vaters seliger Leiche, und ist bei Nacht begraben worden mit Fackeln. So ein Fuenklein ist bald verzettelt!" "Unglueckliche Botschaft!", rief voll Schmerz der Herr Wilhelm aus. "Mein Vater tot? Und wie geht's meiner Schwester?" "Drum eben hat sich Ihr Herr Vater seliger zu Tod gegraemt, als Ihre Jungfer Schwester ein Kindlein gebar und hatte keinen Vater dazu. Es ist ein Bueblein. Sonst gibt's just nicht viel Neues", setzte er hinzu. Eine merkwuerdige Abbitte Das ist merkwuerdig, dass an einem schlechten Menschen der Name eines ehrlichen Mannes gar nicht haftet, und dass er durch solchen nur aerger geschimpft ist. Zwei Maenner sassen in einem benachbarten Dorf zu gleicher Zeit im Wirtshaus. Aber der eine von ihnen hatte boesen Leumund wegen allerlei, und sah ihn und den Iltis niemand gern auf seinem Hof. Aber beweisen vor dem Richter konnte man ihm nichts. Mit dem bekam der andere Zwist im Wirtshaus, und im Unwillen und weil er ein Glas Wein zuviel im Kopfe hatte, so sagte er zu ihm: "Du schlechter Kerl!"--Damit kann einer zufrieden sein, wenn er's ist, und braucht nicht mehr. Aber der war nicht zufrieden, wollte noch mehr haben, schimpfte auch und verlangte Beweis. Da gab ein Wort das andere, und es hiess: "Du Spitzbub! du Felddieb!"--Damit war er noch nicht zufrieden, sondern ging vor den Richter. Da war nun freilich derjenige, welcher geschimpft hatte, uebel dran. Leugnen wollt' er nicht, beweisen konnt' er nicht, weil er fuer das, was er wohl wusste, keine Zeugen hatte, sondern er musste einen Gulden Strafe erlegen, weil er einen ehrlichen Mann Spitzbube geheissen habe, und ihm Abbitte tun, und dachte bei sich selber: Teurer Wein! Als er aber die Strafe erlegt hatte, so sagte er: "Also einen Gulden kostet es, gestrenger Herr, wenn man einen ehrlichen Mann einen Spitzbuben nennt? Was kostet's denn, wenn man einmal in der Vergesslichkeit oder sonst zu einem Spitzbuben sagt: Ehrlicher Mann?" Der Richter laechelte und sagte: "Das kostet nichts, und damit ist niemand geschimpft." Hierauf wendete sich der Beklagte zu dem Klaeger um und sagte: "Es ist mir leid, ehrlicher Mann! Nichts fuer ungut, ehrlicher Mann! Adies, ehrlicher Mann!" Als der erboste Gegner das hoerte und wohl merkte, wie es gemeint war, wollte er noch einmal anfangen und hielt sich jetzt fuer aerger beleidigt als vorher. Aber der Richter, der ihn doch auch als einen verdaechtigen Menschen kennen mochte, sagte zu ihm, er koenne jetzt zufrieden sein. Eine seltsame, jedoch wahrhafte Geschichte Zwei Schiffer fuhren fruehmorgens den Strom herab, und der Tag war schon ins enge, stille Tal gekommen, als sie an der hohen Felsenwand, genannt die Riesenmauer, vorbeifahren wollten. Es steigen naemlich daselbst die Felsen fast senkrecht in die Hoehe. Weit oben ist's wie abgeschnitten, und der heilige Nepomuk, ob er gleich von Stein ist, meint man doch, es muesse ihm schwindlig werden, und es wird's einem fuer ihn, wenn man hinaufschaut. Keine Ziege weidet an dieser Halde, kein Fusspfad fuehrt den Wanderer hinauf oder hinab. Nur einzelne arme Tannen oder Eichen sind aus den Felsenspalten da und dort herausgewachsen, mehr hangend als stehend, und naehren sich, so gut sie koennen, vom Wasserduft und Sonnenschein. Als aber die Schiffer gegen die Felsenwand kamen, hoerten sie ein klaegliches Notgeschrei, und um einen Buck herumfahrend, sahen sie mit Entsetzen, dass ein lebendiger Mensch in einsamer Todesnot und Angst auf einem solchen Eichstaemmlein sass und sich mit den Haenden an einem schwachen Aestlein festhielt wie ein furchtsamer Reiter am Kammhaar, und sah auch wirklich aus, als wenn er in die Luft hinausreiten wollte, unten Wasser, oben Himmel, vor ihm nichts. Aber der eine Schiffer verwunderte sich noch viel mehr, als er den Mann ins Auge fasste und erkannte. "Seid Ihr es, Herr Schulmeister, oder truegt mich ein Blendwerk?" Ja, es war der Herr Schulmeister, ein braver, unbescholtener Mann, den der Hausfreund so gut kennt als sich selbst oder seinen Adjunkt, ein Vater von drei Kindern. Der Hausfreund muesste sich sehr an dem geneigten Leser oder an seiner eigenen Beschreibung irren, wenn derselbe frueher fragen sollte, was er doch nicht erfahren wird, wie der Mann auf diesen Baum hinaufgekommen, als vielmehr, wie er wieder herabgebracht und aus des Todes Angst und Not gerettet worden sei. Man holte die laengste Feuerleiter im Dorf und stellte sie an dem schmalen Bort zwischen dem Strom und den Felsen auf. Sie reichte nicht hinan. Man band die zwei laengsten aneinander und richtete sie mit unsaeglicher Muehe und eigener Todesgefahr auf. Sie reichten nicht hinan. Es war schon 10 Uhr, und die Sonne schwamm ueber das Tal, als ob sie das seltsame Schauspiel auch sehen oder Mut und Hoffnung machen wollte zur Rettung. Man erstieg auf der andern Seite die Anhoehe, schlang das laengste Seil, das zu haben war, um den heiligen Nepomuk und liess es hinab, dass er es um den Leib binden, sich alsdann mit den Haenden und Fuessen gegen die Felsenwand stemmen und seine Auffahrt regieren sollte. Aber der arme Mann durfte mit den Haenden den Ast nicht verlassen, weil er sonst keine Habung hatte auf dem schwachen Stamm und unvermeidlich das Gleichgewicht und das Leben haette verlieren muessen. Endlich liess man auf die naemliche Art noch einen Mann von Mut und Kraft zu ihm hinab, der ihm das eine Seil um den Leib befestigte, und zog alsdann unversehrt einen nach dem andern herauf. Der Herr Schulmeister aber, als er wieder Boden erfasst und sozusagen gelandet hatte, kuesste er zuerst mit Dank und Gebet die Fuesse des Schutzheiligen, der ihm gleichsam in der Gestalt des Seils seine hilfreiche Hand hinabgereicht hatte und absichtlich um seiner Rettung willen da zu stehen schien, und dankte seinen Mitbuergern. Hernach winkte er seiner zagenden Frau und seinen weinenden Kindern, die am jenseitigen Ufer standen, dass es jetzt nichts mehr zu sagen habe. Aber auf die Frage, wie er auf den Baum herabgekommen sei, konnte er keine Antwort geben, sondern er bewies hernach als ein Mann, dem an seiner Reputation viel gelegen ist, dass er in dem Dorf auf dem Berge ein einziges Schoepplein getrunken habe und nuechtern fortgegangen sei, um nach Hause zu kommen. Was sich aber weiter mit ihm zugetragen habe, wisse er nicht, sondern, als er aufgewacht sei, sei er auf dem Baum gesessen. Dem Hausfreund aber ist es insofern lieb fuer seine Leser, dass die Sache im Dunkeln bleibt. Denn ob es gleich muss natuerlich zugegangen sein, so sieht es doch wunderbarer aus und greift besser an, wenn man nicht weiss, wie. So viel ist klar auf alle Faelle: "Er hat seinen Engeln ueber dir Befehl getan, dass sie dich behueten auf deinen Wegen, dass sie dich auf den Haenden tragen." Eine sonderbare Wirtszeche Manchmal gelingt ein mutwilliger Einfall, manchmal kostet's den Rock, oft sogar die Haut dazu. Diesmal aber nur den Rock. Denn obgleich einmal drei lustige Studenten auf einer Reise keinen roten Heller mehr in der Tasche hatten, alles war verjubelt, so gingen sie doch noch einmal in ein Wirtshaus und dachten, sie wollten sich schon wieder hinaus helfen und doch nicht wie Schelmen davon schleichen, und es war ihnen gar recht, dass die junge und artige Wirtin ganz allein in der Stube war. Sie assen und tranken guten Mutes und fuehrten miteinander ein gar gelehrtes Gespraech, als wenn die Welt schon viele tausend Jahre alt waere und noch ebenso lang stehen wuerde, und dass in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder Stunde des Jahrs alles wieder so komme und sei, wie es am naemlichen Tag und in der naemlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen sei. "Ja", sagte endlich einer zur Wirtin--die mit einer Stickerei seitwaerts am Fenster sass und aufmerksam zuhoerte--"ja, Frau Wirtin, das muessen wir aus unsern gelehrten Buechern wissen." Und einer war so keck und behauptete, er koenne sich wieder dunkel erinnern, dass sie vor sechstausend Jahren schon einmal da gewesen seien, und das huebsche, freundliche Gesicht der Frau Wirtin sei ihm noch wohlbekannt. Das Gespraech wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr die Wirtin alles zu glauben schien, desto besser liessen sich die jungen Schwenkfelder den Wein und Braten und manche Bretzel schmecken, bis eine Rechnung von 5 fl. 16 kr. auf der Kreide stand. Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rueckten sie mit der List heraus, worauf es abgesehen war. "Frau Wirtin", sagte einer, "es steht diesmal um unsere Batzen nicht gut, denn es sind der Wirtshaeuser zu viele an der Strasse. Da wir aber an Euch eine verstaendige Frau gefunden haben, so hoffen wir als alte Freunde hier Kredit zu haben, und wenn's Euch recht ist, so wollen wir in sechstausend Jahren, wenn wir wiederkommen, die alte Zeche samt der neuen bezahlen." Die verstaendige Wirtin nahm das nicht uebel auf, war's vollkommen zufrieden und freute sich, dass die Herren so vorlieb genommen, stellte sich aber unvermerkt vor die Stubentuere und bat, die Herren moechten nur so gut sein und jetzt die 5 fl. 16 kr. bezahlen, die sie vor sechstausend Jahren schuldig geblieben seien, weil doch alles schon einmal so gewesen sei, wie es wieder komme. Zum Unglueck trat eben der Vorgesetzte des Ortes mit ein paar braven Maennern in die Stube, um miteinander ein Glas Wein in Ehren zu trinken. Das war den gefangenen Voegeln gar nicht lieb. Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urteil gefaellt und vollzogen: "Es sei aller Ehren wert, wenn man sechstausend Jahre lang geborgt habe. Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld bezahlen, oder ihre noch ziemlich neuen Oberroecke in Versatz geben." Dies letzte musste geschehen, und die Wirtin versprach, in sechstausend Jahren, wenn sie wieder kommen und besser als jetzt bei Batzen seien, ihnen alles, Stueck fuer Stueck, wieder zuzustellen. Dies ist geschehen im Jahr 1805 am 17ten April im Wirtshause zu Segringen. Einer Edelfrau schlaflose Nacht Es ist nichts lehrreicher als die Aufmerksamkeit, wie in dem menschlichen Leben alles zusammenhaengt, wenn man es zu entdecken vermag, z. B. Zahnschmerzen und das Glueck eines Ehepaars, und wie selbst das, was unrecht und verboten ist, wieder gutgemacht werden kann, wenn's an den rechten Mann oder an die rechte Frau kommt, und wie in dem grossen, unaufhoerlichen Wechsel der Dinge alles einzelne wieder verschwimmt, dass man ihm nimmer nachkommt, und doch getan bleibt und nicht verloren geht, es sei gut oder boes. Gleich als wenn man ein Glas Wasser in den Rhein ausgiesst, kein Sterblicher ist imstand, es wieder herauszuschoepfen, sondern es ist jetzt dem Rhein vermaehlt und augenblicklich verschwemmt in der grossen Flut. Ja, wenn die Sonne Wasser aufzieht, wie man zu sagen pflegt, sind ein paar Troepflein davon vielleicht auch dabei und fallen irgendwo, in Bayern oder Lothringen, wieder aus einer Wasserwolke vom Himmel herab und erquicken ein Bluemlein. Eine Dienstmagd, jung und brav, auch huebsch, und ein Knecht gleicher Qualitaet dienten miteinander auf einem Edelhof und haetten nicht so gerne Kaffee getrunken oder alle Tage Braten gegessen, als vielmehr einander geheiratet. Allein sie waren Leibeigene, insoweit, dass sie verpflichtet waren, eine gewisse Zeit Hofdienste zu tun, und die Edelfrau auf dem Hofe wollte sie nicht frueher aus dem Dienst entlassen, weil sie so brav waren in ihrer Auffuehrung und so fleissig und treu in ihren Geschaeften. Deswegen sassen sie oft beisammen und weinten, oder sie weinte, und er nagte an einem Holzsplitter. Ein ander Mal, wie die menschliche Laune wechselt, sprachen sie sich Mut ein, dass es ja nur noch um zwei Jaehrlein zu tun sei, und freuten sich schon zum voraus ihres zukuenftigen Gluecks, "wenn du mein Weib bist"--sagte er--"und ich dein Mann", und einmal vergassen sie sogar die Zukunft und meinten, es sei jetzt. Nach Verlauf aber eines Jahres hat die Frau auf dem Edelhof in der Nacht desperates Zahnweh, nicht gerade deswegen. Sie steht aus dem Bette auf und wirft sich auf einen Stuhl, sie laeuft aus einer Stube in die andere, aus der andern in die dritte. In der dritten setzt sie sich gegenueber einem Fensterlein, das in die Kueche geht, mit einem weissen Vorhang davor, und das Zahnweh wird ihr nun bald vergehen. Sie sitzt jetzt am rechten Orte dazu. Denn auf einmal sieht sie hell werden hinter dem weissen Vorhang, sie hoert etwas sich bewegen, sie hoert etwas fluestern und knistern, sie schiebt leise das Vorhaenglein weg, und in der Kueche stehen der Knecht und die Magd an einem Feuerlein nachts um zwoelf Uhr und legen Spaene an das Feuer, und auf dem Feuer steht ein Pfaennlein.--Bereits gibt das Zahnweh ein wenig nach.--"O ihr gottloses Lumpenpack", sagte sie inwendig fuer sich. "So ist denn keinem Menschen mehr zu trauen. Habt ihr nicht alle Tage euer ordentliches Essen. Ist es euch nicht gut genug? Muesst ihr mich noch in der Nacht bestehlen und Leckerbissen kochen!" Nach einiger Zeit stellt das Weibsbild das Pfaennlein von dem Feuer, als ob sie jetzt die Leckerbissen verzehren wollten, der Knecht aber geht zur Tuere hinaus.--"Wie der Tag anbricht, lass ich beide in das Gefaengnis werfen", so fuhr die Edelfrau fort, "und jage sie weg ohne ehrlichen Abschied. Am Ende wird mir die Dirne auch noch schwanger von dem Burschen in meinem eigenen Haus. So weit soll's mir nicht kommen." Indem kommt der Knecht zurueck und bringt ein vierteljaehriges Kind auf dem Arme und gibt's der Mutter auf die Schoss. Da hoerte ploetzlich das Zahnweh der Edelfrau auf wie weggeflogen. Die Mutter gibt dem Kindlein aus der Pfanne den Brei, sie legt es an die muetterliche Brust, und der Schein des abnehmenden Feuers ging zur rechten Zeit ueber ihr Angesicht, als sie mit nassen Blicken ihr Kindlein noch einmal beschaute und dem Vater zurueckgab und etwas zu ihm sagte. Denn da ward das Herz der Edelfrau wunderbar bewegt und kam auf andere Gedanken. Denn es war ihr, als ob die Mutter mit den nassen Blicken gesagt haette: "Gott wird des armen Wuermleins sich auch erbarmen", und als ob sie dazu bestimmt waere. Ja, es fuhr ihr mit Grausen durch die Seele, was fuer ein Unglueck in ihrem Hause haette geschehen koennen, wenn nicht Gott das Herz der Eltern vor einem schweren Verbrechen bewahrt haette. Am fruehen Morgen aber liess sie beide Eltern vor sich bescheiden. Beide sahen einander an. "Was gilt's",--sagte sie--"wir bekommen unsere Freiheit."--"Oder auch nicht",--sagte er. Die Edelfrau aber, als sie hereingetreten waren, redete sie ernsthaft und gebieterisch an: "Wo habt ihr euer Kind?" Da glaubten beide in den Boden zu versinken vor Schrecken und Scham und schauten einander verstohlenerweise an, gleichsam ob das andere noch da sei. "Wo ihr euer Kind habt",--wiederholte die Edelfrau.--"Weil wir denn doch eins haben",--stotterte endlich der Vater,--"in der Holzkammer hinter einer Beige." Als es aber der Bursche holen musste, bracht' er es, wie es war in einem alten Felleisen. Es war reinlich gehalten und gebueschelt auf einem Bettlein von Heu und weinte, als ob es schon wusste, wie man es machen muss. Da erbarmte sich das Herz der Edelfrau noch mehr, und als die treue Magd und Mutter reuevoll und mit Traenen bat, sie und ihr unschuldiges Kind nicht ungluecklich zu machen, konnte die Edelfrau ihre Ruehrung nicht mehr verbergen: "Nein, ich will euch nicht ungluecklich machen",--sagte sie. "Ich will euch die Haerte vergelten, die ich an euch begangen habe. Ich will euch den Kummer versuessen, den ihr getragen habt. Ich will eure Suende wieder gut machen. Ich will euch die Barmherzigkeit vergelten, die ihr an euerm Kinde getan habt." Meint man nicht, man hoere den lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den Psalmen? Ein Gemuet, das zum Guten bewegt ist und sich der Elenden annimmt und die Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemuet zieht naemlich das Ebenbild Gottes an und faellt deswegen auch in seine Sprache.--"Ihr koennt euch am Sonntag in der Stille zusammengeben lassen",--sagte die Edelfrau. "Ich will euch ein angenehmes Heiratsgut stiften. Ich will aus eurem Kinde etwas werden lassen. Ist's ein Bueblein?"--Also wurden sie am naechsten Sonntag auf Geheiss der Edelfrau zusammengegeben und lebten seitdem in Liebe und Frieden ehelich beisammen. Das Bueblein aber kann jetzt schon Haselnuesse aufbeissen und lernt fleissig und hat runde, rote Backen.--Was aber weiter daraus werden soll, weiss der, der den Himmel mit der Spanne misst und den Staub der Erde mit einem Dreiling. Einer oder der andere Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen gekroente Haeupter sich unerkannt zu dem gemeinen Mann herablassen, wie Koenig Heinrich der Vierte in Frankreich, sei es auch nur zu einem gutmuetigen Spass. Zu Koenig Heinrichs des Vierten Zeiten ritt ein Baeuerlein vom Lande her des Weges nach Paris. Nicht mehr weit von der Stadt gesellt sich zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, welches der Koenig war, und sein kleines Gefolge blieb absichtlich in einiger Entfernung zurueck. "Woher des Landes, guter Freund?"--"Da und da her."--"Ihr habt wohl Geschaefte in Paris?"--"Das und das; auch moechte ich gerne unsern guten Koenig einmal sehen, der so vaeterlich sein Volk liebt." - Da laechelte der Koenig und sagte: "Dazu kann Euch heute Gelegenheit werden."--"Aber wenn ich nur auch wuesste, welcher es ist unter den vielen, wenn ich ihn sehe!"--Der Koenig sagte: "Dafuer ist Rat. Ihr duerft nur achtgeben, welcher den Hut allein auf dem Kopf behaltet, wenn die andern ehrerbietig ihr Haupt entbloessen." Also ritten sie miteinander in Paris hinein, und zwar das Baeuerlein huebsch auf der rechten Seite des Koenigs. Denn das kann nie fehlen. Was die liebe Einfalt Ungeschicktes tun kann, sei es gute Meinung oder Zufall, das tut sie. Aber ein gerader und unverkuenstelter Bauersmann, was er tut und sagt, das tut und sagt er mit ganzer Seele und sieht nicht um sich, was geschieht, wenn's ihn nichts angeht. Also gab auch der unsrige dem Koenig auf seine Fragen nach dem Landbau, nach seinen Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topf habe, gespraechige Antwort und merkte lange nichts. Endlich aber, als er doch sah, wie sich alle Fenster oeffneten und alle Strassen mit Leuten sich fuellten und alles rechts und links auswich und ehrerbietig das Haupt entbloesst hatte, ging ihm ein Licht auf. "Herr", sagte er und schaute seinen unbekannten Begleiter mit Bedenklichkeit und Zweifel an, "entweder seid Ihr der Koenig oder ich bin's. Denn wir zwei haben noch allein die Huete auf dem Kopf." Da laechelte der Koenig und sagte: "Ich bin's. Wenn Ihr Euer Roesslein eingestellt und Euer Geschaeft versorgt habt", sagte er, " so kommt zu mir in mein Schloss. Ich will Euch alsdann mit einem Mittagssuepplein aufwarten und Euch auch meinen Ludwig zeigen." Von dieser Geschichte her ruehrt das Sprichwort, wenn jemand in einer Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut allein auf dem Kopf behaelt, dass man ihn fragt: "Seid Ihr der Koenig oder der Bauer?" Einfaeltiger Mensch in Mailand Ein einfaeltiger Mensch in Mailand wollte sein Haus verkaufen. Damit er nun um so eher davon los werden moechte, brach er einen grossen Stein aus demselben heraus, trug ihn auf den grossen Marktplatz, wo viel Verkehr und Handel getrieben wird, und setzte sich damit unter die Verkaeufer. Wenn nun ein Mann kam und fragte ihn: "Was habt Ihr denn feil?" so sagte er: "Mein zweistoeckigtes Haus in der Kapuzinergasse. Wenn Ihr Lust dazu habt--hier ist ein Muster." Der naemliche sagte einmal bei einer Gelegenheit, als von der Kinderzucht die Rede war: "Es ist ein Glueck fuer meine Kinder, dass ich keine habe. Ich koennte so zornig werden, dass ich sie alle totschluege." Eintraeglicher Raetselhandel Von Basel fuhren elf Personen in einem Schiff, das mit allen Kommlichkeiten versehen war, den Rhein hinab. Ein Jude, der nach Schalampi wollte, bekam die Erlaubnis, sich in einen Winkel zu setzen und auch mitzufahren, wenn er sich gut auffuehren und dem Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld geben wolle. Nun klingelte es zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es war doch nur noch ein Dreibatzenstueck darin; denn das andere war ein messingener Knopf. Dessenungeachtet nahm er die Erlaubnis dankbar an. Denn er dachte: "Auf dem Wasser wird sich auch noch etwas erwerben lassen. Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich geworden." Im Anfang und von dem Wirtshaus zum Kopf weg war man sehr gespraechig und lustig, und der Jude in seinem Winkel und mit seinem Zwerchsack an der Achsel, den er ja nicht ablegte, musste viel leiden, wie man's manchmal diesen Leuten macht und versuendiget sich daran. Als sie aber schon weit an Hueningen und an der Schusterinsel vorbei waren und an Maerkt und an dem Isteiner Klotz und St. Veit vorbei, wurde einer nach dem andern stille und gaehnten und schauten den langen Rhein hinunter, bis wieder einer anfing: "Mausche", fing er an, "weisst du nichts, dass uns die Zeit vergeht? Deine Vaeter muessen doch auch auf allerlei gedacht haben in der langen Wueste."--Jetzt, dachte der Jude, ist es Zeit, das Schaeflein zu scheren, und schlug vor, man sollte sich in der Reihe herum allerlei kuriose Fragen vorlegen, und er wolle mit Erlaubnis auch mithalten. "Wer sie nicht beantworten kann, soll dem Aufgeber ein Zwoelfkreuzerstueck bezahlen; wer sie gut beantwortet, soll einen Zwoelfer bekommen." Das war der ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder an dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den Tag hinein, was ihm einfiel. So fragte z. B. der erste: "Wie viel weichgesottene Eier konnte der Riese Goliath nuechtern essen?"--Alle sagten, das sei nicht zu erraten, und bezahlten ihre Zwoelfer. Aber der Jude sagte: "Eins, denn wer ein Ei gegessen hat, isst das zweite nimmer nuechtern." Der Zwoelfer war gewonnen. Der andere dachte: Wart', Jude, ich will dich aus dem Neuen Testament fragen, so soll mir dein Dreibaetzner nicht entgehen. "Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an die Korinther geschrieben?" Der Jud sagte: "Er wird nicht bei ihnen gewesen sein, sonst haett' er's ihnen muendlich sagen koennen." Wieder ein Zwoelfer. Als der dritte sah, dass der Jude in der Bibel so gut beschlagen sei, fing er's auf eine andere Art an: "Wer zieht sein Geschaeft in die Laenge, und wird doch zu rechter Zeit fertig?" Der Jud sagte: "Der Seiler, wenn er fleissig ist." Der vierte: "Wer bekommt noch Geld dazu und laesst sich dafuer bezahlen, wenn er den Leuten etwas weismacht?" Der Jud sagte: "Der Bleicher." Unterdessen naeherte man sich einem Dorf, und einer sagte: "Das ist Bamlach." Da fragte der fuenfte: "In welchem Monat essen die Bamlacher am wenigsten?" Der Jud sagte: "Im Hornung, denn der hat nur 28 Tage." Der sechste sagt: "Es sind zwei leibliche Brueder, und doch ist nur einer davon mein Vetter." Der Jud sagte: "Der Vetter ist Eures Vaters Bruder. Euer Vater ist nicht Euer Vetter." Ein Fisch schnellte in die Hoehe, so fragt der siebente: "Welche Fische haben die Augen am naechsten beisammen?" Der Jud sagte: "Die kleinsten." Der achte fragt: "Wie kann einer zur Sommerszeit im Schatten von Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne noch so heiss scheint?" Der Jud sagt: "Wo kein Schatten ist, muss er absteigen und zu Fuss gehn." Fragt der neunte: "Wenn einer im Winter von Basel nach Bern reitet und hat die Handschuhe vergessen, wie muss er's angreifen, dass es ihn nicht an die Hand friert?" Der Jud sagt: "Er muss aus der Hand eine Faust machen." Fragt der zehnte: "Warum schluepfet der Kuefer in die Faesser?" Der Jud sagt: "Wenn die Faesser Tueren haetten, koennte er aufrecht hineingehen." Nun war noch der elfte uebrig. Dieser fragte: "Wie koennen fuenf Personen fuenf Eier teilen, also dass jeder eins bekomme und doch eins in der Schuessel bleibe?" Der Jud sagte: "Der letzte muss die Schuessel samt dem Ei nehmen, dann kann er es darin liegen lassen, solang er will." Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte er erst einen guten Fang zu machen. Mit viel Komplimenten und spitzbuebischer Freundlichkeit fragte er: "Wie kann man zwei Forellen in drei Pfannen backen, also dass in jeder Pfanne eine Forelle liege?" Das brachte abermal keiner heraus, und einer nach dem andern gab dem Hebraeer seinen Zwoelfer. Der Hausfreund haette das Herz, allen seinen Lesern, von Mailand bis nach Kopenhagen, die naemliche Frage aufzugeben, und wollte ein huebsches Stueck Geld daran verdienen, mehr als am Kalender selber, der ihm nicht viel eintraegt. Denn als die elfe verlangten, er sollte ihnen fuer ihr Geld das Raetsel auch aufloesen, wand er sich lange bedenklich hin und her, zuckte die Achseln, drehte die Augen. "Ich bin ein armer Jued", sagte er endlich. Die andern sagten: "Was sollen diese Praeambeln? Heraus mit dem Raetsel!"--"Nichts fuer ungut!"--war die Antwort--"dass ich gar ein armer Jued bin."--Endlich nach vielem Zureden, dass er die Aufloesung nur heraussagen sollte, sie wollten ihm nichts daran uebelnehmen, griff er in die Tasche, nahm einen von seinen gewonnenen Zwoelfern heraus, legte ihn auf das Tischlein, so im Schiffe war, und sagte: "Dass ich's auch nicht weiss. Hier ist mein Zwoelfer!" Als das die andern hoerten, machten sie zwar grosse Augen und meinten, so sei's nicht gewettet. Weil sie aber doch das Lachen selber nicht verbeissen konnten, und waren reiche und gute Leute, und der hebraeische Reisegefaehrte hatte ihnen von Kleinen-Kems bis nach Schalampi die Zeit verkuerzt, so liessen sie es gelten, und der Jud hat aus dem Schiff getragen--das soll mir ein fleissiger Schueler im Kopf ausrechnen: wie viel Gulden und Kreuzer hat der Jude aus dem Schiff getragen? Einen Zwoelfer und einen messingenen Knopf hatte er schon. Elf Zwoelfer hat er mit Erraten gewonnen, elf mit seinem eigenen Raetsel, einen hat er zurueckbezahlt und dem Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld entrichtet. Erinnerung an die Kriegszeit Es ist nicht zu leugnen: wenn hie und da ein siegreiches Truppenkorps in eine feindliche Landschaft einrueckte und Quartiere nahm, dass sich alsdann der arme Einwohner viel musste gefallen lassen, nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von dem Unverstand und hoehnendem Uebermut. Zu einem solchen Unteroffizier, als er eben am Mittagessen war, kam sein Kamerad und verwunderte sich ueber ihn mit folgenden Worten: "Herr Kamerad", sagte er zu ihm, "seit wann seid Ihr ein Jude geworden, dass Ihr Euch zwicken lasst? Euch ist seit gestern ein kurioser Bart gewachsen." Naemlich der Unteroffizier, der am Mittagessen war, ass gerne Nudeln. Deswegen musste ihm der Wirt jeden Mittag Nudeln aufstellen und natuerlich ein fettes Huhn darin. Der Unteroffizier wusste, dass die Nudeln von feinem Mehl und Teig laengere Faeden haben als die groben. Deswegen musste ihm der Wirt lange und feine Nudeln aufstellen, welche sich fast mit keiner Geschicklichkeit um die Gabel herumspinnen lassen, sondern wann man meint, jetzt sei eine umgesponnen, haspelt sich eine andere wieder ab, und eine Gabel oder einen Loeffel voll mit allen Enden auf einmal in den Mund zu bringen, ist eine Kunst. Zwar darf man sie nur zuerst ein wenig auf dem Teller zerschneiden. Allein das wollte der Unteroffizier nicht. Nein, der Wirt, und wenn er auch des Kuckucks haette werden moegen, musste, solang der Unteroffizier an den Nudeln ass, mit einer Schere neben ihm stehen, und was zu lange war und nicht in den Mund hinein zu bringen war, musste er ihm von den Lippen vorsichtig abschneiden. Deswegen, als dieses der andere Unteroffizier sah, verwunderte er sich und sagte zu ihm scherzweise und lachend: "Euch ist ein kurioser Bart gewachsen. Seit wann lasst Ihr Euch zwicken wie ein Jud?" Dem Wirt kam der Spass nicht laecherlich vor. Allein der andere Unteroffizier troestete ihn. "Landsmann", sagte er zu ihm, "es ist Krieg." So etwas kann man schon erzaehlen und zur Erinnerung an die ueberstandenen Zeiten lesen, wann durch Gottes Gnade und durch die Weisheit der friedliebenden Potentaten alle Plackereien und Hudeleien ein Ende haben. Etwas aus der Tuerkei In der Tuerkei ist Justiz. Ein Kaufmannsdiener, auf der Reise von der Nacht und Muedigkeit ueberfallen, bindet sein Pferd, so mit kostbaren Waren beladen war, nimmer weit von einem Wachthaus an einen Baum, legt sich selber unter das Obdach des Baumes und schlaeft ein. Frueh, als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er gut geschlafen, aber das Roesslein war fort. Da eilte der Beraubte zu dem Statthalter der Provinz, naemlich zu dem Prinzen Karosman Oglu, der in der Naehe sich aufhielt, und klagte vor seinem Richterstuhl seine Not. Der Prinz gab ihm wenig Gehoer. "So nahe bei dem Wachthaus; warum bist du nicht die fuenfzig Schritte weiter geritten, so waerest du sicher gewesen. Es ist deines Leichtsinns Schuld." Da sagte der Kaufmannsdiener: "Gerechter Prinz, hab' ich mich fuerchten sollen, unter freiem Himmel zu schlafen, in einem Lande, wo du regierst?" Das tat dem Prinzen Karosman wohl und wurmte ihn zugleich. "Trink heute Nacht ein Glaeslein tuerkischen Schnaps," sagte er zu dem Kaufmannsdiener, "und schlafe noch einmal unter dem Baum." So gesagt, so getan. Des andern Morgens, als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er auch gut geschlafen, denn das Roesslein stand mit allen Kostbarkeiten wieder angebunden neben ihm, und an dem Baum hing ein toter Mensch, der Dieb, und sah das Morgenrot nimmermehr. Baeume gaeb' es noch an manchen Orten, grosse und kleine. Farbenspiel In einer Schule sassen zwei Schueler, von denen hiess der eine Schwarz, der andere Weiss, wie es sich treffen kann; der Schullehrer aber fuer sich hatte den Namen Rot. Geht eines Tages der Schueler Schwarz zu einem andern Kameraden und sagt zu ihm: "Du, Jakob", sagt er, "der Weiss hat dich bei dem Schulherrn verleumdet." Geht der Schueler zu dem Schulherrn und sagt: "Ich hoere, der Weiss habe mich bei Euch schwarz gemacht und ich verlange eine Untersuchung. Ihr seid mir ohnehin nicht gruen, Herr Rot!" Darob laechelte der Schulherr und sagte: "Sei ruhig, mein Sohn! Es hat dich niemand verklagt, der Schwarz hat dir nur etwas weisgemacht. Franz Ignaz Narocki Man erfaehrt doch durch den Krieg allerlei, unter vielem Schlimmen auch manchmal etwas Gutes, und es heisst da wohl: Die Berge kommen nicht zusammen, aber die Leute. So wird wohl zum Beispiel ein Polack, namens Franz Ignaz Narocki, im Jahr 1707 auch nicht daran gedacht haben, dass nach 100 Jahren der franzoesische Kaiser Napoleon noch zu ihm nach Polen kommen und ihm ein sorgenfreies Alter verschaffen werde; und doch ist's geschehen in den ersten Wochen des Jahres 1807. Er ist geboren im Jahr 1690 und lebt noch, und ich will glauben, dass er in seiner Jugend sich nicht oft betrunken und nicht ausschweifend gelebt habe, denn er hat in seinem hundertsiebenzehnten Lebensjahr noch kein Gebrechen, ob er gleich in seiner Jugend Kriegsdienste tat, als Gefangener von den Russen nach Asien gefuehrt wurde und nachher auch nicht lauter gute Tage hatte. Diesem Mann hat es in 117 Jahren manchmal auf den Hut geschneit, und er kann wohl von manchem Grabe sagen, wer darin liegt. In seinem losten Jahr, wenn andere bald ans Sterben denken, hat er zum ersten Mal geheiratet und vier Kinder gezeugt. Im 86sten Jahr nahm er die zweite Frau und zeugte mit ihr sechs Kinder. Aber von allen ist nur noch ein Sohn aus der ersten Ehe am Leben. Der Koenig von Preussen liess diesem polnischen Methusalem bisher alle Monate ein Gehalt von 24 polnischen Gulden bezahlen. Das ist doch auch schoen. Ein polnischer Gulden aber betraegt nach deutschem Geld ungefaehr 15 kr. Als nun Kaiser Napoleon in seinem siegreichen Feldzug in die Gegend seiner Heimat kam, wuenschte ihn der alte Mann auch noch zu sehen. Es geschah, und er ueberreichte ihm ein sehr artiges Bittschreiben, welches er noch selber mit eigener Hand recht leserlich geschrieben hatte. Der Kaiser nahm es mit Wohlgefallen auf und machte ihm ein schoenes Geschenk von hundert Napoleonsd'or. Ein Napoleonsd'or ist eine Goldmuenze von 9 fl. 18 kr. unseres Geldes. Auf nebenstehender Figur sieht man 1. den alten Narocki an seinem Stab. Er sieht noch recht gut aus fuer sein Alter. 2. Seinen einzigen Sohn, der ihn mit kindlicher Liebe begleitet. 3. Den Kaiser Napoleon, der ihn freundlich ansieht und ihm das Schreiben abnimmt, nebst einem General und einem Adjutanten. 4. Einige Polacken und Soldaten, die den alten Mann neugierig betrachten. Mancher von ihnen, der selber schon einen engen Atem hat und mehr Leid erfahren, als ihm lieb ist, der denkt: So alt moechte ich nicht werden. Ein junges Blut daneben denkt so: Das moechte ich in hundert Jahren, Anno 1907, meinen Enkeln noch erzaehlen koennen. Aber der Kluegste zwischen beiden sagt: Froher Mut, gutes Blut, Leb' solang es Gott gefaellt Fromm und redlich in der Welt! Franziska In einem unscheinbaren Doerfchen am Rhein sass eines Abends, als es schon dunkeln wollte, ein armer junger Mann, ein Weber, noch an dem Webstuhl und dachte waehrend der Arbeit unter andern an den Koenig Hiskias, hernach an Vater und Mutter, deren ihr Lebensfaden auch schon von der Spule abgelaufen war, hernach an den Grossvater selig, dem er einst auch noch auf den Knieen gesessen und an das Grab gefolgt war, und war so vertieft in seinen Gedanken und in seiner Arbeit, dass er gar nichts davon merkte, wie eine schoene Kutsche mit vier stattlichen Schimmeln vor seinem Haeuslein anfuhr und stillehielt. Als aber etwas an der Tuerfalle druckte, und ein holdes, jugendliches Wesen trat herein von weiblichem Ansehen mit wallenden, schoenen Haarlocken und in einem langen, himmelblauen Gewand, und das freundliche Wesen fragte ihn mit mildem Ton und Blick: "Kennst du mich, Heinrich?" da war es, als ob er aus einem tiefen Schlaf auffuehre, und war so erschrocken, dass er nichts reden konnte. Denn er meinte, es sei ihm ein Engel erschienen, und es war auch so etwas von der Art, naemlich seine Schwester Franziska, aber sie lebte noch. Einst hatten sie manches Koerblein voll Holz barfuss miteinander aufgelesen, manches Binsenkoerbchen voll Erdbeeren am Sonntag miteinander gepflueckt und in die Stadt getragen und auf dem Heimweg ein Stuecklein Brot miteinander gegessen, und jedes ass weniger davon, damit das andere genug bekaeme. Als aber nach des Vaters Tod die Armut und das Handwerk die Brueder aus der elterlichen Huette in die Fremde gefuehrt hatte, blieb Franziska allein bei der alten, gebrechlichen Mutter zurueck und pflegte ihrer, also, dass sie dieselbe von dem kaerglichen Verdienst ernaehrte, den sie in einer Spinnfabrik erwarb, und in den langen, schlaflosen Naechten mit ihr wachte und aus einem alten, zerrissenen Buch von Holland erzaehlte, von den schoenen Haeusern, von den grossen Schiffen, von der grausamen Seeschlacht bei Doggersbank, und ertrug das Alter und die Wunderlichkeit der kranken Frau mit kindlicher Geduld. Einmal aber, frueh um zwei Uhr, sagte die Mutter: "Bete mit mir, meine Tochter! Diese Nacht hat fuer mich keinen Morgen mehr auf dieser Welt." Da betete und schluchzte und kuesste das arme Kind die sterbende Mutter, und die Mutter sagte: "Gott segne dich und sei"--und nahm die letzte Haelfte ihres Muttersegens "und sei dein Vergelter!" mit sich in die Ewigkeit. Als aber die Mutter begraben und Franziska in das leere Haus zurueckgekommen war und betete und weinte und dachte, was jetzt aus ihr werden sollte, sagte etwas in ihrem Inwendigen zu ihr: "Geh nach Holland!" Und ihr Haupt und ihr Blick richtete sich langsam und sinnend empor, und die letzte Traene fuer diesmal blieb ihr in dem blauen Auge stehen. Als sie von Dorf zu Stadt und von Stadt zu Dorf betend und bettelnd und Gott vertrauend nach Holland gekommen war und so viel ersammelt hatte, dass sie sich ein sauberes Kleidlein kaufen konnte, in Rotterdam, als sie einsam und verlassen durch die wimmelnden Strassen wandelte, sagte wieder etwas in ihrem Inwendigen zu ihr: "Geh in selbiges Haus dort mit den vergoldeten Gittern am Fenster! "Als sie aber durch den Hausgang an der marmornen Treppe vorbei in den Hof gekommen war, denn sie hoffte, zuerst jemand anzutreffen, ehe sie an einer Stubentuere anpochte, da stand eine betagte, freundliche Frau von vornehmem Ansehen in dem Hofe und fuetterte das Gefluegel, die Huehner, die Tauben und die Pfauen. "Was willst du hier, mein Kind?" Franziska fasste ein Herz zu der vornehmen, freundlichen Frau und erzaehlte ihr ihre ganze Geschichte: "Ich bin auch ein armes Huehnlein, das Eures Brotes bedarf", sagte Franziska und bat sie um Dienst. Die Frau aber gewann Zutrauen zu der Bescheidenheit und Unschuld und zu dem nassen Auge des Maedchens und sagte: "Sei zufrieden, mein Kind! Gott wird dir den Segen deiner Mutter nicht schuldig bleiben. Ich will dir Dienst geben und fuer dich sorgen, wenn du brav bist." Denn die Frau dachte: Wer kann wissen, ob nicht der liebe Gott mich bestimmt hat, ihre Vergelterin zu sein, und sie war eines reichen Rotterdamer Kaufmanns Witwe, von Geburt aber eine Englaenderin. Also wurde Franziska zuerst Hausmagd, und als sie gut und treu erfunden ward, wurde sie Stubenmagd, und ihre Gebieterin gewann sie lieb, und als sie immer feiner und verstaendiger ward, wurde sie Kammerjungfer. Aber jetzt ist sie noch nicht alles, was sie wird. Im Fruehling, als die Rosen bluehten, kam aus Genua ein Vetter der vornehmen Frau, ein junger Englaender, zu ihr auf Besuch nach Rotterdam, er besuchte sie fast alle Jahre um diese Zeit, und als sie eins und das andere hinueber und herueber redeten und der Vetter erzaehlte, wie es aussah, als die Franzosen vor Genua in dem engen Pass in der Bocchetta standen und die Oesterreicher davor, trat heiter und laechelnd, mit allen Reizen der Jugend und Unschuld geschmueckt, Franziska in das Zimmer, um etwas aufzuraeumen oder zurechtzulegen, und dem jungen Englaender, als er sie erblickte, ward es sonderbarlich um das Herz, und die Franzosen und Oesterreicher verschwanden ihm aus den Sinnen. "Tante", sagte er zu seiner Base, "Ihr habt ein bildschoenes Maedchen zur Kammerjungfer. Es ist schade, dass sie nicht mehr ist als das." Die Tante sagte: "Sie ist eine arme Waise aus Deutschland. Sie ist nicht nur schoen, sondern auch verstaendig, und nicht nur verstaendig, sondern auch fromm und tugendhaft und ist mir lieb geworden als mein Kind." Der Vetter dachte: Das lautet nicht bitter. Den andern oder dritten Morgen aber, als er mit der Tante in dem Garten spazierte, "wie gefaellt dir dieser Rosenstock?" fragte die Tante; der Vetter sagte: "Sie ist schoen, sehr schoen." Die Tante sagte: "Vetter, du redest irr. Wer ist schoen? Ich frage ja nach dem Rosenstock." Der Vetter erwiderte: "Die Rose",--"oder vielmehr die Franziska?" fragte die Tante. "Ich hab's schon gemerkt", sagte sie. Der Vetter gestand ihr seine Liebe zu dem Maedchen, und dass er sie heiraten moechte. Die Tante sagte: "Vetter, du bleibt noch drei Wochen bei mir. Wenn es dir alsdann noch so ist, so habe ich nichts darwider. Das Maedchen ist eines braven Mannes wert." Nach drei Wochen aber sagte er: "Es ist mir nimmer wie vor drei Wochen. Es ist noch viel aerger, und ohne das Maegdlein weiss ich nicht, wie ich leben soll." Also geschah der Verspruch. Aber es gehoerte viel Zureden dazu, die Demut der frommen Magd zu ihrer Einwilligung zu bewegen. Jetzt blieb sie noch ein Jahr bei ihrer bisherigen Gebieterin, aber nicht mehr als Kammermaedchen, sondern als Freundin und Verwandte in dem reichen Haus mit vergoldetem Fenstergitter, und noch in dieser Zeit lernte sie die englische Sprache, die franzoesische, das Klavierspielen: "Wenn wir in hoechsten Noeten sein" usw. "Der Herr, der aller Enden" usw. "Auf dich, mein lieber Gott, ich traue" usw.-- und was sonst noch ein Kammermaedchen nicht zu wissen braucht, aber eine vornehme Frau, das lernte sie alles. Nach einem Jahr kam der Braeutigam, noch ein paar Wochen vorher, und die Trauung geschah in dem Hause der Tante. Als aber von der Abreise des neuen Ehepaars die Rede war, schaute die junge Frau ihren Gemahl bittend an, dass sie noch einmal in ihrer armen Heimat einkehren und das Grab ihrer Mutter besuchen und ihr danken moechte, und dass sie ihre Geschwister und Freunde noch einmal sehen moechte. Also kehrte sie jenes Tages bei ihrem armen Bruder, dem Weber, ein, und als er ihr auf ihre Frage: "Kennst du mich, Heinrich?" keine Antwort gab, sagte sie: "Ich bin Franziska, deine Schwester." Da liess er vor Bestuerzung das Schifflein aus den Haenden fallen, und seine Schwester umarmte ihn. Aber er konnte sich anfaenglich nicht recht freuen, weil sie so vornehm geworden war, und scheute sich vor dem fremden Herrn, ihrem Gemahl, dass sich in seiner Gegenwart die Armut und der Reichtum so geschwisterlich umarmen und zueinander sagen sollen Du, bis er sah, dass sie mit dem Gewande der Armut nicht die Demut ausgezogen und nur ihren Stand veraendert hatte, nicht ihr Herz. Nach einigen Tagen aber, als sie alle ihre Verwandten und Bekannten besucht hatte, reiste sie mit ihrem Gemahl nach Genua, und beide leben vermutlich noch in England, wo ihr Gemahl nach einiger Zeit die reichen Gueter eines Verwandten erbte. Der Hausfreund will aufrichtig gestehen, was ihn selber an dieser Geschichte am meisten ruehrt. Am meisten ruehrt ihn, dass der liebe Gott dabei war, als die sterbende Mutter ihre Tochter segnete, und dass er eine vornehme Kaufmannsfrau in Rotterdam in Holland und einen braven, reichen Englaender am welschen Meere bestellt hat, den Segen einer armen sterbenden Witwe an ihrem frommen Kinde gueltig zu machen. Weg hat er aller Wege, an Mitteln fehlt's ihm nicht. Geschwinde Reise Ein italienischer Kaufmann, der auf die Frankfurter Messe reisen wollte, hatte sich in Stuttgart um einen Tag verspaetet. Also musste er die Extrapost anspannen lassen. Wie fang' ich's an, dachte er, dass ich geschwind aus dem Feld komme, und doch mit geringen Kosten? "Postillion", sagte er, als er in das Kaleschlein sass, "fahr langsam, denn ich sitze nicht nur auf dem Kutschenkistlein, sondern auch auf einem Blutgeschwuer, und meine entsetzliche Kopfwunde da auf der linken Seite wirst du hoffentlich sehn. " Eigentlich aber war sie nicht wohl zu sehen. Denn fuers erste war der Kopf mit einem Tuechlein verbunden, das zwar blutig aussah, fuers zweite hatte er unter dem Verband keine Wunde. "Wenn du recht langsam fahrst", sagte er, "auf der Station soll's dich nicht reuen." Der Postillion dachte: solchen Gefallen kann ich den Rossen tun und, was das Trinkgeld anbelangt, mir auch, und fuhr so langsam, dass die Pferde selber anfingen, eins nach dem andern vor langer Weile zu gaehnen, was doch selten geschieht. Nichtsdestoweniger schrie der Italiener unaufhoerlich: "Zetter und Mordio. O mein Kopf! o mein Bein! Fahr langsam!" Der Postillion sagte: "Wollt Ihr auf der Strasse ueber Nacht bleiben, so will ich Euch abladen. Ich kann nicht gar fahren, als wenn ich etwas anders ausfuehrte auf den Acker. Tu ich nicht langsam genug?" Aber der Passagier sagte: "Ich schiess dich tot, wenn du nicht gemach fahrst." Auf der Station in Ludwigsburg, als er dem Postillion das Trinkgeld gab, gab er ihm zwei schaebige Zwoelfer, einen Albus und ein paar verrufene Kreuzerlein, bis es einen halben Gulden ausmachte. Andere gaben sonst wenigstens achtundvierzig Kreuzer, auch einen Gulden und drueber. Wenn's recht pressiert und wenn's recht in der Tasche klingelt, auch einen Kronentaler. Aber alle Vorstellung des Postillions und alles Protestieren half nichts. "Hab' ich Euch nicht schlecht genug gefuehrt", fragte er. "Nein, du hast mich nicht langsam genug gefuehrt. Geh zum Henker." Der Postillion nahm das Geld und dachte: lieber wenig als gar nichts. Aber wart' nur, dachte er, du bist noch lange nicht zu Frankfurt. Als der Ludwigsburger die Pferde einspannte, fragte er den Stuttgarter: "Ist der Weg gut?"--"Schlecht", antwortete der Stuttgarter und winkte ihm ein wenig abseits. Ein wenig abseits sagte er ihm, was er fuer einen wunderlichen und geizigen Passagier fuehre, wie ihm noch keiner vorgekommen sei. "Fahr den Ketzer drauf los", sagte er, "dass die Raeder davonfliegen. Er hat drei Bluteisen, drei Loecher im Kopf und eine gespaltene Kniescheibe." Der Passagier, als der Postknecht aufsass, sagte: "Fahr langsam, Schwager. Es kommt mir auf ein gutes Trinkgeld nicht an." Aber der Postillion dachte: Dein Trinkgeld kenn ich. "Meine Pferde sind auf gesunde Herrn dressiert", sagte er, "ich kann sie nicht halten, wenn sie im Lauf sind", und fuhr drauf los, als wenn die ganze tuerkische Armee hinter ihm dreinkaeme. Der Passagier im Kaleschlein bittet vor Gott und nach Gott, lamentiert, flucht, dass sich der Himmel mit Wolken ueberzieht. Alles vergeblich. Auf der Station in Besigheim gibt er dem Postillion dreissig Kreuzer wie dem erstern. "Was bringst du fuer einen presthaften Herrn?" sagte der Besigheimer. "Fahr ihn gar tot", sagte der Ludwigsburger, "es ist ohnedem nicht mehr viel an ihm", und so rekommandierte ihn einer dem andern, und einer fuhr mit ihm geschwinder davon als der andere, so dass er noch eine Stunde frueher nach Frankfurt kam, als noetig war. In Frankfurt sprang er zur Verwunderung und zum Staunen des Postillions kerngesund aus dem Kaleschlein heraus und gab ihm auch dreissig Kreuzer. Gleiches mit Gleichem Der geistliche Herr von Trudenbach stand eines Nachmittags am Fenster. Da ging mit seinem Zwerchsack der Jud von Brassenheim vorbei. "Nausel", rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu meinem Ross einen guten Kaeufer weisst, 20 Dublonen ist es wert, so bekommst du . . ."--"Na, was bekomm ich?"--"Einen Sack Haber."-- Es vergingen aber drei Wochen, bis der Jud den rechten Liebhaber fand, der naemlich 6 Dublonen mehr dafuer bezahlte als es wert war, und unterdessen stieg der Preis des Habers schnell auf das Doppelte, weil die Franzosen ueberall aufkauften; damals kauften sie noch. Also gab der geistliche Herr dem Juden statt eines ganzen Sackes voll einen halben. "Vielleicht bekehr' ich ihn", dachte er, "wenn er sieht, dass wir auch gerecht sind in Handel und Wandel." Das war nun zu nehmen, wie man wollte. Der Jud nahm's aber fuer recht und billig. "Wart nur, Gallech", dachte er, "du kommst mir wieder." Nach Jahresfrist stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster, und der Jud von Brassenheim ging durch das Dorf. "Nausel", rief ihm der geistliche Herr, "wenn du mir zu meinen zwei fetten Ochsen..."--"Na was bekomm ich, wenn ich Euch einen guten Kaeufer schaffe?"--"Zwei Grosse Taler." Jetzt ging der Jud zu einem verunglueckten Metzger, der schon lange kein Messer mehr fuehrt, weil alles guttut nur, solange es mag, z. B. das Schuldigbleiben. Endlich sagte er zu seinen zwei letzten Kunden: "Ich weiss nicht, ich bin seit einiger Zeit so weichmuetig, dass ich gar kein Blut mehr sehen kann", und schloss die Metzig zu. Seitdem heisst er zum Uebernamen der Metzger Blutscheu und naehrte sich wie der Zirkelschmied von kleinen Kuensten und Projekten, wie wirklich eins im Werk ist. Denn an ihm suchte und fand der Jud seinen Mann und sagte ihm, was zu fangen sei, und auf welche Art. Nach zwei Tagen kamen die beiden zu dem geistlichen Herrn. Aber wie war der Metzger ausstaffiert? In einem halbneuen, brauntuechenen Rock, in langen, schoen gestreiften Beinkleidern von Barchent, um den Leib eine leere Geldgurt, am Finger einen lotschweren silbernen Ring, ein dito Herz im Hemd unter dem scharlachenen Brusttuch, hinter sich her einen wohlgenaehrten Hund, alles auf des Juden Buergschaft zusammengeborgt, nichts sein eigen als das rote Gesicht. Die Ochsen wurden kunstmaessig umgangen, betastet, mit den Augen gewogen und wie mit einer Klafterschnur gemessen.--"Na, wie jauker."--"Zwanzig Dublonen."--"Siebenzehn!"--"Herr Adlerwirt", sagte der Jud, "macht neunzehn draus, Ihr verkauft Euch nicht."--"Die Ochsen sind brav", sagte der Blutscheu; "wenn ich's zwei Stunden frueher gewusst haette, als meine Gurt noch voll war, dass ich sie alsogleich fassen koennte, so waeren sie mir ein paar Dublonen mehr wert. Aber am Freitag hol' ich sie fuer achtzehn", und zog den ledernen Beutel aus, als wenn er etwas draufgeben wollte. Unterdessen fluesterte der Jude dem geistlichen Herrn etwas in das Ohr, und "wenn Ihr fuer die Jungfer Koechin zwei Grosse Taler in den Kauf geben wolltet", sprach er dem Metzger zu, "so koennt Ihr die Ochsen alsogleich mitnehmen fuer neunzehn. Ihr seid ein Ehrenmann, und der Herr Dechant ist auch so einer. Am Freitag bringt Ihr ihm das Geld." Der Kauf war richtig, zwei Grosse Taler gingen auf die Hand. "Herr Adlerwirt", sagte der Jud, "Ihr habt einen guten Handel gemacht." Also trieb der Blutscheu die schoene, fette Beute fort. Die meisten geneigten Leser aber werden bereits merken, dass der Herr Dechant sein Geld am Freitag noch nicht bekam. Eines Nachmittags, nach vier Wochen oder nach sechs, stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster, und der Jud ging durch das Dorf. "Nausel", rief der geistliche Herr ihm zu: "wo bleibt der Adlerwirt? Ich habe mein Geld noch nicht."--"Na, wo wird er bleiben", sagte der Nausel. "Er wird warten bis eine Dublone das Doppelte gilt, alsdann bringt er Euch statt neunzehn neun und eine halbe. Verliert Ihr etwas dabei? Hab ich vor einem Jahr an meinem Haber etwas verloren?" Da ging dem Herrn Dechant ein Licht auf. Das Artigste an dieser ganzen Geschichte ist die Wahrheit. Der Jud hat es nachgehends selber erzaehlt und geruehmt, wie ehrlich der Metzger an dem Scheideweg im Wald mit ihm geteilt habe. "Was er geton hat", sagte er, "den schoensten hat er fuer sich behalten und mir den geringern gegiben." Glueck im Unglueck Auf eine so sonderbare Weise ist Glueck im Unglueck und Unglueck im Glueck noch selten beisammen gewesen wie in dem Schicksal zweier Matrosen in dem letzten Seekrieg zwischen den Russen und Tuerken. Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig zuging, die Kugeln sausten, die Bretter und Mastbaeume krachten, die Feuerbraende flogen, da und dort brach auf einem Schiff die Flamme aus und konnte nicht geloescht werden. Es muss schrecklich sein, wenn man keine andere Wahl hat, als dem Tod ins Wasser entgegenzuspringen oder im Feuer zu verbrennen. Aber unsern zwei russischen Matrosen wurde diese Wahl erspart. Ihr Schiff fing Feuer in der Pulverkammer und flog mit entsetzlichem Krachen in die Luft. Beide Matrosen wurden mit in die Hoehe geschleudert, wirbelten unter sich und ueber sich in der Luft herum, fielen nahe hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer hinab und waren noch lebendig und unbeschaedigt, und das war ein Glueck. Allein die Tuerken fuhren jetzt wie Drachen auf sie heraus, zogen sie wie nasse Maeuse aus dem Wasser und brachten sie in ein Schiff; und weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz. Man fragte sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen Flotte schon zu Mittag gegessen haetten oder nicht, sondern man legte sie in den untersten feuchten und dunkeln Teil des Schiffes an Ketten, und das war kein Glueck. Unterdessen sausten die Kugeln fort, die Bretter und Mastbaeume krachten, die Feuerbraende flogen, und paff! sprang auch das tuerkische Schiff, auf welchem die Gefangenen waren, in tausend Truemmern in die Luft. Die Matrosen flogen mit, kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab, wurden eilig von ihren Freunden hineingezogen und waren noch lebendig, und das war ein grosses Glueck. Allein fuer diese wiedererhaltene Freiheit und fuer das zum zweiten Mal gerettete Leben mussten diese guten Leute doch ein teures Opfer geben, naemlich die Beine. Diese Glieder wurden ihnen beim Losschnellen von den Ketten, als das tuerkische Schiff auffuhr, teils gebrochen, teils jaemmerlich zerrissen und mussten ihnen, sobald die Schlacht vorbei war, unter dem Knie weg abgenommen werden, und das war wieder ein grosses Unglueck. Doch hielten beide die Operation aus und lebten in diesem Zustande noch einige Jahre. Endlich starb doch einer nach dem andern, und das war nach allem, was vorhergegangen war, nicht das Schlimmste. Diese Geschichte hat ein glaubwuerdiger Mann bekanntgemacht, welcher beide Matrosen ohne Beine selber gesehen und die Erzaehlung davon aus ihrem eigenen Munde gehoert hat. Glueck im Unglueck Wie hat zu einem Bauersmann ein Doktor gesagt? "Ihr Landleute", sagte er, "habt's doch immer gut. Wenn des Getreides wenig gewachsen ist, so verkauft ihr es um einen teuern Preis. Ist es wohlfeil, so habt ihr viel zu verkaufen und loeset auch viel Geld."--"Umgekehrt, Herr Doktor", sagte der Bauersmann, "wir kommen auf keinen gruenen Zweig. Denn wenn das Getreide teuer ist, so haben wir nicht viel zu verkaufen. Wenn wir aber viel haben, so ist es wohlfeil und macht uns doch nicht reich."--Auch gut gegeben. Gute Antwort Wer ausgibt, muss auch wieder einnehmen. Reitet einmal ein Mann an einem Wirtshaus vorbei, der einen stattlichen Schmerbauch hatte, also, dass er auf beiden Seiten fast ueber den Sattel herunterhaengte. Der Wirt steht auf die Staffel und ruft ihm nach: "Nachbar, warum habt Ihr denn den Zwerchsack vor Euch auf das Ross gebunden und nicht hinten?" Dem rief der Reitende zurueck: "Damit ich ihn unter den Augen habe. Denn hinten gibt es Spitzbuben." Der Wirt sagte nichts mehr. Gute Geduld Ein Franzos ritt eines Tages auf eine Bruecke zu, die ueber ein Wasser ging und fast schmal war, also, dass sich zwei Reitende kaum darauf ausweichen konnten. Ein Englaender von der andern Seite her ritt auch auf die Bruecke zu, und als sie auf der Mitte derselben zusammenkamen, wollte keiner dem andern Platz machen. "Ein Englaender geht keinem Franzosen aus dem Wege", sagte der Englaender. "Par Dieu", erwiderte der Franzos, "mein Pferd ist auch ein Englaender. Es ist schade, dass ich hier keine Gelegenheit habe, es umzukehren und Euch seinen Stumpfschweif zu zeigen. Also lasst doch wenigstens Euern Englaender, auf dem Ihr reitet, meinem Englaender, wo ich darauf reite, aus dem Wege gehen. Euerer scheint ohnehin der juengere zu sein; meiner hat noch unter Ludwig dem Vierzehnten gedient in der Schlacht bei Kaeferolse Anno 1702." Allein der Englaender machte sich wenig aus diesem Einfall, sondern sagte: "Ich kann warten. Ich habe jetzt die schoenste Gelegenheit, die heutige Zeitung zu lesen, bis es Euch gefaellt, Platz zu machen." Also zog er kaltbluetig, wie die Englaender sind, eine Zeitung aus der Tasche, wickelte sie auseinander wie eine Handzwehle und las darin eine Stunde lang auf dem Ross und auf der Bruecke, und die Sonne sah nicht aus, als wenn sie den Toren noch lange zusehen wollte, sondern neigte sich stark gegen die Berge. Nach einer Stunde aber, als er fertig war und die Zeitung wieder zusammenlegen wollte, sah er den Franzosen an und sagte: "Eh bien!" Aber der Franzos hatte den Kopf auch nicht verloren, sondern erwiderte: "Englaender, seid so gut und gebt mir jetzt Eure Zeitung auch ein wenig, dass ich ebenfalls darin lesen kann, bis es Euch gefaellt auszuweichen." Als aber der Englaender diese Geduld seines Gegners sahe, sagte er: "Wisst Ihr was, Franzos? Kommt, ich will Euch Platz machen." Also machte der Englaender dem Franzosen Platz. Gutes Wort, boese Tat In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer den Herrn Schulmeister im Felde an. "Ist's noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: so dich jemand schlaegt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar?" Der Herr Schulmeister sagt: "Ich kann nichts davon und nichts dazu tun. Es steht im Evangelium." Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann vorbei und sein Jaeger. "Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort miteinander haben." Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagte: "Es steht auch geschrieben: Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll geruettelt und ueberfluessig Mass wird man in euern Schoss geben", und zu dem letzten Spruechlein gab er ihm noch ein halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn zurueck und sagte: "Es hat nichts zu bedeuten, gnaediger Herr; sie legen einander nur die heilige Schrift aus." Merke: Man muss die heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann liess den Bauern noch selbige Nacht in den Turn sperren auf sechs Tage, und dem Herrn Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel haette haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied. Heimliche Enthauptung Hat der Scharfrichter von Landau frueh den 17. Juni seinerzeit die sechste Bitte des Vater Unsers mit Andacht gebetet, so weiss ich's nicht. Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am geschicktesten Tag. In dem Brieflein stand geschrieben: "Nachrichter von Landau! Ihr sollt unverzueglich nach Nanzig kommen und Euer grosses Richtschwert mitbringen. Was Ihr zu tun habt, wird man Euch sagen und wohl bezahlen."--Eine Kutsche zur Reise stand auch schon vor der Haustuere. Der Scharfrichter dachte: Das ist meines Amts, und setzte sich in die Kutsche. Als er noch eine Stunde herwaerts Nanzig war, es war schon Abend, und die Sonne ging in blutroten Wolken unter, und der Kutscher hielt stille und sagte: "Wir bekommen morgen wieder schoen Wetter", da standen auf einmal drei starke, bewaffnete Maenner an der Strasse, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter und versprachen ihm, dass ihm kein Leids widerfahren sollte; "aber die Augen muesst Ihr Euch zubinden lassen"; und als sie ihm die Augen zugebunden hatten, sagten sie: "Schwager, fahr zu!" Der Schwager (das ist der Kutscher) fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als wenn er noch gute zwoelf Stunden weiter waere gefuehrt worden, und konnte nicht wissen, wo er war. Er hoerte die Nachteulen der Mitternacht; er hoerte die Haehne rufen; er hoerte die Betglocken laeuten. Auf einmal hielt die Kutsche wieder still. Man fuehrte ihn in ein Haus und gab ihm eins zu trinken und einen guten Wurstwecken dazu. Als er sich mit Speise und Trank gestaerkt hatte, fuehrte man ihn weiter im naemlichen Haus, Tuer ein und aus, Treppe auf und ab, und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem grossen Saal. Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tuechern behaengt, und auf den Tischen brannten Wachskerzen. Der Kuenstler aber, der nebenstehende Abbildung dazu verfertiget hat, sagt, es sei besser, er lasse das Tageslicht hinein, der Scharfrichter sehe alsdann auch besser zu seinem Geschaeft. Denn in der Mitte sass auf einem Stuhl eine Person mit entbloesstem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht und muss etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht reden, sondern nur schluchzen. Aber an den Waenden standen mehrere Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den Angesichtern, also dass der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt haette, wenn er ihm in der andern Stunde wieder begegnet waere, und einer von ihnen ueberreichte ihm sein Schwert mit dem Befehl, dieser Person, die auf dem Stuehlein sass, den Kopf abzuhauen. Da ward's dem armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser stuende bis uebers Herz, und sagte, das soll man ihm nicht uebel nehmen; sein Schwert, das dem Dienst der Gerechtigkeit gewidmet sei, koenne er mit einer Mordtat nicht entheiligen. Allein einer von den Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen und sagte "Entweder, oder! Wenn Ihr nicht tut, was man Euch heisst, so seht Ihr den Kirchturm von Landau nimmermehr." Da dachte der Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, "und wenn's nicht anders sein kann", sagte er, "und ich vergiesse unschuldiges Blut, so komme es auf Euer Haupt", und schlug mit einem Hieb der armen Person den Kopf vom Leibe weg. Nach der Tat so gab ihm einer von den Herrn einen Geldbeutel, worin zweihundert Dublonen waren. Man band ihm die Augen wieder zu und fuehrte ihn in die naemliche Kutsche zurueck. Die naemlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten. Und als endlich die Kutsche stillehielt, und er bekam die Erlaubnis auszusteigen und die Binde von den Augen abzuloesen, stand er wieder, wo die drei Maenner zu ihm eingesessenes waren, eine Stunde herwaerts Nanzig auf der Strasse nach Landau, und es war Nacht. Die Kutsche aber fuhr eiligs wieder zurueck. Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es waere dem Hausfreund leid, wenn er sagen koennte, wer die arme Seele war, die auf einem so blutigen Wege in die Ewigkeit hat gehen muessen. Nein, es hat niemand erfahren, wer sie war, und was sie gesuendiget hat, und niemand weiss das Grab. Herr Charles (Eine wahre Geschichte) Ein Kaufmann in Petersburg, von Geburt ein Franzose, wiegte eben sein wunderschoenes Bueblein auf dem Knie und machte ein Gesicht dazu, dass er ein wohlhabender und gluecklicher Mann sei und sein Glueck fuer einen Segen Gottes halte. Indem trat ein fremder Mann, ein Pole, mit vier kranken, halberfrorenen Kindern in die Stube. "Da bring' ich Euch die Kinder." Der Kaufmann sah den Polen kurios an. "Was soll ich mit diesen Kindern tun? Wem gehoeren sie? Wer schickt Euch zu mir?"--"Niemand gehoeren sie", sagte der Pole, "einer toten Frau im Schnee, siebenzig Stunden herwaerts Wilna. Tun koennt Ihr mit ihnen, was Ihr wollt." Der Kaufmann sagte: "Ihr werdet nicht am rechten Orte sein", und der Hausfreund glaubt's auch nicht. Allein der Pole erwiderte, ohne sich irremachen zu lassen: "Wenn Ihr der Herr Charles seid, so bin ich am rechten Ort", und der Hausfreund glaubt's auch. Er war der Herr Charles. Naemlich es hatte eine Franzoesin, eine Witwe, schon lange im Wohlstande und ohne Tadel in Moskau gelebt. Als aber vor fuenf Jahren die Franzosen in Moskau waren, benahm sie sich landsmannschaftlicher gegen sie, als den Einwohnern wohlgefiel. Denn das Blut verleugnet sich nicht; und nachdem sie in dem grossen Brand ebenfalls ihr Haeuslein und ihren Wohlstand verloren und nur ihre fuenf Kinder gerettet hatte, musste sie, weil sie verdaechtig sei, nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus dem Land reisen. Sonst haette sie sich nach Petersburg gewendet, wo sie einen reichen Vetter zu finden hoffte. Der geneigte Leser will bereits etwas merken. Als sie aber in einer schrecklichen Kaelte und Flucht und unter unsaeglichen Leiden schon bis nach Wilna gekommen war, krank und aller Beduerfnisse und Bequemlichkeiten fuer eine so lange Reise entbloesst, traf sie in Wilna einen edlen russischen Fuersten an und klagte ihm ihre Not. Der edle Fuerst schenkte ihr dreihundert Rubel, und als er erfuhr, dass sie in Petersburg einen Vetter habe, stellte er ihr frei, ob sie ihre Reise nach Frankreich fortsetzen oder ob sie mit einem Pass nach Petersburg umkehren wolle. Da schaute sie zweifelhaft ihr aeltestes Bueblein an, weil es das verstaendigste und das kraenkste war. "Wo willst du hin, mein Sohn?"--"Wo du hingehst, Mutter", sagte der Knabe, und hatte recht. Denn er ging noch vor der Abreise ins Grab. Also versah sie sich mit dem Notwendigen und akkordierte mit einem Polen, dass er sie fuer fuenfhundert Rubel nach Petersburg braechte zum Vetter; denn sie dachte, er wird das Fehlende schon drauflegen. Aber alle Tage kraenker auf der langen, beschwerlichen Reise, starb sie am sechsten oder siebenten.--"Wo du hingehst", hatte der Knabe gesagt; und der arme Pole erbte von ihr die Kinder, und konnten miteinander so viel reden, als ein Pole verstehen mag, wenn ein franzoesisches Kind russisch spricht, oder ein Franzoeslein, wenn man mit ihm reden will auf polnisch. Nicht jeder geneigte Leser haette an seiner Stelle sein moegen. Er war es selber nicht gern. "Was anfangen jetzt?" sagte er zu sich selbst. "Umkehren--wo die Kinder lassen? Weiter fahren-- wem bringen?" Tue, was du sollst, sagte endlich etwas in seinem Inwendigen zu ihm. Willst du die armen Kinder um das Letzte und Einzige bringen, was sie von ihrer Mutter zu erben haben, um dein Wort, das du ihr gegeben hast? Also kniete er mit den ungluecklichen Waisen um den Leichnam herum und betete mit ihnen ein polnisches Vaterunser. "Und fuehre uns nicht in Versuchung." Hernach liess jedes ein Haendlein voll Schnee zum Abschied und eine Traene auf die kalte Brust der Mutter fallen, naemlich, dass sie ihr gerne die letzte Pflicht der Beerdigung antun wollten, wenn sie koennten, und dass sie jetzt verlassene, unglueckliche Kinder seien. Hernach fuhr er getrost mit ihnen weiter auf der Strasse nach Petersburg, denn es wollte ihm nicht eingehen, dass, der ihm die Kindlein anvertraut hatte, koenne ihn stecken lassen, und als die grosse Stadt vor seinen Augen sich ausdehnte, wie ein Hauderer tut, der auch erst vor dem Tor fragt, wo er stillhalten soll, erkundigt er sich endlich bei den Kindern, so gut er sich verstaendlich machen konnte, wo denn der Vetter wohne, und erfuhr von ihnen, so gut er sie verstehen konnte: "Wir wissen's nicht."--Wie er denn heisse? "Wir wissen's auch nicht."--Wie denn ihr eigener Geschlechtsname sei? "Charles." Der geneigte Leser will schon wieder etwas merken, und wenn's der Hausfreund fuer sich zu tun haette, so waere der Herr Charles der Vetter. Die Kinder waeren versorgt, und die Erzaehlung haette ein Ende. Allein die Wahrheit ist oft sinniger als die Erdichtung. Nein, der Herr Charles ist der Vetter nicht, sondern dieses Namens ein anderer, und bis auf diese Stunde weiss noch niemand, wie der wahre Vetter eigentlich heisst, nicht, ob und wo in Petersburg er wohnt. Also fuhr der arme Mann in grosser Verlegenheit zwei Tage lang in der Stadt herum und hatte Franzoeslein feil. Aber niemand wollte ihn fragen: "Wie teuer das Paerlein?" und der Herr Charles begehrte sie nicht einmal geschenkt, und war noch nicht willens, eines zu behalten. Als aber ein Wort das andere gab und ihm der Pole schlicht und menschlich ihr Schicksal und seine Not erzaehlte,--eins, dachte er, will ich ihm abnehmen,-- und es fuellte sich immer waermer in seinem Busen,--ich will ihm zwei abnehmen, dachte er; und als sich endlich die Kinder um ihn anschmiegten, meinend, er sei der Herr Vetter, und anfingen, auf franzoesisch zu weinen, denn der geneigte Leser wird auch schon bemerkt haben, dass die franzoesischen Kinder anders weinen, und als der Herr Charles die Landesart erkannte, da ruehrte Gott sein Herz an, dass ihm ward wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen und klagen sieht, und "in Gottes Namen", sagte er, "wenn's so ist, so will ich mich nicht entziehen", und nahm die Kinder an. "Setzt Euch ein wenig nieder", sagte er zu dem Polen, "ich will Euch ein Suepplein kochen lassen." Der Pole, mit gutem Appetit und leichtem Herzen, ass die Suppe und legte den Loeffel weg,--er legte den Loeffel weg und blieb sitzen,-- er stand auf und blieb stehen. "Seid so gut", sagte er endlich, "und fertigt mich jetzt ab, der Weg nach Wilna ist weit. Auf fuenfhundert Rubel hat die Frau mit mir akkordiert"; da fuhr es doch dem milden Menschen, dem Herrn Charles, ueber das Gesicht, wie der Schatten einer fliegenden Fruehlingswolke ueber die sonnenreiche Flur. "Guter Freund", sagte er, "Ihr kommt mir ein wenig kurios vor. Ist's nicht genug, dass ich Euch die Kinder abgenommen habe, soll ich Euch auch noch den Fuhrlohn bezahlen?" Denn das kann dem redlichsten und besten Gemuet begegnen, wenn's ein Kaufmann ist, jedem andern aber auch, dass es wider Wissen und Willen zuerst ein wenig handeln und markten muss, sei es auch nur mit sich selbst. Der Pole erwiderte: "Guter Herr, ich will Euch nicht ins Gesicht sagen, wie Ihr mir vorkommt. Ist's nicht genug, dass ich Euch die Kinder bringe? Sollt' ich sie auch noch umsonst gefuehrt haben? Die Zeiten sind boes, und der Verdienst ist gering."--"Eben deswegen", sagte Herr Charles, "darueber lasst mich klagen. Oder meint Ihr, ich sei so reich, dass ich fremde Kinder aufkaufe, oder so gottlos, dass ich mit ihnen handle? Wollt Ihr sie wieder?" Als aber noch einmal ein Wort das andere gab und der Pole jetzt erst mit Staunen erfuhr, dass der Herr Charles gar nicht der Vetter sei, sondern nur aus Mitleiden die armen Waisen angenommen habe, "wenn's so ist", sagte er, "ich bin kein reicher Mann, und Eure Landsleute, die Franzosen, haben mich auch nicht dazu gemacht, aber wenn's so ist, so kann ich Euch nichts zumuten. Tut den armen Wuermlein Gutes dafuer", sagte der edle Mensch, und es trat ihm eine Traene ins Auge, die wie aus einem ueberwaeltigten Herzen kam, wenigstens ueberwaeltigte sie dem Herrn Charles das seinige. Monsieur Charles, dachte er, und ein armer polnischer Fuhrmann!--und als der Pole schon anfing, eines der Kinder nach dem andern zum Abschied zu kuessen und sie auf polnisch zur Folgsamkeit und Froemmigkeit ermahnte, "guter Freund", sagte der Herr Charles, "bleibt noch ein wenig da. Ich bin doch so arm nicht, dass ich Euch nicht Euern wohlverdienten Fuhrlohn bezahlen koennte, so ich doch die Fracht Euch abgenommen habe", und gab ihm die fuenfhundert Rubel. Also sind jetzt die Kindlein versorgt, der Fuhrlohn ist bezahlt, und so ein oder der andere geneigte Leser vor den Toren der grossen Stadt haette zweifeln moegen, ob der Vetter auch zu finden seie, und ob er's, tun werde, so hat doch die heilige Vorsehung ihn nicht einmal dazu vonnoeten gehabt. Hilfe in der Not Als im verwichenen Spaetjahr der Zirkelschmied mit seiner Frau ungegessen ins Bett gehen wollte--schon seit drei Tagen war kein Feuer mehr in die Kueche gekommen, und das letzte Maeuslein hatte sich ausquartiert--, da schickte ihm, wie gerufen, der Barbier von Brassenheim einen fetten Schinken, so gross als manches Saeulein, was noch ganz ist, und drei Wuerste dazu, so lang wie Glockenseiler, und der Zirkelschmied wusste nicht warum; der geneigte Leser weiss es auch nicht. Aber er erfahrt's. Schon vor Jahr und Tagen war in Brassenheim ein fremder Mann in das Wirtshaus zu den drei Rosen gekommen, und der Zirkelschmied sass damals auch schon drin, etwa beim dritten Schoepplein oder beim vierten. Als der Fremde eine Zeitlang da war und dem Zirkelschmied weniger pfiffig als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmied: Ich will ein Gespraech mit ihm anfangen. Vielleicht laesst er sich ueber den Loeffel halbieren. "Ihr seid wohl auch zum ersten Mal hier, seitdem der Rosenwirt dies schoene Haus gebaut hat, weil Ihr so lange an einem Nagel gesucht habt fuer Euern Kaputrock?" Der Fremde sagte: "Ich bin auch ein Wirt, aber ich tauschte mein Haus noch nicht gegen dieses, wenn eins nicht waere."--"Habt Ihr noch namhafte Schulden darauf?"--"Das nicht."--"Oder riecht der Abtritt?"--"Das auch nicht."--"Oder habt Ihr ein boeses Weib im Haus?"--"Das auch nicht, aber sonst nichts Gutes." Endlich erfuhr der Zirkelschmied nach einigem Hin- und Herreden von dem Fremden, wie er das Unglueck habe in seinem Haus mit einem grausamen Gespenst, das alle Nacht auf seinem Speicher erwache und Ziegel fresse, wie man an den Brosamen sehe und an den Luecken im Dach. Der wohlbelehrte Leser des Rheinlaendischen Hausfreundes ist darueber im klaren, ehe man ihm sagt, dass dieses Gespenst nur ein boshafter Mensch, ein Feind des Hausbesitzers koenne gewesen sein. Naemlich es war sein eigener Schwager, der ihm das Haus verleiden und feilmachen wollte. Der Zirkelschmied sagte: "Wenn Ihr mit Wissen noch kein Menschenfleisch gegessen und noch keinem Ross das Einmaleins abgehoert habt, so ist Rat, wenn's Euch auf zwei Grosse Taler nicht ankommt, einen sogleich, den andern, wenn Euch geholfen ist." Der Fremde griff sogleich in die Tasche. "Jetzt geht zum Herr Barbier", sagte der Zirkelschmied halb leise, obgleich sonst niemand in der Stube war, "und klagt ihm Eure Not. Anfaenglich wird er Euch kein Gehoer geben, denn es ist ihm bei Strafe verboten. Wenn Ihr aber nicht nachlasst, so bekommt Ihr das Mittel" (oder den Buckel voll Schlaege, dachte fuer sich der Zirkelschmied). Als aber der Fremde zu dem Barbier gekommen war, der ein gar vernuenftiger Mann ist, fuhr der Barbier ihn an: "Wer hat Euch zu mir geschickt?"--"Einer in einem abgeschabten Roecklein und in einer schwarzen Halsbinde, hinten mit einer breiten messingenen Schnalle, drei Finger hoch ueber dem Rockkragen, hinten auf dem Kopf hat er noch vierundzwanzig bis dreissig Haerlein und doch ein Kamm drin." Da hob der Barbier drohend und zuernend den Zeigefinger auf und sagte: "Wart, vermaledeiter Zirkelschmied, hab' ich dich einmal ausgekundschaftet?" Der Fremde aber fiel ihm ins Wort: "Stellt Euch nicht so kurios, Herr Doktor, ich weiss alles, und helft mir von meinem Ziegelfresser, von meinem Gespenst." Der Barbier bekam gute Laune, weil er den Zirkelschmied ausgekundschaftet hatte. "Ich will Euch ein stinkendes Rauchpulver geben", sagte er, "mit dem geht dem Geist auf den Leib und schlagt ihn, Ihr seid ein handfester Mann, mit einem braven Weidenstumpen lederweich, bis er vor Euch zur Erde faellt, nur nicht zu Tod, denn die Geister halten nichts darauf, wenn man sie zu Tod schlaegt. Hernach geht Ihr Eures Weges, damit der Geist auch unbeschrien nach Hause kann." Solchen Rat gab dem fremden Mann der Barbier und dachte nicht daran, was die Sache fuer ein schlimmes Ende nehmen koennte. Aber sie nimmt ein gutes Ende. Der Hausfreund weiss es schon. Denn, wie gesagt, im verwichenen Spaetjahr am Katharinentag, als der Barbier nach Oberwaldsheim gehen wollte, sechs Stunden von Brassenheim, wohin sonst sein Weg nicht war, kehrt er unterwegens ein in einem Wirtshaus, wie es einem einfallen kann, wenn man einen Schild sieht. Als er aber in der Stube war und den Wirt erblickte, erschrak er gar sehr und dachte: "O weh, wie werd' ich wieder da herauskommen", und machte in der Geschwindigkeit ein krummes Maul, dass ihn niemand kennen sollte, denn der Wirt war der naemliche, dem er das Rauchpulver gegeben hatte, und er wusste nicht, wie der Handel ausgegangen war. Der Wirt aber, waehrend er ihm ein Schoepplein holte, sann hin und her. "Den Mann sollt' ich kennen. Wenn er nicht das Maul so verdammt krumm im Gesicht haette, so waer's der Barbier von Brassenheim, der brave Mann, der mich vom Gespenst erloest hat. Ich will nur sehen, wie er den Wein hineinbringt"; und als er hernach die ersten Ehrenfragen an ihn getan hatte: "Woher des Landes und wohin?" sagte er: "Herr Landsmann, nehmt mir meine Neugierde nicht zum Vorwitz auf! Wenn Euer Mund besser im Blei laege, so wollt' ich glauben, Ihr seid der Gregorius (Chirurgus wollte er sagen) von Brassenheim." Dem Barbier ging der Angstschweiss aus. "Wenn Euch mein krummes Maul irre macht", sagte er, "so muss der Barbier von Brassenheim ein gerades haben, und folglich kann ich nicht der naemliche sein. Zudem, so bin ich der Papiermueller von Neuhausen." Jetzt erzaehlte ihm der Wirt die ganze Geschichte, und unmerklich, wie sie immer besser lautete, zog sich sein Mund immer gerade in die Linie, "und Ihr seid es doch", rief endlich der Wirt.--"Freilich bin ich's", erwiderte der Barbier, "ich habe Euch nur ein wenig vexieren wollen, ob Ihr mich noch kennt. Aber nicht wahr", sagte er, "das Mittel hat geholfen?"--"Gleich aufs erste Mal", erwiderte der Wirt und rief voll Freude und Dankbarkeit die Frau und die Kinder herein und bestellte ein gutes Mittagsessen fuer seinen ehrenwerten Gast, sinnend, ob er ihm nicht sonst noch eine Ehre antun koenne. Als daher der Barbier sich entschuldigte, dass er noch nach Waldsheim auf den Katharinenmarkt gehen und ein Saeulein kaufen wolle, da ging eine freundliche Heiterkeit ueber das Angesicht des Wirtes, und sagte er zu ihm: "Ei, steht Euch keine von meinen an?" Jetzt liess er ihm sechs gemaestete Schweine, eines groesser als das andere, in den Hof herausspringen. "Da sucht Euch eine heraus, Herr Doktor." Der Barbier kam in Verlegenheit, so ein Schwein koenne er nicht bezahlen, auch nicht gewaeltigen in seiner kleinen Haushaltung. Aber der Wirt fasste kurzweg eine am Bein. "Die ist Euer." Also blieben sie beisammen ueber den Mittag, und als sie genug gegessen und getrunken hatten, befahl der Wirt dem Knecht, das Waegelein anzuspannen und den Herrn Doktor und die Sau nach Brassenheim zu fuehren.--Deswegen schickte der Barbier dem Zirkelschmied tags darauf den Schinken und die Wuerste, weil sein Mutwillen ihm dazu verholfen hatte. "Sieh, Baerbel", sagte hernachmals der Zirkelschmied zu seiner Frau, " du hast mich schon oft verkannt. Mit einem Mann, wie ich bin, ist eine Frau versorgt." Hochzeit auf der Schildwache Ein Regiment, das sechs Wochen lang in einem Dorfbezirk in Kantonierung gelegen war, bekam unversehens in der Nacht um 2 Uhr Befehl zum ploetzlichen Aufbruch. Also war um 3 Uhr schon alles auf dem Marsch, bis auf eine einsame Schildwache draussen im Feld, die in der Eile vergessen wurde und stehen blieb. Dem Soldaten auf der einsamen Schildwache wurde jedoch zuerst die Zeit nicht lang, denn er schaute die Sterne an und dachte: "Glitzert ihr, solange ihr wollt, ihr seid doch nicht so schoen als zwei Augen, welche jetzt schlafen in der untern Muehle." Gegen fuenf Uhr jedoch dachte er: " Es koennte jetzt bald drei sein." Allein niemand wollte kommen, um ihn abzuloesen. Die Wachtel schlug, der Dorfhahn kraehte, die letzten Sterne, die selbigen Morgen noch kommen wollten, waren aufgegangen, der Tag erwachte, die Arbeit ging ins Feld, aber noch stand unser Musketier unabgeloest auf seinem Posten. Endlich sagte ihm ein Bauersmann, der auf seinem Acker wandelte, das ganze Bataillon sei ausmarschiert schon um drei Uhr, kein Kamaschenknopf sei mehr im Dorf, noch weniger der Mann dazu. Also ging der Musketier unabgeloest selber ins Dorf zurueck. Des Hausfreunds Meinung waere, er haette jetzt den Doppelschritt anschlagen und dem Regiment nachziehen sollen. Allein der Musketier dachte: "Brauchen sie mich nimmer, so brauch ich sie auch nimmer." Zudem dachte er: Es ist nicht zu trauen. Wenn ich ungerufen komme und mich selber abgeloest habe, so kann's spanische Nudeln absetzen; er meinte Roehrlein. Zudem dachte er: Der untere Mueller hat ein huebsches Maegdlein, und das Maegdlein hat einen huebschen Mund, und der Mund hat holde Kuesse, und ob sonst schon etwas mochte geschehen sein, geht den Hausfreund nichts an. Also zog er das blaue Roecklein aus und verdingte sich in dem Dorf als Bauernknecht, und wenn ihn jemand fragte, so antwortete er wie jener Hueninger Deserteur, es sei ihm ein Unglueck begegnet, sein Regiment sei ihm abhanden gekommen. Brav war der Bursche, huebsch war er auch, und die Arbeit ging ihm aus den Haenden flink und recht. Zwar war er arm, aber desto besser schickte sich fuer ihn des Muellers Toechterlein, denn der Mueller hatte Batzen. Kurz die Heirat kam zustande. Also lebte das junge Paar in Liebe und Frieden gluecklich beisammen und bauten ihr Nestlein. Nach Verlauf von einem Jahr aber, als er eines Tages von dem Felde heimkam, schaute ihn seine Frau bedenklich an: "Fridolin, es ist jemand dagewesen, der dich nicht freuen wird."--"Wer?"--"Der Quartiermacher von deinem Regiment; in einer Stunde sind sie wieder da." Der alte Vater lamentierte, die Tochter lamentierte und sah mit nassen Augen ihren Saeugling an. Denn ueberall gibt es Verraeter. Der Fridolin aber nach kurzem Schrecken sagte: "Lasst mich gewaehren. Ich kenne den Obrist." Also zog er das blaue Roecklein wieder an, das er zum ewigen Andenken hatte aufbewahren wollen, und sagte seinem Schwiegervater, was er tun soll. Hernach nahm er das Gewehr auf die Achsel und ging wieder auf seinen Posten. Als aber das Bataillon eingerueckt war, trat der alte Mueller vor den Obristen. "Habt doch ein Einsehen, Herr General, mit dem armen Menschen, der vor einem Jahr auf den Posten gestellt worden ist draussen an der Waldspitze. Ist es auch permittiert, eine Schildwache ein geschlagenes Jahr lang stehen zu lassen auf dem naemlichen Fleck und nicht abzuloesen." Da schaut der Obrist den Hauptmann an, der Hauptmann schaute den Unteroffizier an, der Unteroffizier den Gefreiten, und die halbe Kompanie, alte gute Bekannte des Vermissten, liefen hinaus, die einjaehrige Schildwache zu sehen, und wie der arme Mensch muesse zusammengeschmoret sein, gleich einem Borstdorfer Aepfelein, das schon vier Jahre am Baum haengt. Endlich kam auch der Gefreite, der naemliche, der ihn vor zwoelf Monaten auf den Posten gefuehrt hatte, und loeste ihn ab: "Praesentiert das Gewehr, das Gewehr auf die Schulter, Marsch", nach soldatischem Herkommen und Gesetz. Hernach musste er vor dem Obristen erscheinen, und seine junge, huebsche Frau mit ihrem Saeugling auf den Armen begleitete ihn und mussten ihm alles erzaehlen. Der Obriste aber, der ein guetiger Herr war, schenkte ihm einen Federntaler und half ihm hernach zu seinem Abschied. Ist der Mensch ein wunderliches Geschoepf Einem Koenig von Frankreich wurde durch seinen Kammerdiener der Namen eines Mannes genannt, der das 75. Jahr zurueckgelegt habe und noch nie aus Paris herausgekommen sei. Er wisse noch auf diese Stunde nicht anderst als vom Hoerensagen, was eine Landstrasse sei oder ein Ackerfeld oder der Fruehling. Man koennte ihm weismachen, die Welt sei schon vor zwanzig Jahren untergegangen. Er muesse es glauben. Der Koenig fragte, ob denn der Mann kraenklich oder gebrechlich sei. "Nein", sagte der Kammerdiener, "er ist so gesund wie der Fisch im Wasser." Oder ob er truebsinnig sei. "Nein, es ist ihm so wohl wie dem Vogel im Hanfsamen." Oder ob er durch seiner Haende Arbeit eine zahlreiche Familie zu ernaehren habe. "Nein, er ist ein wohlhabender Mann. Er mag eben nicht. Es nimmt ihn nicht wunder." Des verwunderte sich der Koenig und wuenschte diesen Menschen zu sehen. Der Wunsch eines Koenigs von Frankreich ist bald erfuellt, zwar auch nicht jeder, aber dieser, und der Koenig redete mit dem Menschen von allerlei, ob er schon lange gesund und wohlauf sei. "Ja, Sire", erwiderte er, "allbereits 75 Jahre." Ob er in Paris geboren sei. "Ja, Sire! Es muesste kurios zugegangen sein, wie ich anderst hineingekommen waere, denn ich bin noch nie draussen gewesen."--"Das soll mich doch wunder nehmen", erwiderte der Koenig. "Denn eben deswegen hab' ich Euch rufen lassen. Ich hoere, dass Ihr allerlei verdaechtige Gaenge macht, bald zu diesem Tor hinaus, bald zu jenem. Wisst Ihr, dass man schon lange auf Euch Achtung gibt?" Der Mann war ueber diesen Vorwurf ganz erstaunt und wollte sich entschuldigen. Das muesse ein anderer sein, der seinen Namen fuehre, oder so. Aber der Koenig fiel ihm in die Rede: "Kein Wort mehr! Ich hoffe, Ihr werdet in Zukunft nicht mehr aus der Stadt gehen ohne meine ausdrueckliche Erlaubnis."--Ein rechter Pariser, wenn ihm der Koenig etwas befiehlt, denkt nicht lange, ob es notwendig sei und ob es nicht auch anderst ebensogut sein koennte, sondern er tut's. Der Unsrige war ein rechter, obgleich, als auf seinem Heimweg die Postkutsche vor ihm vorbeifuhr, dachte er: "O ihr Gluecklichen da drinnen, dass ihr aus Paris hinausduerft!" Als er nach Hause kam, las er die Zeitung wie alle Tage. Aber diesmal fand er nicht viel drin. Er schaute zum Fenster hinaus, das war auf einmal so langweilig. Er las in einem Buch, das war auf einmal so einfaeltig. Er ging spazieren, er ging in die Komoedie, in das Wirtshaus, das war so alltaeglich. So das erste Vierteljahr lang, so das zweite, und mehr als einmal im Gasthaus sagte er zu seinen Nachbarn: "Freunde, es ist ein hartes Wort, fuenfundsiebenzig Jahre kontinuierlich in Paris gelebt zu haben und jetzt erst nicht hinauszuduerfen." Endlich im dritten Vierteljahr konnte er's nimmer aushalten, sondern meldete sich einen Tag um den andern wegen der Erlaubnis: das Wetter sei so huebsch, oder es sei heut' ein schoener Regentag. Er wolle sich gern auf seine Kosten von einem vertrauten Mann begleiten lassen, wenn's sein muesse, auch von zweien. Aber vergebens. Nach Verlauf aber eines schmerzlich durchlebten Jahrs, gerade am naemlichen Tage, als er abends nach Hause kam, fragt er mit boesem Gesicht die Frau: "Was ist das fuer ein neues Kaleschlein im Hof? Wer will mich zum besten haben?" "Herzensschatz", antwortete die Frau, "ich habe dich ueberall suchen lassen. Der Koenig schenkt dir das Kaleschlein und die Erlaubnis, darin spazieren zu fahren, wohin du willst." "Ma foi!" erwiderte der Mann mit besaenftigter Miene, "der Koenig ist gerecht."--"Aber nicht wahr", fuhr die Gattin fort, "morgen fahren wir spazieren aufs Land?"--"Ei nun", erwiderte der Mann kalt und ruhig, "wir wollen sehn. Wenn's auch morgen nicht ist, so kann's ein ander Mal sein, und am Ende, was tun wir draussen? Paris ist doch am schoensten inwendig." Jakob Humbel Jakob Humbel, eines armen Bauern Sohn von Boneschwyl im Schweizer-Kanton Aargau, kann jedem seinesgleichen zu einem lehrreichen und aufmunternden Beispiel dienen, wie ein junger Mensch, dem es ernst ist, etwas Nuetzliches zu lernen und etwas Rechtes zu werden, trotz allen Hindernissen am Ende seinen Zweck durch eigenen Fleiss und Gottes Hilfe erreichen kann. Jakob Humbel wuenschte von frueher Jugend an ein Tierarzt zu werden, um in diesem Beruf seinen Mitbuergern viel Nutzen leisten zu koennen. Das war sein Dichten und Trachten Tag und Nacht. Sein Vater gab ihn daher in seinem 16. Jahr einem sogenannten Viehdoktor von Mummental in die Lehre, der aber kein geschickter Mann war. Bei diesem lernte er zwei Jahre, bekam alsdann einen braven Lehrbrief und wusste alles, was sein Meister wusste, naemlich Traenklein und Salben kochen, auch Pflaster kneten fuer den boesen Wind, sonst nichts--und das war nicht viel. Ich weiss einen, der waere damit zufrieden gewesen, haette nun auf seinen Lehrbrief und seines Meisters Wort Salben gekocht, Pflaster gestrichen drauf und dran fuer den boesen Wind, das Geld dafuer genommen und selber gemeint, er sei's. Jakob Humbel nicht also. Er ging zu einem andern Viehdoktor in Oberoltern im Emmental noch einmal in die Lehre, hielt abermal ein Jahr bei ihm aus, bekam abermal einen braven Lehrbrief und wusste abermal--nichts, weil auch dieser Meister die wichtige Kunst selber nicht verstand, keine Kenntnis hatte von der innern Beschaffenheit eines Tieres im gesunden und kranken Zustand und von der Natur der Arzneimittel. Ich weiss einen, der haett's jetzt bleiben lassen, waer' eben wieder heimgekommen, wie er fortgegangen, und haett' sich mit andern getroestet, aus denen auch nichts hat werden wollen. Fast sah es mit unserm armen Jakob Humbel ebenso aus. Mit boesen Wind-Salben war wenig Geld, noch weniger Kredit und Ehre zu verdienen. Was er verdiente, zog der Vater. Humbel wurde gemeiner Tageloehner, ging in armseliger Kleidung umher, ohne Geld und ohne Rat, und dennoch hatte er noch immer den Tierarzt--nicht im Kopf, denn das waere schon recht gewesen, sondern im sehnsuchtsvollen Verlangen. Jetzt verdingte er sich als Hausbedienter bei Herrn Ringier im Kloesterli zu Zofingen. Bei diesem Herrn war er drei Jahre, bekam einen guten Lohn und wurde guetig behandelt wie ein Kind. Ich weiss einen, der haette die Guete eines solchen Herrn missbraucht, waere meisterlos worden, den Lohn haetten bekommen der Wirt und der Spielmann. Aber Jakob Humbel wusste mit seinem Verdienst etwas Besseres anzufangen. Oft, wann er bei dem Essen aufwartete, hoerte er die Herren am Tisch franzoesisch reden. Da kam er auf den Gedanken, diese Sprache auch zu lernen. Vermutlich hoffte er dadurch auf irgend eine Art leichter zu seinem Zweck zu kommen, noch ein geschickter und braver Tierarzt zu werden. Er ging mit seinem zusammengesparten Verdienst nach Nyon in die Schulanstalt des Herrn Snell und lernte so viel, als in neun Monaten zu lernen war. Jetzt war sein Vorrat verzehrt, und ehe er seine Studien fortsetzen konnte, musste er darauf denken, wie er wieder Geld verdiente. Gott wird mich nicht verlassen, dachte er. Er ging zu Herrn Landvogt Bucher in Wildenstein als Kammerdiener in Diensten, erwarb sich bei diesem und nachher bei einem andern Herrn wieder etwas Geld und befand sich im Jahr 1798, als die Franzosen in die Schweiz kamen, in seinem Geburtsort zu Boneschwyl und trieb mit seinem erworbenen Geld einen kleinen Kornhandel nach Zuerich, der recht gut vonstatten ging und seine Barschaft nach Wunsch vermehrte. Jetzt war er im Begriff, ins Ausland zu gehen und von dem ehrlich erworbenen Geld endlich seine Kunst rechtschaffen zu studieren. Da wurde ein Korps von 18'000 Mann helvetischer Hilfstruppen errichtet. Die Gemeinde Boneschwyl musste acht Mann stellen. Die jungen Bursche muessen spielen: den guten Jakob Humbel trifft das Los, Soldat zu werden. Ich weiss einen, der haette gedacht: die Welt ist gross, und der Weg ist offen; waer' mit seiner kleinen Barschaft zum Teufel gangen und haette seine Mitbuerger dafuer sorgen lassen, wo sie statt seiner den achten Mann nehmen wollten. Aber Jakob Humbel liebt sein Vaterland und ist ein ehrliches Blut. Er stellte einen Mann, den er zwei Jahre lang auf seine Kosten unterhalten musste. Das Beste von seinem erworbenen Vermoegen, wovon er noch etwas lernen wollte, ging zu seinen unsaeglichen Schmerzen drauf, und er dachte: jetzt habe ich hohe Zeit, sonst ist's Mathae am letzten. Mit diesem Gedanken nahm er den Rest seiner Habschaft in die Tasche, einen Stecken in die Hand und lief eines Gangs, ohne sich umzusehen, nach Karlsruhe, und als er auf der Muehlburger Strasse zwischen den langen Reihen der Pappelbaeume die Stadt erblickte, da dachte er: Gottlob! und Gott wird mir helfen. Guter Jakob Humbel, Gott hilft jedem, der sich wie du von Gott will helfen lassen, und du hast es erfahren. In Karlsruhe ist naemlich eine oeffentliche Anstalt zum Unterricht in der Tierarzneikunst. Die Lehrstunden werden unentgeltlich erteilt. Die sehr geschickten Lehrer geben sich Muehe, ihre Lehrjuenger gruendlich zu unterrichten. Schon mancher brave Tierarzt hat in dieser nuetzlichen Schule sich zu seinem Beruf vorbereitet und gebildet. Hier war nun Humbel in seinem rechten Element, an der reichen Quelle, wo er seinen lang gehaltenen Durst nach Wissenschaft befriedigen konnte, lernte ein krankes Tier mit andern Augen anschauen als in Mummental und Emmental, konnte andere Sachen lernen als Wind machen und boesen Wind vertreiben und war nicht viel im Bierhaus zur Stadt Berlin oder im Wirtshaus zur Stadt Strassburg oder in Klein-Karlsruhe im Wilhelm Tell zu sehen, ob er gleich sein Landsmann war, auch nicht einmal recht am Sonntag auf dem Paradeplatz oder zur Muehlburg im Rappen, sondern vom fruehen Morgen bis in die spaete Nacht beschaeftigte er sich zwanzig Monate lang unerfuellte und unverdrossen mit seiner Kunst, und wenn er wieder etwas Neues, Schoenes und Nuetzliches gelernt hatte, so machte ihn das am Abend vergnuegter als der Zapfenstreich mit der schoensten tuerkischen Musik; zumal wenn ihm bei derselben sein Kostgaenger einfiel bei den helvetischen Hilfstruppen. Endlich kehrte er als ein ausgelernter Tierarzt mit den schoensten Zeugnissen seiner Lehrer aus Karlsruhe freudig in sein Vaterland zurueck, wurde von dem Sanitaetsrat in dem Kanton Aargau geprueft, legte zu jedermann Erstaunen und Freude die weitlaeufigsten und gruendlichsten Kenntnisse an den Tag, erhielt mit wohlverdienten Lobspruechen und Ehren das Patent auf seine Kunst--und ist nun nach allen ausgestandenen Schwierigkeiten und Muehseligkeiten am schoenen Ziel seiner lebenslaenglichen Wuensche, einer der geschicktesten und angesehensten Tieraerzte in dem ganzen Schweizerlande. Jetzt weiss ich vier, die denken: wenn solcher Mut und Ernst dazu gehoert, etwas Braves zu lernen, so ist's kein Wunder, dass aus mir nichts hat werden wollen. Weisst du was? Nimm Gott zu Hilfe, und probiere es noch! Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne Der grosse Kaiser Napoleon brachte seine Jugend als Zoegling in der Kriegsschule zu Brienne zu, und wie? Das lehrten in der Folge seine Kriege, die er fuehrte, und seine Taten. Da er gerne Obst ass, wie die Jugend pflegt, so bekam eine Obsthaendlerin daselbst manchen schoenen Batzen von ihm zu loesen. Hatte er je einmal kein Geld, so borgte sie. Bekam er Geld, so bezahlte er. Aber als er die Schule verliess, um nun als kenntnisreicher Soldat auszuueben, was er dort gelernt hatte, war er ihr doch einige Taler schuldig. Und als sie das letzte Mal ihm einen Teller voll saftiger Pfirsiche oder suesser Trauben brachte, "Fraulein", sagte er, "jetzt muss ich fort und kann Euch nicht bezahlen. Aber Ihr sollt nicht vergessen sein." Aber die Obstfrau sagte: "O reisen Sie wegen dessen ruhig ab, edler junger Herr. Gott erhalte Sie gesund und mache aus Ihnen einen gluecklichen Mann!"--Allein auf einer solchen Laufbahn, wie diejenige war, welche der junge Krieger jetzt betrat, kann doch auch der beste Kopf so etwas vergessen, bis zuletzt das erkenntliche Gemuet ihn wieder daran erinnert. Napoleon wird in kurzer Zeit General und erobert Italien. Napoleon geht nach Aegypten, wo einst die Kinder Israel das Zieglerhandwerk trieben, und liefert ein Treffen bei Nazareth, wo vor 1800 Jahren die hochgelobte Jungfrau wohnte. Napoleon kehrt mitten durch ein Meer voll feindlicher Schiffe nach Frankreich und Paris zurueck und wird Erster Konsul. Napoleon stellt in seinem ungluecklich gewordenen Vaterlande die Ruhe und Ordnung wieder her und wird franzoesischer Kaiser, und noch hatte die gute Obstfrau in Brienne nichts als sein Wort: "Ihr sollt nicht vergessen sein!" Aber ein Wort, noch immer so gut als bares Geld und besser. Denn als der Kaiser in Brienne einmal erwartet wurde, er war aber in der Stille schon dort und mag wohl sehr geruehrt gewesen sein, wenn er da an die vorige Zeit gedachte und an die jetzige, und wie ihn Gott in so kurzer Zeit und durch so viele Gefahren unversehrt bis auf den neuen Kaiserthron gefuehrt hatte, da blieb er auf der Gasse ploetzlich stille stehen, legte den Finger an die Stirne wie einer, der sich auf etwas besinnt, nannte bald darauf den Namen der Obstfrau, erkundigte sich nach ihrer Wohnung, so ziemlich baufaellig war, und trat mit einem einzigen treuen Begleiter zu ihr hinein. Eine enge Tuere fuehrte ihn in ein kleines, aber reinliches Zimmer, wo die Frau mit zwei Kindern am Kamin kniete und ein sparsames Abendessen bereitete. "Kann ich hier etwas zur Erfrischung haben?" so fragte der Kaiser.-- "Ei ja!" erwiderte die Frau, "die Melonen sind reif", und holte eine. Waehrend die zwei fremden Herren die Melone verzehrten und die Frau noch ein paar Reiser an das Feuer legte, "kennt Ihr denn den Kaiser auch, der heute hier sein soll?" fragte der eine. "Er ist noch nicht da", antwortete die Frau, "er kommt erst. Warum soll ich ihn nicht kennen? Manchen Teller und manches Koerbchen voll Obst hat er mir abgekauft, als er noch hier in der Schule war."--"Hat er denn auch alles ordentlich bezahlt?"--"Ja freilich, er hat alles ordentlich bezahlt." Da sagte zu ihr der fremde Herr: "Frau, Ihr geht nicht mit der Wahrheit um, oder Ihr muesst ein schlechtes Gedaechtnis haben. Fuers erste, so kennt Ihr den Kaiser nicht. Denn ich bin's. Fuers andere hab' ich Euch nicht so ordentlich bezahlt, als Ihr sagt, sondern ich bin Euch zwei Taler schuldig oder etwas;" und in diesem Augenblick zaehlte der Begleiter auf den Tisch eintausendundzweihundert Franken, Kapital und Zins. Die Frau, als sie den Kaiser erkannte und die Goldstuecke auf dem Tisch klingeln hoerte, fiel ihm zu Fuessen und war vor Freude und Schrecken und Dankbarkeit ganz ausser sich, wie man ihr auf nebenstehender Abbildung wohl ansehen kann; und die Kinder schauen auch einander an und wissen nicht, was sie sagen sollen. Der Kaiser aber befahl nachher, das Haus niederzureissen und der Frau ein anderes an den naemlichen Platz zu bauen. "In diesem Hause", sagte er, "will ich wohnen, so oft ich nach Brienne komme, und es soll meinen Namen fuehren." Der Frau aber versprach er, er wolle fuer ihre Kinder sorgen. Wirklich hat er auch die Tochter derselben bereits ehrenvoll versorgt, und der Sohn wird auf kaiserliche Kosten in der naemlichen Schule erzogen, aus welcher der grosse Held selber ausgegangen ist. Kannitverstan Der Mensch hat wohl taeglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen so gut als in Amsterdam Betrachtungen ueber den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben fuer ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er in diese grosse und reiche Handelsstadt voll praechtiger Haeuser, wogender Schiffe und geschaeftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein grosses und schoenes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies kostbare Gebaeude, die sechs Kamine auf dem Dach, die schoenen Gesimse und die hohen Fenster, groesser als an des Vaters Haus daheim die Tuer. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Voruebergehenden anzureden. "Guter Freund", redete er ihn an, "koennt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heisst, dem dieses wunderschoene Haus gehoert mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?"--Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglueck gerade so viel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende von der hollaendischen, naemlich nichts, sagte kurz und schnauzig: "Kannitverstan", und schnurrte vorueber. Dies war nur ein hollaendisches Wort oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heisst auf deutsch soviel als: Ich kann Euch nicht verstehn. Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan, dachte er und ging weiter. Gass aus Gass ein kam er endlich an den Meerbusen, der da heisst: Het Ei, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wusste anfaenglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwuerdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein grosses Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewaelzt und Faesser voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange zugesehn hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glueckliche Mann heisse, dem das Meer all diese Waren an das Land bringe. "Kannitverstan", war die Antwort. Da dachte er: Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer solche Reichtuemer an das Land schwemmt, der hat gut solche Haeuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben. Jetzt ging er wieder zurueck und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er fuer ein armer Teufel sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekaeme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke und erblickte einen grossen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz ueberzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wuessten, dass sie einen Toten in seine Ruhe fuehrten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhuellt in schwarze Maentel und stumm. In der Ferne laeutete ein einsames Gloecklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmuetiges Gefuehl, das an keinem guten Menschen voruebergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Haenden andaechtig stehen, bis alles vorueber war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen koennte, wenn der Zentner um zehn Gulden aufschluege, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Exkuese. "Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein," sagte er, "dem das Gloecklein laeutet, dass Ihr so betruebt und nachdenklich mitgeht." "Kannitverstan!" war die Antwort. Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar grosse Traenen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. "Armer Kannitverstan," rief er aus, "was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schoenen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute." Mit diesem Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehoerte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestaette und ward von der hollaendischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr geruehrt als von mancher deutschen, auf die er nicht achtgab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stueck Limburger Kaese, und wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein grosses Haus, an sein reiches Schiff und an sein enges Grab. Kindesdank und Undank Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, dass Menschen im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder lernen's von den Eltern; sie sehen's und hoeren's nicht anders und folgen dem Beispiel. So wird es auf die natuerlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und geschrieben ist, dass der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und sie nicht verfehle. Man hat darueber unter andern zwei Erzaehlungen, von denen die erste Nachahmung und die zweite grosse Beherzigung verdient. Ein Fuerst traf auf einem Spazierritt einen fleissigen und frohen Landmann an dem Ackergeschaeft an und liess sich mit ihm in ein Gespraech ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, dass der Acker nicht sein Eigentum sei, sondern dass er als Tageloehner taeglich um 15 Kreuzer arbeite. Der Fuerst, der fuer sein schweres Regierungsgeschaeft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es moeglich sei, taeglich mit 15 Kreuzern auszureichen und noch so frohen Mutes dabei zu sein, und verwunderte sich darueber. Aber der brave Mann im Zwilchrock erwiderte ihm: "Es waere mir uebel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muss ein Dritteil davon genuegen; mit einem Dritteil zahle ich meine Schulden ab, und den uebrigen Dritteil lege ich auf Kapitalien an." Das war dem guten Fuersten ein neues Raetsel. Aber der froehliche Landmann fuhr fort und sagte: "Ich teile meinen Verdienst mit meinen alten Eltern, die nicht mehr arbeiten koennen, und mit meinen Kindern, die es erst lernen muessen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe ich, dass sie mich einst in meinem mueden Alter auch nicht verlassen werden." War das nicht artig gesagt und noch schoener und edler gedacht und gehandelt? Der Fuerst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern Mannes, sorgte fuer seine Soehne, und der Segen, den ihm seine sterbenden Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kindern durch Liebe und Unterstuetzung redlich entrichtet. Aber ein anderer ging mit seinem Vater, welcher durch Alter und Kraenklichkeit freilich wunderlich geworden war, so uebel um, dass dieser wuenschte, in ein Armenspital gebracht zu werden, das im naemlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bei duerftiger Pflege von den Vorwuerfen frei zu werden, die ihm daheim die letzten Tage seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein willkommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabging, war dem armen, alten Greis sein Wunsch erfuellt. Aber er fand im Spital auch nicht alles, wie er wuenschte. Wenigstens liess er seinen Sohn nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohltat zu erweisen und ihm ein paar Leintuecher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf blossem Stroh schlafen muesste. Der Sohn suchte die zwei schlechtesten, die er hatte, heraus und befahl seinem zehnjaehrigen Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit Verwunderung bemerkte er, dass der kleine Knabe vor der Tuer eines dieser Tuecher in einen Winkel verbarg und folglich dem Grossvater nur eines davon brachte. "Warum hast du das getan?" fragte er den Jungen bei seiner Zurueckkunft.--"Zur Aushilfe fuer die Zukunft", erwiderte dieser kalt und boesherzig, "wenn ich Euch, o Vater! auch einmal in das Spital schicken werde." Was lernen wir daraus?--Ehre Vater und Mutter, auf dass es dir wohlgehe! Koenig Friedrich und sein Nachbar Der Koenig Friedrich von Preussen hatte acht Stunden von Berlin freilich ein schoenes Lustschloss und war gerne darin, wenn nur nicht ganz nahe daneben die unruhige Muehle gewesen waere. Denn erstlich stehn ein koenigliches Schloss und eine Muehle nicht gut nebeneinander, obgleich das Weissbrot schmeckt auch in dem Schloss nicht uebel, wenn's die Muehle fein gemahlen und der Ofen wohl gebacken hat. Ausserdem aber, wenn der Koenig in seinen besten Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal liess der Mueller das Wasser in die Raeder schiessen und dachte auch nicht an den Herrn Nachbar, und die Gedanken des Koenigs stellten das Raederwerk der Muehle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Raeder die Gedanken des Koenigs. Der geneigte Leser sagt: "Ein Koenig hat Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Muehle nicht ab und laesst sie niederreissen?" Der Koenig wusste, warum. Denn eines Tages liess er den Mueller zu sich rufen. "Ihr begreift", sagte er zu ihm, "dass wir zwei nicht nebeneinander bestehen koennen. Einer muss weichen. Was gebt Ihr mir fuer mein Schloesslein?"--Der Mueller sagte: "Wie hoch haltet Ihr es, koeniglicher Herr Nachbar?" Der Koenig erwiderte ihm: "Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, dass Ihr mir mein Schloss abkaufen koennt. Wie hoch haltet Ihr Eure Muehle?" Der Mueller erwiderte: "Gnaedigster Herr, so habt auch Ihr nicht so viel Geld, dass Ihr mir meine Muehle abkaufen koennt. Sie ist mir nicht feil." Der Koenig tat zwar ein Gebot, auch das zweite und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. "Sie ist mir nicht feil. Wie ich darin geboren bin", sagte er, "so will ich darin sterben, und wie sie mir von meinen Vaetern erhalten worden ist, so sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der Koenig eine ernsthaftere Sprache an: "Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich gar nicht noetig habe, viel Worte zu machen? Ich lasse Euere Muehle taxieren und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es nicht!" Da laechelte der unerschrockene Mann, der Mueller, und erwiderte dem Koenig: "Gut gesagt, allergnaedigster Herr, wenn nur das Hofgericht in Berlin nicht waere." Naemlich, dass er es wolle auf einen richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der Koenig war ein gerechter Herr und konnte ueberaus gnaedig sein, also dass ihm die Herzhaftigkeit und Freimuetigkeit einer Rede nicht missfaellig war, sondern wohlgefiel. Denn er liess von dieser Zeit an den Mueller unangefochten und unterhielt fortwaehrend mit ihm eine friedliche Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen Herrn Nachbar. Koenig Friedrichs Leibhusar Der Leibhusar Koenig Friedrichs von Preussen muss mit seinem Herrn in gutem Vernehmen gestanden haben. Denn einmal gab ihm der Koenig wegen eines Versehens eine Ohrfeige, dass ihm die Haarlocke, wie man sie damals noch an den Seiten des Kopfes trug, aufeinanderfuhr und der weisse Puder davonflog, also, dass man's draussen ihm wohl ansehen konnte, wenn er hinauskam. Der Leibhusar bat wegen seines Versehens um Verzeihung, stellte sich aber geradewegs vor des Koenigs grossen Spiegel, der im Zimmer war, richtete seine Locke wieder zurecht und staeubte mit dem Schnupftuch den Puder vom Kleid, welches unschicklich war. Dem Koenig kam's auch so vor, denn er sagte: "Was faellt dir ein? Willst du noch eine?" Der Leibhusar sagte: Nein, er habe genug an einer; "aber die andern", sagte er, "brauchen nicht zu wissen, wenn ich hinauskomme, was zwischen uns vorgefallen ist." Da laechelte der Koenig wieder und war nimmer boese ueber den Leibhusar. Item, einmal tut so etwas gut, ein ander Mal nicht. Lange Kriegsfuhr Dies ist die Geschichte, die dem Hausfreund vor einem Jahr ein unsichtbarer Freund geschenkt hat, und der Freund sagt, er kenne die Abkoemmlinge des Wirts, und die Sache sei ganz gewiss. Im Dreissigjaehrigen Krieg, der Schwed zog durch ein namhaftes Dorf im Wiesenkreis und in dem Dorf durchs Wirtshaus, und im Durchziehen durch den Hof blieb der Knecht des Wirts mit einem Wagen und vier Pferden an der Kolonne haengen. Denn er musste Tornister fuehren und Offizierskisten und Weibsleute. Der Meister sagte: "Komm bald wieder heim, Jobbi!" Der Jobbi dachte: An mir soll's nicht fehlen. Die Meisterin weinte und lamentierte, aber ein schwedischer Korporal sagte: "Man wird Ross nicht fressen. Tatar frisst Ross." Indessen ging die erste Tagsstation nur bis nach Freiburg, die zweite nur bis nach Kippenheim, die dritte nur bis nach Ortenberg, die vierte nur bis nach Hornberg, die fuenfte nur bis nach Villingen im Schwarzwald. Dem armen Jobbi so hoch droben bei den Wolken war schon das Leben feil, und die Pferde haetten auch gern ins Gras gebissen, aber noch lieber in den Haber. Und unter allen vieren beklagte der Jobbi am meisten sein Lieblingsross, den Jockli, dass er schon in seinen besten Jahren ein Kriegsheld werden musste. Aber das half alles nichts. Wo man hinkam, waren keine Fuhren zu haben; so musste der Jobbi und der Jockli mit, ungefragt und ungebeten, bis weit hinein ins Schwabenland und hintersich und fuersich, und aus so viel Tagen wurden so viel Monate und mehr, bis er einmal zwischen einem Montag und Dienstag Gelegenheit fand, eine Spazierfahrt fuer sich zu machen ins Freie. Die oesterreichischen Vorposten riefen ihn an: "Wer da?"-- "Gut Freund."--"Wer ist gut Freund?" "Der Jobbi von da und da." "Bassa mallergi", sagte der Korporal, "bist du Jobbi von da und da?" Der Korporal hatte auch schon einen Schluck Branntwein oder vierundzwanzig bei seinem Meister getrunken und kannte den Jobbi, und der Vorpostenhauptmann war auch schon auf dem Jockli nach Waldshut geritten und kannte den Jockli. Also sagte der Hauptmann: "Willst du einen Pass nach Haus oder willst du bei uns bleiben und Geld genug verdienen?" Da dachte der Jobbi: Aufgegeben hat mich der Meister schon lang und einen andern Zug gekauft. Attrapiert mich unterwegs der Schwed, so geht's zu boesen Haeusern oder gar zu boesen Baeumen, und der Mund stand ihm voll Wasser, wenn er sah, wie die oesterreichischen Dukaten flogen und auf den Boden fielen, und niemand buckte sich darnach. Denn der oesterreichische Krieg hat Geld. Also blieb der Jobbi bei der Armee, hauderte hin und her, bis nach Pressburg hinein im Ungarland und wieder zurueck, handelte auch ein wenig und gewann Huete voll Geld. Der Wagen zerbrach; er kaufte sich einen neuen. Ein Pferd fiel nach dem andern, die Beute hatte andere. Nur der Jockli hielt aus bergauf und ab, durch dick und duenn. Gleichwohl dachte der alte Knabe oft an den Meister und an die Meisterin daheim, und wie er auch wieder einmal zurueckwolle, wenn's sauber sei im Reich. Und der Meister und die Meisterin daheim dachten auch manchmal an den Jobbi selig, und wie es ihm moege ergangen sein bei den Schweden. Eines Tags, als schon alle Kanonen vom Rhein bis an die Donau und bis an die Ostsee versaust hatten, die Meisterin schnitt die Suppe ein zum Mittagessen, und der Wirt richtete den Zeiger an der Wanduhr, denn es schlug auf der Kirche, da seufzte die Frau und sagte nichts. Der Meister fragt: "Was fehlt dir?"--"He nichts", sagte sie; "ich hab' an den Jobbi gedacht, Gott hab' ihn selig, und an den schoenen Zug; heut jaehrt sich's wieder."-- " Es wird sich noch vielmal jaehren", sagte der Mann; "gottlob! dass wieder Ruhe im Lande ist." Indem tritt der Hausknecht herein und sagt: "Meister, da draussen haltet ein obsonater Gesell, ein Ungar mit schneeweissem Bart und 4. Rossen, der aussieht wie ein Marketender, und hat auch so ein Brannteweinfaesslein auf dem Wagen. Kommt mir der Sapperment frangschemang in den Stall und sagt: An diesem Platz bin ich der Meister; drauf jagt er Eure Pferde in den Hof hinaus und bindet die seinigen an. Ist noch Krieg oder ist's Frieden?" Indem der Meister hinauswill, kommt der Ungar hinein und sagt: Gemach!--Der Wirt fragt: "Woher des Landes? Solche Gaeste haben wir auch schon gehabt." "Eine Halbe will ich", sagte der Ungar, "von Eurem Besten und zwei Glaeser."--"Das ist nicht von Euerm Besten", sagte er nachher. "Von dem Grenzacher will ich im hintern Keller oder von dem Laufemer hinter der Brotbahre, wo die Katz darauf sitzt." Der Wirt sagt: "Woher wisst Ihr, was ich fuer Wein im Keller habe?" Der Ungar sagt: "Von Euerm alten Knecht, dem Jobbi", und wollte sich noch lange verstellen. Als er aber seinen Namen hoerte, wiewohl er ihn selber aussprach, konnte er nimmer an sich halten, sondern ergriff die Hand des Meisters, und die Traenen rannen ihm aus den Augen in den weissen Bart wie der koestliche Balsam, der herabfliesst in den Bart Aarons, der herabfleusst in sein Kleid und Lust und Freude erregt. "Ich bin ja der alte Jobbi", sagte der vermeinte Ungar, "wo einmal bei Euch"--aber der Wirt und die Wirtin unterbrachen ihn mit einem lauten Freudengeschrei, "und den Jockli hab' ich auch wieder mitgebracht", sagte der Jobbi, "die andern sind neu." Jetzt ging's an ein Bewillkommen und an ein Fragen, der Wirt rief die Kinder zusammen, der Jobbi sei wieder da, und die Mutter brachte die Kleinen, eins an der Hand, eins auf dem Arme; aber sie fuerchteten sich und schrieen vor dem fremden Bart; und der Herr Schulmeister kam im Vorbeigehen auch hinein. Als aber der Meister ein Glas zum Willkommen mit ihm getrunken hatte und wollte ihm das zweite einschenken, sagte der Jobbi: "Das Faesslein! Wir muessen zuerst das Faesslein abladen." Drauf brachte der Wirt, der Jobbi und der Hausknecht ein Faesslein, aber nicht mit Branntwein, nein, voll kaiserlicher Taler und Kremnitzer Dukaten, ab dem Wagen herein, so schwer sie tragen konnten. "Dies ist Euer Geld", sagte der Jobbi, "das ich Euch ehrlich verdient habe. Ich verlange nichts als fuer die sechs Jahre meinen Lohn und fuer den Jockli den Ruhestand." Der Meister sagte: "Du sollst keinen Lohn von mir bekommen, sondern du sollst das Kind im Hause sein, und zwar das aelteste." Aber der Jobbi sagte: "Ihr habt unterdessen, wie ich sehe, Kinder genug bekommen. Lasst mich, wie ich bin" und ging mit einem Mund voll Brot hinaus, um nach den Pferden zu sehen und seine alten Geschaefte zu verrichten wie vorher, als wenn er nie weggegessen waere. Also blieb er bis an sein Ende im Dienste seines Meisters und vermachte ihm, weil er keinen Erben hatte, noch sein Vermoegen von 520 Pfund Basler Waehrung, tut 416 Gulden rheinisch. Der Meister aber ruehrte das Geld nicht an, sondern stiftete es fuer die Armen. Merke: der Hausfreund kann letzteres nicht fuer gewiss sagen. Aber er denkt so: War der Jobbi ein guter Knecht, so war der Meister ein guter Mensch. Fromme Herrschaft zieht frommes Gesinde. Grobheit, Fluchen und Geiz ist der falsche Weg zu gutem Gesind, hinten herum. Ist also der Wirt ein so raesonabler Mann gewesen, hat er auch das Geld den Armen geschenkt. List gegen List Einem namhaften Goldschmied hatten zwei vornehm gekleidete Personen fuer 3000 Taler kostbare Kleinode abgekauft fuer auf die Kroenung in Ungarn. Hernach bezahlten sie ihm tausend Taler bar, legten alles, was sie ausgesucht hatten, in ein Schaechtelein zusammen, siegelten das Schaechtelein zu und gaben es dem Goldschmied gleichsam als Unterpfand fuer die noch fehlende Summe wieder in Verwahrung; wenigstens kam es dem Goldschmied so vor, als wenn es das naemliche waere. "In vierzehn Tagen", sagten sie, "bringen wir Euch die fehlende Summe und nehmen alsdann das Schaechtelein in Empfang." Alles wurde schriftlich gemacht. Allein es vergehen drei Wochen, niemand meldet sich. Der Kroenungstag geht vorueber, es gehen noch vier Wochen vorueber. Niemand will mehr nach dem Schaechtelein fragen. Endlich dachte der Goldschmied: "Was soll ich euch euer Eigentum hueten auf meine Gefahr und mein Kapital tot drinnen liegen haben?" Also wollte er das Schaechtelein in Beisein einer obrigkeitlichen Person eroeffnen und die bereits empfangenen 1000 Taler hinterlegen. Als es aber geoeffnet ward, "lieber, guter Goldschmied", sagte der Aktuarius, "wie seid Ihr von den zwei Spitzbuben angeschmiert." Naemlich in dem Schaechtelein lagen statt Edelgestein Kieselstein und Fensterblei statt Goldes. Die zwei Kaufleute waren spitzbuebische Taschenspieler, boehmische Juden, brachten das wahre Schaechtelein unvermerkt auf die Seit und gaben dem Goldschmied ein anderes zurueck, welches ebenso aussah. "Goldschmied", sagte der Aktuarius, "hier ist guter Rat teuer. Ihr seid ein ungluecklicher Mann." Indem trat wohlgekleidet und ehrbar ein Fremder zur Tuere herein und wollte dem Goldschmied allerlei krummgebogenes Silbergeschirr und einsechtige (einzelne) Schnallen verkaufen und sah den Spektakel. "Goldschmied", sagte er, als der Aktuarius fort war, "Euer Lebelang muesst Ihr Euch nicht mit den Schreibern einlassen. Haltet Euch an praktische Maenner. Habt Ihr das Herz, eine Wurst an eine Speckseite zu setzen, Euch ist zu helfen. Wenn Euer Schaechtelein oder der Wert dafuer noch in der Welt ist: ich schaff Euch die Spitzbuben wieder ins Haus."--"Wer seid Ihr, um Vergebung?" fragte der Goldschmied.-- "Ich bin der Zundelfrieder", erwiderte der Fremde mit Vertrauen und mit einem recht liebenswuerdig freundlichen Spitzbubengesicht. Wer den Frieder nicht persoenlich kennt wie der Hausfreund, der kann sich keine Vorstellung davon machen, wie ehrlich und gutmuetig er sich anstellen und dem vorsichtigsten Menschen so unwiderstehlich das Herz und das Vertrauen abstehlen kann wie das Geld. Auch ist er in der Tat so schlimm nicht, als man ihn zwischen Buehl und Achern dafuer haelt. Ob nun der Goldschmied noch ueberdies an das Sprichwort dachte, dass man Spitzbuben am besten mit Spitzbuben fangen koenne, oder ob er an ein anderes Sprichwort dachte, dass, wer das Ross geholt hat, der hole auch den Zaum (wegen einer guten Freundin will ihn der Hausfreund nicht mit Namen nennen), kurz, der Goldschmied vertraut sich dem Frieder an. "Aber ich bitte Euch", sagte er, "betruegt mich nicht." "Verlasst Euch auf mich", sagte der Frieder, "und erschreckt nicht allzusehr, wenn Ihr morgen frueh wieder um etwas klueger geworden seid!" Vielleicht ist der Freister auf einer Spur? Nein, er ist noch auf keiner. Aber wer in selbiger Nacht dem Goldschmied auch noch vier Dutzend silberne Loeffel, sechs silberne Salzbuechslein, sechs goldene Ringe mit kostbaren Steinen holte, das war der Frieder. Manch geneigter Leser, der auf ihn nicht viel halten will, wird denken: "Das geschah dir recht." Desto besser. Denn dem Goldschmied war es auch recht. Naemlich auf dem Tisch fand er von dem Zundelfrieder einen eigenhaendigen Empfangschein, dass er obige Artikel richtig erhalten habe, und ein Schreiben, wie sich der Goldschmied nun weiter zu verhalten habe. Naemlich er zeigt jetzt nach des Frieders Anleitung den Diebstahl bei Amt an und bat um einen Augenschein. Hernach bat er den Amtmann, die verlorenen Artikel in allen Zeitungen bekannt zu machen. Hernach bat er, auch das versiegelte Schaechtelein mit seiner ganzen Beschreibung mit in das Verzeichnis zu setzen, um etwas. Der Amtmann sah ins Klare und verwilligte ihm den Wunsch. "Einem honetten Goldschmied", dachte er, "kann ein Mann, der eine Haushaltung fuehrt, etwas zum Gefallen tun." Also verlauft es sich in alle Zeitungen, dem Goldschmied sei gestohlen worden das und das, unter andern ein Schaechtelein so und so mit vielen kostbaren Edelgesteinen, die alle benannt wurden. Die Nachricht kam bis nach Augsburg. "Loeb", schmunzelte dort ein boehmischer Jud dem andern zu, "der Goldschmied wird nie erfahren, was in dem Schaechtelein war. Weisst du, dass es ihm gestohlen ist?" - "Desto besser", sagte der Loeb, "so muss er uns auch unser Geld zurueckgeben und hat gar nichts." Kurz, die Betrueger gehn dem Frieder in die Falle und kommen wieder zu dem Goldschmied. "Seid so gut und gebt uns itzt das Schaechtelein! Nicht wahr, wir haben Euch ein wenig lange warten lassen?"--"Liebe Herren", erwiderte der Goldschmied, "euch ist unterdessen ein grosses Unglueck geschehen, das Schaechtelein ist euch gestohlen. Habt ihr's noch in keiner Zeitung gelesen?" Der Loeb erwiderte mit ruhiger Stimme: "Das waere uns leid, aber das Unglueck wird wohl auf Eurer Seite sein. Ihr liefert uns das Schaechtelein ab, wie wir's Euch in die Haende gegeben haben, oder Ihr gebt uns unser vorausbezahltes Geld zurueck. Die Kroenung ist ohnehin vorueber."--Man sprach hin, man sprach her, "und das Unglueck wird eben doch auf Euerer Seite sein", nahm wieder der Goldschmied das Wort. Denn im naemlichen Augenblick traten jetzt mit seiner Frau vier Hatschiere in die Stube, handfeste Maenner, wie sie sind, und fassten die Spitzbuben. Das Schaechtelein war nimmer aufzutreiben, aber das Zuchthaus und so viel Geld und Geldeswert, als noetig war, den Goldschmied zu bezahlen. Aus Dankbarkeit zerriss der Goldschmied hernach den Empfangschein des Frieders. Aber der Frieder brachte ihm alles wieder und verlangte nichts fuer seinen guten Rat. "Wenn ich einmal etwa von Euerer Ware benoetiget bin", sagte er, "so weiss ich ja jetzt den Weg in Euern Laden und zu Euerm Kaestlein. Wenn ich nur alle Spitzbuben zu Grunde richten koennte", sagte er, "dass ich der einzige waere." Denn eifersuechtig ist er. Mancherlei gute Lehren Die Menschen nehmen oft ein kleines Ungemach viel schwerer auf und tragen es ungeduldiger als ein grosses Unglueck, und der ist noch nicht am schlimmsten daran, der viel zu klagen hat und alle Tage etwas anders. Erfahrung und Uebung im Unglueck lehrt schweigen. Aber wenn ihr einen Menschen wisst, der nicht klagt und doch nicht froehlich sein kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagt's euch kurz und gut oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen abzugewinnen, wenn ihr es wert seid, und ratet und helft ihm, wenn ihr koennt. Mancherlei gute Lehren 2 Ist denn der Mensch deswegen so schlimm und so schlecht, weil die boesen Neigungen zuerst in seinem Herzen erwachen und das Gute nur durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlaegt? Euer bester Ackerboden traegt doch auch nur Gras und Unkraut aus eigener Kraft, und euer Leben lang keine Weizenernte; und ein duerres Sandfeld, das nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut treibt, wird auch euern Fleiss und eure Hoffnung nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen. Aber wenn ihr den guten Boden ansaeet zu rechter Zeit, sein wartet und pfleget, wie sich's gebuehret, so steigt im Morgentau und Abendregen doch eine froehliche Saat empor, und die Raden und Kornrosen und mancherlei taubes Gras moechte gern, aber es kann nicht mehr emporkommen. Die gesunde Aehre schwankt in der Luft und fuellt sich mit kostbaren Koernern. So ist es mit dem Menschen und mit seinem Herzen auch. Was lernen wir daraus? Man muss nicht unzeitig klagen und hadern und die Hoffnung aufgeben, ehe sie erfuellt werden kann. Man muss den Fleiss, die Muehe und Geduld, die man an eine Handvoll Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen Kindern sich nicht verdriessen lassen. Man muss dem Unkraut zuvorkommen und guten Samen, schoene Tugenden in das weiche, zarte Herz hineinpflanzen und Gott vertrauen, so wird's besser werden. Mancherlei gute Lehren 3 Man vergisst im menschlichen Leben nichts so leicht als das Multiplizieren, wenn man es noch so gut in der Schule gelernt hat und kann. Und doch lernt man in der Schule fuer das Leben, und die Weisheit besteht nicht im Wissen, sondern in der rechten Anwendung und Ausuebung davon. Es kann jemand einen Tag in den andern nur einen Groschen unnoetigerweise ausgeben. Mancher, der den Groschen uebrig hat, tut es und meint, es sei nicht viel. Aber in einem Jahr sind es 365 Groschen und in dreissig Jahren 10'950 Groschen. Facit 547 Gulden 30 Kreuzer weggeworfenes Geld, und das ist doch viel. Ein anderer kann einen Tag in den andern zwei Stunden unnuetz und im Muessiggang zubringen und meint jedesmal, fuer heute lasse es sich verantworten. Das multipliziert sich in einem Jahr zu 730 Stunden und in dreissig Jahren zu 21'900 Stunden. Facit 912 verlorne Tage des kurzen Lebens. Das ist noch mehr als 547 Gulden, wer's bedenkt. - Die Erde hat 5400 Deutsche Meilen oder 10'800 Stunden im Umkreis. Das ist ein weiter Weg. Aber wenn man in gerader Linie fortgehen koennte, und es wollte jemand jeden Tag nur eine Stunde daran zuruecklegen, so koennte er im dreissigsten Jahr bei guter Zeit wieder daheim sein. Oder wenn er jeden Tag zehn Stunden auf seine Reise verwenden wollte, so koennte er in zehn Jahren zehnmal um die ganze grosse Erde herumkommen. Daraus ist zu lernen, wie weit ein Mensch in seinem Leben es nach und nach bringen kann, wenn er zu einem nuetzlichen Geschaeft jeden Tag nur eine Stunde anwenden will, und wieviel weiter noch, wenn er alle Tage dazu benutzt, besser und vollkommener zu werden und sein eigenes Wohl und das Wohl der Seinigen zu befoerdern. Aber wer nie anfaengt, der hoert nie auf, und wem wenig auf einmal nicht genug ist, der erfaehrt nie, wie man nach und nach zu vielem kommt. Mancherlei gute Lehren 4 Zum Erwerben eines Gluecks gehoert Fleiss und Geduld und zur Erhaltung desselben gehoert Maessigung und Vorsicht. Langsam und Schritt fuer Schritt steigt man eine Treppe hinauf. Aber in einem Augenblick faellt man hinab und bringt Wunden und Schmerzen genug mit auf die Erde. Mancherlei gute Lehren 5 Es sagt ein altes Sprichwort: Selber essen macht fett. Ich will noch ein paar dazusetzen: Selber Achtung geben macht verstaendig. Und selber arbeiten macht reich. Wer nicht mit eigenen Augen sieht, sondern sich auf andere verlaesst, und wer nicht selber Hand anlegt, wo es noetig ist, sondern andere tun laesst, was er selber tun soll, der bringt's nicht weit, und mit dem Fettwerden hat es bald ein Ende. Mancherlei gute Lehren 6 Ein anderes Sprichwort heisst so: Wenn man den Teufel an die Wand malt, so kommt er. Das sagt mancher und versteht's nicht. Den boesen Geist kann man eigentlich nicht an die Wand malen, sonst waere es kein Geist. Auch kann er nicht kommen. Denn er ist mit Ketten der Finsternis in die Hoelle gebunden. Was will denn das Sprichwort sagen? Wenn man viel an das Boese denkt und sich dasselbe in Gedanken vorstellt oder lang davon spricht, so kommt zuletzt die Begierde zu dem Boesen in das Herz, und man tut's. Soll der boese Feind nicht kommen, so mal' ihn nicht an die Wand! Willst du das Boese nicht tun, so denke nicht daran, wo du gehst und stehst, und sprich nicht davon, als wenn es etwas Angenehmes und Lustiges waere. Mancherlei gute Lehren 7 Einmal ist keinmal. Dies ist das verlogenste und schlimmste unter allen Sprichwoertern, und wer es gemacht hat, der war ein schlechter Rechnungsmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens einmal und daran laesst sich nichts abmarkten. Wer einmal gestohlen hat, der kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen sagen: "Gottlob! ich habe mich nie an fremdem Gut vergriffen." Und wenn der Dieb erhascht und gehenkt wird, alsdann ist einmal nicht keinmal. Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann meistens mit Wahrheit sagen: Einmal ist zehnmal und hundert- und tausendmal. Denn wer das Boese einmal angefangen hat, der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern B, und alsdann tritt zuletzt ein anderes Sprichwort ein, dass der Krug so lange zum Brunnen gehe, bis er bricht. Mancherlei gute Lehren 8 Nun kommen zwei Sprichwoerter, und die sind beide wahr, wenn sie schon einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Bruedern hatte der eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das Geld nicht zu den Fenstern hineinregnete. Er sagte immer: "Wo nichts ist, kommt nichts hin." Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang der arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Muehe wert war, mit einem kleinen Ersparnis den Anfang zu machen, um nach und nach zu einem groessern Vermoegen zu kommen. So dachte der juengere Bruder nicht. Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er hielt das wenige, was ihm von der Verlassenschaft der Eltern zu teil geworden war, zu Rat und vermehrte es nach und nach durch eigenes Ersparnis, indem er fleissig arbeitete und eingezogen lebte. Anfaenglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: Was nicht ist, kann werden, gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiss und Gottes Segen noch ein reicher Mann und ernaehrt jetzt die Kinder des armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beissen und zu nagen hat. Mancherlei gute Lehren 9 "Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet." Das muss zweimal wahr sein. Fuers erste kann gar wohl der einfaeltigste Mensch eine Frage tun, worauf auch der weiseste keinen Bescheid zu geben weiss. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist als Geben, Rufen leichter als Kommen. Fuers andere koennte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfaeltig ist oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Muehe den einfaeltigen Menschen am Fragen und den verstaendigen am Schweigen. Da heisst es alsdann: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Von dem Doktor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch getan habe. Dem erwiderte der fromme und witzige Mann: in einem Birkenwald sei der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung fuer solche Leute, die unnuetze Fragen tun, Ruten geschnitten. Mancherlei gute Lehren 10 "Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden." Damit entschuldigen sich viele fahrlaessige und traege Menschen, welche ihr Geschaeft nicht treiben und vollenden moegen und schon muede sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleissige Haende viele Tage lang vom fruehen Morgen bis zum spaeten Abend unverdrossen daran gearbeitet und nicht abgelassen, bis es fertig war und der Hahn auf dem Kirchturm stand. So ist Rom entstanden! Was du zu tun hast, mach's auch so! Mancherlei gute Lehren 11 "Frisch gewagt, ist halb gewonnen." Daraus folgt: "Frisch gewagt, ist auch halb verloren." Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man auch: "Wagen gewinnt, Wagen verliert." Was muss also den Ausschlag geben? Pruefung, ob man auch die Kraefte habe zu dem, was man wagen will, Ueberlegung, wie es anzufangen sei, Benutzung der guenstigen Zeit und Umstaende, und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt hat, ein besonnenes B und ein bescheidenes C. Aber so viel muss wahr bleiben: wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden und kann nicht anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und der muss dich durchreissen. Aber wenn du immer willst und fangst nie an, oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder und willst, wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann ist "schlecht gewagt ganz verloren". Mancherlei gute Lehren 12 Ende gut, alles gut. Ist nicht so zu verstehen: wenn du ein Jahr lang in einem Hause zu bleiben hast, so fuehre dich 364 Tage lang bengelhaft auf, und am 31. Dezember werde manierlich. Sondern es gibt Leute, die manierlich sein koennen bis ans Ende, und wenn's nimmer lang waehrt, so werden sie ungezogen, trotzig, sagen: "Ich bin froh, dass es nimmer lang waehrt", und die andern denken's auch. Fuer diese ist das Sprichwort. Item, es gibt Dinge, ob sie gut oder boes sind, kann erst das Ende lehren. Z. B. du bist krank, moechtest gern essen, was dir der Arzt verbietet, gern auf die Gasse giessen, was du trinken musst, aber du wirst gesund--oder du bist in der Lehre und meinst manchmal, der Lehrherr sei wunderlich, aber du wirst durch seine Wunderlichkeit ein geschickter Weissgerber oder Orgelmacher;--oder du bist im Zuchthaus, der Zuchtmeister koennte dir wohl die Suppe fetter machen, aber du wirst durch Wasser und Brot nicht nur gesaettigt, sondern auch gebessert. Dann lehrt das gute Ende, dass alles gut war. Merkwuerdige Gespenstergeschichte Verwichenen Herbst fuhr ein fremder Herr durch Schliengen, so ein schoener, braver Ort ist. Den Berg hinauf aber ging er zu Fuss wegen den Rossen und erzaehlte einem Grenzacher folgende Geschichte, die ihm selber begegnet ist. Als der Herr ein halbes Jahr vorher nach Daenemark reiste, kommt er auf den spaeten Abend in einen Flecken, wo nicht weit davon auf einer Anhoehe ein sauberes Schloesslein stand, und will ueber Nacht bleiben. Der Wirt sagt, er habe keinen Platz mehr fuer ihn, es werde morgen einer gerichtet, und seien schon drei Scharfrichter bei ihm ueber Nacht. So erwidert der Herr: "Ich will denn dort in das Schloesslein gehen. Der Zwingherr, oder wem es angehoert, wird mich schon hineinlassen und ein leeres Bett fuer mich haben." Der Wirt sagt: "Manch schoenes Bett mit seidenen Umhaengen steht aufgeschlagen in den hohen Gemaechern; und die Schluessel hab' ich in Verwahrung. Aber ich will es Euch nicht raten. Der gnaedige Herr ist schon vor einem Vierteljahr mit seiner Frau und mit dem Junker auf eine weite Reise gezogen, und seit der Zeit wueten im Schloesslein die Gespenster. Der Schlossvogt und das Gesinde konnten nimmer bleiben; und wer seitdem in das Schloesslein gekommen ist, der geht zum zweiten Mal nimmer hinein." Darueber laechelt der fremde Herr; denn er war ein herzhafter Mann, der nichts auf die Gespenster hielt, und sagt: "Ich will's probieren." Trotz aller Widerrede musste ihm der Wirt den Schluessel geben; und nachdem er sich mit dem Noetigen zu einem Gespensterbesuch versehen hatte, ging er mit dem Bedienten, so er bei sich hatte, in das Schloss. Im Schloss kleidete er sich nicht aus, wollte auch nicht schlafen, sondern abwarten, was geschieht. Zu dem Ende stellte er zwei brennende Lichter auf den Tisch, legte ein Paar geladene Pistolen daneben, nahm zum Zeitvertreib den Rheinlaendischen Hausfreund, so in Goldpapier eingebunden an einem roten, seidenen Baendelein unter der Spiegelrahmen hing, und beschaute die schoenen Bilder. Lange wollte sich nichts spueren lassen. Aber als die Mitternacht im Kirchturm sich ruehrte und die Glocke zwoelf schlug, eine Gewitterwolke zog ueber das Schloss weg, und die grossen Regentropfen schlugen an die Fenster, da klopfte es dreimal stark an die Tuere, und eine fuerchterliche Gestalt mit schwarzen, schielenden Augen, mit einer halbellenlangen Nase, fletschenden Zaehnen und einem Bocksbart, zottig am ganzen Leib, trat in das Gemach und brummte mit fuerchterlicher Stimme: "Ich bin der Grossherr Mephistopholes. Willkomm in meinem Palast! Und habt Ihr auch Abschied genommen von Frau und Kind?" Dem fremden Herrn fuhr ein kalter Schauer vom grossen Zehen an ueber den Ruecken hinauf, bis unter die Schlafkappe, und an den armen Bedienten darf man gar nicht denken. Als aber der Mephistopholes mit fuerchterlichen Grimassen und hochgehobenen Knien gegen ihn herkam, als wenn er ueber lauter Flammen schreiten muesste, dachte der arme Herr: In Gottes Namen, jetzt ist's einmal so, und stand herzhaft auf, hielt dem Ungetuem die Pistolen entgegen und sprach: "Halt oder ich schiess'!" Mit so etwas laesst sonst nicht jedes Gespenst sich schrecken, denn wenn man auch schiessen will, so geht's nicht los, oder die Kugel faehrt zurueck und trifft nicht den Geist, sondern den Schuetz. Aber Mephistopholes hob drohend den Zeigfinger in die Hoehe, kehrte langsam um und ging mit ebensolchen Schritten, als er gekommen war, wieder fort. Als aber der Fremde sah, dass dieser Satan Respekt vor dem Pulver hatte, dachte er: Jetzt ist keine Gefahr mehr, nahm in die andere Hand ein Licht und ging dem Gespenst, das langsam einen Gang hinabschritt, ebenso langsam nach, und der Bediente sprang, so schnell er konnte, hinter ihm zum Tempel hinaus und ins Ort, dachte, er wolle lieber bei den Scharfrichtern ueber Nacht sein als bei den Geistern.--Aber auf dem Gang auf einmal verschwindet der Geist vor den Augen seines kuehnen Verfolgers, und war nicht anders, als waere er in den Boden geschlupft. Als aber der Herr noch ein paar Schritte weiter gehen wollte, um zu sehen, wo er hingekommen, hoerte auf einmal unter seinen Fuessen der Boden auf, und er fiel durch ein Loch hinab, aus welchem ihm Feuerglast entgegenkam, und er glaubte selber, jetzt geh' es an einen andern Ort. Als er aber ungefaehr zehn Fuss tief gefallen war, lag er zwar unbeschaedigt auf einem Haufen Heu in einem unterirdischen Gewoelb. Aber sechs kuriose Gesellen standen um ein Feuer herum, und der Mephistopholes war auch da. Allerlei wunderbares Geraete lag umher, und zwei Tische lagen gehauft voll funkelnder Roessleintaler, einer schoener als der andere. Da merkte der Fremde, wie er daran war. Denn das war eine heimliche Gesellschaft von Falschmuenzern, so alle Fleisch und Bein hatten. Diese benutzten die Abwesenheit des Zwingherrn, legten in seinem Schloss ihre verborgenen Muenzstoecke an, und waren vermutlich von seinen eigenen Leuten dabei, die im Haus Bericht und Gelegenheit wussten; und damit sie ihr heimlich Wesen ungestoert und unbeschrien treiben konnten, fingen sie den Gespensterlaermen an, und wer in das Haus kam, wurde so vergelstert, dass er zum zweiten Mal nimmer kam. Aber jetzt fand der verwegene Reisende erst Ursache, seine Unvorsichtigkeit zu bereuen, und dass er den Vorstellungen des Wirts im Dorf kein Gehoer gegeben hatte. Denn er wurde durch ein enges Loch hinein in ein anderes finsteres Gehalt geschoben und hoerte wohl, wie sie Kriegsgericht ueber ihn hielten und sagten: "Es wird das beste sein, wenn wir ihn umbringen und danach verlochen." Aber einer sagte noch: "Wir muessen ihn zuerst verhoeren, wer er ist, und wie er heisst, und wo er sich herschreibt." Als sie aber hoerten, dass er ein vornehmer Herr sei und nach Kopenhagen zum Koenig reise, sahen sie einander mit grossen Augen an, und nachdem er wieder in dem finstern Gewoelb war, sagten sie: "Jetzt steht die Sache letz. Denn wenn er gemangelt wird, und es kommt durch den Wirt heraus, dass er ins Schloss gegangen ist und ist nimmer herausgekommen, so kommen ueber Nacht die Husaren, heben uns aus, und der Hanf ist dies Jahr wohlgeraten, dass ein Strick zum Henken nicht viel kostet." Also kuendigten sie dem Gefangenen Pardon an, wenn er ihnen einen Eid ablegte, dass er nichts verraten wolle, und drohten, dass sie in Kopenhagen wollten auf ihn Achtung geben lassen; er musste ihnen auf den Eid hin sagen, wo er wohne. Er sagte: "Neben dem Wilden Mann linker Hand in dem grossen Haus mit gruenen Laeden." Danach schenkten sie ihm Burgunderwein ein zum Morgentrunk, und er schaute ihnen zu, wie sie Roessleintaler praegten bis an den Morgen. Als aber der Tag durch die Kellerloecher hinabschien und auf der Strasse die Geisseln knallten, und der Kuhhirt huernte, nahm der Fremde Abschied von den naechtlichen Gesellen, bedankte sich fuer die gute Bewirtung und ging mit frohem Mute wieder in das Wirtshaus, ohne daran zu denken, dass er seine Uhr und seine Tabakspfeife und die Pistolen habe liegen lassen. Der Wirt sagte: "Gottlob, dass ich Euch wieder sehe, ich habe die ganze Nacht nicht schlafen koennen. Wie ist es Euch gegangen?" Aber der Reisende dachte: Ein Eid ist ein Eid, und um sein Leben zu retten, muss man den Namen Gottes nicht missbrauchen, wenn man's nicht halten will. Deswegen sagte er nichts, und weil jetzt das Gloecklein laeutete und der arme Suender hinausgefuehrt wurde, so lief alles fort. Auch in Kopenhagen hielt er nachher reinen Mund und dachte selber fast nicht mehr daran. Aber nach einigen Wochen kam ab der Post ein Kistlein an ihn, und waren darin ein Paar neue, mit Silber eingelegte Pistolen von grossem Wert, eine neue goldene Uhr mit kostbaren Demantsteinen besetzt, eine tuerkische Tabakspfeife mit einer goldenen Kette daran und eine seidene, mit Gold gestickte Tabaksblase und ein Brieflein drin. In dem Brieflein stand: "Dies schicken wir Euch fuer den Schrecken, so Ihr bei uns ausgestanden, und zum Dank fuer Euere Verschwiegenheit. Jetzt ist alles vorbei, und Ihr duerft es erzaehlen, wem Ihr wollt." Deswegen hat's der Herr dem Grenzacher erzaehlt, und das war die naemliche Uhr, die er oben auf dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag laeutete, und schaute, ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu Basel von einem franzoesischen General 75 neue Dublonen darauf geboten worden. Aber er hat sie nicht drum geben. Merkwuerdige Schicksale eines jungen Englaenders Eines Tages reiste ein junger Englaender auf dem Postwagen zum ersten Mal in die grosse Stadt London, wo er von den Menschen, die daselbst wohnen, keinen einzigen kannte als seinen Schwager, den er besuchen wollte, und seine Schwester, so des Schwagers Frau war. Auch auf dem Postwagen war neben ihm niemand als der Kondukteur, das ist der Aufseher ueber den Postwagen, der auf alles achthaben und an Ort und Stelle ueber die Briefe und Pakete Red und Antwort geben muss; und die zwei Reisekameraden dachten damals auch nicht daran, wo sie einander das naechste Mal wieder sehen wuerden. Der Postwagen kam erst in der tiefen Nacht in London an. In dem Posthause konnte der Fremde nicht ueber Nacht bleiben, weil der Postmeister daselbst ein vornehmer Herr ist und nicht wirtet, und des Schwagers Haus wusste der arme Juengling in der ungeheuer grossen Stadt bei stockfinsterer Nacht so wenig zu finden als in einem Wagen voll Heu eine Stecknadel. Da sagte zu ihm der Kondukteur: "Junger Herr, kommt Ihr mit mir! Ich bin zwar auch nicht hier daheim, aber ich habe, wenn ich nach London komme, bei einer Verwandten ein Stueblein, wo zwei Betten stehen. Meine Base wird Euch schon beherbergen, und morgen koennt Ihr Euch alsdann nach Eures Schwagers Haus erkundigen, wo Ihr's besser finden werdet." Das liess sich der junge Mensch nicht zweimal sagen. Sie tranken bei der Frau Base noch einen Krug englisches Bier, das noch besser sein soll als das Donaueschinger oder Saeckinger, so doch auch nicht schlecht ist, assen eine Knackwurst dazu und legten sich dann schlafen. In der Nacht kam den Fremden eine Notdurft an, und musst' hinausgehen. Da war er uebler dran als noch nie. Denn er wusste in seiner dermaligen Nachtherberge, so klein sie war, so wenig Bericht, als ein paar Stunden vorher in der grossen Stadt. Zum Glueck aber wurde der Kondukteur auch wach und sagte ihm, wie er gehen muesse, links und rechts und wieder links. "Die Tuere", fuhr er fort, "ist zwar verschlossen, wenn Ihr an Ort und Stelle kommt, und wir haben den Schluessel verloren. Aber nehmt in meinem Rockelorsack mein grosses Messer mit und schiebt es zwischen dem Tuerlein und dem Pfosten hinein, so springt inwendig die Falle auf. Geht nur dem Gehoer nach! Ihr hoert ja die Themse rauschen, und zieht etwas an, die Nacht ist kalt." Der Fremde erwischte in der Geschwindigkeit und in der Finsternis das Kamisol des Kondukteurs statt des seinen, zog es an und kam gluecklich an den Platz. Denn er schlug es nicht hoch an, dass er unterwegs einmal den Rang zu kurz genommen hatte, so dass er mit der Nase an ein Eck anstiess und wegen dem hitzigen Bier, so er getrunken hatte, entsetzlich blutete. Allein ob dem starken Blutverlust und der Verkaeltung bekam er eine Schwaeche und schlief ein. Der nachtfertige Kondukteur wartete und wartete, wusste nicht, wo sein Schlafkamerad so lange bleibt, bis er auf der Gasse einen Laerm vernahm; da fiel ihm im halben Schlaf der Gedanke ein: "Was gilt's, der arme Teufel ist an die Haustuere kommen, ist auf die Gasse hinausgegangen und gepresst worden." Denn wenn die Englaender viel Volk auf ihre Schiffe brauchen, so gehen unversehens bestellte starke Maenner nachts in den gemeinen Wirtsstuben, in verdaechtigen Haeusern und auf der Gasse herum, und wer ihnen alsdann in die Haende kommt und tauglich ist, den fragen sie nicht lange: "Landsmann, wer bist du?" oder "Landsmann, wer seid Ihr?" sondern machen kurzen Prozess, schleppen ihn--gern oder ungern--fort auf die Schiffe, und Gott befohlen! Solch eine naechtliche Menschenjagd nennt man Pressen; und deswegen sagte der Kondukteur: "Was gilt's, der arme Teufel ist gepresst worden?"--In dieser Angst sprang er eilig auf, warf seinen Rockelor um sich und eilte auf die Gasse, um womoeglich den armen Schelm zu retten. Als er aber eine Gasse und zwei Gassen weit dem Laermen nachgegangen war, fiel er selber den Pressern in die Haende, wurde auf ein Schiff geschleppt--ungern--und den andern Morgen weiters. Weg war er. Nachher kam der junge Mensch im Hause wieder zu sich, eilte, wie er war, in sein Bette zurueck, ohne den Schlafkameraden zu mangeln, und schlief bis in den Tag. Unterdessen wurde der Kondukteur um acht Uhr auf der Post erwartet, und als er immer und immer nicht kommen wollte, wurde ein Postbedienter abgeschickt, ihn zu suchen. Der fand keinen Kondukteur, aber einen Mann mit blutigem Gewand im Bett liegen, auf dem Gang ein grosses offenes Messer, Blut bis auf den Abtritt und unten rauschte die Themse. Da fiel ein boeser Verdacht auf den blutigen Fremdling, er habe den Kondukteur ermordet und in das Wasser geworfen. Er wurde in ein Verhoer gefuehrt, und als man ihn visitierte und in den Taschen des Kamisols, das er noch immer anhatte, einen ledernen Geldbeutel fand mit dem wohlbekannten silbernen Petschaftring des Kondukteurs am Riemen befestigt, da war es um den armen Juengling geschehn. Er berief sich auf seinen Schwager,--man kannte ihn nicht; auf seine Schwester,--man wusste von ihr nichts. Er erzaehlte den ganzen Hergang der Sache, wie er selber sie wusste. Aber die Blutrichter sagten: "Das sind blaue Nebel, und Ihr werdet gehenkt." Und wie gesagt, so geschehn, noch am naemlichen Nachmittag nach englaendischem Recht und Brauch. Mit dem englaendischen Brauch aber ist es so: weil in London der Spitzbuben viele sind, so macht man mit denen, die gehenkt werden, kurzen Prozess, und bekuemmern sich nicht viele Leute darum, weil man's oft sehen kann. Die Missetaeter, soviel man auf einmal hat, werden auf einen breiten Wagen gesetzt und bis unter den Galgen gefuehrt. Dort haengt man den Strick in den boesen Nagel ein, fahrt alsdann mit dem Wagen unter ihnen weg, laesst die schoenen Gesellen zappeln und schaut nicht um. Allein in England ist das Haengen nicht so schimpflich wie bei uns, sondern nur toedlich. Deswegen kommen nachher die naechsten Verwandten des Missetaeters und ziehn so lange unten an den Beinen, bis der Herr Vetter oben erstickt. Aber unserm Fremdling tat niemand diesen traurigen Dienst der Liebe und Freundschaft an, bis abends ein junges Ehepaar Arm in Arm auf einem Spaziergang von ungefaehr ueber den Richtplatz wandelte und im Vorbeigehen nach dem Galgen schaute. Da fiel die Frau mit einem lauten Schrei des Entsetzens in die Arme ihres Mannes: "Barmherziger Himmel, da haengt unser Bruder!" Aber noch groesser wurde der Schrecken, als der Gehenkte bei der bekannten Stimme seiner Schwester die Augenlider aufschlug und die Augen fuerchterlich drehte. Denn er lebte noch. (Und das Ehepaar, das vorueberging, war die Schwester und der Schwager.) Der Schwager aber, der ein entschlossener Mann war, verlor die Besinnung nicht, sondern dachte in der Stille auf Rettung. Der Platz war entlegen, die Leute hatten sich verlaufen, und um Geld und gute Worte gewann er ein paar beherzte und vertraute Bursche, die nahmen den Gehenkten, mir nichts, dir nichts, ab, als wenn sie das Recht dazu haetten, und brachten ihn gluecklich und unbeschrien in des Schwagers Haus. Dort ward er in wenig Stunden wieder zu sich gebracht, bekam ein kleines Fieber und wurde unter der lieben Pflege seiner getroesteten Schwester bald wieder voellig gesund. Eines Abends aber sagte der Schwager zu ihm: "Schwager! Ihr koennt nun in dem Land nicht bleiben. Wenn Ihr entdeckt werdet, so koennt Ihr noch einmal gehenkt werden, und ich dazu. Und wenn auch nicht, so habt Ihr ein Halsband an Eurem Hals getragen, das fuer Euch und Eure Verwandten ein schlechter Staat war. Ihr muesst nach Amerika. Dort will ich fuer Euch sorgen." Das sah der gute Juengling ein, ging bei der ersten Gelegenheit in ein vertrautes Schiff und kam nach 80 Tagen gluecklich in dem Seehafen von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg, und als er eben bei sich selber dachte: "Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen entgegenfuehrte, der mich kennt", siehe, da kam in armseliger Schiffskleidung der Kondukteur. Aber so gross sonst die Freude des unverhofften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn auf vorstehender Abbildung kann man sehen: Ziffer 1 den Kondukteur, wie er mit geballter Faust auf den Ankoemmling losgeht; er sagt zu ihm: "Wo fuehrt Euch der Boese her, Ihr verdammter Nachtlaeufer? Wisst Ihr, dass ich wegen Euch bin gepresst worden?" Und Ziffer 2 sieht man den jungen Englaender, der die Hand auch nicht im Sack hat, der antwortet: "Goddam, Ihr vermaledeiter Ueberall und Nirgends, wisst Ihr, dass man wegen Euch mich gehenkt hat?" Ziffer 3 aber sieht man das Wirtshaus zu den drei Kronen in Philadelphia. Dort kamen sie des andern Tages wieder zusammen, erzaehlten sich ihre Schicksale und wurden wieder die besten Freunde; und der junge Englaender, der in einem Handlungshaus gute Geschaefte machte, ruhte nicht eher, als bis er seinen guten Freund loskaufen und nach London zurueckschicken konnte. Er selbst wurde in Amerika ein reicher Kaufmann und wohnt jetzt in der Stadt Washington, in der verlaengerten neuen Herrengasse, Nr. 46. Merkwuerdiges Rechnungsexempel 5 Zwei Schaefer auf dem Felde wollten miteinander ihr Abendessen verzehren; der eine hatte fuenf kleine Ziegenkaese, der andere drei. Kommt zu ihnen ein dritter Mann von der Strasse herueber. "Lasst mich mithalten fuer Geld und gute Worte!" Also assen sie selbdritt fuenf und drei, sind acht Kaeslein, jeder gleichviel. Hierauf dankt ihnen der dritte Mann und schenkt ihnen acht Dublonen. Der eine wollte nach der Anzahl seiner Kaese fuenf davon behalten und dem andern geben drei. Der andere sagte: "So? der Herr hat uns das Geld miteinander geschenkt, also gehoeren jedem vier. Was deine fuenf Stuecke mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen." Da sie nicht einig werden konnten, brachten sie den Handel vor den Richter. Der geneigte Leser sinnt nach: welchem von beiden hat der Richter recht gegeben? Antwort: Keinem von beiden, sondern er sagt: "Demnach, und wie ihr mir beide die Sache vorgetragen habt, gehoeren dem ersten sieben Dublonen und dem andern eine, und das von Rechts wegen. Punktum." Man meint nicht, dass der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann sich nicht fehlen. Denn wenn man jedes Kaeslein in drei gleiche Teile zerschneidet, so viel als Personen waren, so gaben dem ersten seine 5 Kaeslein 15 Stuecke, dem andern seine 3 gaben 9 Stuecke, zusammen 24; davon bekam also ein jeder 8. Folglich bekam der dritte Mann von den 15 Stuecken des ersten 7. Denn 8 von 15 bleibt 7. Von den 9 Stuecken des andern aber bekam er nur noch eins. 7 und 1 tut 8. Also gehoerte auch dem ersten sieben Dublonen von Rechts wegen u nd dem andern nur eine. Der geneigte Leser wird ersucht, hieraus abzunehmen: erstlich, wie man manchmal meinen kann, ein Richterspruch sei unrecht, weil man selber nicht weiss, was recht ist; zweitens, wie misslich es sei, einen Prozess anzufangen, so man auch glaubt, das augenscheinlichste Recht in den Haenden zu haben. Merkwuerdiges Rechnungsexempel 6 Der Hausfreund will den Herrn Provisern der rheinlaendischen Hausfreundschaft noch ein Rechnungsexempel aufzuloesen geben. Item-- (ein gutes rheinlaendisches Rechnungsexempel muss immer mit Item anfangen und mit Fazit schliessen.) Item der Nachtwaechter in Segringen ging aus und rief die Stunde. Als er an den Adler kam, trat der Adlerwirt aus dem Bett an das Fenster. "Nachtwaechter, Ihr schreit und verfuehrt einen Laermen, dass das halbe Dorf aus dem Schlaf auffaehrt, und doch versteht man Euch nicht. Auf der Stelle ruft mir die Stunde noch einmal und deutlich!" Der Nachtwaechter dachte: Soll ich jedem Narren die Stunde besonders rufen? Ich setze voraus, dass die Leute schlafen. Wer heisst Euch wachen? "Wisst Ihr was? Ich will Euch zwei Stunden auf einmal rufen", sagte er zum Adlerwirt, "damit wir nicht so viel Muehe miteinander haben: Hoert, Adlerwirt, und lasset Euch sagen; Die Glocke hat--sie hat geschlagen. Wenn Ihr die Zahl zur Haelfte brecht, Den Drittel und den Viertel recht Dazu addiert, habt Ihr Gewinn. Es steckt das Ganz' und so viel drin, Als laut mein unverdrossener Mund Verkuenden wird zur naechsten Stund'." Naemlich das, was die Glocke geschlagen hatte, und was demnach der Waechter ausrief, ist eine Zahl, die folgende Eigenschaften hat: Wenn man die Haelfte der Zahl und den dritten Teil und den vierten Teil der Zahl zusammen addiert, so kommt mehr heraus, als die Zahl selber ausweist. Wenn man aber die Zahl selbst, die man zwar noch nicht weiss, von der addierten Summe abzieht, so bleibt gerade so viel uebrig, als der Waechter in der Ordnung rufen muss, wenn er zur naechsten Stunde wieder kommt. Diese Zahl waere nach der Regula Falsi zu rechnen. Derjenige geneigte rheinlaendische Leser, der innerhalb acht Tagen nach Empfang des Kalenders das Fazit zuerst liefern wird, dessen Bildnis soll zur Ehrenauszeichnung bei der naechsten Kroenungsfeier oder Feuersbrunst unter den Zuschauern im Kalender abgebildet werden. Missverstand Im neunziger Krieg, als der Rhein auf jener Seite von franzoesischen Schildwachen, auf dieser Seite von schwaebischen Kreissoldaten besetzt war, rief ein Franzose zum Zeitvertreib zu der deutschen Schildwache herueber: "Filu! Filu! Das heisst auf gut deutsch: Spitzbube. Allein der ehrliche Schwabe dachte an nichts so Arges, sondern meinte, der Franzose frage: Wieviel Uhr? und gab gutmuetig zur Antwort: "Halber viuri." Missverstand Von drei Schlafkameraden war der eine eben am suessen Einschlummern, als der zweite zum dritten sprach: "Joachim, was soll das heissen, dass du seit am Montag nichts mehr mit mir redest, so wir doch unser Leben lang gute Freunde gewesen sind? Hast du etwas gegen mich, so sag's."--Der dritte erwiderte dem zweiten: "Wer mit mir nicht redet, mit dem rede ich auch nicht, mein guter Bartenstein. Wie man in den Wald schreit, so schreit's wider." Darauf sagte der zweite: "So, du nennst mich mit meinem Zunamen? Ich kann dich auch mit deinem Zunamen nennen, mein guter Marbacher. Wie man in den Wald schreit, so schreit's auch wider." Der dritte sagte wieder zum zweiten: "So war's nicht gemeint, Bastian. Uebrigens halte ich den Geschlechtsnamen meines seligen Vaters fuer keinen Schimpf. Ich hoffe, er hat dich als ein ehrlicher Mann zur Taufe gehoben." Darauf entgegnete der zweite: "Ich den meinigen auch nicht. Ich hoffe, deine Mutter hat einen ehrlichen Mann zum Beistand. Aber man erkennt etwas daran." Der dritte sagt: "Dein Vater ist ein braver Mann, der meiner Mutter mit gutem Rat redlich an die Hand geht." Der zweite sagt: "Dein Vater war auch ein braver Mann und hat mir viel Gutes erwiesen. Aber sie redeten miteinander." Der dritte fuhr gegen den zweiten fort: "Eben darum. An einem andern haett' es mich nicht verdrossen, dass du mir den Montag keine Antwort gabst, als ich dich zum zweiten Mal fragte, warum dich dein Meister fortgejagt hat." Als endlich der erste des Zwistes muede war, weil er gern haette schlafen moegen und nicht dazu kommen konnte, fuhr er unwillig auf und sagte: "Hat jetzt euer Disputat bald ein Ende, oder soll ich aufstehen und den Wirt holen, dass er Frieden schaffe, oder soll ich's selber tun?" Dem erwiderte der dritte, weil er am Wort war: "Seid doch nicht wunderlich, Herr Landsmann, Ihr hoert ja, wir explizieren uns nur, warum keiner von uns mit dem andern redet." Mittel gegen Zank und Schlaege Zwei Eheleute nicht weit von Segringen lebten miteinander in Friede und Liebe, abgerechnet, dass sie bisweilen einen kleinen Wortwechsel bekamen, wenn der Mann einen Stich hatte. Alsdann gab ein Wort das andere. Das letzte aber gab gewoehnlich blaue Flecke. Zum Beispiel: "Frau", sagte der Mann, "die Suppe ist wieder nicht genug gesalzen, und ich hab' dir's doch schon so oft gesagt." Die Frau sagt: "Mir ist sie so eben recht." Der Mann bekommt etwas Roete im Gesicht. "Du unverstaendiges Maul, ist das eine Antwort einer Frau gegen ihren Mann? Soll ich mich nach dir richten?" Die Frau erwidert: "Draussen in der Kueche ist das Salzfass. Ein ander Mal koch' dir selber, oder sieh, wer dir kocht." Der Mann wird flammenrot und wirft der Frau die Suppe samt dem Teller vor die Fuesse. "Da, friss die Traenke selber!" Jetzt geht's der Frau auf, wie wenn man ein Stellbrett aufzieht, und das Wasser fliesst in die Laeufe, und alle Muehlenraeder gehn an, und sie ueberschuettet ihn mit Schmaehungen und Schimpfnamen, die kein Mann gern hoert, am wenigsten von einer Frau, am allerwenigsten von seiner eigenen. Der Mann aber sagt: "Ich seh' schon, ich muss dir den Ruecken wieder ein wenig blau anstreichen mit dem hegebuchenen Pinsel."--Solcher Liebkosungen endlich muede, ging die Frau zu dem Pfarrherrn und klagte ihm ihre Not. Der Herr Pfarrer, der ein feiner und kluger junger Mann war, merkte bald, dass die Frau durch Widersprechen und Schimpfen gegen ihren Mann selber schuld an seinen Misshandlungen sei. "Hat Euch mein seliger Vorfahr nie von dem geweihten Wasser gegeben?" sagte er. "Kommt in einer Stunde wieder zu mir!" Unterdessen goss er reines, frisches Brunnenwasser in ein Flaeschlein, das ungefaehr einen Schoppen hielt, versuesste es mit Zucker und liess ein Troepflein Rosenoel darein traeufeln, dass es einen lieblichen Geruch gewann. "Dieses Flaeschlein", sagte er zu ihr, "muesst Ihr in Zukunft immer bei Euch tragen, und so Euer Mann wieder aus dem Wirtshaus kommt und will Euch Vorwuerfe machen, so nehmt ein Schluecklein davon und behaltet's im Munde, bis er wieder zufrieden ist. Alsdann wird seine Wunderlichkeit nie mehr in Zorn ausbrechen, und er wird Euch keine Schlaege mehr geben koennen." Die Frau befolgte den Rat; das geweihte Wasser bewaehrte seine Kraft, und die Nachbarsleute sagten oft zusammen: "Unsere Nachbarn sind ganz anders geworden. Man hoert nichts mehr."--Merke! Mohammed Dem Mohammed wollten es anfaenglich nicht alle von seinen Landsleuten glauben, dass er ein Prophet sei, weil er noch kein Wunder getan hatte wie Elias. Dazu sagte Mohammed ganz gleichgueltig, wie einer, der eine Pfeife Tabak raucht und etwas dazu redet, "das Wunder", sagte er, "macht den Propheten noch nicht aus. Wenn ihr's aber verlangt, so werden ich und jener Berg dort geschwind beieinander sein." Naemlich, er deutete auf einen Berg, der eine Stunde weit oder etwas entfernt war, und rief ihm mit gebietender Stimme, dass der Berg sich soll von seiner Staette erheben und zu ihm kommen. Als aber dieser keine Bewegung machen und keine Antwort geben wollte, wiewohl keine Antwort ist auch eine, so ergriff Mohammed sanftmuetig seinen Stab und ging zum Berg, womit er ein merkwuerdiges und nachahmungswertes Beispiel gab, auch fuer solche Leute, die keine Propheten zu sein verlangen, naemlich, dass man dasjenige, was man selbst tun kann, nicht von einem wunderbaren Verhaengnis oder von Zeit und Glueck oder von andern Menschen verlangen soll. Z.B. hast du etwas Notwendiges und Wichtiges mit jemand zu reden, so warte nicht, bis er zu dir kommt. Weit geschwinder und vernuenftiger gehst du zu ihm. Ein huebscher Kirschenbaum in dem Garten waere eine schoene Sache. Das Plaetzchen schickte sich dazu. Warte nicht, bis er selber waechst, sondern setze einen. Ferner, ein Abzugsgraben, ein guter Weg durch das Dorf, wenigstens ein trockener Fussweg, ein Gelaender am Wasser oder an einem schmalen Steg, damit die Kinder nicht hineinfallen, kommt viel geschwinder zustande, wenn man ihn macht, als wenn man ihn nicht macht. Man sollte nicht glauben, dass es Leute gibt, denen erst ein arabischer Prophet oder ein Kalenderschreiber so etwas muss begreiflich machen. Selbst der Kalenderschreiber, der doch einem Propheten nicht viel nachgibt,--es liesse sich noch ein Wort mehr sagen,--verlangt nicht, dass das alte Jahr fortdauern soll, bis der neue Kalender fertig ist, sondern er schreibt den neuen, wenn das alte noch waehret. Summa Summarum: Schick dich in die Welt hinein, Denn dein Kopf ist viel zu klein, Dass die Welt sich schick' in ihn hinein. Moses Mendelssohn Moses Mendelssohn war juedischer Religion und Handlungsbedienter bei einem Kaufmann, der das Pulver nicht soll erfunden haben. Dabei war er aber ein sehr frommer und weiser Mann und wurde daher von den angesehensten und gelehrtesten Maennern hochgeachtet und geliebt. Und das ist recht. Denn man muss um des Bartes willen den Kopf nicht verachten, an dem er waechst. Dieser Moses Mendelssohn gab unter anderm von der Zufriedenheit mit seinem Schicksal folgenden Beweis. Denn als eines Tages ein Freund zu ihm kam und er eben an einer schweren Rechnung schwitzte, sagte dieser: "Es ist doch schade, guter Moses, und ist unverantwortlich, dass ein so verstaendiger Kopf, wie Ihr seid, einem Manne ums Brot dienen muss, der Euch das Wasser nicht bieten kann. Seid Ihr nicht am kleinen Finger gescheiter, als er am ganzen Koerper, so gross er ist?" Einem andern haett' das im Kopf gewurmt, haette Feder und Tintenfass mit ein paar Fluechen hinter den Ofen geworfen und seinem Herrn aufgekuendigt auf der Stelle. Aber der verstaendige Mendelssohn liess das Tintenfass stehen, steckte die Feder hinter das Ohr, sah seinen Freund ruhig an und sprach zu ihm also: "Das ist recht gut, wie es ist, und von der Vorsehung weise ausgedacht. Denn so kann mein Herr von meinen Diensten viel Nutzen ziehen und ich habe zu leben. Waere ich der Herr und er mein Schreiber, ihn koennte ich nicht brauchen." Pieve Jedermann kennt die Bilder- und Landkartenhaendler, die im Land herum ihre Waren, Bildnisse von Heiligen, Bildnisse von Kaisern und Koenigen und Kriegsschauplaetzen feil tragen. Aber fuer manchen kommen sie wie die Storken ins Land, das heisst, er weiss nicht, woher sie kommen. Von Pieve kommen sie, im Kanton Tessino, im Welschtirol, und dieses Pieve dient zum Beweistum, was aus einem armen Dorfe werden kann, wenn auf unverdrossene und sparsame Vaeter ebenso brave Soehne und Enkel folgen. Und deswegen ist an einem solchen Bildermann mehr zu sehen als an seinen Bildern allen. Pieve hat eine unfruchtbare Gemarkung. Der Boden naehrt seine Einwohner nicht. Lange behalfen sich daher die armen Leute muehsam und kuemmerlich mit einem Handel von Feuersteinen, der eben nicht viel eintrug. Als aber der Besitzer der beruehmten Buch- und Kupferstichhandlung Remondini in Bassano sah, wie unverdrossen und fleissig diese Leute waren, so vertraute er ihnen anfangs schlechte, alsdann immer bessere Kupferstiche und Helgen an, um damit einen bessere Handel zu treiben. Damit durchzogen sie nun Tirol, die Schweiz und das angrenzende Deutschland, und es ging schon besser. Sie hatten an den gemalten Kaisern und Koenigen, Propheten und Aposteln selber mehr Freude als an den plumpen Feuersteinen. Sie trugen auch leichter daran und hatten mehr Gewinn. Bald brachten sie es so weit, dass sie den Kupferstichhandel aus dem Fundament verstanden und mit eigenem Gelde treiben konnten. Und was fast unglaublich ist, sie bildeten in kurzer Zeit stehende Handelsgesellschaften in Augsburg, Strassburg, Amsterdam, in Hamburg, Luebeck, Kopenhagen, Stockholm, Warschau und Berlin. In allen diesen und noch mehrern Staedten sind sie jahraus jahrein mit grossen Vorraeten von sehr kostbaren Kupferstichen und Landkarten zu finden. Ja, eine Gesellschaft kam sogar bis nach Tobolsk in Asien, und eine andere, welche aber missglueckte, bis nach Philadelphia in Amerika, lauter Leute aus dem armen Doerflein Pieve. Neben diesen stehenden Bilderhandlungen aber durchwandern noch viele andere von ihnen alle Laender von Europa, besonders Deutschland, Polen, Preussen, Holland, Daenemark, Schweden, Russland, England und Frankreich. Alle Mannsleute in Pieve kennen diesen Handel und beschaeftigen sich damit. Vor der franzoesischen Revolution, als ihre Geschaefte am gluecklichsten vonstatten gingen, war zur Zeit des Sommers ausser Kindern und alten Greisen keine maennliche Person daheim, aber alle kamen mit wohlerworbenem Gewinn zurueck. Die Weiber trieben unterdessen den Feldbau. Seit der Revolution und des Kriegs an allen Enden und Orten hat dieser lebhafte Handel sehr gelitten. Dennoch hat noch jede Familie von Pieve unaufhoerlich einen Mann auf der Reise. Schon in der fruehen Jugend begleitet der Sohn den Vater auf seinen Zuegen, und wird dieser alt, so ueberlaesst er dem Sohn das Geschaeft und bringt seine Jahre daheim in Ruhe und Wohlstand und mit Ehren zu. Das sind nun die Bilderhaendler von Pieve. Der Rheinische Hausfreund kennt fast alle, die am Rhein auf und ab auf den Strassen sind und zieht vor jedem den Hut ab. Reise nach Frankfurt Zu ehemaligen Reichszeiten bestand auch ein grosses Reichskammergericht zu Wetzlar, welches noch manchem geneigtem Leser in teuerem und wertem Andenken sein kann, wenigstens in teuerem. Viel weltberuehmte Rechtsgelehrte, Advokaten und Schreiber sassen dort von Rechts wegen beisammen. Wer daheim einen grossen Prozess verloren hatte, an dem nichts mehr zu sieden und zu braten war, konnte ihn in Wetzlar noch einmal anbruehen lassen und noch einmal verlieren. Mancher hessische, wuerttembergische und badische Batzen ist dorthin gewandelt und hat den Heimweg nimmer gefunden. Als aber im Jahr 1806 der grosse Schlag auf das deutsche Reich geschah, stuerzte auch das Reichskammergericht zusammen, und alle Prozesse, die darin lagen, wurden totgeschlagen, maustot, und keiner gab mehr ein Zeichen von sich, ausgenommen im Jahr 1817 in Gera in Sachsenland hat einer wieder gezuckt. Ein Leinwandweber daselbst liest in der Dresdner Zeitung, dass der Bundestag in Frankfurt sich mit dem Unterhalt der Angehoerigen des Reichskammergerichts lebhaft beschaeftige. Naemlich, dass der Bundestag fuer den Unterhalt und die Schadloshaltung der Raete, Advokaten und Schreiber sorgen wollte, welche seit 1806 keinen Sold mehr zogen und nichts mehr zu verdienen hatten, ob sie gleich taeglich, wie die andern, Mittag laeuten hoerten und schoene Schilde sahen an den Wirtshaeusern. Auf dem Speicher des Leinewebers aber fing es auf einmal an in den Akten zu rauschen, fast wie in den Totenbeinen, von welchen der Prophet Ezechiel schreibt. Der Leineweber glaubte naemlich nichts anders, als das Reichskammergericht habe nur einen neuen Rock angezogen und heisse nun Bundestag, und der Bundestag habe nichts Wichtigeres zu tun, als die alten Prozesse, wenigstens seinen, wieder anzuzetteln. Also liess er sich einen guten Pass nach Frankfurt schreiben, und mit Akten schwer beladen trat er die lange Reise an. Als er aber in Frankfurt angekommen war, war sein erstes, er fragte die Schildwache am Tor, wo der Bundestag sich angesetzt habe in Frankfurt. Die Schildwache erwiderte, sie stehe da so nebendraus und erfahre nicht viel, was im Innern der Stadt geschehe. Ihres Wissens aber, seit sie dastehe, seie kein Bundestag einpassiert. Da fing der Leineweber im Fortgehen an sich zu betrueben und zu ergrimmen: "O Deutsche, sagte er in seinem Innern, .wie tief seid ihr gesunken! Ein Deutscher zu sein, noch dazu eine Frankfurter Schildwache, und nichts vom Bundestag wissen!" "Guter Freund", sagte er zu einem Vorbeigehenden, "koennt Ihr mir auch nicht sagen, wo der Bundestag sein Wesen hat?" Der Voruebergehende konnte es auch nicht sagen. "O Patriotismus", fuhr er mit sich selber fort, "wohin bist du verschwunden?" Fast muesse man sich schaemen, ein Deutscher zu heissen, wenn man nicht unter seinesgleichen waere. "Guter Freund", redete er einen Dritten an, "wisst auch Ihr nicht, wo hier der Bundestag einquartiert ist?"--"Lieber guter Mann", entgegnete der Dritte, "hier ist kein Bundestag einquartiert. Hier ist Frankfurt an der Oder. Der Bundestag ist in Frankfurt am Main." - Der wohlerfahrene Leser weiss naemlich zum voraus schon, dass es zwei Frankfurt gibt, die nicht weniger als 66 Meilen voneinander entfernt sind, und der Leineweber war im unrechten. "Ihr habt uebrigens nur noch 66 Meilen nach Frankfurt", fuhr der Dritte fort, "und wenn Ihr da her seid, wo Ihr sagt, so seid Ihr ueber hier nur 63 Meilen weit umgegangen." "Das ist jetzt ein Tun", sagte der Leineweber. "Hab' ich A gesagt, so will ich auch B sagen. Zwanzigtausend Taler sind Geld, ohnehin bin ich es meinem seligen Grossvater schuldig. Hat er den Prozess angefangen und ist ein armer Mann daran geworden, so ist es meine Schuldigkeit, dass ich ihn fortsetze und wieder reich werde." "Ha ha", sagte der Dritte, "was gilt's, das sind Akten, die Ihr da aufgepackt habt und fast drunter zusammenbrecht?"--"Es sind auch noch ein wenig Lebensmittel dabei", versetzte der Weber in kleinmuetiger Stimme, "aber nimmer viel." Der geneigte Leser faengt an, einigen Spass an der Sache zu finden. Von hier an aber bis nach Frankfurt am Main geht die Reise etwas langsam von statten. Derselbe darf herzhaft einstweilen noch ein gutes Pfeiflein stopfen, wiewohl er kann zum voraus sehen, wie alles gehen und enden wird. Denn die Chronik will wissen, dass, als einst die Phoenizier erforschen wollten, ob der grosse Weltteil Afrika zu Wasser koenne umfahren werden, rechneten sie die erforderliche Zeit der Reise auf ungefaehr zwei Jahre; gleichwohl, als sie hinter Aegypten in dem Roten Meere sich einschifften, der bibelfeste Leser kennt's von Moses' Zeiten her, nahmen sie nicht sonderlich viel Lebensvorrat mit, aber etwas Ackergeraete. Sahen sie nun, dass die Lebensmittel bald zu Ende gehen wollten, stiegen sie an das Land, saeten von Getreide und Gemuesegattungen, was die Jahreszeit mit sich brachte, wiewohl in Afrika ist fast immer Sommer und ein schneller, kraeftiger Trieb in allem Wachstum. Alsdann warteten sie die Reifung ab und brachten jedes Mal nach wenigen Wochen einen neuen Vorrat in das Schiff und zogen wieder weiter, kamen auch richtig nach zwei Jahren wieder zum Vorschein durch die Meerenge von Gibraltar hinein, die der zeitungskundige Leser ebenfalls noch kennt von General Elliots Zeiten her, dessen Andenken noch bis auf diese Stunde auf Tabakspapieren gefeiert wird. Also auch der Weber auf seiner langen Reise wusste sich zu helfen, wenn Geld und Vorrat zu Ende war; "Kunst bettelt nicht", sagte er zu sich selbst im stolzen Gefuehl, "Kunst geht nach Brot." Demnach, wenn er mittags oder abends in einem Staedtlein oder Flecken eintraf, erkundigte er sich nach einem Zunftgenossen, und "habt Ihr nichts fuer mich zu weben", redet er den Meister an, "um Atzung und um einiges Zehrgeld?" Stellte ihn nun der Meister ein, so blieb er einige Tage bei ihm, bis er sich ausgefuettert und wieder einige Batzen verdient hatte, und webte sich solchergestalt gluecklich an dem Main hinauf und nach Frankfurt. In Frankfurt pochte ihm das Herz hoch vor Freuden, dass er nun an dem Ziele seiner Reise sei und so nahe an seiner Geldquelle, die er jetzt nur anbohren duerfe, und als er in die Bundeskanzlei kam, gleich in der vordersten Stube, wo die Herrn sitzen, die am schoensten schreiben koennen, gruesste er sie freundlich und vertraut. "Findet man euch endlich einmal", sagte er, "und seid ihr jetzt hier?" Einer von den Herrn, der Vornehmste von ihnen, nimmt die Feder aus dem Mund und legt sie auf den Tisch. "Wir sind noch niemand aus dem Weg gegangen", sagte er, "und was habt Ihr hier zu schaffen? Was bringt Ihr Neues, Viereckigtes in Eurem Haengkorb? Eine Bundeslade? Es fehlt uns noch eine." "Spass", erwiderte der Weber, "meinen Prozess von Anno eintausendsiebenhundertsiebenundsechzig."-- Es ist nunmehr nichts weiter an der Sache zu erzaehlen. Natuerlich nahm sich niemand seines Prozesses an, weil der Bundestag sich mit Prozessen nicht gemein macht, und die lange, beschwerliche Reise war umsonst getan. Die Erzaehlung nimmt daher ein kahles Ende, der Hausfreund fuehlt es. Fast soll er noch was anschiften. Statt dessen aber will er hieneben eine Abbildung des Leinewebers stiften, wie er auf der Heimreise einmal ausruht und eine Standrede haelt. "Es ist mir in diesen sechs Wochen vieles klar geworden", sagte er. "Man muss einem deutschen Manne nicht sogleich Vorwuerfe machen, wenn er in Vaterlandssachen ein wenig unwissend und kaltsinnig ist. Denn man ist selber einer. Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge? Lerne zuerst selber und werde warm. Den guten Leuten in Frankfurt an der Oder ist von mir Tort geschehen. In Frankfurt am Main aber mir. Wenn ihr in der Zeitung etwas leset oder im Plakat oder im Kraeuterbuch, und versteht es nicht, lasst euch raten, achtbare Zuhoerer, und geht um verstaendige Belehrung aus, ehe ihr etwas unternehmet, besonders wenn es ein Prozess ist. Der beste Prozess ist ein schlechter, und auf dem Lager bessert er sich nicht. Der Habich ist besser als der Haettich. Friede ernaehrt, Unfriede zerstoert. Und nun, geliebte Akten, die ich jetzt hier ablege, gehabt euch wohl und seid dem Mann empfohlen, der euch finden und vielleicht gluecklicher mit euch sein wird als ich." Indem er aber die Akten absetzen wollte, klopft ihm von hinten her ein Mann auf die Achsel, der auch desselben Wegs ging. (Man sieht ihn aber kaum auf der Abbildung, nichtsdestoweniger ist's der Gewuerzkraemer aus dem naechsten Staedtlein--) "Guter Freund", sagte er, "mit wem redet Ihr da so allein?" "Mit niemand", erwiderte der Weber, "wenn Ihr mir aber meinen Prozess abkaufen wollt, mit Euch. Lupft ihn einmal! Was gebt Ihr mir dafuer?" Der Mann sagte: "Anderthalb Kreuzer fuer das Pfund, wenn das Papier daran gut ist. Kommt mit mir." Also verkaufte er dem Gewuerzhaendler die Akten fuer einen Gulden vierundzwanzig Kreuzer, die vollends zum Rest der Reise hinreichten, und kam mit leerem Korb und Beutel wieder in der Heimat an. "An meine Frankfurter Reise", sagte er, "will ich denken. Diesmal in Frankfurt gewesen." Rettung einer Offiziersfrau Es muss manchmal recht wild und blutig in der Welt hergehen, dass die edle Denkungsart eines Menschen bekannt werde, den man nicht drum ansieht. In Tirol, wo es waehrend des letzten Krieges recht wild und blutig herging, da hatten sie eben einen bayerischen Stabsoffizier ermordet, und mit noch blutigen Saebeln und Mistgabeln drangen sie in das Gemach, wo seine Gattin mit ihrem Kind in dem Schoss weinte und ihr Leid Gott klagte, und wollten sie auch ermorden. "Ja", fuhr sie einer von ihnen wuetend an und war der alleraergste, "fuer Eurer Leben gibt es kein Loesegeld, und Euer Buerschlein da hat auch bayerisch Blut in den Adern. In einer Stunde muesst Ihr sterben, zuerst Euer kleiner Sadrach, hernach Ihr.--Lasst ihr eine Stunde Zeit", sagte er zu den andern, "dass sie noch beten kann; sie ist eine katholische Christin." Nach einer Viertelstunde aber, als sie allein war und betete, kam er wieder und sagte: "Gnaedige Frau, Ihr kennt mich noch, so bitte ich Euch, Ihr wollt ob mir nicht erschrecken und nicht in Boesem aufnehmen, was ich in guter Meinung gesagt habe. Gebt mir Euer Kind unter den Mantel, so will ich es retten und zu meiner Mutter bringen, und zieht unterdessen dieses Plunder an", das er unter dem Mantel hervorzog, "so will ich's probieren, ob ich Euch mit Gottes und unserer Frauen Hilfe auch kann retten." Als er das Kind in Sicherheit gebracht hatte und wieder kam, stand sie schon da angekleidet wie ein Tiroler. Da drueckte er ihr den schlappen Hut recht ins Gesicht, richtete ihr den Hosentraeger besser zurecht und gab ihr seine Mistgabel in die Hand, als wenn sie auch ein Rebeller waere und zu den Leibgardisten und Hellebardieren des Sandwirt Hofers gehoerte. "Kommt denn jetzt", sagte er, "in Gottes Namen, und tretet herzhaft auf, wenn Ihr hinaus kommt, und macht Euch ein wenig breit." Als sie aber miteinander die Treppe hinabgingen, kamen die andern wieder, und: "Hast du ihr den Treff schon gegeben, Seppel?" fragte ihn einer. Da sagte er: "Nein, sie hat die Tuere zugeschlossen und gebetet. Jetzt kann sie fertig sein. Ich hab' sie durchs Schluesselloch gesehen, und sie stand eben auf, als ich durchsah." Also ging er mit ihr die Treppe hinab, und die andern stuermten an ihr vorbei, die Treppe hinauf, und waehrend sie vor der verschlossenen Tuere laermten und pochten und in das leere Gemach hinein riefen: "Seid Ihr bald fertig? Die Tuere soll bald eingetreten sein", brachte er sie auch zu seiner Mutter und gab ihr ihr Kindlein wieder, und das Kindlein laechelte, aber sie weinte und drueckte es bruenstig an ihr Gesicht und an ihren Busen. Also hatte sie der edle Tiroler gluecklich und mit Gottes Hilfe aus den Haenden ihrer Moerder errettet und hat sie hernach die Nacht hindurch auf heimlichen Wegen fortgefuehrt und bis an ein bayerisch Pikett gebracht, als eben die Sonne aufging. Auf nebenstehender Figur kann man sehen, wie die Sonne eben aufgeht, indem er sie ihren Landsleuten uebergibt und nichts annehmen will fuer seine Wohltat und fuer seine Muehe, als ein Truenklein Bier. Nro. 1 ist der Seppel und Nro. 2 die Offiziersfrau. Rettung vom Hochgericht Eines Tages sagte zu sich selbst ein einfaeltiger Mensch: "Dumm bin ich; wenn ich mich nun auf pfiffige Streiche lege, so wird kein Mensch vermuten, dass ich's bin." Also legte er sich aufs Stehlen. Aber schon nach dem ersten Diebstahl wurde er als Taeter entdeckt und ueberwiesen, weil er die goldene Uhr, die er gestohlen hatte, selber trug und alle Augenblicke herauszog. Einige Ratsherrn meinten, man koennte wegen seiner Einfalt etwas glimpflicher mit ihm verfahren als mit andern und ihn auf ein Jahr oder etwas ins Zuchthaus schicken. "So?" sagten die andern, "ist's nicht genug, dass so viele verschmitzte Halunken das saubere Handwerk treiben? Soll man fuer die dummen auch noch Praemien aussetzen, damit alles stiehlt?" und sechs gegen fuenf sagten: Er muss an den Galgen. Auf der Leiter, als ihm der Henker den Hals visitierte, sagte er zu ihm: "Guter Freund, Ihr habt's ziemlich dick da herum sitzen, noch dicker als hinter den Ohren. Fast haett' ich einen laengern Strick nehmen sollen." Denn wirklich war dem armen Schelm das Kinn ziemlich stark mit dem Hals verwachsen, und als der Henker den Strick ohnehin ungeschickt angebracht hatte und den armen Suender von der Leiter hinabstiess, glitschte dieser mit dem Kopf aus der Schlinge heraus und fiel unversehrt herab auf die Erde. Einige Zuschauer lachten, aber der groesste Teil erschrak und tat einen lauten Schrei, als ob sie fuerchteten, es moechte dem Malefikanten, den sie doch wollten sterben sehn, etwas am Leben schaden. Aber der Henker stand einige Augenblicke wie versteinert oben auf dem Seigel und sagte endlich: "So etwas ist mir in meinem Leben noch nie passiert." Da sagte der Malefikant unten auf der Erde kaltbluetig und mit gequetschter Stimme: "Mir auch nicht", und alle, die es hoerten, vergassen die Ernsthaftigkeit einer Hinrichtung, und dass auf dem Weg ueber das Hochgericht ein armes, verschuldetes Gewissen an seinen ewigen Richter abgeliefert wird, und mussten lachen. Der Blutrichter selber hielt das Schnupftuch vor den Mund und sah auf die Seite. Die glimpflichern Ratsherren aber ermahnten die strengern: "Lasst jetzt den armen Ketzer laufen. Am Galgen ist er gewesen, und mehr habt ihr nicht verlangt, und Todesangst hat er ausgestanden." Also liessen sie den armen Ketzer laufen. Schlechter Gewinn Ein junger Kerl tat vor einem Juden gewaltig gross, was er fuer einen sichern Hieb in der Hand fuehre, und wie er eine Stecknadel der Laenge nach spalten koenne mit einem Zug. "Ja, gewiss, Mauschel Abraham", sagte er, "es soll einen Siebzehner gelten, ich haue dir in freier Luft das Schwarze vom Nagel weg auf ein Haar und ohne Blut." Die Wette galt, denn der Jude hielt so etwas nicht fuer moeglich, und das Geld wurde ausgesetzt auf den Tisch. Der junge Kerl zog sein Messer und hieb und verlor's, denn er hieb dem armen Juden in der Ungeschicklichkeit das Schwarze vom Nagel und das Weisse vom Nagel und das vordere Gelenk mit einem Zuge rein von dem Finger weg. Da tat der Jude einen lauten Schrei, nahm das Geld und sagte: "Au weih, ich hab's gewonnen!" An diesen Juden soll jeder denken, wenn er versucht wird, mehr auf einen Gewinn zu wagen, als derselbe wert ist. Wie mancher Prozesskraemer hat auch schon so sagen koennen! Ein General meldete einmal seinem Monarch den Sieg mit folgenden Worten: "Wenn ich noch einmal so siege, so komme ich allein heim." Das heisst mit andern Worten auch: "O weih, ich hab's gewonnen!" Schlechter Lohn Als im letzten Krieg der Franzos nach Berlin kam, in die Residenzstadt des Koenigs von Preussen, da wurde unter anderm viel koenigliches Eigentum weggenommen und fortgefuehrt oder verkauft. Denn der Krieg bringt nichts, er holt. Was noch so gut verborgen war, wurde entdeckt und manches davon zur Beute gemacht, doch nicht alles. Ein grosser Vorrat von koeniglichem Bauholz blieb lange unverraten und unversehrt. Doch kam zuletzt noch ein Spitzbube von des Koenigs eigenen Untertanen, dachte: Da ist ein gutes Trinkgeld zu verdienen und zeigte dem franzoesischen Kommandanten mit schmunzelnder Miene und spitzbuebischen Augen an, was fuer ein schoenes Quantum von eichenen und tannenen Baustaemmen noch da und da beisammen liege, woraus manch Tausend Gulden zu loesen waere. Aber der brave Kommandant gab schlechten Dank fuer die Verraeterei und sagte: "Lasst Ihr die schoenen Baustaemme nur liegen, wo sie sind. Man muss dem Feind nicht sein Notwendigstes nehmen. Denn wenn Euer Koenig wieder ins Land kommt, so braucht er Holz zu neuen Galgen fuer so ehrliche Untertanen, wie Ihr einer seid." Das muss der Rheinlaendische Hausfreund loben und wollte gern aus seinem eigenen Wald ein paar Stammeln auch hergeben, wenn's fehlen sollte. Schreckliche Ungluecksfaelle in der Schweiz [Hat jede Gegend ihr Liebes, so hat sie auch ihr Leides, und wer manchmal erfaehrt, was an andern Orten geschieht, findet wohl Ursache, zufrieden zu sein mit seiner Heimat. Hat z. B. die Schweiz viel herdenreiche Alpen, Kaese und Butter und Freiheit, so hat sie auch Lawinen.] Der zwoelfte Dezember des vergangenen Winters brachte fuer die hohen Bergtaeler der Schweiz eine fuerchterliche Nacht und lehrt uns, wie ein Mensch wohl taeglich Ursache hat, an das Spruechlein zu denken "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen." Auf allen hohen Bergen lag ein tiefer, frisch gefallener Schnee. Der zwoelfte Dezember brachte Tauwind und Sturm. Da dachte jedermann an grosses Unglueck und betete. Wer sich und seine Wohnung fuer sicher hielt, schwebte in Betruebnis und Angst fuer die Armen, die es treffen wird, und wer sich nicht fuer sicher hielt, sagte zu seinen Kindern: "Morgen geht uns die Sonne nimmer auf", und bereitete sich zu einem seligen Ende. Da rissen sich auf einmal und an allen Orten von den Firsten der hoechsten Berge die Lawinen oder Schneefaelle los, stuerzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen ueber die langen Halden herab, wurden immer groesser und groesser, schossen immer schneller, toseten und krachten immer fuerchterlicher und jagten die Luft vor sich her so durcheinander, dass im Sturm, noch ehe die Lawine ankam, ganze Waelder zusammenkrachten und Staelle, Scheuern und Waldungen wie Spreu davonflogen, und wo die Lawinen sich in den Taelern niederstuerzten, da wurden stundenlange Strecken mit allen Wohngebaeuden, die darauf standen, und mit allem Lebendigen, was darin atmete, erdrueckt und zerschmettert, wer nicht wie durch ein goettliches Wunder gerettet wurde. Einer von zwei Bruedern in Uri, die miteinander hauseten, war auf dem Dach, das hinten an den Berg anstosst, und dachte: Ich will den Zwischenraum zwischen dem Berg und dem Daechlein mit Schnee ausfuellen und alles eben machen, auf dass, wenn die Lawine kommt, so fahrt sie ueber das Haeuslein weg, dass wir vielleicht--und als er sagen wollte: dass wir vielleicht mit dem Leben davonkommen--da fuehrte ihn der ploetzliche Windbraus der vor der Lawine hergeht, vom Dach hinweg und hob ihn schwebend in der Luft, wie einen Vogel ueber einem entsetzlichen Abgrund. Und als er eben in Gefahr war, in die unermessliche Tiefe hinabzustuerzen, und waere seines Gebeins nimmer gefunden worden, da streifte die Lawine an ihm vorbei und warf ihn seitwaerts an eine Halde. Er sagt, es habe ihm nicht wohlgetan, aber in der Betaeubung umklammerte er noch einen Baum, an dem er sich festhielt, bis alles vorueber war, und kam gluecklich davon und ging wieder heim zu seinem Bruder, der auch noch lebte, obgleich der Stall neben dem Haeuslein wie mit einem Besen weggewischt war. Da konnte man wohl auch sagen: "Der Herr hat seinen Engeln befohlen ueber dir, dass sie dich auf den Haenden tragen. Denn er macht Sturmwinde zu seinen Booten und die Lawinen, dass sie seine Befehle ausrichten." Anders erging es im Sturnen, ebenfalls im Kanton Uri. Nach dem Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern: "Wir wollen doch auch noch ein Gebet verrichten fuer die armen Leute, die in dieser Nacht in Gefahr sind." Und waehrend sie beteten, donnerte schon aus allen Taelern der ferne Widerhall der Lawinen, und waehrend sie noch beteten, stuerzte ploetzlich der Stall und das Haus zusammen. Der Vater wurde vom Sturmwind hinweggefuehrt, hinaus in die fuerchterliche Nacht, und unten am Berg abgesetzt und von dem nachwehenden Schnee begraben. Noch lebte er; als er aber den andern Morgen mit unmenschlicher Anstrengung sich hervorgegraben und die Staette seiner Wohnung wieder erreicht hatte und sehen wollte, was aus den Seinigen geworden sei, barmherziger Himmel! da war nur Schnee und Schnee und kein Zeichen einer Wohnung, keine Spur des Lebens mehr wahrzunehmen. Doch vernahm er nach langem, aengstlichem Rufen, wie aus einem tiefen Grab, die Stimme seines Weibes unter dem Schnee herauf. Und als er sie gluecklich und unbeschaediget hervorgegraben hatte, da hoerten sie ploetzlich noch eine bekannte und liebe Stimme: "Mutter, ich waere auch noch am Leben," rief ein Kind, "aber ich kann nicht heraus." Nun arbeitete Vater und Mutter noch einmal und brachten auch das Kind hervor, und ein Arm war ihm gebrochen. Da ward ihr Herz mit Freude und Schmerzen erfuellt, und von ihren Augen flossen Traenen des Dankes und der Wehmut. Denn die zwei andern Kind wurden auch noch herausgegraben, aber tot. In Pilzeig, ebenfalls im Kanton Uri, wurde eine Mutter mit zwei Kindern fortgerissen und unten in der Tiefe vom Schnee verschuettet. Ein Mann, ihr Nachbar, den die Lawine ebenfalls dahin geworfen hatte, hoerte ihr Wimmern und grub sie hervor. Vergeblich war das Laecheln der Hoffnung in ihrem Antlitz. Als die Mutter halb nackt umherschaute, kannte sie die Gegend nicht mehr, in der sie war. Ihr Retter selbst war ohnmaechtig niedergesunken. Neue Huegel und Berge von Schnee und ein entsetzlicher Wirbel von Schneeflocken fuellten die Luft. Da sagte die Mutter: "Kinder, hier ist keine Rettung moeglich; wir wollen beten und uns dem Willen Gottes ueberlassen." Und als sie beteten, sank die siebenjaehrige Tochter sterbend in die Arme der Mutter, und als die Mutter mit gebrochenem Herzen ihr zusprach und ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verliessen sie ihre Kraefte auch. Sie war eine 14taegige Kindbetterin, und sie sank mit dem teuern Leichnam ihres Kindes in dem Schoss ebenfalls leblos darnieder. Die andere, elfjaehrige Tochter hielt weinend und haenderingend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie tot waren, drueckte ihnen alsdann, eh' sie auf eigene Rettung bedacht war, mit stummem Schmerz die Augen zu und arbeitete sich mit unsaeglicher Muehe und Gefahr erst zu einem Baum, dann zu einem Felsen herauf und kam gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster hinein aufgenommen und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde. Kurz, in allen Bergkantonen der Schweiz, in Bern, Glarus, Uri, Schwyz, Graubuenden, sind in einer Nacht und fast in der naemlichen Stunde durch die Lawinen ganze Familien erdrueckt, ganze Viehherden mit ihren Stallungen zerschmettert, Matten und Gartenland bis auf den nackten Felsen hinab aufgeschuerft und weggefuehrt und ganze Waelder zerstoert worden, also dass sie ins Tal gestuerzt sind; oder die Baeume liegen uebereinander zerschmettert und zerknickt wie die Halmen auf einem Acker nach dem Hagelschlag. Sind ja in dem einzigen kleinen Kanton Uri fast mit einem Schlag 11 Personen unter dem Schnee begraben worden und sind nimmer auferstanden, gegen 30 Haeuser und mehr als 150 Heustaelle zerstoert und 359 Haeuptlein Vieh umgekommen, und man weiss gar nicht, auf wie vielmal hunderttausend Gulden soll man den Schaden berechnen ohne die verlornen Menschen. Denn das Leben eines Vaters oder einer Mutter oder frommen Gemahls oder Kindes ist nicht mit Gold zu schaetzen. Seinesgleichen Ein kunstreicher Instrumentenmacher, aber ein eingebildeter und unfeiner Mann, hielt sich schon einige Zeit in einem namhaften Staedtlein auf und genoss dann und wann im Loewen abends eine Flasche Wein und einen halben Vierling Kaes. Eines Abends, als sich die meisten Gaeste schon frueher denn gewoehnlich verlaufen hatten und der Instrumentenmacher oben noch allein sass, rueckt zu ihm der bekannte Zirkelschmied mit seinem Schoppen Siebenzehner hinauf. "Euer Wohlgeboren", sagte er, "redeten da vorhin an Ihre Nachbarn ueber die Quadratur des Zirkels. Ich hatte keine Freude zur Sache. Leute unsersgleichen", sagte er, "koennen von so etwas wohl unter sich sprechen und einander Gedanken geben. Ich z. B. waere Euerer Meinung nicht gewesen." Der geneigte Leser kennt den Zirkelschmied, dass er immer auf eine Schelmerei ausgeht. Unter andern macht er sich gern an Fremde, die etwas gleich sehen, um hernach bei andern mit ihrer Bekanntschaft grosszutun, wie am Ende dieser Erzaehlung auch geschehen wird, und die Leute breitzuschlagen, wie man sagt. Der Instrumentenmacher aber betrachtete ihn mit einem vornehmen, verachtenden Blick und sagt: "Wenn Ihr bei Leuten Euresgleichen sein wollt, so kommt nicht zu mir; oder wer seid Ihr?" Der Zirkelschmied, des Schimpfes und der Schande gewoehnt, erwidert: "Sollte Euer Wohlgeboren aus meiner Rede nicht erkennen, dass zwei Kuenstler miteinander sprechen?" Des erboste sich der andere. noch mehr. "Ihr ein Kuenstler?" fragte er ihn, "ein Kammacher oder ein Besenbinder? Wollt Ihr ein Almosen von mir?" Der Zirkelschmied erwidert: "Herr Christlieb, das beugt mich, weniger wegen meiner, als wegen der Kunst. Leute unsersgleichen pflegen sich sonst eben so sehr durch feine Sitten auszuzeichnen als durch Kenntnisse und Geschicklichkeit." Da stand der Instrumentenmacher auf: "Sprecht Ihr mir schon wieder von Euresgleichen", sagt er. "Hoer' ich's zum dritten Mal von Euch, so werf' ich Euch den Stuhl an den Kopf", und lupfte ihn bereits ein wenig in die Hoehe. Der Wirt aber, der bisher ruhig am Ofen stand, trat hervor und sagte: "Jetzt, Zirkelschmied, reist!" Der Zirkelschmied aber erbost sich darueber auch und geht aus dem Loewen ins Roesslein gerad gegenueber, und "stellt euch vor", sagte er dort zu seinen anwesenden Bekannten, "was sich der hergelaufene Instrumentenmacher, der Brotdieb, einbildet. Der hochmuetige Gesell nimmt's fuer einen Affrunt auf, dass ich zweimal zu ihm sagte: Leute unsersgleichen, und ich sag's zum dritten Mal, wenn er's hoeren will, der Flegel, der impertinente, der gemeine Kerl." Der geneigte Leser lacht ein wenig, dass der Zirkelschmied darauf beharrt, ein Mann, den er fuer einen Flegel und gemeinen Kerl ausgibt, sei seinesgleichen. Lerne erstens am Zirkelschmied: Man muss nie schimpfen, wenn man im Zorn ist, sonst schimpft und verunehrt man sich selbst. Lerne zweitens an dem Instrumentenmacher: Man muss sich, wenn man etwas ist, mit liederlichen Leuten nie in Grobheiten gemein machen, sonst macht man sich wirklich zu ihresgleichen. Der Zirkelschmied hatte insofern recht. Seltene Liebe Mit dem Leichnam eines jungen Mannes im Schweizerland, der erschlagen wurde in einem Gefecht nicht weit vom Vierwaldstaetter See, mit dem Leichnam ging es wunderbar zu. Dass er nach dem Gefecht war begraben worden naechst der Wahlstatt, wussten mehr als zwanzig Maenner aus dem naemlichen Ort, die es taten und dabei waren und ein Kreuz, wie man in der Geschwindigkeit eines machen kann, auf sein Grab steckten, dass, wer vorueberginge, auch ein Vaterunser fuer seine Seele beten sollte. Item, am Dienstag darauf, als der Sigrist fruehe morgens in die Kirche gehn und das Morgengebet anlaeuten wollte, lag der naemliche Leichnam daheim auf dem Kirchhof, vor der Kirchtuere. Man begrub ihn noch einmal mit allen Gebraeuchen und Gebeten der Kirche in die geweihte Erde. Item, als es noch einmal Dienstag wurde, war der naemliche Leichnam wieder aus dem Grab und von dem Kirchhof weg verschwunden. Sonst tut der Glaube Wunder. Diesmal aber tat's des Glaubens fromme Schwester, die Liebe. Er war als Freiwilliger mitgezogen, weil ihm die Gemeinde auf den Fall das Buergerrecht angeboten hatte. Denn er war nur Hintersass und seiner Arbeit ein Maurer, was zwar nicht zur Sache, aber zur Wahrheit gehoert. Seine junge Frau aber aengstete sich daheim und weinte und betete, und jeder Schuss, den sie hoerte, ging ihr schauerhaft durchs Herz, denn sie fuerchtete, er gehe durch das seinige. Einer ging da durch, und als die andern am dritten oder vierten Tag wohlbehalten nach Hause kamen, brachten sie ihr das blutige Gewand ihres Mannes, sein Gebetbuechlein und seinen Rosenkranz. "Dein Mann", sagten sie, "hat jetzt ein anderes Buergerrecht angetreten. Er liegt im obern Ried. Ein Kreuz steht auf seinem Grab. Es haette jeden treffen koennen", sagten sie. Die arme Frau verging fast in Traenen und Wehklagen. "Mein Mann erschossen", sagte sie, "mein einziges und alles--und im Ried begraben, in ungeweihter Erde!" Da raffte sie sich ploetzlich auf, und in der Nacht, als alles schlief, ging sie allein mit einer Schaufel und mit einem Sack in das Ried hinauf, suchte das Grab und die geliebte Leiche und trug sie heim auf den Kirchhof. Solche Herzhaftigkeit und Staerke hatte ihr der Schmerz und die Liebe gegeben. Als sie aber hernachmals Tag und Nacht sich fast nimmer von dem Grabe entfernen und nicht essen und trinken wollte, sondern unaufhoerlich das Grab mit ihren Traenen benetzte und mit dem Verstorbenen redete, als ob er sie hoeren koennte, alle Vorstellungen waren fruchtlos, da sagte endlich der Vorsteher des Ortes, es sei kein anderes Mittel uebrig, als man grabe den Toten heimlicherweise noch einmal aus und bringe ihn auf einen andern Kirchhof, sonst vergehe noch die arme Frau. Also brachte man sie mit viel Zureden und Muehe in ihre leere Wohnung zurueck und brachte in der Nacht den Leichnam auf einen andern Kirchhof. Nur wenige Menschen wussten davon, wohin er gebracht worden. Den frommen Leser ruehrt diese Geschichte, und er sagt, solcher beispiellosen ehelichen Liebe und Treue koennen nur noch Schweizerherzen faehig sein. Fehl gesprochen! Beide, die unglueckliche Frau und ihr verstorbener Gatte waren Fremdlinge, und zwar aus Deutschland. Doch kein Schmerz dauert ohne Ende, der heftigste am wenigsten. Die naemliche Frau gewann in der Folge einen zweiten braven Gatten, ebenfalls einen Deutschen, und die Gemeinde erteilte--diesem das Buergerrecht, das sein Vorfahrer mit seinem Leben erkauft hatte. Diese Geschichte hat dem Hausfreund und seinen Reisegefaehrten auf dem See zwischen Winkel und Stansstad ein Augenzeuge erzaehlt, und von ferne den Ort gezeigt, wo sie vorgefallen war. Seltsame Ehescheidung Ein junger Schweizer aus Ballstall kam in spanische Dienste, hielt sich gut und erwarb sich einiges Vermoegen. Als es ihm aber zu wohl war, dachte er: will ich oder will ich nicht?--Endlich wollte er, nahm eine huebsche, wohlhabende Spanierin zur Frau und machte damit seinen guten Tagen ein Ende.--Denn in den spanischen Haushaltungen ist die Frau der Herr, ein guter Freund der Mann, und der Mann ist die Magd. Als nun das arme Blut der Sklaverei und Drangsalierung bald muede war, fing er an, als wenn er nichts damit meinte, und ruehmte ihr das froehliche Leben in der Schweiz und die goldenen Berge darin, er meinte die Schneeberge im Sonnenglast jenseits der Klus; und wie man lustig nach Einsiedeln wallfahrten koenne und schoen beten in Sasseln am Grabe des heiligen Bruders Niklas von der Flue, und was fuer ein grosses Vermoegen er daheim besitze, aber es werde ihm nicht verabfolgt aus dem Land. Da waesserte endlich der Spanierin der Mund nach dem schoenen Land und Gut, und es war ihr recht, ihr Vermoegen zu Geld zu machen und mit ihm zu ziehen in seine goldene Heimat. Also zogen sie miteinander ueber das grosse pyrenaeische Gebirg bis an den Grenzstein, der das Reich Hispania von Frankreich scheidet; sie mit dem Geld auf einem Esel, er nebenher zu Fuss. Als sie aber vorueber an dem Grenzstein waren, sagte er: "Frau, wenn's dir recht ist, bis hieher haben wir's spanisch miteinander getrieben, von jetzt an treiben wir's deutsch. Bist du von Madrid bis an den Markstein geritten und ich bin dir zu Fuss nachgetrabt den langen Berg hinauf, so reit' ich jetzt von hier weg bis gen Ballstall, Kanton Solothurn, und das Fussgehen ist an dir." Als sie darueber sich ungebaerdig stellte und schimpfte und drohte und nicht von dem Tierlein herunter wollte: "Frau, das verstehst du noch nicht", sagte er, "und ich nehme dir's nicht uebel", sondern hieb an dem Weg einen tuechtigen Stecken ab und las ihr damit ein langes Kapitel aus dem Ballstaller Ehe- und Maennerrecht vor, und als sie alles wohlverstanden hatte, fragte er sie: "Willst du jetzt mit, welsche Hexe, und guttun, oder willst du wieder hin, wo du hergekommen bist?" Da sagte sie schluchzend: "Wo ich hergekommen bin!" und das war ihm auch das Liebste. Also teilte mit ihr der ehrliche Schweizer das Vermoegen und trennten sich voneinander an diesem Grenzstein weiblicher Rechte, wie einmal ein bekanntes Buechlein in der Welt geheissen hat, und jedes zog wieder in seine Heimat. "Deinen Landsmann," sagte er, "auf dem du hergeritten bist, kannst du auch wieder mitnehmen." Merke: Im Reich Hispania machen's die Weiber zu arg, aber in Ballstall doch auch manchmal die Maenner. Ein Mann soll seine Frau nie schlagen, sonst verunehrt er sich selber. Denn ihr seid ein Leib. Seltsamer Spazierritt Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus und laesst seinen Buben zu Fuss nebenher laufen. Kommt ein Wanderer und sagt: "Das ist nicht recht, Vater, dass Ihr reitet und lasst Euern Sohn laufen; Ihr habt staerkere Glieder." Da stieg der Vater vom Esel herab und liess den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: "Das ist nicht recht, Bursche, dass du reitest und laessest deinen Vater zu Fuss gehen. Du hast juengere Beine." Da sassen beide auf und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: "Was ist das fuer ein Unverstand: zwei Kerle auf einem schwachen Tier? Sollte man nicht einen Stock nehmen und euch beide hinabjagen?" Da stiegen beide ab und gingen selbdritt zu Fuss, rechts und links der Vater und Sohn, und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann und sagt: "Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist's nicht genug, wenn zwei zu Fuss gehen? Geht's nicht leichter, wenn einer von euch reitet?" Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Strasse stand, und trugen den Esel auf der Achsel heim. So weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen. Suwarow Der Mensch muss eine Herrschaft ueber sich selber ausueben koennen, sonst ist er kein braver und achtungswuerdiger Mensch, und was er einmal fuer allemal als recht erkennt, das muss er auch tun, aber nicht einmal fuer allemal, sondern immer. Der russische General Suwarow, den die Tuerken und Polacken, die Italiener und die Schweizer wohl kennen, der hielt ein scharfes und strenges Kommando. Aber was das Vornehmste war, er stellte sich unter sein eigenes Kommando, als wenn er ein anderer und nicht der Suwarow selber waere, und sehr oft mussten ihm seine Adjutanten dies und jenes in seinem eigenen Namen befehlen, was er alsdann puenktlich befolgte. Einmal war er wuetend aufgebracht ueber einen Soldaten, der im Dienst etwas versehen hatte, und fing schon an ihn zu pruegeln. Da fasste ein Adjutant das Herz, dachte, er wolle dem General und dem Soldaten einen guten Dienst erweisen, eilte herbei und sagte: "Der General Suwarow hat befohlen, man solle sich nie vom Zorn uebernehmen lassen." Sogleich liess Suwarow nach und sagte: "Wenn's der General befohlen hat, so muss man gehorchen." Teure Eier Als zu seiner Zeit ein fremder Fuerst nach Frankreich reiste, wurde ihm unterwegs oed im Magen, und liess sich in einem gemeinen Wirtshaus, wo sonst dergleichen Gaeste nicht einkehren, drei gesottene Eier geben. Als er damit fertig war, fordert der Wirt dafuer 300 Livres. Der Fuerst fragte, ob denn hier die Eier so rar seien. Der Wirt laechelte und sagte: "Nein, die Eier nicht, aber die grossen Herren, die so etwas dafuer bezahlen koennen." Der Fuerst laechelte auch und gab das Geld, und das war gut. Als aber der damalige Koenig von Frankreich von der Sache hoerte (es wurde ihm als ein Spass erzaehlt), nahm er's sehr uebel, dass ein Wirt in seinem Reich sich unterstand, solche unverschaemte Ueberforderungen zu machen, und sagte dem Fuersten: "Wenn Sie auf ihrer Rueckreise wieder an dem Wirtshaus vorbeifahren, werden Sie sehen, dass Gerechtigkeit in meinem Lande herrscht." Als der Fuerst auf seiner Rueckreise wieder an dem Wirtshaus vorbeifuhr, sah er keinen Schild mehr dran, aber die Tueren und Fenster waren zugemauert, und das war auch gut. Teures Spaesslein Man muss mit Wirten keinen Spass und Mutwillen treiben, sonst kommt man unversehens an den Unrechten. Einer in Basel will ein Glas Bier trinken, das Bier war sauer, zog ihm den Mund zusammen, dass ihm die Ohren bis auf die Backen hervorkamen. Um es auf eine witzige Art an den Tag zu legen und den Wirt vor den Gaesten laecherlich zu machen, sagte er nicht: "das Bier ist sauer", sondern "Frau Wirtin", sagte er, "koennt' ich nicht ein wenig Salat und Oel zu meinem Bier haben?" Die Wirtin sagte: "In Basel kann man fuer Geld alles haben", strickte aber noch ein wenig fort, als wenn sie's wenig achtete, denn sie war eben am Zwickel. Nach einigen Minuten, als unterdessen die Gaeste miteinander diskurierten, und einer sagte: "Habt ihr gestern das Kamel auch gesehen und den Affen?" ein anderer sagte: "Es ist kein Kamel, es ist ein Trampeltier", sagte die Wirtin: "Mit Erlaubnis" und deckte eine schneeweisse Serviette vom feinsten Gebilde auf den Tisch. Jeder glaubte, der andere habe ein Bratwuerstlein bestellt oder etwas, und "es ist doch ein Kamel", sagte ein dritter, "denn es ist weiss, die Trampeltiere sind braun." Unterdessen kam die Wirtin wieder mit einem Teller voll zarter Kukuemmerlein aus dem markgraefischen Garten, aus dem Treibhaus, fein geschnitten wie Postpapier, und mit dem kostbarsten genuesischen Baumoel angemacht, und sagte zu dem Gast mit spoettischem Laecheln: "Ist's gefaellig?" Also lachten die andern nicht mehr den Wirt aus, sondern den Gast, und wer wohl oder uebel seinen Spass mit zehn Batzen fuenf Rappen Baseler Waehrung bezahlen musste, war er. Tod vor Schrecken Als einmal der Hausfreund mit dem Doktor von Brassenheim an dem Kirchhof vorbeiging, deutete der Doktor auf ein frisches Grab und sagte: "Selbiger ist mir auch entwischt. Den haben seine Kameraden geliefert." Im Wirtshaus, wo die Schreiber beisammen sassen bei einem lebhaften Disputat, schlug einer von ihnen auf den Tisch. "Und es gibt doch keine!" sagte er,--naemlich keine Gespenster und Erscheinungen.-- "Und ein altes Weib", fuhr er fort, "ist der, der sich erschrecken laesst." Da nahm ihn ein anderer beim Wort und sagte: "Buchhalter, vermiss dich nicht; gilt's sechs Flaschen Burgunderwein, ich vergelstere dich und sag dir's noch vorher." Der Buchhalter schlug ein: "Es gilt." Jetzt ging der andere Schreiber zum Wundarzt: "Herr Land-Chirurgus, wenn Ihr einmal einen Leichnam zum Verschneiden bekommt, von dem Ihr mir einen Vorderarm aus dem Ellenbogengelenk loesen koenntet, so sagt mir's." Nach einiger Zeit kam der Chirurgus: "Wir haben einen toten Selbstmoerder bekommen, einen Siebmacher. Der Mueller hat ihn aufgefangen am Rechen", und brachte dem Schreiber den Vorderarm. "Gibt's noch keine Erscheinungen, Buchhalter?"--"Nein, es gibt noch keine." Jetzt schlich der Schreiber heimlich in des Buchhalters Schlafkammer und legte sich unter das Bett, und als sich der Buchhalter gelegt hatte und eingeschlafen war, fuhr er ihm mit seiner eigenen warmen Hand ueber das Gesicht. Der Buchhalter fuhr auf und sagte, dann er wirklich ein besonnener und beherzter Man war: "Was sind das fuer Possen? Meinst du, ich merke nicht, dass du die Wette gewinnen willst?" Der Schreiber war mausstille. Als der Buchhalter wieder eingeschlafen war, fuhr er ihm noch einmal ueber das Gesicht. Der Buchhalter sagte: "Jetzt lass es genug sein, oder wenn ich dich erwische, so schaue zu, wie es dir geht." Zum dritten Mal fuhr ihm der Schreiber langsam ueber das Gesicht; und als er schnell nach ihm haschte, und als er sagen wollte: "Hab' ich dich?" blieb ihm eine kalte, tote Hand und ein abgeloester Armstuemmel in den Haenden, und der kalte, toetende Schrecken fuhr ihm tief in das Herz und in das Leben hinein. Als er sich wieder erholt hatte, sagte er mit schwacher Stimme: "Ihr habt, Gott sei es geklagt, die Wette gewonnen." Der Schreiber lachte und sagte: "Am Sonntag trinken wir den Burgunder." Aber der Buchhalter erwiderte: "Ich trink ihn nimmer mit." Kurz, den andern Morgen hatte er ein Fieber, und den siebenten Morgen war er eine Leiche. "Gestern frueh", sagte der Doktor zum Hausfreund, "hat man ihn auf den Kirchhof getragen; unter selbigem Grab liegt er, das ich Euch gezeigt habe." Unglueck der Stadt Leiden Diese Stadt heisst schon seit undenklichen Zeiten Leiden und hat noch nie gewusst, warum, bis am 12. Jaenner des Jahres 1807. Sie liegt am Rhein in dem Koenigreich Holland und hatte vor diesem Tag elftausend Haeuser, welche von 40 000 Menschen bewohnt waren, und war nach Amsterdam wohl die groesste Stadt im ganzen Koenigreich. Man stand an diesem Morgen noch auf wie alle Tage; der eine betete sein: "Das walt' Gott", der andere liess es sein, und niemand dachte daran, wie es am Abend aussehen wird, obgleich ein Schiff mit siebenzig Faessern voll Pulver in der Stadt war. Man ass zu Mittag, und liess sich's schmecken wie alle Tage, obgleich das Schiff noch immer da war. Aber als nachmittags der Zeiger auf dem grossen Turm auf halb fuenf stand--fleissige Leute sassen daheim und arbeiteten, fromme Muetter wiegten ihre Kleinen, Kaufleute gingen ihren Geschaeften nach, Kinder waren beisammen in der Abendschule, muessige Leute hatten Langeweile und sassen im Wirtshaus beim Kartenspiel und Weinkrug, ein Bekuemmerter sorgte fuer den andern Morgen, was er essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb steckte vielleicht gerade einen falschen Schluessel in eine fremde Tuere--und ploetzlich geschah ein Knall. Das Schiff mit seinen siebenzig Faessern Pulver bekam Feuer, sprang in die Luft, und in einem Augenblick (ihr koennt's nicht so geschwind lesen, als es geschah), in einem Augenblick waren ganze lange Gassen voll Haeuser mit allem, was darin wohnte und lebte, zerschmettert und in einen Steinhaufen zusammengestuerzt oder entsetzlich beschaedigt. Viele hundert Menschen wurden lebendig und tot unter diesen Truemmern begraben oder schwer verwundet. Drei Schulhaeuser gingen mit allen Kindern, die darin waren, zugrunde, Menschen und Tiere, welche in der Naehe des Ungluecks auf der Strasse waren, wurden von der Gewalt des Pulvers in die Luft geschleudert und kamen in einem klaeglichen Zustand wieder auf die Erde. Zum Unglueck brach auch noch eine Feuersbrunst aus die bald an allen Orten wuetete, und konnte fast nimmer geloescht werden, weil viele Vorratshaeuser voll Oel und Tran mit ergriffen wurden. Achthundert der schoensten Haeuser stuerzten ein oder mussten niedergerissen werden. Da sah man denn auch, wie es am Abend leicht anders werden kann, als es am fruehen Morgen war, nicht nur mit einem schwachen Menschen, sondern auch mit einer grossen und volkreichen Stadt. Der Koenig von Holland setzte sogleich ein namhaftes Geschenk auf jeden Menschen, der noch lebendig gerettet werden konnte. Auch die Toten, die aus dem Schutt hervorgegraben wurden, wurden auf das Rathaus gebracht, damit sie von den Ihrigen zu einem ehrlichen Begraebnis konnten abgeholt werden. Viele Hilfe wurde geleistet. Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so kamen doch von London ganze Schiffe voll Hilfsmittel und grosse Geldsummen fuer die Ungluecklichen, und das ist schoen--denn der Krieg soll nie ins Herz der Menschen kommen. Es ist schlimm genug, wenn er aussen vor allen Toren und vor allen Seehaefen donnert. Unglueck in Kopenhagen Das sollte man nicht glauben, dass eine Granate, die in den ungluecklichen Septembertagen 1807 nach Kopenhagen geworfen wurde, noch im Juli 1808 losgehen werde. Zwei Knaben fanden sie unter der Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhaengenden Grunde reinigen. Ploetzlich geriet sie in Brand, zersprang, toetete den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg und zerquetschte der Mutter, die mit einem Saeugling an der Brust sorglos zusah, den Arm. Dies lehrt vorsichtig sein mit alten Granaten und Bombenkugeln. Untreue schlaegt den eigenen Herrn Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preussen ein Teil der franzoesischen Armee nach Schlesien einrueckte, waren auch Truppen vom Rheinischen Bundesheer dabei, und ein bayerischer oder wuerttembergischer Offizier wurde zu einem Edelmann einquartiert und beikam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schoene und kostbare Gemaelde hingen. Der Offizier schien recht grosse Freude daran zu haben, und als er etliche Tage bei diesem Mann gewesen und freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem Hauswirt, dass er ihm eins von diesen Gemaelden zum Andenken schenken moechte. Der Hauswirt sagte, dass er das mit Vergnuegen tun wollte, und stellte seinem Gaste frei, dasjenige selber zu waehlen, welches ihm die groesste Freude machen koennte. Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, dass man nicht gerade das vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist es auch nicht gemeint. Daran schien dieser Mann auch zu denken, denn er waehlte unter allen Gemaelden fast das schlechteste. Aber das war unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er haette ihm gern das kostbarste dafuer gelassen. "Mein Herr Obrist", so sprach er mit sichtbarer Unruhe, "warum wollen Sie gerade das geringste waehlen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache wert ist? Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort." Der Offizier gab aber darauf kein Gehoer, schien auch nicht zu merken, dass sein Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, sondern nahm geradezu das gewaehlte Gemaelde herunter. Jetzt erschien an der Mauer, wo dasselbe gewesen war, ein grosser feuchter Fleck. "Was soll das sein?" sprach der Offizier wie erzuernt zu seinem todblassen Wirt, tat einen Stoss, und auf einmal fielen ein paar frisch gemauerte und uebertuenchte Backsteine zusammen, hinter welchen alles Geld und Gold und Silber des Edelmannes eingemauert war. Der gute Mann hielt nun freilich sein Eigentum fuer verloren, wenigstens erwartete er, dass der feindliche Kriegsmann eine namhafte Teilung ohne Inventarium und ohne Kommissarius vornehmen werde, ergab sich geduldig darein und verlangte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen koennen, dass hinter diesem Gemaelde sein Geld in der Mauer verborgen war. Der Offizier erwiderte: "Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen, dem ich ohnehin Belohnung schuldig bin"; und in kurzer Zeit brachte sein Bedienter--sollte man's glauben--den Maurermeister selber, den naemlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert und die Bezahlung dafuer erhalten hatte. Das ist nun einer von den groessten Spitzbubenstreichen, die der Teufel auf ein Suendenregister setzen kann. Denn ein Handwerksmann ist seinen Kunden die groesste Treue, und in Geheimnissen, wenn es nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als wenn er einen Eid darauf haette. Aber was tut man nicht um des Geldes willen! Oft gerade das naemliche, was man um der Schlaege oder um des Zuchthauses willen tut oder fuer den Galgen, obgleich ein grosser Unterschied dazwischen ist. So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub. Denn der brave Offizier liess ihn jetzt hinaus vor die Stube fuehren und ihm von frischer Hand 100, sage hundert Pruegel bar ausbezahlen, lauter gute Valuta, und war kein einziger falsch darunter. Dem Edelmann aber gab er unbetastet sein Eigentum zurueck.--Das wollen wir beides gutheissen und wuenschen, dass jedem, der Einquartierung haben muss, ein so rechtschaffener Gast und jedem Verraeter eine solche Belohnung zuteil werden moege. Unverhofftes Wiedersehen In Falun in Schweden kuesste vor guten fuenfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge, huebsche Braut und sagte zu ihr: "Auf Sankt Luciae wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein." --"Und Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schoene Braut mit holdem Laecheln, "denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich moechte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort." Als sie aber vor Sankt Luciae der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen hatte: "So nun jemand Hindernis wuesste anzuzeigen, warum diese Personen nicht moechten ehelich zusammenkommen", da meldete sich der Tod. Denn als der Juengling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurueck, und sie saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand fuer ihn zum Hochzeitstag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte um ihn und vergass ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstoert, und der Siebenjaehrige Krieg ging vorueber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte franzoesische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Tuerken schlossen den General Stein in der Veteraner Hoehle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der Koenig Gustav von Schweden eroberte Russisch-Finnland, und die Franzoesische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preussen, und die Englaender bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute saeeten und schnitten. Der Mueller mahlte, und die Schmiede haemmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine Oeffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Juenglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unveraendert war, also dass man seine Gesichtszuege und sein Alter noch voellig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen waere an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefoerdert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Juengling kennen oder etwas von seinem Unglueck wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurueckkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Kruecke an den Platz und erkannte ihren Braeutigam; und mehr mit freudigem Entzuecken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemuets erholt hatte, "es ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um den ich fuenfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen laesst vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemueter aller Umstehenden von Wehmut und Traenen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Braeutigam noch in seiner jugendlichen Schoene, und wie in ihrer Brust nach fuenfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er oeffnete den Mund nimmer zum Laecheln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stuebchen tragen liess, als die einzige, die ihm angehoere und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab geruestet sei auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab geruestet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloss sie ein Kaestlein auf, legte ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner Beerdigung waere. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehn im kuehlen Hochzeitbett, und lass dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald wirds wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als sie fortging und noch einmal umschaute. Unverhofftes Wiedersehen In Falun in Schweden kuesste vor guten fuenfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge huebsche Braut und sagte zu ihr: "Auf Sankt Luciae wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein.--"Und Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schoene Braut mit holdem Laecheln, "denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich moechte ich lieber im Grab sein als an einem andern Ort. Als sie aber vor St. Luciae der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen hatte: "So nun jemand Hindernis wusste anzuzeigen, warum diese Personen nicht moechten ehelich zusammenkommen", da meldete sich der Tod. Denn als der Juengling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbei ging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurueck, und sie saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand fuer ihn zum Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte um ihn und vergass ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstoert, und der Siebenjaehrige Krieg ging vorueber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte franzoesische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Tuerken schlossen den General Stein in der Veteraner Hoehle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der Koenig Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die franzoesische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preussen, und die Englaender bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute saeeten und schnitten. Der Mueller mahlte, und die Schmiede haemmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine Oeffnung durchgaben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Juenglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unveraendert war, also dass man seine Gesichtszuege und sein Alter noch voellig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen waere an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefoerdert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Juengling kennen oder etwas von seinem Unglueck wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurueckkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Kruecke an den Platz und erkannte ihren Braeutigam; und mehr mit freudigem Entzuecken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemuets erholt hatte, "es ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um den ich fuenfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen laesst vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemueter aller Umstehenden von Wehmut und Traenen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Braeutigam noch in seiner jugendlichen Schoene, und wie in ihrer Brust nach fuenfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er oeffnete den Mund nimmer zum Laecheln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stueblein tragen liess, als die einzige, die ihm angehoere und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab geruestet sei auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab geruestet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, (schloss sie ein Kaestlein auf), legte (sie) ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung waere. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehn im kuehlen Hochzeitbett, und lass dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald wird's wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als sie fortging und noch einmal umschaute. Vereitelte Rachsucht (Eine wahre Geschichte) Der Amtmann in Nordheim liess im Krieg in den neunziger Jahren fuenf Gauner henken, und waren's in der ersten Viertelstunde so gut gewohnt, dass keiner mehr herabverlangte, und je nachdem der Wind ging, exerzierten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechtsum, links um, ohne Fluegelmann. Aber einem seine Beilaeuferin, die einen Buben von ihm hatte, sagte: "Wart', Amtmann, ich will dir's eintraenken." Ein paar Tage darauf reitet die oesterreichische Patrouille gegen das Staedtlein am Galgen vorbei; da sagt einer zu dem andern: "Es laeuft dir eine Spinne am Hut, so gross wie ein Taubenei." So zieht der andere vor den Gehenkten den Hut ab, und die Gehenkten, weil eben der Wind aus Westen ging, drehten sich und machten Front. Indem schleicht von weitem ein Bueblein von der Strasse ab hinter eine Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat. Aber das Bueblein hatte gar keine, weder gute noch schlechte. Denn als einer von den Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die Knie und sagte mit Zittern und mit Beben: "Pardon! Ich hab' sie alle ins Wasser geworfen." Der Dragoner sagte: "Was hast du ins Wasser geworfen?"--"Die Briefe."--"Was fuer Briefe?"--"Die Briefe vom Amtmann an die Franzosen. Wenn Oesterreicher ins Land kommen," sagte der Bursche, "muss ich dem Amtmann Boten laufen ins franzoesische Lager. Diesmal hatte ich drei Briefe, einen an den Duerrmaier." Also holten die Dragoner, mir nichts dir nichts, den Amtmann ab, wie er ging und stand, und musste in den Pantoffeln zwischen den Pferden im Kot mitlaufen und spritzte die Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn, und der Bube musste auch mit. Der Amtmann war so unschuldig als der roemische Kaiser selbst, haette sich fuer die oesterreichischen Waffen lebendig schinden lassen, hatte sechs Kinder, eins schoener als das andere, und eine schwangere Frau. Aber das war die Rache, die ihm die Gaunerin zugedacht hatte, als sie sagte: "Wart', Amtmann, ich will dir's gedenken." Im Lager, als er zu dem General gefuehrt wurde, und die Hohenzollerer-Kuerassiere und Kaiser-Dragoner und Erdoedi-Husaren sahen ihn vorbeifuehren, sagte einer von der Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: "Es ist ein Spion." Der Kamerad sagte: "Strick ist sein Lohn", und der Offizier, an den sie ihn ablieferten, war auch der Meinung und bestellte spottweise schon bei ihm einen Gruss an des Teufels Grossmutter. Dem Hausfreund ist's aber bei dieser Geschichte nicht halb so angst als dem geneigten Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben; sondern, als er vor das Verhoer gefuehrt wurde, schaute ihn der Hauptmann Auditor mit Verwunderung und Bedauernis an und sagte: "Seid Ihr nicht der naemliche, der mich vor einem Jahre drei Tage lang im Keller hinter dem Sauerkrautstande vor den Franzosen verborgen hat, und habt Schlaege genug von ihnen bekommen, und als sie Euch oben den Speck verzehrten, ass ich unten das Sauerkraut dazu samt den Gumbistaepfeln." Der Amtmann sagte: "Gott erkennt's, und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der Kirche, so doch von Lindenholz ist und ihr Leben lang noch keinen Buchstaben geschrieben hat." Indem kamen auch mehrere gute Freunde und angesehene Buerger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine Rechtschaffenheit und Treue, und was er schon fuer Drangsalierung von den Franzosen habe ausstehen muessen, und wie auf seine Anordnung der letzte Sieg der Oesterreicher mit Katzenkoepfen gefeiert wurde, dass der Kirchturm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt, aber einen Stich. Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran dachte, wie er drei Tage lang in des Amtmanns Keller in der verborgenen Garnison lag hinter dem Schanzkorb, hinter dem Sauerkrautstande, war geneigter Ja zu glauben als Nein. Also liess er den Amtmann hinausfuehren und den Buben herein und tat ein paar verfaengliche Fragen an ihn, sagte ihm aber nicht, dass sie verfaenglich sind. Deswegen war der Bursche, so sehr er die Spitzbubenmilch an der Mutter Bruesten eingesogen hatte, mit seinem Ja und Nein so unvorsichtig, dass er in wenig Minuten nimmer links, nimmer rechts auszuweichen wusste und alles gestand. Also bekam er links und rechts fuenfzehn Hiebe vom Profoss und begleitete freiwillig die Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg. Der Amtmann aber ass mit dem Hauptmann Auditor bei dem General-Feldmarschall zu Nacht und den andern Tag bei seiner Frau und Kindern zu Mittag, und der Hausfreund tut auch einen Freudentrunk, dass er wieder ein Exempel der Gerechtigkeit statuiert hat. Das Doneschinger Bier dazu hat er geschenkt bekommen vom Herrn Kusel. Verloren oder gefunden An einem schoenen Sommerabend fuhr der Herr Vogt von Trudenbach in seinem Kaleschlein noch spaet vom Brassenheimer Fruchtmarkt zurueck, und das Roesslein hatte zwei zu ziehen, naemlich den Herrn Vogt und seinen Rausch. Unterwegs am Strasswirtshaus schauten noch ein paar lustige Koepfe zum Fenster heraus, ob der Herr Vogt nicht noch ein wenig einkehren und eines Bescheid tun wolle; die Nacht sei mondhell. Der Herr Vogt scheute sich weniger vor dem Bescheid als vor dem Ab- und Aufsteigen in das Kaleschlein, massen es ihm schon am Morgen schwer wird, aber am Abend fast unmoeglich. Der Herr Theodor meinte zwar: "Wir wollen das Kaleschlein auf die Seite umlegen und ihn abladen", aber kuerzer war es doch, man ging mit der Flasche zu ihm hinaus. Aus einer Flasche wurden vier, und die Redensarten mankierten ihm immer mehr, bis ihm der Schlaf die Zunge und die letzte Besinnung band. Als er aber eingeschlafen war, fuehrten die lustigen Koepfe das Roesslein in den Stall und liessen ihn auf der Strasse sitzen. Frueh aber, als ihn vor dem Fenster des Wirts die Wachtel weckte, kam er sich kurios vor und wusste lange nicht, wo er sei und wo er sich befinde. Denn nachdem er sich eine Zeitlang umgesehen und die Augen ausgerieben hatte, sagte er endlich: "Jetzt kommt alles darauf an, ob ich der Vogt von Trudenbach bin oder nicht. Denn bin ich's, so hab' ich ein Roesslein verloren, bin ich's aber nicht, so hab' ich ein Kaleschlein gefunden." Wasserlaeufer Bekanntlich will es Leute geben, die im Wasser nicht untergehen. Einer erzaehlte in einem Wirtshaus, er sei in Italien von der Insel Capri aus eine halbe Stunde weit aufrecht durch das Mittellaendische Meer gegangen, und das Wasser sei ihm nicht hoeher gegangen als an die Brust. Mit der linken Hand habe er Tabak geraucht, naemlich die Pfeife gehalten, und mit der rechten ein wenig gerudert. Ein anderer sagte: "Das ist eine Kleinigkeit. Im Krieg in den neunziger Jahren ist ein ganzes Bataillon Rotmaentler oberhalb Mannheim aufrecht ueber den Rhein marschiert, und das Wasser reichte keinem hoeher als bis an die Knie." Ein Dritter sagte: "Solches war keine Kunst. Denn sie hatten selbigen Tag, als sie am Rhein ankamen, schon einen Marsch von 20 Stunden zurueckgelegt. So haben sie davon solche Blasen an den Fuessen bekommen, dass es ihnen nicht moeglich war, tiefer als so im Wasser zu sinken." Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich und gluecklich ueber die Grenzen kam Eines Tages, als der Frieder den Weg aus dem Zuchthaus allein gefunden hatte, und dachte: "Ich will so spaet den Zuchtmeister nimmer wecken", und als schon auf allen Strassen Steckbriefe voranflogen, gelangte er abends noch unbeschrien an ein Staedtlein an der Grenze. Als ihn hier die Schildwache anhalten wollte, wer er sei und wie er hiesse und was er im Schilde fuehre: "Koennt Ihr polnisch?" fragte herzhaft der Frieder die Schildwache. Die Schildwache sagt: "Auslaendisch kann ich ein wenig, ja! Aber Polnisches bin ich noch nicht darunter gewahr worden."--"Wenn das ist," sagte der Frieder, "so werden wir uns schlecht gegeneinander explizieren koennen." Ob kein Offizier oder Wachtmeister am Tor sei? Die Schildwache holt den Torwaechter, es sei ein Polack an dem Schlagbaum, gegen den sie sich schlecht explizieren koenne. Der Torwaechter kam zwar, entschuldigte sich aber zum voraus, viel Polnisch verstehe er auch nicht. "Es geht hiezuland nicht stark ab," sagte er, "und es wird im ganzen Staedtel schwerlich jemand sein, der kapabel waere, es zu dolmetschen."-- "Wenn ich das wuesste," sagte der Frieder und schaute auf die Uhr, die er unterwegs noch an einem Nagel gefunden hatte, "so wollte ich ja lieber noch ein paar Stunden zustrecken bis in die naechste Stadt. Um neun Uhr koemmt der Mond." Der Torhueter sagte: " Es waere unter diesen Umstaenden fast am besten, wenn Ihr gerade durchpassiertet, ohne Euch aufzuhalten; das Staedtel ist ja nicht gross", und war froh, dass er seiner los ward. Also kam der Frieder gluecklich durch das Tor hinein. Im Staedtlein hielt er sich nicht laenger auf, als noetig war, einer Gans, die sich auf der Gasse verspaetet hatte, ein paar gute Lehren zu geben. "In euch Gaense", sagte er, "ist keine Zucht zu bringen. Ihr gehoert, wenn's Abend ist, ins Haus oder unter gute Aufsicht." Und so packte er sie mit sicherm Griff am Hals und, mir nichts, dir nichts, unter den Mantel, den er ebenfalls unterwegs von einem Unbekannten geliehen hatte. Als er aber an das andere Tor gelangte und auch hier dem Landfrieden nicht traute, drei Schritte von dem Schilderhaus, als sich inwendig der Soeldner ruehrte, schrie der Frieder mit herzhafter Stimme: "Wer da!" der Soeldner antwortete in aller Gutmuetigkeit: "Gut Freund!" Also kam der Frieder gluecklich wieder zum Staedtlein hinaus und ueber die Grenzen. Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen Streich spielen Als der Zundelheiner und der Zundelfrieder wieder aus dem Turn kamen, sprach der Heiner zum Frieder: "Bruder, wir wollen doch den roten Dieter besuchen, sonst meint er, wir sitzen ewig in dem kalten Hundsstall beim Herr Vater auf der Herberge."--"Wir wollen ihm einen Streich spielen", sagte der Frieder zum Heiner, "ob er's merkt, dass wir es sind." Also empfing der Dieter ein Brieflein ohne Unterschrift: "Roter Dieter, seid heute nacht auf Eurer Hut, denn es haben zwei Diebsgesellen eine Wette getan: einer will Eurer Frau das Leintuch unter dem Leibe weg holen, und Ihr sollt es nicht hindern koennen." Der Dieter sagte: "Das sind zwei rechte Spitzbuben aneinander. Der eine wettet, er wolle das Leintuch holen, und der andere macht einen Bericht, damit sein Kamerad die Wette nicht gewinnt. Wenn ich nicht gewiss wuesste, dass der Heiner und der Frieder im Zuchthaus sitzen, so wollt' ich glauben, sie seien's." In der Nacht schlichen die Schelmen durch das Hanffeld heran. Der Heiner stellte eine Leiter ans Fenster, also, dass der rote Dieter es wohl hoeren konnte, und steigt hinauf, schiebt aber einen ausgestopften Strohmann vor sich her, der aussah wie ein Mensch. Als inwendig der rote Dieter die Leiter anstellen hoerte, stand er leise auf und stellte sich mit einem dicken Bengel neben das Fenster, "denn das sind die besten Pistolen", sagte er zu seiner Frau, "sie sind immer geladen"; und als er den Kopf des Strohmanns heraufwackeln sah, und meinte, der sei es, riss er schnell das Fenster auf und gab ihm eins auf den Kopf aus aller Kraft, also, dass der Heiner den Strohmann fallen liess und einen lauten Schrei tat. Der Frieder aber stand unterdessen mausstill hinter einem Pfosten vor der Haustuere. Als aber der rote Dieter den Schrei hoerte, und es war alles auf einmal still, sagte er: "Frau, es ist mir, die Sache sei nicht gut; ich will doch hinuntergehen und schauen, wie es aussieht." Indem er zur Haustuer hinausgeht, schleicht der Frieder, der hinter dem Pfosten war, hinein, kommt bis vor das Bett, nimmt wieder, wie im vormjaehrigen Kalender, des roten Dieters Stimme an, und es ist wieder ebenso wahr. "Frau", sagte er mit aengstlicher Stimme, "der Kerl ist maustot, und denk' nur, es ist des Schultheissen Sohn. Jetzt gib mir geschwind das Leintuch, so will ich ihn darin forttragen in den Wald und will ihn dort einscharren, sonst geht's zu boesen Haeusern." Die Frau erschrickt, richtet sich auf und gibt ihm das Leintuch. Kaum war er fort, so kommt der rechte Dieter wieder und sagt ganz getroestet: "Frau, es ist nur ein dummer Bubenstreich gewesen, und der Dieb ist von Stroh." Als aber die Frau ihn fragte: "Wo hast du denn das Leintuch?" und lag auf dem blossen Spreuersack, da gingen dem Dieter erst die Augen auf, und sagte: "O ihr vermaledeiten Spitzbuben! Jetzt ist's doch der Frieder gewesen und der Heiner, und kein anderer." Aber auf dem Heimweg sagte der Frieder zum Heiner: "Aber jetzt, Bruder, wollen wir's bleiben lassen. Denn im Zuchthaus ist doch auch alles schlecht, was man bekommt, ausgenommen die Pruegel, und zum Fensterlein hinaus auf der Landstrasse hat man etwas vor den Augen, das auch nicht aussieht, als wenn man gern dran haengen moechte." Also wurde auch der Frieder wieder ehrlich. Aber der Heiner sagte: "Ich geb's noch nicht auf." Wie einmal ein schoenes Ross um fuenf Pruegel feil gewesen ist Wenn nicht in Salzwedel, doch anderswo, hat sich folgende wahrhafte Geschichte zugetragen, und der Hausfreund hat's schriftlich. Ein Kavallerieoffizier, ein Rittmeister, kam in ein Wirtshaus. Einer, der schon drin war und ihn hatte vom Pferd absteigen gesehn, ein Hebraeer, sagte: "Dass das gar ein schoener Fuchs ist, wo Ihro Gnaden drauf hergeritten sind." "Gefaellt er Euch, Sohn Jakobs?" fragte der Offizier. "Dass ich hundert Stockpruegel aushielte, wenn er mein waere", erwiderte der Hebraeer. Der Offizier wedelte mit der Reitpeitsche an den Stiefeln. "Was braucht's hundert", sagte er. "Ihr koennt ihn um fuenfzig haben." Der Hebraeer sagte: "Tun's fuenfundzwanzig nicht auch?" "Auch fuenfundzwanzig", erwiderte der Rittmeister. "Auch fuenfzehn, auch fuenf, wenn Ihr daran genug habt." Niemand wusste, ob es Spass oder Ernst ist. Als aber der Offizier sagte: "Meinetwegen auch fuenf", dachte der Hebraeer: Hab' ich nicht schon zehn Normalpruegel vor dem Amtshaus in Guenzburg ausgehalten und bin doch noch koscher? "Herr", sagte er, "Sie sind ein Offizier. Offiziersparole?" Der Rittmeister sprach: "Traut Ihr meinen Worten nicht? Wollt Ihr's schriftlich?" "Lieber waer's mir", sagte der Hebraeer. Also beschied der Offizier einen Notarius und liess durch ihn dem Hebraeer folgende authentische Ausfertigung zustellen: "Wenn der Inhaber dieses von gegenwaertigem Herrn Offizier fuenf Pruegel mit einem tuechtigen Stock ruhig ausgehalten und empfangen hat, so wird ihm der Offizier seinen bei sich habenden Reitgaul, den Fuchs, ohne weitere Lasten und Nachforderung alsogleich als Eigentum zustellen. So geschehen da und da, den und den." Als der Hebraeer die Ausfertigung in der Tasche hatte, legte er sich ueber einen Sessel, und der Offizier hieb ihm mit einem hispanischen Rohr mitten auf das Hinterteil dergestalt, dass der Hebraeer bei sich selbst dachte: Der kann's noch besser als der Gerichtsdiener in Guenzburg, und lautauf Auweih schrie, so sehr er sich vorgenommen hatte, es zu verbeissen. Der Offizier aber setzte sich und trank ruhig ein Schoepplein. "Wie tut's, Sohn Jakobs?" Der Hebraeer sagte: "Na, wie tut's, gebt mir die andern auch, so bin ich absolviert. "Das kann geschehen", sprach der Offizier und setzte ihm den zweiten auf, dergestalt, dass der erste nur eine Lockspeise dagegen zu sein schien; darauf setzte er sich wieder und trank noch ein Schoepplein. Also tat er beim dritten Streich, also beim vierten. Nach dem vierten sagte der Hebraeer: "Ich weiss nicht, soll ich's Euer Gnaden Dank wissen oder nicht, dass Sie mich einen nach dem andern geniessen lassen. Geben Sie mir zum vierten den fuenften gleich, so bin ich des Genusses los, und der Fuchs weiss, an wen er sich zu halten hat." Da sagte der Offizier: "Sohn Jakobs, auf den fuenften koennt Ihr lange warten", und stellte das hispanische Rohr ganz ruhig an den Ort, wo er es genommen hatte, und alles Bitten und Betteln um den fuenften Pruegel war vergebens. Da lachten alle Anwesende, dass man fast das Haus unterstuetzen musste, der Hebraeer aber wendete sich an den Notarius, er solle ihm zum fuenften Pruegel verhelfen, und hielt ihm die Verschreibung vor. Der Notarius aber sagte: "Jekeffen, was tu' ich damit? Wenn's der Herr Baron nicht freiwillig tut, in der Verschreibung steht nichts davon, dass er muss." Kurz, der Hebraeer wartet noch auf den fuenften und auf den Fuchs. Der Hausfreund aber wollt' diesen Mutwillen nicht loben, wenn sich der Hebraeer nicht angeboten haette. Merke: Wer sich zu fuenf Schlaegen hergibt um Gewinns willen, der verdient, dass er vier bekommt ohne Gewinn. Man muss sich nie um Gewinns willen freiwillig misshandeln lassen. Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken, schwarzen Bart, und statt eines Stuecklein Brotes bittet er, der Meister soll so gut sein und ihm den Bart abnehmen um Gottes willen, dass er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein gutes daran stumpfhacken fuer nichts und wieder nichts? Waehrend er an dem armen Teufel hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weil's ihm der Schinder umsonst tut, heult der Hund auf dem Hof. Der Meister sagt: "Was fehlt dem Mopper, dass er so winselt und heult?" Der Christoph sagt: "Ich weiss nicht." Der Hans Frieder sagt: "Ich weiss auch nicht." Der arme Teufel unter dem Messer aber sagt: "Er wird vermutlich auch um Gottes willen balbiert wie ich." Wie man in den Wald schreit, also schreit es daraus Ein Mann, der etwas gleichsah, aber nicht viel Komplimente machte, kommt in ein Wirtshaus. Alle Gaeste, die da waren, zogen hoeflich den Hut oder die Kappe vor ihm ab, bis auf einen, der ihn nicht kommen sah, weil er gerade die Stiche zaehlte, die er im Mariaschen von seinem Nachbar gewonnen hatte. Und als er eben das Herz-Ass durch die Finger schob und sagte: "Zweiundfuenfzig und elf sind dreiundsechzig", und bemerkte immer den Fremden noch nicht, der etwas gleichsah, fragte ihn der Fremde: "Herr, fuer was sehet Ihr mich an?" Der Gast sagte: "Fuer einen honetten Mann; was weiss ich von Euch?" Der Fremde sagte: "Das dank' Euch der Teufel!" Da stand der Gast vom Spieltisch auf und fragte: "Fuer was sieht denn der Herr mich an?" Der Fremde sagte: "Fuer einen Flegel." Darauf sagte der Gast: "Das danke dem Herrn auch der Teufel! Ich merke, dass wir einander beide fuer den Unrechten angesehen haben." Als aber die andern Gaeste merkten, dass doch auch in einem feinen Rock ein grober Mensch stecken koenne, setzten sie alle die Huete wieder auf, und der Fremde konnte nichts machen, als ein ander Mal manierlicher sein. Wie sich der Zundelfrieder hat beritten gemacht Als der Zundelfrieder bald alle listigen Diebsstreiche durchgemacht und fast ein Ueberleid daran bekommen hatte, denn der Zundelfrieder stiehlt nie aus Not oder aus Gewinnsucht oder aus Liederlichkeit, sondern aus Liebe zur Kunst und zur Schaerfung des Verstandes; hat er nicht dem Brassenheimer Mueller den Schimmel selber wieder an die Tuere gebunden? Was will der geneigte Leser oder des Hausfreunds Reisegefaehrte nach Lenzkirch mehr verlangen? Eines Abends, als er, wie gesagt, fast alles durchgemacht hatte, dachte er: "Jetzt will ich doch auch einmal probieren, wie weit man mit der Ehrlichkeit kommt." Also stahl er in selbiger Nacht eine Geiss, drei Schritte von der Scharwache, und liess sich attrapieren. Den andern Tag im Verhoer gestand er alles. Wie er aber bald merkte, dass ihm der Richter fuenfundzwanzig oder etwas zum Andenken wollte mitgeben lassen, dachte er: Ich bin noch nicht ehrlich genug. Deswegen verschnappte er sich noch ein wenig in den Redensarten und gestand bei der weitern Untersuchung nach kurzem Widerstand, wie er von jeher ein halber Kakerlak gewesen sei, das heisst, ein Mensch, der bei Nacht fast besser sieht als am Tag, und als ihn der Richter aufs Eis fuehren wollte, ob er nicht noch von ein paar andern Diebstaehlen wisse, die kuerzlich begangen worden, sagte er, allerdings wisse er davon, und er sei derjenige. Als ihm den andern Morgen der Spruch publiziert wurde, er muesse ins Zuchthaus, und der Stadtsoldat, der ihn begleiten sollte, stand schon vor der Tuer, denn es war zwanzig Stunden weit, sagte er ganz reumuetig: "Recht findet seinen Knecht. Was ich verdient habe, wird mir werden." Unterwegs erzaehlte er dem Stadtsoldaten, er sei auch schon Militaer gewesen. "Bin ich nicht sechs Jahre bei Klebeck Infanterie in Dienst gewesen? Koennt' ich Euch nicht sieben Wunden zeigen aus dem Scheldekrieg, den der Kaiser Joseph mit den Hollaendern fuehren wollte?" Der treuherzige Begleiter sagte: "Ich hab's nie weiter bringen koennen als zum Stadtsoldaten. Eigentlich waer' ich ein Nagelschmied. Aber die Zeiten sind schlimm." --"Im Gegenteil", sagte der Frieder, "ein Stadtsoldat ist mir respektabler als ein Feldsoldat. Denn Stadt ist mehr als Feld, deswegen avanciert der Feldsoldat in seinem Alter noch zum Stadtsoldaten. Zudem, der Stadtsoldat wacht fuer seiner Mitbuerger Leben und Eigentum, fuer eigen Weib und Kind. Der Kriegssoldat zieht hinaus ins Feld und kaempft, er weiss nicht fuer wen und nicht fuer was. Zudem", sagte er, "kann ein Stadtsoldat, wenn er nichts Ungeschicktes begangen hat, mit Ehren sterben, wann er will. Unsereiner muss sich schon drum totstechen lassen. Ich versichere Euch", fuhr er fort, "ich und meine Feinde (er meinte die Strickreiter) wir haben wenig Ehre davon, dass ich noch lebe." Der Nagelschmied wurde ueber diese ehrenvolle Vergleichung so geruehrt, dass er bei sich selbst dachte, einen so guetigen und herablassenden Arrestanten habe er noch nicht leicht transportiert, und der Frieder ging immer mit grossen Schritten voraus, um den Nagelschmied recht muede und trocken zu machen in der Sonnenhitze. "Darin unterscheiden sich die Feldsoldaten von den Stadtsoldaten", sagte er, "dass sie an einen weiten Schritt gewoehnt sind von dem Marsch." Abends um 4. Uhr, als sie in ein Doerflein kamen und an ein Wirtshaus, "Kamerad", sagte der Frieder, "wollen wir nicht einen Schoppen trinken?"--"Herr Kamerad", erwiderte der Nagelschmied, "was Ihm recht ist, ist mir auch recht." Also tranken sie miteinander einen Schoppen, auch eine halbe Mass, auch eine Mass, auch zwei, und Bruederschaft ohnehin, und der Frieder erzaehlte immerfort von seinen Kriegsaffaeren, bis der Nagelschmied vor Schwere des Weins und Muedigkeit einschlief. Als er nach einigen Stunden wieder aufwachte und den Frieder nimmer sah, war sein erster Gedanke: "Was gilt's, der Herr Bruder ist alsgemach vorausgegangen." Nein, er stand nur ein wenig draussen vor der Tuere, denn der Frieder geht nicht leicht leer fort. Als er wieder hereinkam, sagte er: "Herr Bruder, der Mond will bald aufgehen. Wenn es dir recht ist, so bleiben wir lieber hier ueber Nacht." Der Nagelschmied, schlaefrig und traege, sagte: "Wie der Herr Bruder meint." In der Nacht, als der Nagelschmied fest schlief und alle Toene aus dem Bass in den Diskant und wieder in den Bass durchschnarchte, der Frieder aber nicht schlafen konnte, stand der Frieder auf, visitierte fuer Zeitvertreib des Herrn Bruders Taschen und fand unter andern das Schreiben, das wegen seiner dem Stadtsoldaten an den Zuchthausverwalter war mitgegeben worden. Hierauf probierte er fuer Zeitvertreib des Herrn Bruders neue Monturstiefeln an. Sie waren ihm recht. Hierauf liess er sich fuer Zeitvertreib durch das Fenster auf die Gasse herab und ging des geraden Wegs fort, so weit ihm der Mond leuchtete. Als der Nagelschmied frueh erwachte und den Herr Bruder nimmer gewahr wurde, dachte er: "Er wird wieder ein wenig draussen sein." Freilich war er wieder ein wenig draussen, und als er den Tag erlaufen hatte, im ersten Dorf, das ihm am Weg war, weckte er den Schulzen. "Herr Schulz, es ist mir ein Unglueck passiert. Ich bin ein Arrestant, und der Stadtsoldat von da und da, der mich transportieren sollte, ist mir abhanden gekommen. Geld hab' ich keins. Weg und Steg kenn' ich nicht, also lasst mir auf Gemeindekosten eine Suppe kochen und verschafft mir einen Wegweiser in die Stadt ins Zuchthaus." Der Schulz gab ihm eine Bollete an den Gemeindswirt auf eine Mehlsuppe und einen Schoppen Wein und schickte nach einem armen Maedchen. "Geh ins Wirtshaus und zeige dem Mann, der dort fruehstueckt, wenn er fertig ist, den Weg und die Stadt; er will ins Zuchthaus." Als der Frieder mit dem Maedchen aus dem Wald und ueber die letzten Huegel gekommen war und in der Ebene von weitem die Tuerme der Stadt erblickt hatte, sagte er zu dem Maedchen: "Geh jetzt nur nach Haus, mein Kind, jetzt kann ich nimmer verirren." In der Stadt bei den ersten Haeusern fragte er ein Bueblein auf der Gasse: "Bueblein, wo ist das Zuchthaus?" und als er es gefunden und vor den Zuchthausverwalter gekommen war, uebergab er ihm das Schreiben, das er dem Nagelschmied aus der Tasche genommen hatte. Der Verwalter las und las und schaute zuletzt den Frieder mit grossen Augen an. "Guter Freund", sagte er, "das ist schon recht. Aber wo habt Ihr dann den Arrestanten? Ihr sollt ja einen Arrestanten abliefern." Der Frieder antwortete ganz verwundert: "Ei, der Arrestant, der bin ich selber." Der Verwalter sagte: "Guter Freund, es scheint, Ihr wollt Spass machen. Hier spasst man nicht. Gesteht's, Ihr habt den Arrestanten entwischen lassen! Ich seh' es aus allem." Der Frieder sagte: "Wenn Sie es aus allem sehen, so will ich's nicht leugnen. Wenn mir aber Ihro Exzellenz", sagte er zu dem Verwalter, "einen Brittenen mitgeben wollen, so getrau' ich mir, den Vagabunden noch einzufangen. Denn es ist kaum eine Viertelstunde, dass. er mir aus den Augen gekommen ist."--"Einfaeltiger Tropf", sagte der Verwalter, "was nuetzt dem Berittenen die Geschwindigkeit des Rosses, wenn er mit einem Unberittenen reiten soll? Koennt Ihr reiten?" Der Frieder sagte: "Bin ich nicht sechs Jahre Wuerttemberger Dragoner gewesen?"-- "Gut", erwiderte der Verwalter, "man wird fuer Euch ebenfalls ein Ross satteln lassen, und zwar fuer Euer eigen gutes Geld; ein ander Mal gebt Achtung", und verschaffte ihm in der Eile ein offenes Ausschreiben an alle Ortsvorgesetzte, auf dass, wenn er Mannschaft noetig habe zum Streif. Also ritten der Strickreiter und der Zundelfrieder miteinander dahin, um den Zundelfrieder aufzusuchen, bis an einen Scheideweg. An dem Scheideweg sagte der Frieder dem Strickreiter, auf welchem Weg der Strickreiter reiten soll, und auf welchem er selber reiten wolle. "Am Rhein an der Fahrt kommen wir wieder zusammen." Als sie aber einander aus den Augen verloren hatten, wendete sich der Frieder wieder rechts und machte mit seinem Ausschreiben in allen Doerfern Laerm und liess die Sturmglocken anziehen, der Zundelfrieder sei im Revier, bis er an der Grenze war. An der Grenze aber gab er dem Roesslein einen Fitzer und ritt hinueber. So etwas koennte hierzuland nicht passieren. Willige Rechtspflege Als ein neu angehender Beamter zuzeiten der Republik das erste Mal zu Recht sass, trat vor die Schranken seines Richterstuhles der untere Mueller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in Sachen der Wasserbaukosten. Als er fertig war, erkannte der Richter: "Die Sache ist ganz klar. Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und ein Raeuschlein, kam der obere Mueller und trug sein Recht und seine Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere. Als er ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als moeglich. Ihr habt vollkommen recht." Hierauf, als der Mueller abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener. "Gestrenger Herr", sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen, solange wir Urteil und Recht erteilten. Auch werden wir dabei nicht bestehen. Es koennen nicht beide Parteien den Prozess gewinnen, sonst muessen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie. Du hast auch recht." Willige Rechtspflege Als ein neu angehender Beamter zu Zeiten der Republik das erste Mal zu Recht sass, trat vor die Schranken seines Richterstuhls der untere Mueller, vortragend seine Beschwerden gegen den obern in Sachen der Wasserbaukosten. Als er fertig war, erkannte der Richter: "Die Sache ist ganz klar. Ihr habt recht." Es verging eine Nacht und ein Raeuschlein, kam der obere Mueller und trug sein Recht und seine Verteidigung auch vor, noch mundfertiger als der untere. Als er ausgeredet hatte, erkannte der Richter: "Die Sache ist so klar als moeglich. Ihr habt vollkommen redet." Hierauf, als der Mueller abgetreten war, nahte dem Richter der Amtsdiener. "Gestrenger Herr", sagte der Amtsdiener, "also hat Euer Herr Vorfahrer nie gesprochen, solange wir Urteil und Recht erteilten. Auch werden wir dabei nicht bestehen. Es koennen nicht beide Parteien den Prozess gewinnen, sonst muessen ihn auch beide verlieren, welches nicht gehn will." Darauf antwortete der Beamte: "So klar war die Sache noch nie. Du hast auch recht." Zwei Erzaehlungen Wie leicht sich manche Menschen oft ueber unbedeutende Kleinigkeiten aergern und erzuernen, und wie leicht die naemlichen oft durch einen unerwarteten spasshaften Einfall wieder zur Besinnung koennen gebracht werden, das haben wir im alten Kalender an dem Herrn gesehen, der die Suppenschuessel aus dem Fenster warf, und an seinem witzigen Bedienten. Das naemliche lehren folgende zwei Beispiele. Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der an ihm vorbeiging, um einen Kreuzer an, und als dieser seiner Bitte kein Gehoer geben wollte, versprach er ihm, um einen Kreuzer zu zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Haendeln kommen koenne. Mancher, der dies liest, wird denken, das zu lernen sei keinen Heller, noch weniger einen Kreuzer wert, weil Schimpf und Haendel etwas Schlimmes und nichts Gutes sind. Aber es ist mehr wert, als man meint. Denn wenn man weiss, wie man zu dem Schlimmen kommen kann, so weiss man auch, vor was man sich zu hueten hat, wenn man davor bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch gedacht haben, denn ergab dem Knaben den Kreuzer. Allein dieser forderte jetzt den zweiten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten und endlich den sechsten. Als er aber noch immer mit dem Kunststueck nicht herausruecken wollte, ging doch die Geduld des Mannes aus. Er nannte den Knaben einen unverschaemten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlaegen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. "Ihr grober Mann, der Ihr seid", schrie jetzt der Junge, "schon so alt und noch so unverstaendig! Hab' ich Euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Haendeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreuzer dafuer gegeben? Das sind ja jetzt Haendel, und so kommt man dazu. Was schlagt Ihr mich denn?" So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, dass der listige Knabe recht und er selber unrecht hatte. Er besaenftigte sich, nahm sich's zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte, die gute Lehre, die er da erhalten habe, sei wohl sechs Kreuzer wert gewesen. In einer andern Stadt ging ein Buerger schnell und ernsthaft die Strasse hinab. Man sah ihm an, dass er etwas Wichtiges an einem Ort zu tun habe. Da ging der vornehme Stadtrichter an ihm vorbei, der ein neugieriger und dabei ein gewalttaetiger Mann muss gewesen sein, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. "Wo geht Ihr hin so eilig?" sprach er zu dem Buerger. Dieser erwiderte ganz gelassen: "Gnaediger Herr, das weiss ich selber nicht."--"Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur fuer Langeweile herumgehen wolltet. Ihr muesst etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben." "Das mag sein", fuhr der Buerger fort, "aber wo ich hingehe, weiss ich wahrhaftig nicht." Das verdross den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, dass der Mann an einem Ort etwas Boeses ausueben wollte, das er nicht sagen duerfe. Kurz, er verlangte jetzt ernsthaft, von ihm zu hoeren, wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der Strasse weg in das Gefaengnis fuehren zu lassen. Das half alles nichts; und der Stadtrichter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzufuehren. Jetzt aber sprach der verstaendige Mann: "Da sehen Sie nun, hochgebietender Herr, dass ich die reine, lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte ich vor einer Minute noch wissen, dass ich in den Turm gehen werde --, und weiss ich denn jetzt gewiss, ob ich drein gehe?" "Nein", sprach jetzt der Richter, "das sollt Ihr nicht." Die witzige Rede des Buergers brachte ihn zur Besinnung. Er machte sich stille Vorwuerfe ueber seine Empfindlichkeit und liess den Mann ruhig seinen Weg gehen. Es ist doch merkwuerdig, dass manchmal ein Mensch, hinter welchem man nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre geben kann, der sich fuer erstaunend weise und verstaendig haelt. Zwei Gehilfen des Hausfreunds Es wird in Zukunft bisweilen von einem Adjunkt die Rede sein, was der geneigte Leser nicht verstehen koennte, wenn es ihm nicht erklaert wuerde. Als naemlich der Hausfreund den Rheinlaendischen Kalender noch schrieb, er schreibt ihn noch, hat er den Bezirk seiner Hausfreundschaft diesseits Rheins, wie die Franzosen das Land jenseits Rheins, in zwei Provinzen geteilt, in die untere und in die obere, und hat in die untere einen Statthalter gesetzt, einen Praefekt, der aber nicht will genannt sein, denn er ist kein Landskind. Auch nennt ihn der Hausfreund selber nicht leicht Statthalter, und niemand, sondern Adjunkt, denn selten ist jeder auf seinem Posten, sondern sitzen beieinander un schreiben miteinander neue, hochdeutsche Reimen oder sinnreiche Raetsel. "Zum Exempel, Adjunkt", sagt der Hausfreund: "Ratet hin, ratet her, was ist das?" Der arme Tropf Hat keinen Kopf; Das arme Weib Hat keinen Leib; Die arme Kleine Hat keine Beine. Sie ist ein langer Darm, Doch schlingt sie einen Arm Bedaechtig in den andern ein. Was mag das fuer ein Weiblein sein? "Hausfreund", sagt der Adjunkt, "wenn Ihr mir einen Groschen leiht, so will ich Euch fuer dieses Raetsel ein paar Bretzeln kaufen. Den Wein, den wir dazu trinken, bezahlt Ihr. Ratet hin, ratet her, was ist aber das? Holde, die ich meine. Niedliche und Kleine, Ich liebe dich, und ohne dich Wird mir der Abend weinerlich. Auch goennst du mir, Nachruehm' ich's dir, Wohl manchen lieblichen Genuss; Doch bald bekommst du's Ueberdruss Und laufst zu meiner tiefen Schmach Ein feiles Mensch den Juden nach. Und dennoch, Falsche aus und ein, Hoerst du nicht auf, mir lieb zu sein. Ihr erratet's nicht", sagt der Statthalter, "wenn ich's Euch nicht expliziere. Es ist eine Adjunktsbesoldung, zum Exempel meine eigene, die ich von Euch bekomme." Allein der Adjunkt hat selber wieder eine Adjunktin, naemlich seine Schwiegermutter, die Tochter hat er noch nicht, bekommt sie auch nicht; und der Hausfreund hat an ihm einen ganz andern Glueckszug getan, als sein guter Freund, der Doktor, auf seiner Heimreise aus Spanien an der Madrider Barbiergilde. Denn als er aus der grossen Stadt Madrid heraustritt, seinem Tierlein wuchsen in dem warmen Land und bei der ueppigen Nahrung die Haare so kraeftig, dass er nach Landesart zwei Barbiere mitnehmen musste, die auch ritten, und wenn sie abends in die Herberge kamen, so rasierten sie sein Tierlein. Weil sie aber selber keine gemeine Leute waren und die ganze Nacht Arbeit genug hatten, bis das Tierlein eingeseift und rasiert und wieder mit Lavendeloel eingerieben war, so nahm jeder wieder fuer sein eigenes Tierlein zwei Barbiere mit, die ebenfalls ritten, und diese wieder. Als nun der Doktor oben auf dem pyrenaeischen Berg zum ersten Mal umschaute und mit dem Perspektiv sehen wollte, wo er hergekommen war, als er mit Verwunderung und Schrecken den langen Zug seiner Begleiter gewahr wurde, und wie noch immer neue Barbiere zum Stadttor von Madrid herausritten und inwendig wieder aufsassen, sagte er bei sich selbst: Was hab' ich denn noetig, laenger zu reiten; es geht nun jetzt bergunter,--und ging frueh am Tag in aller Stille zu Fuss nach Montlouis. Also hat der Hausfreund mit seinem Adjunkte auch die Adjunktin des Adjunkten gewonnen, ist aber nicht erschrocken und davon gelaufen. Wer's noch nie erlebt hat, wie sie allen Leuten Red' und Antwort gab und schoene Schweizerlieder vom Rigiberg singen und wie sie sich verstellen kann, bald meint man, man sehe eine Heilige mitten aus dem gelobten Land heraus, bald die heidnische Zauberin Medea, und noch viel, wer's nicht gesehen hat, stellt sich's nicht vor. Der freundlichen Schwiegermutter des Adjunkts soll dieses Buechlein zum Dank und zur Freundschaft gewidmet sein. Zwei honette Kaufleute Zwei Besenbinder hatten nebeneinander feil in Hamburg. Als der eine schon fast alles verkauft hatte, der andere noch nichts, sagte der andere zu dem einen: "Ich begreife nicht, Kamerad, wie du deine Besen so wohlfeil geben kannst. Ich stehle doch das Reis zu den meinigen auch und verdiene gleichwohl den Taglohn kaum mit dem Binden." "Das will ich dir wohl glauben, Kamerad", sagte der erste; "ich stehle die meinigen, wenn sie schon gebunden sind." Zwei Kriegsgefangene in Bobruisk Wer viel merkwuerdige Begebenheiten aus dem russischen Feldzug wissen will, der muss ihn entweder selbst mitgemacht haben oder aber, er muss mit vornehmen Kriegshauptleuten bekannt sein, die dabei waren. Der Kalendermann ruehmt sich dessen, und wenn er mittags ueber den Paradeplatz geht zum Hofapotheker, gruessen sie ihn. Mitgemacht den Feldzug hat er nicht. Folgendes ist ein seltener Beweis von Edelmut und Leichtsinn und noch einmal von Edelmut. Zwei polnische Offiziere wurden als Kriegsgefangene in einem russischen Dorf bis den andern Morgen einquartiert. Sonst sollen die Polen und die Russen auf den blossen Namen hin nicht immer die besten Freunde sein. Allein der russische Edelmann, der in demselben Dorf wohnt, dachte daran in seinem schoenen Schloss und in seiner warmen Stube, wie er auch einmal in seiner Jugend Kriegsgefangener gewesen war in fremdem Lande ohne Geld, ohne Freund, ohne Trost, und wie er in dem Hause eines edlen Menschen eine freundliche Aufnahme gefunden hatte, und wie solches dem Herzen wohltut. Also suchte er sogleich die Gefangenen auf, nahm sie in sein Schloss, bewirtete sie wie Brueder oder Freunde und suchte sie durch Trost und teilnehmende Reden zu erheitern. Denn das ist ein schoenes und heiliges Schuld- und Wechselrecht, das in dem Herzen aller gutgearteten Menschen aufgerichtet ist, dass, wer einmal unter fremden Leuten in der Not und Betruebnis eine Liebe oder Wohltat erfahren hat, sieht sie als ein empfangenes Darlehen an und zahlt sie, wenn er daheim ist, wieder an einen andern Fremdling heim, der in gleicher Not und Betruebnis zu ihm kommt, als eine Schuldigkeit, ob er gleich keine Handschrift darueber ausgestellt hat, und das nicht einmal, sondern zehnmal, wenn er kann, wie ein ausgestreutes Saatkorn nicht allein, sondern selbzehnt oder fuenfzehnt aus der Erde zurueckkehrt. "Wisst ihr schon", fragte die Gefangenen der Edelmann, "wo der Ort eures Aufenthaltes sein wird?" Die Gefangenen sagten, "in den kaukasischen Gebirgen."--"Seid ihr denn auch mit etwas Reisegeld versehen auf einen so langen Weg?" Die Gefangenen zuckten die Achseln. Hierauf sprach der Edelmann ihnen mit heiterer Miene zu, zu essen und zu trinken und wohl bei ihm zu schlafen, und des andern Morgens, als der Transport weiterging und sie nun von ihrem Wohltaeter Abschied nahmen, schenkte er ihnen fuenfhundert Rubel russischen Geldes auf die Reise. Nein, er wollte nicht einmal den Namen haben, dass er es ihnen schenkte. "Ich will es euch leihen", sagte er; "wenn euch einst Gott in euere Heimat und zu den Eurigen zurueckfuehrt, so koennt ihr mir's wieder schicken." Die Geschichte koennte hier aus sein. Sie waere schon des Erzaehlens wert gewesen. Allein sie faengt jetzt erst recht an. Der naechste Tagmarsch der Kriegsgefangenen ging nach einer altrussischen Grenzfestung namens Bobruisk. Man muss schon ein fertiges Mundwerk haben, wenn man so einen russischen Namen mit Leichtigkeit will aussprechen koennen. Der Hausfreund kann's. In Bobruisk aber, wo die Gefangenen bei guter Tagszeit anlangten, gingen die zwei Polen noch ein wenig herum, die Stadt zu besehen, und als sie an ein schoenes, grosses Wirtshaus kamen, dachten sie, "wollen wir nicht ein wenig hineingehen und unserm Wohltaeter seine Gesundheit trinken?" In dem Wirtshaus aber sassen viele russische Herrn und Edelleute, die redeten oder tranken miteinander oder spielten Pharao. Pharao aber ist ein sehr gefaehrliches Spiel, in welchem man viel Geld verspielen kann, also, dass man es nicht Pharao nennen sollte, sondern das Rote Meer, weil viele, die hineingehen, drin ertrinken, ausgenommen die Kinder Israel. Selbigen Tages aber kam auch der wohltaetige russische Edelmann nach Bobruisk, um bei seinen guten Freunden daselbst einen vergnuegten Abend zuzubringen, und indem er in das naemliche Wirtshaus hineintritt, was geschieht, wen sieht er mitten unter seinen reichen Freunden und Bekannten am Spieltische sitzen? Wen sieht er ein Dutzend Rubel nach dem andern setzen und verspielen? Seine leichtsinnigen Gaeste, die zwei Polen. Die Polen haetten auch fast lieber einen Wolf als ihn gesehen und spielten nicht um das besser oder gluecklicher, als er sich ebenfalls an den langen Spieltisch setzte und ein Dutzend Rubel nach dem andern gewann, waeren gerne davongeschlichen, wenn sie nicht die gute Haelfte ihres Geldes haetten muessen im Stich lassen, das sie wieder zu gewinnen hofften. Als sie aber in kurzer Zeit ganz vom Samen waren und die letzte Kopeke dahin war und jetzt trostlos und verzweifelnd zur Tuer hinausschlichen, ging ihnen der russische Edelmann nach, und mancher geneigte Leser, dem man nicht so kommen duerfte, freut sich schon, wie er Justiz machen und den russischen Stab wird walten lassen. Nichts nutz! Ein Kriegsgefangener ist ohne Schlaege geschlagen genug, und Strafe erbittert nur, aber Grossmut kann beschaemen und bessern. alleine Freunde", sagte er zu ihnen sanft und guetig, "ihr muesst wohl besser bei Geld sein, als ich gestern geglaubt habe. Nehmt mir meine Voreiligkeit nicht uebel auf. Ich danke euch, dass ihr mein gutgemeintes Anerbieten nicht beschaemt habt." Die Gefangenen aber waren nicht imstande, eine Silbe zu antworten, ausgenommen sie schlugen die Augen nieder, als wenn sie sagen wollten, dass er sich gestern nicht an ihnen versehen habe, aber jetzt. Da sprach er zu ihnen: "Ihr seid nunmehr gewitziget, und ich hoffe, meine Guete sei zum zweiten Mal besser an euch angewendet als zum erstenmal"; und als er ihnen mit einem guten Wechselbrief von fuenfhundert Rubel ihren ganzen Verlust ersetzte, konnten sie noch weniger als vorher sprechen, sondern kuessten ihm mit Traenen des Dankes und der Ruehrung die Haende. Hernach aber hat er nichts mehr von ihnen erfahren. Diese Erzaehlung ist unversehrt aus Russland herausgekommen und hat ihre Wahrheit. Zwei Sprichwoerter aus: Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes Ich kenne zwei Sprichwoerter, und die sind beide wahr, wenn sie schon einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Bruedern hatte der eine keine Lust und keinen Mut, etwas zu erwerben, weil ihm das Geld nicht zu den Fenstern hereinregnete. Er sagte immer: "Wo nichts ist, kommt nichts hin." Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang der arme Bruder Wonichtsist, weil es ihm nie der Muehe wert war, mit einer kleinen Ersparnis den Anfang zu machen und nach und nach zu einem groesseren Vermoegen zu kommen. So dachte der juengere Bruder nicht. Der pflegte zu sagen: "Was nicht ist, das kann werden." Er hielt das wenige, was ihm von der Hinterlassenschaft der Eltern zuteil geworden war, zusammen und vermehrte es nach und nach durch eigene Ersparnisse, indem er fleissig arbeitete und zurueckgezogen lebte. Anfaenglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: "Was nicht ist, das kann werden" gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiss und Gottes Segen noch ein reicher Mann und ernaehrt jetzt die Kinder des armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beissen und zu nagen hat. Zwei Weissagungen Die erste ist sehr merkwuerdig, wenn sie wahr ist, und man behauptet's. Als vor Jahr und Tag viele vornehme polnische Herren bei Spiel und Tanz sich erlusteten, trat ein leichtes, wegfertiges Weibsbild, eine Zigeunerin, in den lustigen Saal und bot ihnen ihre Weissagungen an. Da kam auch ein feines junges Herrlein, der nachmalige Fuerst Poniatowsky, der nach der Leipziger Schlacht am 19. Oktober 1813 das Leben verloren hat, und streckte ihr die zarte Hand entgegen: "Weissage mir auch etwas Gutes, Muetterlein! Was, meinst du, will aus mir werden?" Da sah die Hexe den jungen Fuersten freudig und wieder mitleidig an. "Ei, du schmuckes Herrlein", sagte sie, "du gelangst einst zu seltsamen Stand und Ehren! Moechte die Freude daran nur auch laenger waehren! Nimm vor den Elstern dich wohl in Acht! Eine Elster dir den Garaus macht." Darob und ob andern Weissagungen dieses Weibes lachten sie lange, und wie eine Elster daherflog, sagten zu Poniatowsky seine Freunde: "Nehmt Euch in acht, Prinz! Seht Ihr, was dort fliegt?" Aber Poniatowsky erwiderte: "Seltsam Amt und Ehre ist noch nicht da." Als aber Polen von den drei Adlern zernichtet war, richteten die Polen ihre Augen und ihre Hoffnungen auf Frankreich, und viele nahmen franzoesische Dienste, hoffend, dass durch Frankreich ihre koenigliche Republik wieder sollte zu Leben kommen. Also hatte auch Poniatowsky diese Wahl ergriffen und kaempfte in den Tagen der Leipziger Schlacht unter den Augen Napoleons, ein achtbarer Streitgenosse, mit Tapferkeit und Glueck, soviel der 16. Oktober erleiden mochte, also dass ihn der Kaiser Napoleon selbiges Tages zum Marschall von Frankreich ernannte. Das war seltsam Stand und Wuerde. Aber schon am 19. auf der Flucht, als alles drunter und drueber ging, ertrank der neue Marschall in der Elster. Elster heisst der Fluss, in welchem er ertrank. Mancher wohlbewanderte Leser wird sie kennen. Also ward auf eine unerwartete Weise die Prophezeiung der Zigeunerin erfuellt. Den Leichnam des Ertrunkenen hat nachher mit allen seinen goldenen Ringen und Kostbarkeiten ein Fischer im Wasser gefunden und um Geld gezeigt, aber von allen Kostbarkeiten an seinen Fingern und in seinen Taschen hat er nichts entwendet, sondern ein Angehoeriger des Prinzen hat ihn nachher in Empfang genommen und den Fischer mit einer ansehnlichen Geldsumme belohnt. Die zweite Weissagung laesst sich zwar ganz natuerlich erklaeren. Nicht minder aber ist sie merkwuerdig. Bekanntlich konnte man dem grossen Koenig Friederich von Preussen nicht nachreden, dass er leichtglaubig gewesen sei in Ansehung der uebernatuerlichen Dinge. Vielmehr hatte er manchmal gern seinen Spass mit solchen, die es waren, aber nicht immer gelang es ihm. Eines Tages versicherte man ihn von einem Prediger, dass er weissagen koennte. Alles, was er vorhersage, treffe ein. Der Koenig befahl, den neuen Propheten vor ihn zu bringen. Unterdessen erkundigte sich der Koenig, ob kein Soldat im Arrest sei, der das Leben verwirkt habe. Ja, es war einer drinnen. Also befahl er, den Delinquenten auf die bestimmte Stunde vor sein koenigliches Wohnzimmer auf die Schildwache zu stellen. Als aber der Prediger kam, "habt Ihr den heiligen Geist empfangen?" fragte ihn der Koenig.--"Ihro Majestaet", sagte der Prediger, "es waere gut, wenn ihn alle haetten."--"Besitzt Ihr die Gabe der Weissagung?"--"Etwas davon, wie die Leute sagen."--"Zum Exempel",--fuhr der Koenig fort,--"was soll ich geschwind fragen?-- Man bringe den Burschen herein, der draussen Schildwache steht! Wie alt wird dieser Mensch werden", fragte er den Prediger, "woran wird er sterben?" Der Prediger erwiderte, dieser Mensch werde nach vielen Jahren in einem hohen Alter sterben.--"Ihr seid in Eurer Probe schlecht bestanden", versetzte hinwiederum der Koenig. "Wisst Ihr", sagte er, dass ich morgenden Tages diesen Burschen henken lasse? Er ist ein Delinquent."--Der Prediger sagte: "Es waere der erste, der meiner Weissagung entliefe." Item, der Delinquent wurde den andern Morgen zur Hinrichtung aus Potsdam hinausgefuehrt. Item, die Schwestern des Koenigs, die Herzogin von Braunschweig und die Prinzessin Amalia, fuhren desselbigen Morgens nach Potsdam hinein, dass sie dem Koenig einen guten Morgen sagen und ihm mit ihrem Besuch eine unvermutete Freude machen wollten. Denn derselbige Morgen war schoen, fast zu schoen zum Henken. Als sie aber an dem Zug vorbeifuhren und den armen Menschen auf seinem schweren Todesgang erblickten, zuckte durch ihre fuerstlichen Seelen ein zarter Schmerz. "Was soll mit diesem armen Menschen werden?"--"Ihre Hoheit, nimmer viel. Er wird gehenkt."--"Was hat er begangen?"--"Das und das."-- Es war zum Henken und zum Laufenlassen, wie man wollte. Die Prinzessin befahl, mit der Hinrichtung noch innezuhalten, bis neue Ordre kaeme. Der Koenig aber empfing seine Schwestern mit bruederlicher Freude. "Wir haben eine Bitte an Euch, geliebter Bruder", sagten sie, "die Ihr uns wohl gewaehren moeget, so Ihr wollt. Gebt uns darauf Euer koenigliches Wort!" Der Koenig war in guter Laune und tat's. "Wenn's moeglich ist", sagte er, "so soll's nicht Nein sein." Denn er meinte, sie seien deswegen gekommen und wollten etwas verlangen fuer sich. Sie baten aber zu seinem Erstaunen um die Begnadigung des Delinquenten.--Was war zu tun? Das Wort war gegeben. Also schickte er einen Adjutanten mit einem weissen Tuechlein hinaus, dass man den Delinquenten wieder zurueckbraechte. Der Koenig segnete das Zeitliche den 17. August 1786. Der Musketier kann in diesem Augenblicke noch leben. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes (Eine Auswahl aus verschiedenen Quellen), von Johann Peter Hebel. End of the Project Gutenberg EBook of Schatzkaestlein des rheinischen Hausfreundes, by Johann Peter Hebel *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHATZKAESTLEIN *** This file should be named 7schr10.txt or 7schr10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7schr11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7schr10a.txt Produced by Juliet Sutherland and Mike Pullen Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. 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